26. Juli 2023

Winnetou in BaWü  -  Hohenlohe Marathon (7)

„Here I am“: Marathonserie „Hohenlohe Marathon“ in der für mich siebten Auflage. Man sollte meinen, dass man einer so oft absolvierten Strecke überdrüssig werden kann. Zumal, wenn drei Runden à 14 Kilometer den Marathon ergeben. Merkwürdigerweise empfinde ich eher das Gegenteil. Die Wiederholung im Wandel der Jahreszeiten offeriert immer wieder neue Facetten in abwechslungsreicher Landschaft nahe der Kleinstadt Crailsheim.

Es muss ein bisschen wie bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg sein - zumindest stelle ich mir die Aufführung der Wildwestsaga so vor: In der Kulisse einer natürlichen Felslandschaft wiederholt sich zigfach jährlich dieselbe Inszenierung. Und auch in den Vor- und Folgejahren bleibt man im „Bild“: Winnetou undOld Shatterhand kämpfen Seite an Seite gegen das Böse. Meine Aufführung heißt „Marathon“ und spielt vor der 14-Kilometer-Naturkulisse rund um und stückweit auch im Dörfchen Crailsheim-Goldbach. Ich betrete die Bühne, sobald ich ankomme und fixfertig kostümiert bin. Mithin darf ich mir aussuchen, ob ich heute den Winnetou oder doch eher Old Shatterhand gebe. Zuweilen treffe ich jemanden unterwegs. Heute als Old Shatterhand treffe ich in der zweiten Runde Winnetou, alias Ulrich Tomaschewski. Akteur, Regisseur und Intendant des Hohenlohe Marathon in einer Person. In der ersten Runde traf ich auf eine andere Besetzung des Winnetou. Und der war mit seiner Schwester Nscho Tschi unterwegs. „Winnetou I oder II“, doch eher „Der Schatz im Silbersee“? Einerlei, die Protagonisten sind dieselben und am Ende siegt das Gute!

An Winnetou und Nscho Tschi ritt ich in bedrohlicher Situation vorbei - dergleichen ist immerhin Standard in Karl Mays Indianerdramen. Just zu jenem Zeitpunkt setzte Regen ein und im Gegensatz zum Apachen und der ihm ein paar Pferdelängen vorauseilenden Squaw war ich darauf textil so gar nicht vorbereitet. Rasch schwoll der Schauer an und ich stellte mich zwei, drei Minuten unters dichte Blattwerk einer Buche. Eine gute Idee nach schlechter Vorbereitung. Dem Hauptschauer, der auch harmlose, nur Globuli-große Graupel niederprasseln ließ, entging ich auf diese Weise. Dem Regen insgesamt nicht, dafür hätte ich etwa eine halbe Stunde ausharren müssen. Die Nässe am Körper an sich erwies sich als nebensächlich. Im Niederschlag kühlte es allerdings weiter ab, von 14°C zum Start auf Werte, die vor allem Arme und Hände erstarren ließen. Sommer 2023: Der kann anscheinend nur brüllend heiß oder eklig nasskalt.

Es ist nicht so, dass ich den Elementen schutzlos hätte ausgeliefert sein müssen. Die Regenjacke ließ ich im Auto zurück, meinte sogar ohne Schildkappe aufbrechen zu dürfen. Dämliche Sünden bestraft der Wettergott umgehend und nachhaltig: Eingefroren hatte ich Mühe die Jacke nach Runde eins überzustreifen. Etwa eine Viertelstunde Dauertrab verging, bis meine oberen Extremitäten wieder normalen „Gebrauchswert“ aufwiesen. Die flugs aufgesetzte Schildkappe hatte nach dem Aufbruch zu Umlauf zwei nichts mehr zu tun, der Regen war versiegt.

Die erste Runde offenbarte aber nicht nur meine textile Nachlässigkeit. Sie enthüllte auch, dass dieser Mittwoch im Juli 2023 keiner meiner besseren Lauftage werden würde. Die etwa 200 Höhenmeter, verteilt auf viele einzelne Anstiege, mal kürzer und knackig, mal länger dafür auszehrend, fuhren mir schon in diesem ersten Umlauf mächtig in die Beine. Erklärung dafür? Was weiß ich? Spekulationen warum’s gut läuft, wenn’s gut läuft, stelle ich wohl noch an. Das kommt ja auch eher selten vor. Wenn’s mich unterwegs „beutelt“, nehm ich’s inzwischen einfach hin. Als Läufer der „AK M70“ entsteigt man morgens nicht mehr seinem Bett wie dem mystischen Jungbrunnen. Der Jungbrunnen, „die Quelle der ewigen Jugend“, ist nicht mehr als eine Legende. Ich weiß das sicher, weil ich schon sehr lange marathon- und ultraweit in Gegend herumlaufe und sie trotzdem nicht fand. Außerdem: Gäbe es sie, wozu bräuchte die Menschheit Friedhöfe?

Runde zwei, für Udo die Auftaurunde: Das Auftauen zieht sich auch deshalb hin, weil sich mir auf den ersten drei flachen Kilometern, in und hinter Goldbach, ein ebenso lebhafter wie kalter Westwind entgegenstemmt. Die Grasmulde zwischen Goldbach und seiner Kreisstadt Crailsheim empfing mich schon mal freundlicher. In satten Grüntönen und mit Wärme. Heute richtete ich die Digicam in Runde eins eher pflichtschuldig aufs Panorama. Das mit dem Aufheizen klappt dann in der ersten 3er-Buckelserie, unterstützt von kurzen Aufheiterungen am unsicheren Himmel. „Supi!“, jetzt rinnt zur Abwechslung Wasser unter der dichten Pelle …

Ich lasse mich davon aber nicht ablenken, halte stets Ausschau nach Neuem oder Veränderungen auf der Strecke. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich mich als Tierschützer verstehe und auf verschiedene Weise auch betätige? Wer’s nicht glaubt, möge seinen Blick auf die Startseite dieses Internetauftritts richten. Die Logos dreier Tierschutzvereine, „ganz unten“ auf der Seite, prangen da nicht zur „Zierde“. - 333: Jetzt hier auf (asphaltierter) Rampe 3 von 3 befördere ich 3 Weinbergschnecken ins seitliche Dickicht; damit sie nicht zertreten oder überrollt werden. „Untenrum“ empfinde ich die Tierchen als schleimig-eklig. „Obenrum“ schleppen sie aber ihr „Sweet Home“ mit sich rum. Das Spiralgehäuse ist trocken, griffig und lässt sich gut packen … eins, zwei, drei ab dafür …

Die Region Hohenlohe trägt ein Sommerkleid mit starken Gebrauchsspuren. Offenbar längere, von Hitze geprägte Trockenheit bleichte den „Stoff“, spätere ergiebige Regenfälle lassen die „Klamotte“ inzwischen aber wieder ergrünen. Viele Getreidefelder wurden bereits abgeerntet; Stoppeln allenthalben, gelegentlich auch rund gebundene Strohballen, die noch auf den Abtransport warten. Da und dort kann man die nahe Wetterzukunft riechen. Sie stinkt zum Himmel. Kein Wunder, dass den Wetterverantwortlichen da oben die Tränen kamen. Gerade lässt ein Bauer mehrere Hektoliter eklig brauner Brühe über die Wiese blubbern … exakt dort, wo ich die zwischenzeitlich erklommene Höhe einem Taleinschnitt zustrebend wieder aufgeben muss.

Drunten im Tälchen gilt mein erster Blick wie stets dem Weiher, heute eingetrübt von Regenfällen. Ist der nicht immer trüb? Und habe ich dieselbe Frage nicht zuletzt schon einmal gestellt? Kein Zweifel regt sich allerdings, dass ich von diesem Weiher bei jedem meiner Hohenlohe M’s einen Schnappschuss mitnahm. Ich erhebe das jetzt zur Tradition und gelobe ihr auch fürderhin zu frönen. Wieder aufwärts, vorbei am immer noch provisorisch wirkenden Domizil zweier Pferde, Koppeln und wenig standfest wirkende, zeltartige „Stallungen“. Nachdem ich zuletzt anderenorts massenweise geknickte Bäume und davon fliegende Pavillons sah, bewegt mich hier der Gedanke, ob und wie lange das Provisorium etwaigen Klimakapriolen wird standhalten können.

Bisschen rauf und runter noch, dann Rundenteilung. Also bin ich jetzt genau 21 km unterwegs. Kein Grund auf die Uhr zu schauen, was ich abläse könnte meine Laune gefährden - muss nicht sein … Nächste 3er-Buckelserie und meine Beine zeigen mir ’nen Vogel. Was wollt ihr? Im Grunde müsstet ihr heute klaglos frisch euren Dienst versehen! - An meinem anlässlich der Herfahrt eingerichteten Trinkflaschendepot, knapp einen Kilometer nach der Rundenteilung, trinke ich reichlich. Der Tag ist nach meinem Empfinden „frühwinterlich“ kalt, was meinen Organismus aber nicht dran hindert überreich zu schwitzen. Genau hier, wo meine Flaschen sich hinter einem Baumstamm verstecken, beginnt die Waldpassage. Sie endet erst kurz vorm Ziel/Start, wo mein Auto steht. Diese Zweiteilung der Strecke, erst knapp acht Kilometer Felder und Wiesen, dann zusammenhängend sechs Kilometer Forst, empfinde ich als weiteren Reiz auf der Hohenlohe-Runde. Freilich ohne diesem Empfinden je auf den Grund gegangen zu sein. Wozu auch? Man muss doch nicht alles erklären.

Wieder folgt eine Anstiegsserie, wobei ich mir nicht sicher bin, ob sie mich nötigt 3, 4 oder 5 Buckel zu erobern. Außer Zweifel steht, dass die letzte dieser Rampen, zugleich den gemeinsten, den „bösen Tritt“ der Runde bildet. Ich zwänge mich aufwärts zu steppen, träfe ich nicht just zu Beginn dieses Abschnitts Winnetou, alias Ulli, den Veranstalter. Da quälst du dich natürlich nicht keuchend vorbei und raunst en passant irgendwas Halbintelligentes. Man kann mir vieles nachsagen, fehlende Manieren gehören sicher nicht dazu. Also wechseln wir aufwärts marschierend ein paar (kurzatmige) Sätze. Der strenge Schiedsrichter in meinem Oberstübchen legt seine Stirn in Falten, der gewitzte Schlawiner streckt ihm die Zunge raus: Ich darf einen Anstieg gehen. Das gehört sich so und du darfst nicht meckern!

Nach Überwinden der Steilwand und schon wieder trabend, verabschieden wir uns voneinander. Wir nutzen dafür die naheliegende Formel „Mach’s gut! Wir sehen uns!“. Wiedersehen meint irgendwann, irgendwo auf einer Laufstrecke und wird mit Gewissheit ausgesprochen. Wird so sein, so sicher wie das „Amen“ am Ende eines Gebets.

Runde drei beginnt mit einer weiteren Regendrohung und mit neuerlich kaltem Luftzug aus Westen. Also lasse ich die Jacke an, obschon ich mich drunter im eigenen Saft gepökelt fühle. Rechts voraus brechen fette Regenfahnen aus noch fetteren Wolken. Erste Tropfen erreichen mich: Schildkappe auf. Windrichtung und Düsterfeuchtes zueinander in Beziehung setzend schlussfolgere ich: Eigentlich sollte der Guss an mir vorbeiziehen. Folgerichtig setzt die Berieselung nach ein paar Schritten aus. Schildkappe im Hosenbund einklemmen! Wiesenwanne auslaufen, drei Kilometer vorbei, erster Buckel. Zwei unangenehme Gefühle wetteifern miteinander. Eins lässt mich - Verwünschungen ausstoßend - die Schildkappe wieder aufsetzen. Erneut neckt mich der Wettergott mit Tropfen, die an mein Brillenglas klopfen. Das andere Unangenehme meldet die Abteilung „Fortbewegung“. Die ist vorzeitig müde und schmerzt obendrein. Unschön.

Kein Getröpfel mehr, Schildkappe wieder ab, verstauen. Das ist natürlich nervig, aber immer noch besser als die eingeschränkte Wahrnehmung unterm „Chapeau“ und Schwierigkeiten beim Schweißwischen. Zu Letzterem muss ich beides Abnehmen, Kappe und Brille. Genau!: Mit der dritten Hand wische ich mir dann die Schweißperlen aus der Stirn. Klappt schon, aber eben nur „irgendwie“. Erfreulich: Das war’s mit „Pippi“ von oben. Das Düstere zieht nördlich von mir vorbei. Drunten im Tal gönnt es Goldbach einen weiteren Guss. Ich hoffe, das Wolkenmonster hat sein Leben ausgehaucht, wenn ich nach Vollendung der Runde das Ziel erreiche. Noch 10 km bis dahin.

10 km und entschieden zu viele Anstiege. Ein jeder hinterlässt mich müder und mit schwereren Beinen als sein Vorgänger. Hatte ich heute Lust zum Laufen? Hab es mich zu Beginn nicht gefragt, schließlich lebe ich im Zustand „Laufen ist selbstverständlich, Nichtlaufen keine Option“. Seit einer geraumen, schmerzenden Weile ist mir aber die Petersilie gründlich verhagelt. Wieder mal habe ich die Grenze erreicht, vor der vernünftige Menschen haltmachen würden. Die manche Läufer - ich kenne einen - aber stets ignorieren. Vor allem, weil ihnen nur das Finish zählbaren Erfolg einträgt. Individuell verschärft durch meinen Spleen: Gehen geht nicht. Also ringe ich mir Meter um Meter, auch Höhenmeter für Höhenmeter ab; geißele mich auch im „bösen Tritt“ mit Tippelschritten und bringe die Sache mit Anstand (wie ich ihn für mich definiere) zu Ende. Die Schussfahrt zum Schluss beschert mir grausame aber bekannt harmlose Schmerzen in abgearbeiteten Sehnen und Gelenken. Schlussendlich ein Dankeschön für die Erlösung gen Himmel, an wen auch immer, als ich nach 5:12:15 Stunden mein Tagesoll mit Überschreiten des Zielstrichs erfülle.

 

Fazit zum Wettkampf

Siehe Laufbericht vom Februar 2022.