Sonntag, 18. Juni 2016

Einhundertundelf   -   12-Stundenlauf in Hoyerswerda 2016

In meiner Erinnerung finden sich diverse Ansichten, die ich zum Zwecke des Rundensammelns 6, 12 oder 24 Stunden detailliert „studieren“ durfte. Ansehnlich hübsche, „optisch neutrale“ und - ganz ehrlich - stinklangweilige. Beispiele gefällig? Landschaftlich schön war beispielsweise die Runde um den Weißenstädter See (Fichtelgebirge), ansprechend das Ufer-Rauf-und-Runter an der Salzach in Salzburg und zum Erbrechen öde das Gelände in Berlin Weißensee, auf dem ich 24 Stunden Schritt an Schritt reihte. All meine Stundenlauferfahrungen decken sich jedoch in einem Punkt: Bereits nach wenigen Runden begegnete ich mit zunehmender Gleichgültigkeit dem, was mir rechts und links, ja sogar, was mir auf dem Stundenpfad „Gesellschaft leistete“.

Aus diesem Grund werden auch die einmalig schönen Eindrücke der 925 Meter-Seerunde rund um den „Gondelteich“ in Hoyerswerda die Aufgabe nicht erleichtern. Eher im Gegenteil. Von einem „flachen Kurs“ las ich irgendwo im Netz. „Flach“ ist relativ. Gemessen an einem Mittelgebirge stimmt das für die Strecke um Gondelteich und Lausitzbad. Im Vergleich zu wirklich brettebenen Stunden-Runden weist sie jedoch zwei „Buckel“ auf. Darüber hinaus wurde höchstens ein Viertel der Strecke wirklich „wetterfest“ (Asphalt oder Vergleichbares) angelegt, der Rest besteht aus feinst geschotterten, glücklicherweise festen Spazierwegen.

Alles in allem Bedingungen, die mir nur teilweise entgegen kommen. Zwar will ich hier keine 12h-Bestleistung aufstellen. Dennoch hätte ich mir eine komplette Asphaltrunde gewünscht, um meine „Knochen“ spezifisch gegen solchen Untergrund abzuhärten. 10:55 Uhr: Inmitten der Schar angetretener 6-, 12- und 24h-Läufer folge ich der Einweisung des Veranstalters. Nur mit einem Ohr allerdings, weil das andere dem Dank eines mir bis dato unbekannten Läufers lauscht. Mit wachsender Genugtuung erfahre ich, dass er seit seinen Laufanfängen immer wieder Anleihen von unserer Laufseite bezog. Mit dieser Unterstützung drang er bis zu Ultradistanzen vor. Solche unerwarteten Botschaften entschädigen für ungezählte Stunden heftigen, manchmal gar quälenden Ringens um Inhalt und Form meiner Texte …

Und dann beginnt Runde eins vorm Eingang zum Lausitzbad, dessen Einrichtungen die „sanitäre“ Laufgrundlage bilden. Alsbald auf Platten minimal abwärts und am betonierten Rand des Sees entlang. Das viereckig eingefasste Becken auf dieser Seite des Schwimmbads wirkt wie eine Art „Hafen“. Mit Blick auf die Fontäne in der Seemitte runter vom Beton und weiter auf knirschendem Spazierweg. Erste Rechtskurve, zwischen Schilf, gelegentlichen Seeblicken und Büschen geradeaus. Nach etwa hundert Metern beginnt eine beinahe halbkreisförmige Linkskurve, in deren Mitte sich die erste, flache Holzbrücke über den Zu- oder Abfluss des Gondelteiches spannt. Hinter der Brücke „erhebt“ sich der erste (minimal gewölbte) „Hügel“. Ausgeruht kaum spürbar, doch so ein Hindernis „türmt“ sich im Verlauf endlosen Rundendrehens immer höher auf, wie jeder Stundenläufer weiß. Nach der Kurve in leichten Schlangenlinien an der Längsseite des Sees entlang, vielleicht zweihundert Meter weit. Dort wartet der zweite „Anstieg“, markanter als der erste und schon in der Auftaktrunde nicht zu „überspüren“. Eine schwach ausgeprägte S-Kurve, darin die zweite, in der Bauart identische Holzbrücke, leitet in die finale Kurve über, die mich vors Bad und zur zählenden Elektronik bringt.

Wenn die Musik aus nahebei aufgestellten Lautsprechern nicht gerade ein Forte oder Fortissimo intoniert, dann hört man das leise „Piep“ der Rundenerfassung. Eine optische Kontrolle des Rundenerfolgs ist nicht vorgesehen. Wozu eine so hohe „Runden-Geheimhaltungsstufe“? Das weckt meinen Argwohn, ob ich will oder nicht. Der richtet sich nicht gegen den Veranstalter. Ich weiß um die Fehleranfälligkeit elektronischer Rundenzählungen, war bereits zweimal selbst davon betroffen. Vertrauen ist gut, Kontrolle war schon immer besser. Heute werde ich allerdings eine Menge Vertrauen aufbringen müssen.

Das Tempo überlasse ich einstweilen dem Gusto meiner Beine. Will heißen: Ich „lasse es laufen“, greife nicht bewusst ein. Allerdings beherrscht die Vorstellung von „6 Minuten pro Kilometer“ meine Gedanken. Vielleicht setzt eine insgeheim wirkende, über die Jahre automatisierte „Steuerung“ diese Wunschvorstellung in die passende Schrittfrequenz um. Schwer zu sagen, wer tatsächlich das Sagen hat: Laufgefühl oder Kraft der Gedanken. Jedenfalls kreise ich von Beginn an und für lange Zeit mit ebendiesen 6 min/km. Einschließlich der kurzen Pausen zum Verpflegen übrigens.

Fest steht, dass ich diesen Durchschnitt nicht über 12 Stunden durchhalten kann. Selbst wenn es gelänge die reine Laufarbeit bis zum Schluss auf dem momentanen Niveau „einzufrieren“ - wachsende Ermüdung, später Erschöpfung, werden die Verpflegungspausen enorm dehnen. Dieser Effekt ist unabwendbar, auch wenn man sich das in einem ausgeruhten Körper so gar nicht vorstellen kann. Die Zeit wird kommen, da jeder Handgriff schwer fällt, da zu trinken oder ein Gel-Beutelchen aufzureißen und seinen Inhalt „unfallfrei“ in den Mund zu praktizieren, keine halbautomatischen Vorgänge mehr sein werden. Zu Beginn schütte ich einen Becherinhalt bei wenig vermindertem Tempo einfach so in den Mund und schlucke zweimal. Fertig. Zum Ende hin - es war ausnahmslos immer so - brauche ich zum Trinken eine stetig wachsende Gehstrecke, weil die Schlückchen kleiner werden und überhaupt noch zu schlucken ziemliche Überwindung kostet.

Das beschreibt „prozedurale“ Schwierigkeiten, die zusammen mit anderen, nicht absehbaren Verrichtungen, wie Austreten und Kleidung wechseln, die Kilometersumme reduzieren. Was mich noch stärker limitieren wird, ist fehlende Regeneration: Binnen einer Woche steckt niemand die 15:40 Stunden Wettkampfdauer eines „Borderland Ultra extrem“ weg (siehe Laufbericht). Schon gar nicht, wenn er seither weiter engagiert trainierte: Unter anderem zur Wochenmitte ein Tempodauerlauf und erst vorgestern flott gelaufene 20 Kilometer. Bilde ich die Bilanz von allem, dann werden diese 6 min/km nicht dauerhaft, vermutlich nicht einmal bis zur Halbzeit zu halten sein. Mal sehen, wie lange ich es schaffe. Ich bin mir bewusst, dass dem forschen Beginn der Einbruch folgen wird. Dieses bewusst in Kauf genommene, physische Debakel kann ein mentales nach sich ziehen. Mich den Attacken der eigenen Psyche auszusetzen ist jedoch Teil meiner Vorbereitung. Vorbereitung für ein extrem hoch gestecktes Ziel: 246 km durch Griechenland, dabei 3.000 Höhenmeter überwinden und unter 36 Stunden bleiben. Das übersteht niemand, der physischem und mentalem Leiden zuvor tunlichst aus dem Weg ging …

Wenig los auf der Strecke. Selten überhole ich, noch seltener werde ich überholt. Die relative Einsamkeit ist dem kleinen Teilnehmerfeld geschuldet: Lediglich 16 LäuferInnen sammeln über sechs Stunden Kilometer. Bescheidene 6 haben sich für die zwölf Stunden entschieden und gerade Mal 10 gehen über die vollen vierundzwanzig Stunden. Summa summarum 32 Kreisende. Im Mittel ist das nicht mal ein Läufer auf 30 Meter. Kein Wunder also, dass ich zuweilen minutenlang niemanden in Sichtweite vor oder Hörweite hinter mir registriere.

Von Zeit zu Zeit ziehen mein „Zögling“, von dessen Dank ich oben berichtete, ein Läufer, der dem „LG Nord Berlin Ultrateam“ angehört und zwei, drei weitere in ziemlichem Tempo an mir vorbei. Alle übrigen - so jedenfalls nehme ich es wahr - müssen sich früher oder später meinem Tempo beugen. Wer in welchem Bewerb unterwegs ist, weiß ich nicht, will ich auch nicht wissen. Eine gute Platzierung wäre willkommenes Bonbon, ist jedoch nicht Teil meines Trainingsziels. Wenn ich die beabsichtigte Kilometersumme realisiere, werde ich ohnehin auf einer Stufe des Siegerpodestes landen. Für diese Prognose braucht man bei nur fünf männlichen Teilnehmern kein prophetisches Talent. Bleibt offen zu legen wie viele Kilometer es werden sollen: Mindestens 100 ist realistisch, ein paar mehr wäre schön, dicht an 110 wird Illusion bleiben.

In welchem Umfang wird das Wetter meinen Orbit beeinflussen? - Lange sah es so aus, als hätten wir mit kühlem Schauerwetter zu rechnen. Tatsächlich herrschen Temperaturen von knapp über 20°C und Sonnenschein. Dafür sind Gewitter mit lokalen Regengüssen vorhergesagt. Nachdem ich mir letztes Wochenende infolge nasser Schuhe und Strümpfe am rechten Fuß gigantische, noch nicht völlig abgeheilte Blasen einhandelte, galt es vorzusorgen: In einer meiner Kisten warten vier (!) Paar Ersatzschuhe und in der anderen sechs (!!) Paar Strümpfe auf ihren Einsatz. Das mag dir übertrieben vorkommen. Es geht darum jedes Risiko für meine Füße auszuschließen, um in der kommenden Woche ohne Einbuße trainieren zu können.

„Super Udo!“ - Es ist Mirko, der mein konstant engagiertes Kreisen zweimal mit verbalen Schubsern unterstützt, als ich an ihm vorbei trabe. Ich bleibe stumm wie ein Fisch. Das ist wieder so ein (Wettkampf-) Tag, an dem meine Stimmbänder vor Arbeitsunlust nur so strotzen. Keine Ahnung, warum (oder wenigstens unter welchen Bedingungen) das geschieht. Schweigt er bei den weiteren Überrundungen meiner unterdrückten Beredsamkeit wegen? Kann sein. Allerdings gewinne ich eher den Eindruck, dass sich Mirko mit zunehmender Wettkampfdauer jede Runde heftig erkämpfen muss. In solchem „Tunnel“ unterwegs schwindet jegliches Interesse an der Umgebung ... Mirko kommt aus Thüringen. Mit seiner großen, dunklen Sonnenbrille kam er mir vorm Start zwar bekannt vor, ich wusste ihn allerdings nicht einzuordnen. Bis er sich als einer der Veranstalter des „Borderland Ultra“ (siehe Laufbericht) zu erkennen gab, der mir letztes Wochenende die Startunterlagen aushändigte.

Zweite Stunde abgehakt und 20 GPS-Kilometer angehäuft. In den letzten Runden empfand ich das 6er-Tempo schon deutlich fordernder als zuvor. Mein „Vorrat“ an 6er-Runden wird wohl bald aufgebraucht sein. Ausgangs der nächsten Runde verliest der Veranstalter im Start-/Zielbereich Zwischenstände. Im nur sekundenkurzen Ausschnitt, den ich beim Durchlauf mithöre, kommt meine bisherige Leistung nicht zur Sprache. Sollte ich mich hinstellen und Laufzeit mit Zuhören verschwenden? Zumal ich lediglich wissen will, ob sich die offizielle mit meiner GPS-Messung einigermaßen deckt. Als Beruhigungspille, mehr nicht. Bestimmt bringen sie das Blatt mit den Ergebnissen zum Aushang, dann werde ich am Ende einer späteren Runde nachlesen …

Kilometer 21 bis 30: Es geschieht nichts und ich habe nichts zu tun. Das Tapp-Tapp der Schritte ist gleichermaßen automatisiert wie das Nachtanken von Flüssigkeit am Ende jeder zweiten oder dritten Runde. Trinke ich zu viel? - Besser zu viel und mal eine halbe Minute beim Entsorgen verlieren, als zu wenig und Durst leiden oder den Stoffwechsel hemmen. Die anfänglich kleinen, weißen Wattebäusche am Himmel sind enorm gewachsen. Nach Gewitter sieht es zwar noch nicht aus, doch die Schattenphasen überwiegen inzwischen. Auch während dieses dritten Stundenintervalls gelingt es mir die forsche Pace über die Zeit zu retten. Allerdings bin ich sicher, dass der Einbruch in der nächsten Stunde fällig ist …

(Vor-) Beiläufiges rückt dann und wann in den Fokus: Die zwei Damen an der Langseite der Runde etwa, die sich für … ja wofür eigentlich? … also zumindest für ein Sonnenbad dort niederließen. „Ab vier Stunden klatschen wir!“ höre ich von einer. Der Scherz gilt einem Rundensammler vor mir. Die Damen gehören sicher zum „Tross“ eines kreisenden Aktiven. Zufällige Zaungäste am See sind selten. Mal einer der seinen Hund Gassi führt, eine Zeit lang ein Angler, drei Jugendliche mit dem Rad. In Höhe des Badeingangs kreuzen natürlich immer wieder Badegäste den Kurs, nehmen überwiegend jedoch keine Notiz von unserem Treiben. - Wie lange habe ich eigentlich schon nicht mehr Richtung Schilf oder See geblickt, bewusst die erbaulichen Ansichten suchend, um mich daran zu erfreuen? Ist sicher etliche Runden her. Wie erwartet ziehe ich inzwischen stoisch und weitgehend der Umwelt „entrückt“ meine Kreise. Längst spielt die „Kulisse“ keine Rolle mehr. Ist beliebig. Austauschbar. Runden in einer Sporthalle oder auf einem ganz und gar unansehnlichen Kurs zu laufen wäre ab jetzt weder langweiliger, noch relevant fürs Resultat.

Wie es aussieht, werde ich mir bald wünschen mein Orbit fände unter schützendem Hallendach statt! Immer drohender rotten sich die Wolken über meinem Kopf zusammen und Richtung Westen formiert sich eine dunkelgraublaue Wand. Ich achte auf Blitze, lausche etwaig heranrollendem Donner, sehe und höre jedoch nichts dergleichen. En passant werfe ich einen Blick auf meinen „Claim“ unmittelbar am Streckenrand im Zielbereich. Wohin soll ich mit den zwei Kunststoffkisten (Ausrüstung) und meiner Kühltasche (mysteriöser Inhalt) umziehen, wenn es zu regnen beginnt? Möglich wäre ein „Asylantrag“ bei einem der Zeltbesitzer zu stellen oder mich unters Vordach am Haupteingang des Bades zu verkrümeln. Letztlich entscheide ich mich für den Dachvorsprung am Nebeneingang zur Sauna. Aber erst, wenn ich muss …

Zwei Umläufe später meine ich zu müssen. Die dunkelgraublaue Wand entsendet eine Regenfahne und es beginnt zu tröpfeln. Also packe ich meine Siebensachen und trage sie die paar Meter ins Trockene. Zeitbedarf: Ungefähr anderthalb Minuten. Noch schnell die Schirmkappe aufsetzen und dann zurück in die Umlaufbahn. Jeder Zugriff auf Kisten oder Kühltasche ist ab jetzt mit einem Zeitverlust infolge Extrameter von etwa acht Sekunden verbunden*.

*) Ich fange mitnichten an Erbsen zu zählen! Ich kann nur schätzen, wie oft ich in der verbleibenden Zeit noch dem geheimnisvollen Inhalt meiner Kühltasche zugesprochen oder ein Gel der Kiste entnommen habe. 25 Mal ist sicher nicht übertrieben. 25 x 8 = 200 Sekunden. In Strecke umgerechnet ergibt das etwa 500 unwiederbringlich verschenkte Meter. Hinterher fragen sich unzufriedene Stundenläufer angesichts eines recht mageren Durchschnittstempos gerne, wo sie die vielen Minuten liegen ließen. Dabei genügt das kleine Einmaleins, um sich alle Defizite bewusst zu machen …

Zwei, drei Runden brodelt am Himmel über Hoyerswerda tröpfelnde, von gelegentlichen Windböen umwehte Unentschlossenheit. Schließlich endet der feuchte „Unwetterversuch“ und binnen weniger Runden klart der Himmel wieder auf. Die wenigen Tropfen taten dem Geläuf sogar gut. Der Belag wurde nicht wirklich nass, staubt aber jetzt nicht mehr. - Die Wetterkapriole ist nur das Bühnenbild, im Vordergrund vollzieht sich derweil Akt Nummer vier meines persönlichen 12-Stunden-Dramas. Wie erwartet gelingen mir in dieser Stunde keine zehn GPS-Kilometer mehr. Mit einer Verspätung von etwa drei Minuten erscheint die „40“ in der Anzeige.

Aushang von Zwischenständen? Fehlanzeige! Drei, vier Runden, in denen ich vergeblich auf die nächste offizielle Verkündung eines Zwischenergebnisses warte, bezwinge ich meine Unsicherheit noch, dann verschaffe ich mir bei den untätig rumsitzenden Zeitnehmern Klarheit: 44-Komma-irgendwas Kilometer lautet deren Ansage. Tatsächlich deckt sich die GPS-Anzeige bis auf eine unbedeutende Differenz von ein paar hundert Metern mit der Rundenzählung. Mehr wollte ich gar nicht wissen und mache mich tiefenentspannt wieder auf den Weg … Wenn schon keine elektronische Anzeige (um Kosten zu minimieren), warum wird dann nicht einmal pro Stunde eine aktualisierte Liste ausgehängt?

Der eigentliche Einbruch trifft mich dann härter als erwartet. Physisch. Relativ rasch vollzieht sich der Übergang von „stark gefordert“ zu „ausgeprägter Schwäche“. Zwei, drei Runden lang hält sich das Gefühl ein bisschen zu „schlingern“. Eine leichte Form von „Taumeln“, dem ich mit reduzierter Geschwindigkeit und Gel entgegen steuere. Kein ausgeprägter Kontrollverlust. Glaube nicht, dass jemand bemerkt, wie unsicher ich jetzt meine Schritte setze. Vielleicht hat die schwüle Wärme nach dem Pseudounwetter den Prozess einsetzender Hinfälligkeit beschleunigt. Mein Denken und Fühlen bleibt davon unbeeindruckt. Fast scheint es, als beobachtete ich mich bei einem Selbstexperiment, von dem ich schon weiß, wie es ausgehen wird. - Wie dem auch sei: Nach zwanzig Minuten verliert sich das Tapsige der Schritte und mein Stoffwechsel stabilisiert sich - allerdings auf niedrigerem Niveau.

„Einer von denen, die man nicht persönlich, die aber Gott und die Welt aus dem Internet kennt!“ Ungefähr mit diesen Worten bedenkt mich ein Mitläufer, als wir zufällig auf gleicher Höhe laufen. Dass er auch den 12-Stunden-Wettkampf wählte, erfahre ich bei dieser Gelegenheit. Für die naheliegendste aller Fragen, die nach dem Vornamen, reicht es dagegen nicht. Offensichtlich hat die Tragfähigkeit meiner sensorischen Brücken zur Außenwelt bereits arg gelitten. Im Nachhinein bin ich nicht mal mehr sicher, dass es sich um jenen „Thomas“ handelt, der letztlich die 12 Stunden gewinnen wird. - Mich zu wundern kriege ich trotz Schwäche noch hin: In Relation zum winzigen Teilnehmerfeld haben mich noch nie so viele Mitläufer begrüßt. Jenen gleichfalls unbekannten Ultra eingeschlossen, der mich vorm Start auf meine letztjährige Teilnahme an den „100 km del Passatore“ (von Florenz nach Faenza) ansprach. Ein Ultraklassiker in Italien, den er selbst bereits dreimal absolvierte. Er kenne mich zwar nicht, seine Lebensgefährtin habe mich aber mal eben gegoogelt. Sachen gibt’s …

Ich muss es endlich loswerden: Seit dem „Systemabsturz“, im Grunde schon vorher, fällt mir jeder Schritt schwer. Ursache ist ein alle Fasern durchziehendes, schon häufig erfahrenes Gefühl leiblicher Nöte, das ich ausgeruht nicht mal genau beschreiben kann. Es geht vom heftig schuftenden Energiestoffwechsel und drangsalierten Muskelstrukturen aus. Unmöglich die quasi „materialisierte“, bei jedem Schritt spürbare Schlussfolgerung zu ignorieren: Das hältst du keine acht - ach was! - nicht mal zwei Stunden mehr durch! Wer sich noch nie oder nur selten einem so heftig empfundenen Energiemangel weit vor dem Zielstrich ausgesetzt sah, fällt in ein tiefes Loch: Aussichtslos, hoffnungslos, unmöglich! Ich durchlebte diese Konfrontation mehrmals, teilweise stundenlang, und wider inneres Orakel brachte ich den Wettkampf noch jedes Mal in Würde zu Ende. Vermutlich bleibt deshalb der mentale Einbruch aus, obwohl ich noch mehrere Stunden Quälerei zu überstehen habe …

Wie es scheint, sind die Installationen für die Übernachtbeleuchtung der Strecke nun endlich abgeschlossen (Straßenbeleuchtung gibt es nur vorm Schwimmbad). Bald zwei Stunden zogen sich Ausrollen von Kabeln, Anbringen oder Aufstellen der Lampen und schlussendlich das Anstöpseln hin. Probebetrieb: Alle Leuchtkörper arbeiten einwandfrei. Ich kann mir allerdings schwerlich vorstellen, dass die wenigen Scheinwerfer die Strecke komplett aus der Dunkelheit holen werden …

Zwischenzeitlicher Sonnenschein trieb mir den Schweiß aus allen Poren. Keine Veranlassung die Tränke des Veranstalters und die eigene Kühltasche (lecker!) häufiger aufzusuchen. Dafür füllte ich bei jedem Stopp an Flüssigkeit ein, was nur ging. Übertrieb es einmal dergestalt, dass mir fast schlecht wurde. Hat sich gegeben, alles wieder im grünen Bereich. Bald werden die Sechs-Stunden-Satelliten aus der Umlaufbahn verschwinden. Ich beneide sie. Weil sie’s hinter sich haben ein bisschen, vor allem aber wegen der aus drei Richtungen aufziehenden Gewitter. Minütlich rückt uns das dunkelblaugraue Gewölk dichter auf die Pelle. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass wir wieder so glimpflich davonkommen, wie vor bald drei Stunden …

Sechs Stunden werden „abgeschossen“ und ich starre ein wenig irritiert auf meine Uhr. Dort fehlen noch mehr als zwei Minuten. Wie kann das sein? Ein „Forerunner 310XT“ mit gestörter Zeitbasis? Schwer vorstellbar. Eine falsche Zeitmessung des Veranstalters halte ich jedoch für noch weniger wahrscheinlich?? Zu spät abgedrückt habe ich meine Uhr definitiv nicht. Eventuell per Zufall gestoppt. Irgendwo dran gestoßen? Ist mir im Training schon passiert und einmal vor langer Zeit sogar bei einem Marathon. Aber ein weiteres unabsichtliches Betätigen des Startknopfes, das die Uhr zwei Minuten später weiterzählen lässt? Nein, da wäre wahrscheinlicher, dass mich Fortuna endlich mit einem Sechser im Lotto beschenkt. Das Rätsel bleibt einstweilen ungelöst.

Mein „Zögling“ wartet mit vor Glück leuchtendem Konterfei am Streckenrand auf die Messung der Restmeter. Berichtet mir von „65 Kilometer oder so …“ als wir uns im Vorbeilaufen abklatschen. Es gelingt mir noch zu gratulieren, dann bleibt er zurück. Dass ich dem Sieger des Sechs-Stundenlaufes gratuliere, zudem für mehr als 69 Kilometer, erfahre ich erst viel später aus der Ergebnisliste …

Tote Hose auf der Laufbahn rund um Lausitzbad und Gondelteich. Häufig vermag mein Blick nur im Start-/Zielbereich oder auf der langen Geraden hinterm See andere Läufer einzufangen. Nur noch 16 (!) LäuferInnen drehen weiterhin Runden. Was für ein Missverhältnis: Die Schar der Helfer rund um den Veranstalter übersteigt die der Wettkämpfer bei weitem. Schade eigentlich.

Die ersten Tropfen fallen, doch eine Runde müsste ich noch ohne Schirmkappe hinkriegen. Ein paar hundert Meter weiter, von Blitz und Donner „gejagt“, bin ich davon nicht mehr überzeugt. Noch rollt der Donner dem Blitz mit ziemlicher Verzögerung hinterher, was mich beruhigt. Dafür verdichtet sich der Regenvorhang schrittweise - im wahrsten Sinne des Wortes. Auf der finalen Kurve vorm Bad beginnt es dann richtig zu schütten und ich rette mich erst einmal unter den Dachvorsprung neben meine Kisten. Ein Platzregen geht nieder. Bereitliegende Schirmkappe aufsetzen und dann: Soll ich? - Unter Garantie umziehen hieße das, zumindest Schuhe und Strümpfe wechseln. Fünf oder mehr Stunden in nasser, warmer Hülle quellen, reiben, schürfen? - das werde ich meinen Füßen heute auf keinen Fall zumuten. Ich stehe und warte, nutze die Zeit zum Trinken, konsumiere ein Gel. Zwei Minuten vergehen, drei, … Kein Blitz und kein Donner mehr und der Himmel hellt sich wieder auf. Also abwarten …

Ich brauche nicht lange zu warten, gefühlt nicht mehr als fünf, sechs Minuten. Auf zwei Runden tröpfelt es noch vor sich hin, dann ist der Spuk vorbei. Ein paar kleine Pfützen haben sich gebildet. Der Untergrund ist zwar durchnässt aber immer noch fest. Also keine relevanten Störungen beim fortgesetzten Kilometersammeln.

Achte und neunte Stunde: Die Sonne ist zurück und steht noch immer hoch am Himmel. Aufsteigende Feuchtigkeit sättigt die Luft. Schwüle beschert mir einen konstanten Schweißfilm auf der Haut. Nicht unangenehm, Laufwetter, das ich mag; allerdings für niemanden leistungsfördernd, schon gar nicht bei schleichendem Kräfteverfall. Etwa alle fünf Kilometer schlucke ich ein Gel, halte den Motor bei niedriger Drehzahl in Betrieb. Mein Lauftempo kommt mir langsamer vor, als es tatsächlich ist. 6:20 min lese ich bei zufälligem Hinschauen für einen durchgelaufenen Kilometer ab. Wenn ich laufe, bin ich also immer noch flott unterwegs. Wenn ich laufe! Doch die Verpflegungspausen häufen sich und - was noch mehr Zeit kostet - sie ziehen sich mehr und mehr in die Länge.

20 Uhr vorbei. Im Ziel wird das Zwischenergebnis nach neun Stunden verlesen. Ich bleibe kurz stehen und schaue dem Mann mit dem Mikro über die Schulter. 89-Komma-Irgendwas Kilometer. Ausdrücklich sein Hinweis, dass ich auf Platz zwei rangiere. Das ist „nett“. Auf die Idee zu fragen, wie viel „Sicherheitsabstand“ zum Drittplatzierten besteht, komme ich gar nicht. Dieser Umstand mag verdeutlichen, welche Bedeutung ich meiner Platzierung zumesse … „Nett“, wenn es so bliebe, aber kämpfen werde ich um die Platzierung nicht.

Die Sonne lugt flach über die Wipfel der Bäume und Büsche, blendet mich vorm Bad und hinter der ersten Kurve. Längst haben meine Bewegungen etwas Roboterhaftes, Grobmotorisches angenommen. Ich möchte stöhnen, weiß aber um die Sinnlosigkeit solchen Verhaltens. Auch wenn alles Physische auf Stehenbleiben, Aufhören, Hinsetzen, Ausruhen drängt, weiß ich doch in aller Klarheit, dass genau das nicht geschehen wird. Weil ich es nicht zulasse. Ließ es niemals zuvor zu und will es auch in Zukunft nie, nie, nie akzeptieren.

Schwindendes Licht und fast völlige Vereinsamung auf der Strecke formen den totalen Egozentriker: Laufen im Tunnel. Die ständige Selbstüberwindung reduziert äußere Wahrnehmungen auf ein Minimum. Was ist da noch? Ein paar Läufer. Selten sehe ich jemanden laufen. Wenn ich überhole, dann schleppt sich der oder die Betreffende irgendwie gehend vorwärts. Seit Stunden geht das bei manchen schon so. Und immer wieder stellt sich mir die Frage, was für einen Sinn das hat. Warum für einen 12- oder 24-Stunden-Lauf anmelden, wenn von vorneherein feststeht, dass ich effektiv nur einen Bruchteil der Zeit werde laufen können? Achtung: Ich kritisiere es nicht, finde nur keinen Zugang. Ich verstehe es einfach nicht. Dennoch würde ich keinem der Dauergeher zu Nahe treten, nicht einmal mit der offen ausgesprochenen „Warum-Frage“.

Es ist bereits Stunden her, da scheint es in dieser Hinsicht eine Art „Eklat“ gegeben zu haben. Offensichtlich wurde „jemand“* auf häufiges oder langes Gehen angesprochen oder gar deswegen angemacht. Ob aus dem Kreis der Läufer oder von außen, weiß ich nicht. Jedenfalls stieß die betreffende Person, als ich sie gerade überholte, erbost Rechtfertigungen aus. Dass sie das halte, wie es ihr gefiele und vor allem so, dass „uns“ das Spaß macht. Wen sie mit „uns“ einschloss, konnte ich nicht erkennen. Der zornige Tenor der Erwiderung/Rechtfertigung kündet von Dünnhäutigkeit. Ob solche Anwürfe der Person häufiger widerfahren? Oder fühlt sie sich einfach nicht wohl in ihrer Haut? Es muss einen doch nerven, wenn alle paar Sekunden einer/eine vorbei trabt - oder nicht?

*) Anmerkung: Ich möchte die betreffende Person absichtlich nicht näher bezeichnen; Bild auf der rechten Seite ohne Bezug zu diesem Abschnitt!

Kreisendes Leid: Da geht einer und jammert. Unterdrückte Jaulgeräusche entringen sich seiner Brust. Dennoch ist nicht zu überhören, dass er ziemliche Schmerzen haben muss. Zu Erkennen auch an der Art, wie er seine Füße aufsetzt. - Dann war da noch einer unterwegs - definitiv länger als sechs Stunden -, dessen Selbstüberwindung mich bei jeder der zahlreihen Überrundungen aufs Neue zum Grübeln brachte. Lange Zeit habe ich ihn jetzt schon nicht mehr registriert. Das kann aber auch am Tunnel liegen, durch den ich selbst mich bewege. Der Mann leidet unter einer Erkrankung, die ihm keine „normalen“ Laufschritte gestattet. Äußerst mühevoll und mit hörbarem Scharren der Fußspitzen am Boden lief er in den ersten Stunden. Wegen der Behinderung sehr langsam. Verständlicherweise war es ihm nach ein paar Stunden nicht mehr möglich zu laufen. Seitdem geht er. Mit unübersehbar hohem Kraftaufwand - physisch und mental. - Was bringt Menschen dazu, exakt das mit sportlichem Ehrgeiz von sich zu verlangen, wozu sie bedauerlicherweise am wenigsten in der Lage sind? Sport ist doch immer möglich, so lange eine Behinderung Bewegungsspielräume lässt. Warum also keine alternative Sportart? Auch das kritisiere ich nicht im Mindesten, wüsste nur gerne was diesen Menschen antreibt.

Man bezeichnete mich schon mehrmals als „Extremsportler“. Diesem Prädikat widerspreche ich zwar aus meiner Sicht, kann jedoch nachvollziehen, dass Freizeitläufer mit bescheideneren Zielen und Laufumfängen mein Tun als „extrem“ empfinden. Mir kommt eher „extrem“ vor, was Dauergeher sich zumuten. Oder eben dieser gehandicapte Mensch, der sich zu stundenlangem Wettkampf zwingt, obschon ihm seine Behinderung das Laufen extrem erschwert.

Mit fortschreitender Dämmerung kühlt die Luft rasch ab. Bereits Verpflegungsstopps genügen, um mich in meiner durchgeschwitzten Montur frieren zu lassen. Zweimal rette ich mich bei einsetzendem Schüttelfrost in die Wärme produzierende Laufbewegung. Mein übersteigertes Kälteempfinden resultiert natürlich vor allem aus Erschöpfung. Umziehen? Zwei Stunden vor Schluss so viel Zeit opfern? Und wenn schon. Eine Erkältung darf ich keinesfalls riskieren. Also zur Kiste. Startnummernband lösen, die beiden Shirts abstreifen, mit Handtuch trocken reiben, frisches Kurzarm-Shirt anziehen, Armlinge überstreifen … Klingt nach einer Minutensache, dauert in Wirklichkeit aber endlos lange. Das frische Shirt rollt sich am Rücken ein, will partout nicht runter rutschen. Und versuche einmal enge Armlinge über noch feuchte Haut zu ziehen. All das, nachdem du ungefähr zehn Stunden „Beinübungen“ hinter dir hast … Vergehen fünf Minuten? Vielleicht sechs? Sieben? Mehr? - Weiß nicht, traue meinem Zeitgefühl nun nicht mehr über den Weg. Zum Abschluss noch ein paar Schlucke „Geheimnisvolles“* aus meiner Kühltasche und dann zurück ins Hamsterrad …

*) Es ist im Grunde nichts Außergewöhnliches, was mich immer wieder in meine Kühltasche greifen ließ. Seit es kühler geworden ist, ohnehin nur noch selten. Da die „Substanz“ Kohlensäure enthält, würde ich sie normalerweise auch nicht in diesen Mengen konsumieren. Ohnehin wird alkoholfreies Weizenbier, vor allem die Sorte, die mir schmeckt, bei üblichen Wettkämpfen kaum bereitgestellt. In Hoyerswerda ging es mir nur darum, einen zusätzlichen Anreiz fürs Rundendrehen zu schaffen. Ein bisschen Genuss, auf den ich mich jeweils einige Umläufe lang freuen kann …

Alle paar Runden muss ich meine Kilometerprognose korrigieren, die „100+“ sind allerdings nicht in Gefahr. Ich denke nur noch in 5-Kilometer-Abschnitten, nach denen ich jeweils meine Ecke ansteuere und mir wieder ein Gel einverleibe. Vorhin habe ich meinen Vorrat an Gel nachgezählt und abschließend „rationiert“. Wie es scheint war ich in den ersten Stunden zu sparsam. Jedenfalls darf ich bei 95 und dann - zum letzten Mal - bei Kilometer 100 gleich zwei Beutelchen aufreißen.

Ich quäle mich. Sehr sogar. Aber das ist nichts Neues, das hätte ich auch schon einige Abschnitte vorher so zu Protokoll geben können. Es hat sich nicht wesentlich verschlimmert, ist aber auch nicht leichter zu ertragen, je näher ich dem zeitlichen Ende komme. Noch zwei Stunden: Ich halte das fraglos noch zwei Stunden aus. Aber zwei Stunden sind zwei Stunden. 120 lange Minuten und … Es in Sekunden umzurechnen übersteigt meine verbliebene Geisteskraft … … … Dann noch anderthalb Stunden, schließlich nur noch eine: Eine Stunde. Was kann man nicht alles in einer Stunde erledigen!? Unendlich lange 60 Minuten, 3.600 Sekunden. Weiß ich auswendig, da brauche ich nicht rechnen. 3.600 Sekunden, von denen jede eine kleine Ewigkeit währt ...

Dann wird es mir doch noch leichter: 30 Minuten verbleiben. Nicht mehr viel, nicht mehr lang. Mehrfach wiederhole ich dies oder ein ähnliches Mantra in Gedanken: ‚Nicht mehr lang‘ - ‚Nur noch 30‘ - ‚Bald geschafft‘ - 100 Kilometer stehen inzwischen auf dem Konto, vorhin „amtlich“ bestätigt. Pflicht erfüllt, der Rest ist Kür. Höchstens noch vier Runden. Für Gefühle wie Stolz oder Glück fehlt mir die Kraft. Noch eine Viertelstunde, zwei Runden. Rezitieren der „vorletzten Male“: Zum vorletzten Mal die Rechtskurve, zum vorletzten Mal Brücke eins, zum vorletzten Mal die lange Gerade, zum vorletzten Mal der Buckel, zum vorletzten Mal rein in den Zielbereich …

„Eine Runde geht noch, wenn du willst. Sechs Minuten!“ ruft mir der Veranstalter entgegen. „Klar eine mach‘ ich noch!“ - Was sollte ich sonst auch tun, zumal nach meiner Zeitrechnung - genauer: nach der des Forerunners - noch 11 Minuten übrig sind. Mit „sechs Minuten“ kann er also nur die Rundendauer gemeint haben. Ich lasse mir Zeit. Mehr als eine geht definitiv nicht mehr und irgendwo frierend im Dunkeln rumstehen und auf die Restmetermessung warten will ich auch nicht. Einmal noch rum und dann im Ziel die letzten Sekunden trinkend, essend abwarten. Das ist der Plan. Verhalten tippelnd setze ich ihn um: Zum letzten Mal am „Hafen“ vorbei, zum letzten Mal Brücke eins, Buckel eins, lange Gerade, Buckel zwei … Zum letzten Mal Brücke zwei und durch die gestreckte S-Kurve. Jetzt noch die Kurve, die mich zum Ziel bringt und … Plötzlich knallt es! Wettkampf abgeschossen??? Kann doch nicht sein. Auf meiner Uhr fehlen noch gut fünf Minuten. Das gibt’s doch nicht. Ich bleibe stehen und schimpfe wie ein Rohrspatz. Einer der 24-Stundenläufer nähert sich und bestätigt, was ich so gar nicht auf die Reihe kriege. Auch nach seiner Uhr sind noch keine 12 Stunden vergangen. Ein, zwei Minuten stehe ich doof in Dunkelheit und Kälte rum, dann löse ich das Startnummernband, hinterlege meine Startnummer und marschiere ins Ziel …

Offizielles Ergebnis: Einhundertundelf volle Runden, 103,475 Kilometer, Platz 2 gesamt.

 

Fazit zur Veranstaltung

Der 6-/12-/24-Stunden „Europalauf“ in Hoyerswerda vermag mit seiner Seerundstrecke durchaus zu punkten. Fragt man sich, wieso die Veranstaltung in den letzten Jahren immer mehr Teilnehmer einbüßte (siehe DUV-Statistik), dann geben die Unzulänglichkeiten der Durchführung sicher Hinweise.

Nichts davon ist „überlebenswichtig“, alles zusammen genommen allerdings durchaus unverständlich. Ich will die einzelnen Punkte hier nicht aufzählen. Erstens werden sie sich in dieser Aufzählung womöglich nicht wiederholen, könnten zudem als harsche Empfehlung missdeutet werden den Lauf zu meiden. Genau das wäre jedoch die falsche Reaktion, weil es ohnehin schon an Teilnehmern mangelt.

 

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