2. Februar 2022

Was wäre, wenn ...?  -  Ostfildern Marathon

Heckklappe zu, Zündschlüssel verstauen und zurück auf die Strecke, Runde zwei von drei beginnt. Kurz schiele ich zum Start-, Wende- und Zielpunkt neben der Körschtalhalle in Scharnhausen bei Esslingen. Kleiner, orangefarbener Klecks mit Wendepfeil, unscheinbar auf nassem Asphalt. Wer sie nicht sucht, wird die Marke höchstwahrscheinlich übersehen. Wohl nur wenige Menschen in dieser Laufwelt kennen Scharnhausen. Ebenso wenig wie ich bislang, obwohl ich stückweit entfernt, auf der A8 vor Stuttgart, schon zigfach vorbeibrauste. Heute nahm ich in Höhe Flughafen Stuttgart die Ausfahrt und entdeckte Neues. Scharnhausen gehört als Ortsteil zu Ostfildern, einer Stadt, die es eigentlich gar nicht gibt. Zumindest nicht als natürlich gewachsene Gemeinde. Anlässlich einer Gebietsreform in den 1970er-Jahren wurden mehrere Orte auf den so genannten "Fildern" zur neuen Stadt vereint. Daran vor allem für mich interessant: Über ebenjene "Filder" und durch einige der Stadtteile führt heute meine Strecke ...

"Filder" leitet sich aus den Wörtern "Feld" und/oder "Gefilde" ab und bezeichnet eine von alters her landwirtschaftlich geprägte Region. Ich kenne die "Filder" - aus Gründen, die ich in meiner Vita nicht mehr zu verorten weiß - als fruchtbare Region mit Schwerpunkt Gemüseanbau. Selbst auf die Gefahr hin meinem Lauferlebnis zu viel recherchiertes Wissen voranzustellen noch dies: Auf dem Altar zivilisatorischer "Segnungen" wie dem Flughafen Stuttgart, der stets zu schmalen Autobahn A8, "Stuttgart 21" und diversen Gewerbeprojekten, wurden bereits viele Hektar der fruchtbaren "Filder" unwiederbringlich geopfert. Inzwischen unternimmt man ernsthafte Anstrengungen die schier unaufhaltsame Verstädterung des Stuttgarter Speckgürtels zu stoppen ...

Von den "Fildern" finde ich hier unten im Körschtal keine Spur. Parallel zum gleichnamigen Bach tippele ich über den Ortsrand von Scharnhausen hinaus und hinein in die von Wiesen und spärlich bewaldeten Hängen dominierte Tallandschaft. Obschon sich mein Auge bereitwillig einlullen ließe, will sich kein Eindruck von Ursprünglichkeit einstellen. Dagegen sprechen der betonierte Feldweg, auf dem ich unterwegs bin, eine intensive landwirtschaftliche Nutzung der Flächen und am Himmel über mir unentwegt Düsenjets im Landeanflug. Der Beton unter den Füßen ist höchst willkommen. Weil ich mit hundert Prozent Asphalt/Beton als Geläuf rechnete, erlebt das neueste Paar meiner Laufschuhkollektion sein Wettkampfdebüt. Makellos sauber blieben die Treter allerdings nur etwa einen Kilometer weit, dann patschte ich durch zentimetertiefen Morast. Wie auch jetzt, am Rande eines eingezäunten Pferches mit Stallungen, ohne Chance dem Glibber auszuweichen. Regen der letzten Tage und Stunden weichte den Boden auf und "Bauersleut' nicht faul" arbeiteten die ganze Chose gründlich mit Traktorreifen durch ...

Wenige hundert Meter, dann spüre ich wieder festen, asphaltierten Boden unter den nun mit doppelter Schlammschicht "veredelten" Füßen. Im spitzen Winkel auf eine Straße und alsbald zurück auf den Wirtschaftsweg im Körschtal. Ich jogge am "Züchterheim" vorbei. Klingt merkwürdig, vielleicht sogar ein wenig anrüchig; ist aber harmlos, handelt es sich doch lediglich um die Versammlungsstätte des örtlichen Kleintierzüchtervereins. Wer's nicht glaubt, den überzeugen ein paar Meter weiter Gurren und Flügelgeflatter aus einer Voliere mit Tauben. Weiter talauswärts und vorbei an der Kläranlage Ostfildern. Der Wind steht günstig, so dass ich keine Veranlassung rieche meine schwerfälligen Schritte zu beschleunigen.

Womit ich endlich und mit wenig Lust für eingehende Schilderungen bei mir und meiner heutigen Verfassung angekommen wäre. Ich mach's kurz und in der Absicht später allenfalls ergänzend aufs körperliche Befinden einzugehen: Ich bin müde. Vom ersten Schritt an bis jetzt, nach etwa 16 Kilometern, die beherrschende Empfindung. Infolge meiner jüngeren "Trainingsvergangenheit" wird das auch nicht mehr besser werden. Bis Donnerstag letzter Woche genoss ich Winterurlaub mit viel Wellness und wenig gelaufenen Kilometern. Samstag ein langer (natürlich erschöpfender) Lauf, gefolgt von offensichtlich unvollständiger Regeneration. Weil gegen schwere Beine zu kämpfen den Laufgöttern zu wenig quälend erscheint, verordneten sie meiner Gesäßmuskulatur links zusätzlich jenes Ziehen, das mich seit Monaten gelegentlich befällt. Also Störenfriede genug, um mir die Besichtigung von Stadt und Land Ostfildern ordentlich zu verleiden.

Wenigstens der Winterhimmel scheint sich meiner zu erbarmen. Als ich aus dem Auto stieg versiegte der Regen. Ab und zu rissen die Wolken auf, gestatteten zaghaft blaue Ausblicke, ganz selten blinzelte ich sogar in ein paar Sonnenstrahlen. Schon zu Beginn war ich für die tatsächlichen Verhältnisse - etwa 5°C und weitgehende Windstille hier unten im Körschtal - ziemlich "overdressed". Also zippte ich flugs den Reißverschluss meiner Jacke auf halb acht und zog die Handschuhe aus. Das dünne Schlauchtuch, von dem ich meinen Hals zuvor befreit hatte, löste die warme Mütze ab. Vermutlich gleiche ich nun eher dem Bild eines versprengten Piraten. Den dynamischen Marathonläufer dürfte man mir schwerlich abnehmen. Das mit der Dynamik endet vollends und abrupt, als mich die Markierung anweist vom Talweg abzubiegen und das Körschtal bergwärts zu verlassen.

Apropos Markierung: Michael Weber (und ihm als Helfer zur Seite Klaus Neumann), beide vom 100 Marathon Club, brachten an Abzweigen nicht zu übersehende gelbe Pfeile aus. Ergänzend dazu orientiere ich mich an kleinen Täfelchen - "S3" -, mit denen die Stadt Ostfildern eine 14 km-Laufstrecke ausschilderte. Zusätzlich "bastelte" ich mir aus der Online-Streckenbeschreibung einen gpx-Track für meine Uhr, der Unsicherheit verscheuchen soll, so sie mich zwischen zwei "offiziellen" Marken überkommen sollte.

Bergauf fortan, quasi am Hinterrad eines Radlers klebend. Im Grunde kein allzu fordernder Anstieg, zur ernsthaften Prüfung macht ihn allein meine Schwäche. Erst steil, dann flacher, wieder steiler, wieder flacher. Mit pochendem Herzen und tiefem Schnaufen vorbei am mühsam strampelnden Radler, zwei Richtungswechsel vollführend und mit finalem Krafteinsatz dem Horizont entgegen. Beinahe schon magisches Licht aus just in diesen Sekunden erhaben blauem Himmel verspricht Erlösung. Diesmal mit Gewissheit, wie ich schon weiß, beginnen doch hinterm Horizont die flachen Filder ...

Zwischen (Gemüse- ?) Feldern und Streuobstwiesen strebe ich im Zickzack, auch ein wenig Höhe aufgebend, dem Ortsteil Nellingen zu. Tauche kurz im Häusergewirr unter, um nur ein paar Minuten später die windgeschützten Straßen in Richtung offene Filder wieder zu verlassen. Der Wind hat aufgefrischt und weht mir nahezu frontal entgegen. Anstrengend aber auszuhalten. Scharen von Krähen sitzen untätig in nahen Baumwipfeln, beobachten mein merkwürdiges Gebaren. Sich ohne Not bewegen? Wie sinnlos ist das denn? Flucht und Futtersuche würden sie verstehen, auch Nestbau, Balz und Fortpflanzung akzeptieren. Aber einfach nur vorwärts, um dort anzukommen, wo man vorhin schon war?

Den nächsten gesichteten Vögeln fehlt die Zeit meinen Kampf gegen den Wind und mich selbst zu kommentieren. Sie sind zu sehr mit Scharren, Picken und Eierlegen beschäftigt, rund um und in ihrem mobilen Hühnerstall. Zur Steigerung der Legemoral hat "Bauer Hägele" sogar ein Arbeitsmotto ausgeben: "Wiesen Ei schmeckt frei". Und damit sie den Spruch nicht vergessen, prangt er auf einem Schild an ihrer Behausung.

Vorbei an einem Pferdehof, kurz darauf rechts abbiegen und wieder auf Nellingen zu. Vom Wind entlastet geht es flotter voran. Kurz nacheinander kreuze ich drei gefahrvolle Verkehrswege, zwei Straßen, dazwischen die Trasse der Stuttgarter Stadtbahn. Ich überlebe die stark frequentierten Straßen zum zweiten Mal und feiere ein doppeltes Jubiläum: Halbe Runde geschafft, zugleich den ersten Halbmarathon. Zeit für ein paar Schluck Wasser und das dritte Gel, beides im mitgeführten Trinkgürtel vorrätig. Der an dieser Stelle (neben einem Parkhaus und nur fünf Schritte abseits der Route) im ersten Umlauf entdeckte Müllcontainer mit einladend offenem Deckel erleichtert die Sache.

Und nun ab auf die Finnenbahn. Vermutlich haben die wenigsten Menschen den Begriff "Finnenbahn" schon einmal gehört. Was wohl daran liegt, dass Finnenbahnen zu den eher selten angelegten Sportstätten zählen. Unter einer Finnenbahn versteht man einen nicht allzu langen Rundkurs (hier in Ostfildern um ein Sportplatzgelände) auf weichem, federndem Untergrund. Das schmale, etwa 10 Zentimeter dicke Geläuf besteht aus Holzschnitzeln oder Rindenmulch, oft auch Sägewerksabfällen und gilt als gelenkschonend. Gelenkschonend mag schon sein, nicht zuletzt aber auch Energie fressend! Darum bin ich heilfroh, meine Knochen kaum mehr als hundert Meter weit schonen zu müssen.

Hundert Meter auf denen ich zum ersten Mal an diesem Tag einen mutmaßlichen Teilnehmer des Ostfildern Marathons überhole. Er kauert auf dem Weg und macht sich an einem Rucksack zu schaffen. Sicher sein eigener mit Wechselkleidung und Verpflegung, den er in den benachbarten Büschen versteckt hielt. Klingt befremdlicher als es ist, wenn meine Vermutung stimmt, dass er mit der Stadtbahn bis zu einer unweit von hier gelegenen Haltestelle anreiste. Der Unbekannte beendete anscheinend vor wenigen Minuten seinen Lauf.* Wie sollte ich die Erwiderung meines Grußes anders interpretieren?: "Viel Spaß noch!" - Ich höre es mit gemischten Gefühlen. Einerseits mit Widerspruch, weil der Spaß angesichts meiner miserablen Verfassung längst vom Dauerleiden verdrängt wurde. Der Zuspruch hat aber auch etwas Beruhigendes. Immerhin bin ich jetzt sicher, dass außer mir noch andere Läufer auf der Strecke sind oder waren.

*) Gemäß Ausschreibung dürfen die Teilnehmer ihren Start-Zielpunkt frei wählen.

Zweieinhalb Stunden lang erspähte ich nicht eine Läuferseele, was unguten Gedanken Vorschub leistete: Was wäre, wenn ich mich im Tag geirrt hätte? - Dann kreiste ich hier ohne Chance auf finale Belohnung. Stünde in keiner Liste verzeichnet und dürfte mir diesen Marathon nicht gutschreiben. Letztlich ist das fremd-dokumentierte Finish in pandemischer Winterzeit Triebfeder für Anreise und stundenlange Selbstgeißelung ... Oder so gedacht: Was wäre, wenn ich deshalb niemanden treffe, weil weniger als die erforderlichen drei Teilnehmer die Herausforderung Marathon suchten? - Michael signalisierte eine zweistellige Zahl von Anmeldungen. Mag sein, aber ließ seine Majestät, König Zufall, die meisten von ihnen auch zur Startlinie vor? Weniger als drei hätte gleichfalls zur Folge: Keine Wertung! Ich weiß: Meine Sorge ist weitgehend irrational. Denn: Jeder beginnt sein Rennen wann und wo er möchte. Nur ein paar versprengte Läufer also auf langer Runde - "We are all lost in time and space." Corona macht's möglich und gerade mir kommt dieser Austragungsmodus entgegen, weil ich ausschlafen darf.

Eine kurze Pfadspur bringt mich von der Finnenbahn zum nächsten betonierten Feldweg und vor die nächste Steigung. Ich will ehrlich sein: Noch vor wenigen Jahren hätte ich für diese paar Höhenmeter nie und nimmer den Terminus technicus "Steigung" benutzt. Der Weg strebt sehr moderat hinan, was wohl nur müde, alte oder schlecht trainierte Läufer als fordernd empfinden. Dumm nur, dass zumindest an diesem Tag alle drei Attribute in mir eine unheilige Allianz eingingen. Hinterm "Naturkindergarten Ostfildern-Nellingen", nach nicht mal einem halben Kilometer, endet der Anstieg. Wieder leichteren Fußes trabe ich an zumeist umzäunten, nicht übermäßig ausgedehnten Parzellen mit Streuobstwiesen, Hühnerställen, da und dort auch einem Gartenhaus vorbei. Alsbald tangiert der Radweg eine für mich namenlose Siedlung der Stadt Ostfildern. Einerlei. Unterdessen ist mir reichlich gleichgültig, wo ich laufe. Schon jetzt geht es auf jammernden Stelzen einfach nur noch darum Strecke zu machen. Und nur zaghaft traue ich mich in "Noch-Dimensionen" zu denken: Noch 19 Kilometer.

In Höhe des gelandeten Raumschiffs, aus dem heraus dir jederzeit Luke Skywalker in rollender Begleitung von R2-D2 oder ein Verwünschungen röchelnder, sein Laserschwert schwingender Darth Vader zu nahe treten könnten, biege ich links ab. Weniger Science-Fiction-affine Menschen sehen in dem Raumgleiter mit steil aufragendem Dach wohl nur das, was es sein möchte: ein Gotteshaus. Auch das schnöde, mit ein paar innovativen Solarpaneelen aufgewertete Blechdach widerspricht der Raumschiffversion. Keine Sekunde hielte diese Hülle sprühendem Beschuss mit Kampfstrahlen stand! Als eifriger, einstmals jugendlicher Leser entsprechender Literatur kenne ich mich mit sowas noch immer im Detail aus!

Ich mochte diese Passage am Straßenrand, parallel zur dahinter tiefer liegenden Trasse der Stadtbahn, schon beim ersten Mal nicht sonderlich. Was jedoch einzig dem eisigen Wind geschuldet ist, der beständig gegen meinen Brustkorb drückt und maßgeblich Ausdauer aufzehrt. Hinter den Gleisen der Stadtbahn erheben sich mehrstöckige, klotzige, seltsame in die Länge gezogene Wohnblöcke. Nicht wirklich wohnlich, aber auch nicht potthässlich. Eine Ansicht, die ich mangels verfügbarer Geisteskraft - die Lampe im Oberstübchen brennt auf Energiesparflamme - auch diesmal nicht hinterfrage. Übrigens auch nachher in der Schlussrunde nicht, das sei an dieser Stelle vorweggenommen. Dabei sollte gerade jemandem mit meiner beruflichen Vergangenheit die Bauweise der Blocks bereitwillig ihre Geschichte erzählen - auch ohne verbürgtes Wissen ...

Am Ende des Viertels mit Wohnklötzen überquere ich die Straße und per Fußgängerbrücke die Trasse der Bahn. Von nun an geht's bergab, beinahe stetig bis zur Wende. Eine Weile jogge ich an der Peripherie des nagelneu wirkenden Satellitenviertels entlang. Irgendwo las ich die Bezeichnung "Parksiedlung" für diesen Ortsteil Ostfilderns. Eine seltsame Gegend für Augen, die sie erstmals schauen und gleich mir so gar nicht kapieren, was sie um sich haben. Alsbald zweigt eine junge Allee im spitzen Winkel ab und verliert sich schnurgeradeaus, mit leichtem Gefälle in der Ferne. "Junge" Allee meint Bäume mit mäßig ausladender Krone, deren Pflanzdatum erst wenige Jahre zurückliegt. Beidseits der fein geschotterten, gottlob festen Spaziermeile erstrecken sich zaunfreie Wiesen. Viele Hektar Grasland statt fruchtbarer "Filder", dessen landwirtschaftliche Nutzung auf seltenes Mähen beschränkt sein dürfte.

Dem Seltsamsten begegne ich kurz darauf, etwa 50 Meter abseits der Allee mitten in der Wiese errichtet. Motiv und Farbgebung naiv kindlich, von daher bleibt offen, ob die Plastik als Kunstwerk ernst genommen werden oder augenzwinkernd eine nicht näher bestimmbare Zielgruppe erfreuen will. Im Zentrum der Anordnung steht eine mehrere Meter hohe Karotte. Mit einigen Metern Abstand umringen Feldhasen die Karotte. Die im Vergleich zum hoppelnden Original ebenfalls ins Monströse vergrößerten Rammler halten zueinander gleichbleibenden Abstand. Sitzende, die Karotte fixierende, neongrüne Langohren, jeweils gepaart mit einem pinkfarbenen (weiblichen?) Pendant, das im Sprung eingefroren, also mutmaßlich flüchtend, dargestellt wurde.

Die Allee endet scheinbar willkürlich vor einer steinernen Sitzleiste, irgendwo inmitten der Wiesen. Hier schlägt der Weg einen feldhasenartigen 90°-Haken, setzt sich danach baumlos fort und lenkt meine Schritte zurück in Richtung Siedlung. Heißt das Viertel "Parksiedlung", weil die ausgedehnten Grasflächen ringsum als Park zu verstehen sind? Eine Interpretation, die sich angesichts des gewaltigen, überwiegend "leeren" Areals nicht unbedingt aufdrängt. Den Südrand des Viertels passierend rätsele ich einmal mehr, zu welchem Zweck ein zurückgesetztes, von altem Baumbestand umgebenes Gebäude errichtet wurde. Von seinem Zentrum, das mir den Giebel zuwendet, nach zwei Seiten erstrecken sich ... keine Ahnung, was ist das ist. Reihenhäuser? Dafür bieten die schmalen, zweigeschossigen Einheiten eigentlich zu wenig Raum. Vielleicht ebenerdig nach Art eines Motels aneinander gereihte Suiten? Obschon mir die architektonische Merkwürdigkeit ihr Geheimnis auch diesmal nicht offenbart, hält sich hartnäckig das Gefühl Ähnliches anderenorts schon einmal gesehen zu haben. Der Groschen will nicht fallen, ebenso wenig wie vorhin angesichts klotziger Wohnblöcke. Dabei steht fast alles ringsum in direktem Zusammenhang ...

Die Kuriositäten häufen sich: Nach erneutem Linksabbiegen öffnet sich vor mir eine Schneise, quer durch die Parksiedlung: Etwa 20 Meter breit, minimal ansteigend, beidseits von hohen, schlanken Bäumen flankiert, Ende nicht absehbar. Grasflächen und Stufen - von letzteren jeweils sechs an der Zahl - wechseln in gleich bleibendem Abstand. Niedrige Treppenstufen, die eher zum Sitzen als zum Steigen einladen. Die großzügige, optisch beeindruckende Anlage fordert eine Kosten-Nutzen-Rechnung geradezu heraus. Hätte man mit dem hier verbauten Geld nicht eher soziale Projekte voranbringen sollen?

Wenigstens "barrierefrei" wurde die Geländetreppe errichtet. An ihren Rändern lässt sich der Höhenunterschied zum nächsten Grasplateau jeweils auf schiefer Ebene überwinden. Ich zähle die Rampen mit und komme auf sechs von insgesamt "x" bis mir der Track auf der Uhr zur nahegelegenen Straße hin abzubiegen befiehlt. An deren Rand auf dem Fußweg weiter, vorsichtig eine Ampelkreuzung überqueren und endlich hinaus auf die "Filder".

Ich nähere mich einer Kreuzung um die herum sich einige Aussiedlerhöfe gruppieren und biege rechts ab. An derselben Kreuzung bog ich vorhin schon einmal rechts ab, nur kam ich da aus der Gegenrichtung, Hühnerstall und Pferdehof hinter mir lassend. Nun an der anderen Seite des Pferdehofes vorbei, mit Blick zur Koppel, auf denen ich ein paar Pferde von gedrungener Gestalt ausmachen kann. Ich tippe auf Kaltblüter oder eine Rasse nicht unähnlich den Friesen. Leider sind die Tiere zu weit entfernt, um meine Spekulation zu konkretisieren. Kurz nach dem Hof, auf dem finalen Kilometer der Runde, nehme ich Fahrt auf. Mehr und mehr Gefälle bringt mich binnen weniger Minuten hinunter ins Körschtal. Ich stoße auf den Hinweg und verzweige zum zweiten Mal in Richtung Wende - 300 Meter noch bis zum Auto ...

Der Anblick dreier Läufer am nahen Parkplatz vertreibt letzte Bedenken hinsichtlich der Teilnehmerzahl. Ich erkenne Veranstalter Michael Weber im Plausch mit zwei anderen Läufern. Ich grüße en passant und überwinde die letzten 50 Meter vor Wende und Auto. - Ein Gel wird flugs vernascht, ein noch verbliebenes in der Jackentasche verstaut. In Trinkpausen fülle ich die mitgeführte Flasche auf und verstaue sie wieder im Gürtel. Fertig und ab: Wie erwartet fällt mir das Wiederanlaufen schwer. Es dauert ein, zwei Minuten, bis körperlicher Widerstand und Schmerzen nachlassen. Zum Abschied grüßend vorbei an Michael, der die drei Runden anscheinend schon hinter sich hat.

Auf flachen etwa 800 Metern bis zum ersten kurzen Anstieg mit sich anschließender Morastsuhle laufe ich mich frei und ein - so weit das noch geht. Hundert Meter aufwärts fahren mir dann mächtig in die Beine. Heftiger als in den Runden zuvor, offenkundig habe ich den größten Teil meines Pulvers schon verschossen. Keinen Nerv mehr die neuen, ohnehin schon verdreckten Schuhe zu schonen. Wie eine Wildsau pflüge ich durch die Suhle, einzig vom Gedanken beseelt den Abschnitt so rasch wie möglich hinter mich zu bringen. Voraus erkenne ich die beiden Läufer, die vorhin bei Michael standen. Deren Schuhlogo taugt nach dreimaligem Schlammbad bestimmt auch nicht mehr zu Werbezwecken.

Vorbei an der Kläranlage, noch immer einigermaßen zügig durchs Körschtal. Ich verkürze sogar den Abstand zu den Vorauslaufenden. Das steigert zwar meine Lauffreude nicht, hält mich aber wenigstens zufrieden. Anscheinend bin ich nicht erwähnenswert langsamer unterwegs als in den Runden zuvor. Das Duo erreicht den Abzweig zur langen Steigung. Statt sich bergwärts zu orientieren, traben sie zu ihrem unweit geparkten Auto. Wettkampfende? Um nachzufragen müsste ich rufen, doch dafür fehlt mir der Antrieb. Den brauche ich für den dritten und letzten Anlauf gegen einen steilen Gegner ... Oben auf den "Fildern" angekommen bläst mir der Wind entgegen. Noch stärker als in Runde zwei und so komme ich deutlich langsamer voran. Die meisten der bei "Bauer Hägele" unter Vertrag stehenden Wieseneiproduzenten haben sich unter oder in ihren Stall zurückgezogen, suchen Schutz vorm Wind.

Letztes Gel am Müllcontainer vorm Parkhaus und dann hurtig hinüber zur Finnenbahn. Diesmal bin ich äußerst dankbar für die Anlage, weil sich gerade ein von wilden Böen gepeitschter Graupelschauer auf mich stürzt. Dichtes Gebüsch neben der Bahn schützt vor Wind und Niederschlag. Als ich über die sich anschließende Pfadspur wieder offene "Filder" ansteuere, hat sich der Spuk bereits gelegt. Seltsames Wetter. Ein Graupelschauer, dem nach Sekunden schon die Graupel ausgehen?

Letzte Steigung, die ich trotz todmüder Beine, meiner sturen Natur verpflichtet gleichfalls laufend bewältige. Als sich Atmung und Puls wieder beruhigen ist mir das eine kleine, gedankliche Feier wert: Hurra! Nur noch sechs Kilometer und überwiegend bergab! Rasch vorbei am Raumschiff und kurz darauf nehme ich letztmals die Parade der kolossalen Wohnblöcke ab. Durch den Park und über die Allee. Die Hasen würdige ich kaum noch eines Blickes. Anders verhält es sich mit dem Gebäude, dessen Bauweise mich an irgendwas erinnert. Aber woran?

Die sicher sündhaft (?) teure Treppenschneise durchs Viertel begreife ich nicht mal als Rätsel, schenke ihr auch keinerlei Beachtung mehr. Noch zweieinhalb Kilometer und Ankommen ist das einzige, was mich jetzt noch interessiert. Erst zu Hause, wie üblich anlässlich diverser Recherchen zum Laufbericht, lüfte ich das Geheimnis: Wo sich heute die Parksiedlung erstreckt, betrieb die US-Army bis Anfang der 1990er-Jahre einen Hubschrauber-Flugplatz. Als ich das lese, fallen mehrere Groschen auf einmal: Die Wiesen gehören zum ehemaligen Flugfeld und die riesigen Wohnblöcke dienten damals kasernierten Soldaten als Unterkünfte. Bei dem großen Gebäude - weder eindeutig Reihenhaus noch Motel -, das in mir ein schwaches Erinnerungsecho wachrief, handelt es sich um das ehemalige Offizierscasino mit angegliederten Unterkünften. In einer ähnlichen Einrichtung nächtigte ich anlässlich einer Dienstreise in die USA, auf einem Fliegerhorst in Phoenix, Arizona. Sogar die Kanzel des ehemaligen Flugplatz-Towers wurde erhalten, ich schenkte ihr nur keine Beachtung. Im Zuge der Umwidmung in Wohnraum beherbergte das Gelände der heutigen "Parksiedlung" im Jahre 2002 die Landesgartenschau Baden-Württemberg, was die Entstehung von Hasen-Skulptur und Treppenschneise erklärt.

Hätte ich diese "Geheimnisse" auch ohne www-Hilfsmittel entschlüsseln müssen? Vielleicht, aber nicht mehr jetzt, so kurz vor Schluss, da sich alles Sehnen auf Ankommen, Sitzen, Ausruhen fokussiert. Ein letztes Mal hinunter ins Körschtal. Schließlich dem Wendepunkt entgegen und nach 5:08:55 Stunden stoppe ich die Uhr.

Die grottenschlechte Zeit bezeugt meine unterirdisch schlechte Form an diesem Tag. Nach Abzug Marathon-untypischer Verpflegungs- und Nachrüstpausen bleiben immer noch etwa fünf Laufstunden übrig. Was hat's gebracht? - Einen langen Trainingslauf und einen weiteren Eintrag in meiner Marathon-Vita.

 

Fazit zur Veranstaltung

Die 14 Kilometer lange Runde "S3" auf dem Terrain der Stadt Ostfildern bietet viel Abwechslung. Landwirtschaft, Berg und Tal, ein Park und Stadtviertel, die anders aussehen als ich sie bislang kannte. Trotz mangelhafter Verfassung gingen mir die Kilometer gewissermaßen unbemerkt vom Fuß, weil sich Ansichten und Anspruch der Strecke ständig änderten.

Teilnahmebedingungen: Anmeldung per E-Mail bei Michael Weber, Start/Ziel an jedem beliebigen Punkt der Strecke, Startzeit so, dass der Lauf nach Sonnenaufgang begonnen und vor Sonnenuntergang beendet werden kann, Nachweis der Leistung über die eigene, per E-Mail dem Veranstalter übermittelte GPS-Aufzeichnung, Selbstverpflegung.

Fazit: Gerne jederzeit wieder!

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