18. Februar 2024
Overdressed: Schon Minuten nach dem Start öffne ich den Reißverschluss des viel zu warmen Unterhemds mit Kragen. Die Handschuhe zog ich gar nicht erst über, lege sie nach Runde eins zu meinen übrigen Habseligkeiten. Und ich bedauere die heute früh beim Anziehen noch verwegen anmutende Idee „kurze Laufhose“ verworfen zu haben. Also rinnt von Beginn an (neun Uhr) der Schweiß. Nicht gerade in Strömen aber mit angepassterem Outfit bliebe ich trockener. An
der Luft liegt es nicht, die hält mit sieben, vielleicht acht Grad Kühlschranktemperatur. Dafür scheint die Sonne - oh, welche Wonne!!! Erst Mitte Februar und ich darf beim Laufen schon ein bisschen schwitzen.
Doch nicht nur wärmt die aus wolkenlosem Himmel blitzende Sonne, sie kippt auch kübelweise Farbe über die Welt. Der Winter ist nicht meine Jahreszeit. Und ich wüsste nicht zu entscheiden, woran es mir in den zurückliegenden Wochen mehr mangelte: Wärme oder Farbe. Letztere entfacht spontane Begeisterung für den Ort, an dem ich
heute laufen darf. Endlich mal wieder laufen „darf“ - nicht „kann“ und nicht mal ansatzweise „muss“! Wobei ein Muss mich nicht Wunder nähme, weil erheblicher Widerwillen aufwallte, als mich der Wecker heute Morgen aus dem Schlaf riss. Oh ja, ich darf um den Hahnenkammsee laufen!
Seinen Namen erhielt der kleine etwa anderthalb Kilometer lange, an der breitesten Stelle kaum mehr als 200 Meter messende Stausee von den Höhenzügen, die ihn einrahmen. Sie gehören zum Hahnenkamm, seinerseits ein Ableger der Fränkischen Alb. Höhenzug klingt
nach „hoch“, tatsächlich dürften die Kuppen der Hügel wenig mehr als hundert Meter über Seeniveau ansteigen. Bist du im Alpenraum ein wenig bewandert? - Ich kenne einen „Hahnenkamm“ bei Reutte in Tirol und natürlich jenen über Kitzbühel, auf dessen Pisten alljährlich das gleichnamige Skirennen stattfindet. Wer hätte noch nie von „der Streif“ gehört, der zum Hahnenkamm zählenden, berüchtigtsten Abfahrtspiste der Welt? - Ich jogge hier allerdings flach unter sonnigem Himmel, überdies mehrere Autofahrstunden von den bekannteren „Hahnenkämmen“ entfernt, am Südrand des bayerischen Regierungsbezirks Mittelfranken. Gegend gibt es hier in rauen Mengen. Immens viel mehr Gegend als sich viele Stadtmenschen im dicht besiedelten Deutschland vorzustellen vermögen. Gegend, die sogar einer wie ich, der im Ländlichen rumkommt und vielerorts schon den Erdboden stundenlang mit Füßen trat, nie im Leben erblickte. Was umso verwunderlicher erscheint, so man erfährt, dass ich von daheim nur eine gute Stunde übers Land fahren musste, um an diesen Ort zu gelangen. Natürlich drängt sich der Leitgedanke auf, dem ich als Marathoni in den letzten Jahren zunehmend folge: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?
Die Redensart ist, wie viele andere auch, an ein Werk von Goethe angelehnt. In diesem Fall an den Vierzeiler „Erinnerung“
„Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.“
Genug der Schwärmerei, jetzt Fakten fürs Navi: Der Hahnenkammsee liegt kurz vorm Ortseingang der 500-Seelen-Gemeinde Hechlingen, einem Ortsteil des Marktes Heidenheim. Gemeint ist nicht das BaWü-Heidenheim (an der Brenz), dessen Kicker in dieser Saison die großen Vereine in der ersten Fußballbundesliga ärgern. Überregional bekannte, naheliegende Städtchen zu benennen ist infolge der „vielen Gegend“ ringsrum schwierig. Viele kennen und trinken Bier aus Oettingen, das unweit von hier gebraut
wird. Immerhin in der viertgrößten (!) deutschen Brauerei. Doch kaum jemand wird wissen, wo das Kleinstädtchen Oettingen liegt. Orientierung vielleicht so: Den See trennen jeweils etwa 80 Autokilometer von Augsburg im Süden und dem im Nordosten gelegenen Nürnberg.
Und wieso verschlägt es mich hierher in die tiefste Provinz? - Ich strebe stets danach weiße Flecken auf meiner Deutschlandkarte nach und nach mit Erleben und Bildern zu füllen. Umso schöner, wenn ich mir dabei ein weiteres Marathon- oder Ultrafinish abholen kann, wie heute beim „1. Hahnenkammsee Marathon“. Stefan Schneider, der in der Gegend zu Hause ist, richtet die Veranstaltung aus. Ich kenne Stefan von Begegnungen bei anderen Läufen, insbesondere beim Naabtal Ultralauf. Ein E-Mail vom Veranstalter des Naabtal Ultras machte mich frühzeitig auf den Lauf aufmerksam. Verpasst hätte ich ihn aber auch so nicht, stand er doch auch im Laufkatalog des 100 Marathon Clubs verzeichnet.
Eine Runde um den in Nord-Süd-Ausrichtung langgestreckten See misst ungefähr 3,3 Kilometer. 13 Runden reichen uns, den 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (darunter auch der Veranstalter), für einen Marathon. Darüber hinaus wäre die Strecke zur Austragung weiterer Laufformate geeignet. Nicht nur für Unterdistanzen, mit denen die meisten im Starterfeld sich heute zufrieden geben werden. Länger als Marathon ist denkbar: Schon ein weiterer Umlauf adelte den Marathon zum Ultra. Ein Ultra ist allerdings nicht ausgeschrieben (und nach dem Finish werde ich die Option „Ultra“ noch weniger vermissen als zu Beginn). Denkbar wären natürlich auch 6- oder 12-Stundenläufe.
Runde eins vertrabe ich „besinnungslos“. Ursache eins: Meine Digicam gab gestern den Geist auf. Daher nutze ich heute das Handy für Fotos, dessen vergleichsweise umständliches Handling Konzentration erfordert. Außerdem geht Zeit verloren, weil ich gezwungen bin trotz bester Lichtverhältnisse für jedes Foto stehenzubleiben. Ursache zwei der Besinnungslosigkeit: Dieter hat sich mir vom Start weg angeschlossen. Er erhofft sich Tipps für die 100 Meilen Berlin (Mauerweglauf), an dem er in diesem Jahr teilnehmen wird.
Mein Geist irrt also auf dem Mauerweg umher, gräbt Erinnerungen aus, bis sich wieder ein tagesaktuelles Bild aufdrängt und eingefangen werden will. Nach dem fälligen Stopp hechele ich hinter Dieter her, was mich rasch ans Limit bringt. Zumal in den Anfangsminuten, nicht eingelaufen und in einem Körper, der wieder mal null Verständnis dafür aufbringt, dass er am Sonntagvormittag laufen soll …
Runde zwei bestreite ich solo und wie die erste gegen den Uhrzeigersinn. Inzwischen bin ich wach und lauffähig, aber weiterhin mit Dokumentieren von See und Strecke beschäftigt. In Runde drei ändere ich erlaubterweise die Laufrichtung, weswegen mir häufiger Mitläufer vor die Linse joggen. Alles in allem ein kraft- und zeitraubender Auftakt. Als „Frustprophylaxe“ genehmige ich mir auch heute die Fünf-Stunden-Latte reißen zu dürfen … In Runde vier übermale ich diese zunächst mit dünnen Linien gekritzelte „Erlaubnisurkunde“ mit fetten Strichen: Für ein Endergebnis unter fünf Stunden wird’s mangels „Puste“ nicht reichen! Wie so oft widersetzt sich das Fleisch dem Geist. Also
neuerlich mehr Krampf als Kampf? Diesmal hätte ich nicht einmal eine Ausrede dafür parat. Vor allem keine Höhenmeter, die mir zuletzt dreimal - in Rutesheim, Vaihingen und Hohenlohe - erlaubten die mäßige Laufzeit zu relativieren. Andererseits: Schiele ich hin und wieder auf die Tempoanzeige meiner Uhr, dann lese ich dort „flotte“ Werte ab, die angestrengtes Laufen durchaus erklären … Mal sehen wie sich's entwickelt, wenn die „Besinnungslosigkeit“ endet …
Erst zwei Runden gegen, danach zwei im Uhrzeigersinn und nun wieder wie zu Beginn. Diesen Doppelrundenwechselmodus will ich bis zum Schluss beibehalten. Von warmem Sonnenschein verführt wage ich eine Runde mit entblößtem Kopf. Südwärts laufend, unabhängig von der Seeseite, zieht’s mir entgegen wie Hechtsuppe. Reumütig ziehe ich nach der Testrunde mein Schlauchtuch wieder
über die Rübe. Alsbald schleift sich bezüglich Kopfbedeckung ein Nord-Süd-Rhythmus ein: Richtung Norden - also mit Rückenwind - barhäuptig, südwärts mit verhülltem Kopf.
Um die Strecke zu beschreiben, fehlen markante Abschnitte. Stattdessen lasse ich Bilder sprechen, die die idyllischen Ansichten besser zur Geltung bringen als Worte das vermöchten. Einerlei, ob man den Blick über den Weg voraus, hügelauf oder übers Wasser schweifen lässt - schon dieser Tage, im eigentlich tristen Winter, weiß dieser Rundkurs zu gefallen. Auch dank der Sonne natürlich, die heute eine lichtblaue Kuppel übers Graugrün und Braun der Hügellandschaft spannt. Ufernah glänzt ein breiter Streifen aus nassem Schlick. Dem Gewässer fehlt - ich kann’s nur schätzen - vielleicht ein Meter zum normalen Pegel. Nach niederschlagsreichen Monaten ein Zustand, der sicher nicht mangelndem Zufluss geschuldet ist. Aus unbekanntem Grund hat man Wasser abgelassen und nun läuft das
Staubecken langsam wieder voll. Welkes, in kuscheligen Pinseln auslaufendes, übermannshohes Schilf, reichlich Büsche, ufernahe, kahle Bäume und nicht zuletzt die fotogenen „Krausköpfe“ dereinst gestutzter Weiden begleiten meinen Lauf. Die Bilder gleichen sich im Rund und doch kopiert nicht eins das andere. Anlässlich einer Begegnung will Stefan wissen, ob mir der Kurs gefällt. In meiner Antwort schwingt nicht das Maß an Begeisterung mit, das ich in Wahrheit empfinde. Ich war auf die Frage schlichtweg nicht gefasst, stochere daher im mentalen Schlick nach Worten.
Alle Fotos entstehen in den Runden eins bis drei, danach deponiere ich das lästige Handy im Auto. Dass sich der Himmel später zeitweise eintrübt, geben die Bilder folglich nicht wieder. Von diesem frühen Zeitpunkt an büßte mein Naturerlebnis nach und nach an Intensität und Bedeutung ein. Einerseits, weil ich nun nicht mehr nach hübschen Ansichten Ausschau halte, um sie im Bild festzuhalten. Alsbald - tatsächlich schon nach gut zehn Kilometern - zweigen ungute Signale meines Körpers zunehmend Aufmerksamkeit ab … Laufen mit siebzig entbehrt einstiger Selbstverständlichkeit. Egal wie oft und welche Inhalte ich trainiere, nach einer gewissen Laufdauer wird Anstrengung „unüberspürbar“, setzt dem Laufenwollen wachsenden Widerstand entgegen. Mein Körper wird schwer, die Gliedmaßen versteifen sich zusehends oder täuschen Steifigkeit zumindest vor. Eine Erscheinung, die mich allerdings weder dazu zwingt das Tempo zu reduzieren, noch gefährdet sie das
Finish insgesamt. Das sukzessive Aufwallen unschöner Wahrnehmungen torpediert vor allem den Spaßfaktor. Die Freude am Laufen vermindert sich etwa im selben Tempo, wie die Gegenwehr des Körpers wächst.
Heute verbündet sich der innere Widerstand recht bald schon mit einem Schmerz an der linken Ferse. Der fühlt sich an, als ließe er sich der zu geringen Fersendämpfung meiner Schuhe mehr als nur sprichwörtlich in dieselben schieben. Ich spüre ihn unmittelbar unterm Fersenbein, unter der Fersensohle. Vermutlich liegt die Ursache jedoch woanders. Ich habe den Störenfried Achillessehne in Verdacht. Mit der am Fersenbein ansetzenden Achillessehne verbinde ich leidvolle Erfahrungen. Die Beschwerden heute sind nicht
konstant, sie schwellen mehrmals an und wieder ab. Sobald es mir gelungen ist sie aus dem Bewusstsein zu verbannen, kehren sie nervend zurück. Was tun? - Nicht jetzt, jetzt wird dieser Marathon so oder so zu Ende gebracht. Was tun in der Folgezeit, das ist die Frage. Die Beschwerden an der Ferse sind nicht neu, ab und zu bringen sie sich in Erinnerung. Bisher stets in der Anfangsphase eines Laufs, um danach rasch und endgültig abzuklingen. Neu ist, dass sie an diesem Tage mehrfach aufwallen. Also, Udo, wie wirst du vorgehen? Nichts tun ist keine Option. Im Grundsatz nicht bei Beschwerden, die (vielleicht) von der Achillessehne ausgehen. Das musstest du schmerzvoll lernen. Und schon gar nicht in einem „gut gebrauchten“ Körper wie deinem. Es ergeht folgender Beschluss: Einstweilen noch beobachten. Ein Paar neue Schuhe beschaffen, die den Schwerpunkt auf Fersendämpfung legen. Wenn sich das Problem verschärfen sollte: Volles Ausschöpfen des mir bekannten und erfolgreich angewandten Anti-Achillessehnenschmerzmethodik!
An sich macht es mir nichts aus für einen Marathonerfolg Runden ansammeln zu müssen. „Zur Not laufe ich Marathon auch in einer Telefonzelle!“ scherzte ich häufig. Und nachweisbar besitze ich reichlich Übung im Kreisen. Unter anderen winkt mir heute das siebte Finish in Folge, das man sich nur mit Rundendrehen verdienen konnte. Zwei halbmarathonlange Umläufe waren es in Rutesheim, drei in Hohenlohe und vier in Stuttgart-Vaihingen. Dass ich mich im Dezember bei der Kuhsee Marathon Challenge überaus schwertat, 18 Mal um die Augsburger Badepfütze zu
wetzen, führte ich auf die Kälte und das teilweise vereiste Geläuf zurück. Mit jedem Meter rund um den Hahnenkammsee wird klarer, dass diese Einschätzung nur die halbe Wahrheit beinhaltet. Bereits 13 Runden stellen eine mentale Belastung dar, wenn du dich im fünften oder sechsten Umlauf schon schwer wie ein Mehlsack fühlst und noch entmutigende acht, dann sieben vor dir hast.
Träfe ich eine gute Fee und hätte einen Laufwunsch frei, ich müsste nicht lange überlegen: Mal wieder einen Marathon befreit von (altersbedingter?) „Erdschwere“ laufen! Mal wieder „locker vom Hocker“ dahin traben, wie das vor noch nicht allzu langer Zeit die mehrfach im Jahr wiederholte Regel war. Anstelle der Fee begegne ich Mitläufern, die mir ein Lächeln oder Kopfnicken gönnen, teils auch per Handbewegung grüßen, aber natürlich keine Wünsche erfüllen. Aufmunternd wirkt der gelegentliche
Blick zum „Tacho“: Trotz innerer Widerstände (noch?) keine Tempoverschleppung. Nach siebeneinhalb Runden nehme ich die Zeit für die halbe Strecke: 2:28 Stunden!
Minutenlang diskutiere ich diese „Halbzeit“ mit mir selbst und zerfalle dafür in zwei Personen. Der Hoffnungsfrohe verweist auf die Verzögerungen zu Beginn, vor allem die ständigen Fotostopps. Der Skeptiker schimpft ihn einen Narren. Ob er denn übersähe, wie müde „wir“ schon sind. Dass „unser“ heimliches Ziel unter fünf Stunden zu bleiben voraussetzen würde, das bisherige Tempo mindestens zu halten!? Genau genommen bilden wir ein Trio, denn ich, als stummer Zuhörer, bin diese aus Ehrgeiz geborenen, mich letztlich jeweils in die Erschöpfung treibenden Gedankengefechte eigentlich leid. Sch … egal mit welcher Laufzeit ich
heute nach Hause fahre! - Ein halbherziges Basta. Heimlich mache ich eine Klammer auf - (Aber schön wär’s schon Sub5h zu schaffen; ein Indiz fürs Anschlagen des zuletzt wieder aufgenommenen Tempotrainings) - Klammer wieder zu.
Laufen, laufen, laufen und innerer Gegenwehr die Stirn bieten. Das gelingt mir heute besser als in den Vorwochen, weil mir (fast) keine äußeren Widrigkeiten zusätzlich Knüppel zwischen die Beine werfen. Wunderschöne Bilder, brauchbares Klima, flache Strecke - Bedingungen die manches kompensieren. Das „fast“ bezieht sich auf ein paar Abschnitte des Uferweges. Dort ist faustgroßer, kantiger Schotter im Boden verbaut, auf dem zu laufen sich ziemlich hässlich anfühlt. Addiert aber höchstens 300 Meter Strecke und damit nur knapp über der Schwelle „erwähnenswert“.
Runden acht und neun: Das Aufeinander-Reagieren, wenn ich Mitläufern begegne oder sie mich überholen, erlischt nach und nach. Sie und ich sind der kurzen Bemerkungen und Gesten zunehmend überdrüssig. Wachsende Erschöpfung scheint also nicht nur mir zuzusetzen. Nur ein paar Unentwegte versprühen noch immer den Eindruck unverwüstlicher Frische. Allen voran das „Uhrwerk“. Das Prädikat habe ich dem Mann verpasst, weil er, seit er mir das erste Mal
begegnete, über die Strecke zischt wie ein geölter Blitz. „Wird wohl in 3:30 Stunden finishen“, war meine erste Einschätzung. Später wird mir aber klar, dass er deutlich früher sein Zielbier wird genießen können …*
*) Steffen Torwarth ist nach nur 2:46 Stunden im Ziel!!
In Runde zehn fühle ich mich vereinsamt. Lange, sehr lange bleibe ich alleine auf Kurs. Weil die meisten ihren Lauf schon beendet haben - unterstelle ich zunächst, was jedoch nur teilweise zutrifft. Zu Beginn von Runde elf schließt sich mir Veranstalter Stefan für einen Kilometer an. Alsbald begegnen wir Dieter in seiner Schlussrunde. Als Stefan „Gas gibt“, um Finisher Dieter schnellstmöglich im Ziel mit einer Medaille zu
dekorieren, erwarte ich einen neuerlichen Solotrip zwischen inzwischen zahlreichen Spaziergängern und Gassigehern. Um dann erfreut festzustellen, dass da doch noch die eine oder der andere am unvollendeten Marathon arbeitet …
Runde zwölf, die vorletzte. Nur noch 6,6 km, nicht mehr weit. Auf inzwischen heftig schmerzenden Haxen sind 6,6 Kilometer aber mindestens Fegefeuer-verdächtig hart. Ein drittes und letztes Gel habe ich mir zu Beginn der Runde noch eingeworfen. 100 Kcal Zucker: physisch eher belanglos, mental - als eine Art Placebo -
dennoch hilfreich. Was mich noch mehr antreibt, ist die hohe Wahrscheinlichkeit nun doch unter fünf Stunden Laufzeit heimfahren zu dürfen. Und zwar deutlich unter fünf Stunden! Wie das sein kann, darüber denke ich später nach. Jetzt konzentriere ich mich darauf mein Tempo ein wenig zu forcieren. Erst spüre ich die flotteren Schritte, später bestätigen Kontrollblicke zum „Tacho“ mein Laufgefühl.
Dass ich mir damit zusätzlich „wehtue“ ist mir zwar nicht egal, aber ich nehme es hin, halte aus. In früherer Runde und mit nur vager Aussicht auf ein Sub5Stunden-Finish hätte ich mich dazu nicht aufraffen können. Sogar die Ferse spielt mit
und gibt ihr Gezeter auf. Ich bemühe sinnlose Satzfetzen, Wortspiele, um mich schuftend bei Laune zu halten. Du bist gezwungen zu denken, so lange du bei Bewusstsein bist. Aber du rennst am Limit und kannst nichts Sinnvolles, Zusammenhängendes mehr denken … Vor der letzten Runde kein Stopp mehr! Bloß nicht mehr stehenbleiben! Die Mühsal des Wiederanlaufens willst du definitiv nicht spüren …
Noch mal für die Schlussrunde die Richtung gewechselt und nun letztmals die Stationen abhaken: Buckel hinter der Baumgruppe überwinden, alsbald auch den pampigen Abschnitt, wo Wasser aus dem Wiesenhang sickert; den kurzen Aufschwung auf
den stauenden Deich nehmen, drüben auf ein paar Metern Gefälle austrudeln; alsbald einen weiten Schritt über die betonierte Rinne setzen, in der ein Bach plätschert; und nun mehrmals den Streifen mit den blöden Wackersteinen so gut es geht ausweichen. Aber „hurra!“ - Wackersteine die Letzte! Ich halte nicht nur mein Tempo in der finalen Runde, ich lege sogar noch einen Zahn zu. Bald geschafft, noch zwei …, nein, nur noch anderthalb Kilometer. Nun traue ich mich mal wieder auf die Uhr zu schauen: Könnte noch unter 4:50 Stunden klappen - unglaublich eigentlich! Könnte klappen, also will ich es jetzt.
Mobilisiere, was ich noch zu geben habe, drücke das Tempo unter 6 min/km. Anstrengung beherrscht nun alles, überlagert sogar Schmerzen. Ich kämpfe, widerstehe, wetze, hieve mich über die letzte Bodenwelle, überquere fünf Meter matschige Piste und … bin im Ziel. Die Uhr stoppe ich bei 4:49:10 Stunden. Unbegreifliche cirka acht Minuten war ich auf Hälfte zwei schneller unterwegs. Was für ein Widerspruch zum gefühlten Verlauf von Hälfte zwei.
1. Hahnenkamm Marathon und ich war dabei. Stefan Schneider hob eine Laufveranstaltung aus der Taufe, die definitiv gefehlt hat. Mir jedenfalls und vor allem an diesem Ort: mitten im mittelfränkischen Irgendwo in wunderschöner Landschaft. Es soll eine Wiederholung geben, womöglich unter Einbeziehung der umgebenden Höhenzüge. Vielleicht ja dann, wenn die Natur sich wieder oder noch mit Blüten und Blättern schmückt.
Unbedingt einer Erwähnung wert sind die Rahmenbedingungen: Gut vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet von Stefan Schneider! Dafür herzlichen Dank. Bei wem ich mich für die - nicht übertrieben!! - grandiosen sanitären Anlagen bedanken muss, weiß ich nicht. Nicht nur nagelneue, großzügige und blitzsaubere Toiletten stehen am Hahnenkammsee zur Verfügung. Wer wollte konnte dort sogar duschen. Unfassbar!
Fazit: Ich hoffe der Termin für den 2. Hahnenkammsee Marathon wird mit einer Lücke in meinem Terminkalender zusammenfallen. Ich wäre gerne wieder dabei!