18. Februar 2018

Der Hut im Ring   -  Hallenmarathon Pfohren 2018

Arena Geisingen, Sonntag, ca. 10:15 Uhr

Schon wieder kreise ich in einer Halle. Nach Budweis und Senftenberg zum dritten Mal. Heute in Geisingen, Südschwarzwald, an der oberen Donau. Beste Voraussetzungen also, um sich in Überdruss und lähmender Langeweile aufzuarbeiten. Nur empfinde ich es nicht so. Nicht einmal ansatzweise. Unter anderem deshalb, weil ich die beiden ersten Hallen-Lektionen verinnerlicht habe. Wichtigste Regel auf langen Indoor-Strecken: Achte nicht auf die Anzahl absolvierter Runden! Während der inzwischen anderthalb Stunden im unausgesetzten Orbit habe ich meine Rundenzahl genau einmal ins Visier genommen. Kurz nach dem Start und das auch nur, um zu sehen, wo der Wert in meiner Zwischenergebniszeile steht, welche Stelle meine Augen in den folgenden Stunden geflissentlich meiden werden.

An Spannung mangelt es auch aus einem anderen Grund nicht: Udo rotiert mit einer Geschwindigkeit, die ihn sehr deutlich unter vier Stunden ins Ziel brächte. Sein flinker Schritt entwickelte sich aus anfänglicher Verwirrung und dann blieb er dabei - übrigens mit massiven, sicher auch berechtigten Zweifeln diesen Parforceritt durchhalten zu können. Inzwischen definierte Absicht: Hart trainieren fürs Saisonziel und eine Standortbestimmung vornehmen. Trotz gesundheitlicher Wirren der letzten Wochen und den vom Winter begrenzten Trainingsmöglichkeiten strebte die Formkurve empor, wie weit kann jedoch nur ein Testlauf belegen.

Unter vier Stunden: Keine große Sache für die Marathon laufende Menschheit, wohl aber für mich. Runde um Runde unterm Geisinger Hallendach drehend krame ich vergeblich in meinen Erinnerungen: Wann war mir letztmals ein Marathon unter vier Stunden vergönnt? Im letzten Jahr wohl nicht. Oder doch? - Meine offensive Tempowahl bedeutet ein Wagnis und ein bisschen fühlt es sich an als forderte ich das Schicksal heraus. Wahrscheinlich stehen dem Erfolg jedoch keine unbegreiflichen Mächte im Weg, sondern lediglich die unvollständig entwickelte Ausdauer eines alternden Läufers. Einerlei: Was immer mich auch treiben mag, ob Leichtfertigkeit oder Mut - ich werfe meinen Hut in den Ring …

Arena Geisingen, Sonntag, 8:40 Uhr

Es kommt nur noch selten vor, dass ich einen Marathonstart in Aufregung oder Hektik erlebe. Und wenn, so wie gerade jetzt, dann nicht des Wettkampfs, sondern der Begleitumstände wegen. Hab mich mit Ramin total verquatscht und nicht auf die Zeit geachtet. Rasch noch ein Erinnerungs-Selfie von uns beiden, während die etwa 50 Teilnehmer bereits in der Hallenkurve auf das Startkommando warten. Ramin reiht sich weiter vorne ein, ich im hinteren Felddrittel und holterdiepolter geht’s auch schon los … Ramin Madani, den Gewinner des letztjährigen DUV-Cups, werde ich dutzende Male wieder sehen, dessen bin ich gewiss. Immer dann, wenn er mich überholt und wie ein geölter Blitz an mir vorbei zischt. Die Runden eins und zwei dienen dem Einsortieren. Während das Feld sich in die Länge zieht, versucht jeder einen Platz möglichst weit innen, neben der Bande, zu ergattern. Weiter außen zu laufen hieße in jeder Kurve ein paar Meter Umweg und die Überhöhung der Bahn in Kauf nehmen zu müssen.

Überhasteter Auftakt und Hallenatmosphäre stiften in meinem Kopf ungewohnte Verwirrung. Ich laufe, so viel steht fest. Mein Tempo vermag ich jedoch überhaupt nicht einzuschätzen. Ohne mir dessen bewusst zu sein: Diese Halle wirkt ganz anders auf mich als jene in Senftenberg. Und schon in Senftenberg war das Laufgefühl ein anderes als in der Messehalle zu Budweis. Keine Ahnung wie viele Runden bereits hinter mir liegen. Sicher nicht viele. Mit für einen Routinier unverständlicher Verzögerung ordne ich meine Gedanken, nach und nach, bis sie mich schließlich mit einem Versäumnis konfrontieren: Vorm Start - gestern, heute früh, irgendwann vorher jedenfalls - hätte ich überdenken müssen, wie ich am geschicktesten mein Tempo justieren und fortan überwachen kann. - ‚Pro Runde 200 Meter! In welcher Zeit muss ich die zurücklegen? - Nein, so ’rum kann ich das Pferd nicht aufzäumen! Welche Zielzeit soll’s denn bitteschön werden?’ - Nicht mal darüber habe ich mir abschließend einen Kopf gemacht.

Mit vier Stunden dann und wann geliebäugelt. Das schon. War aber nicht entschlossen die dafür nötige kesse Sohle von 5:40 Minuten pro Kilometer tatsächlich aufs Parkett zu legen. Schon vor zwei Wochen in Bad Füssing stellte ich mich mehr oder minder absichtslos an den Start. Derart wankelmütig und taktisch unfertig ging ich früher nicht zu Werke. Selbst vor weniger wichtigen Aufbauwettkämpfen oder reinen „Zählkandidaten“ für die nächste „Marathonkerbe“ legte ich mir (meist) eine fixe Marschroute zurecht. Wurde das Nicht-zu-Ende-Planen der letzten Wochen, das Hindenken, wieder Abschweifen und „nicht zu Potte kommen“, aus Unsicherheit geboren? Eine Masche meines Unterbewusstseins, das mich zu Unverbindlichkeit verleitet und dazu drängt erst einmal den Auftakt abzuwarten? - Auch während der ersten Umläufe schaffe ich es nicht meine Zielvorstellung zu konkretisieren. Daran ist die alle 200 Meter vorbei huschende, Mal um Mal meine Gedankenkette unterbrechende Anzeigetafel nicht ganz schuldlos.

Was wird da überhaupt angezeigt? - Startnummer, Name, … okay … Name eingeblendet also scheint die Rundenzählung einwandfrei zu funktionieren. Nächste Runde: Startnummer, Name, dann Zeitangaben … puh … zu verwirrend, bin schon wieder durch … Nächste Runde: Ah, da steht die Rundenzahl, vier sind’s inzwischen. Diese Zahl werde ich ab jetzt tunlichst ignorieren!!! - Rundenzahl und rechts davon standen die absolvierten Kilometer. - Gut und schön, ich muss aber unbedingt rauskriegen, wie schnell (oder langsam) ich unterwegs bin. Mein Laufgefühl hat für diese alles entscheidende Frage nur ein Schulterzucken übrig. Alles zu verwirrend und noch bin ich nicht eingelaufen …

Gerade fasse ich den Entschluss eine Rundenzeit zu stoppen und auf den Kilometer hochzurechnen, als ich zum Glück die beiden Zeitangaben entschlüssele: Die linke gibt die verstrichene Gesamtzeit wieder, die rechte offensichtlich die Rundenzeit. Irgendwas mit 1:03.xxx stand da zuletzt … Kann nur eine Minute und 3 Sekunden bedeuten … mal fünf, um auf einen Kilometer hochzurechnen, ergibt … 5:15 min/km??? Kann das sein? Das wäre viel zu schnell! Damit verschleudere ich bereits zu Anfang unbotmäßig Energie, die später fehlen wird. Neuerlich ein Orbit abgeschlossen, Rundenzeit 1:04.xxx, ergibt 5:20 min/km. Eine Pace, die mich immer noch alarmiert und ängstigt. Ich versuche es mit meiner langjährig bewährten Methode: Denken, dass ich langsamer laufen will, um tatsächlich langsamer zu werden … 1:05.xxx Minuten, danach wieder 1:04.xxx Minuten …

Die Gedankensteuerung funktioniert nicht. Kann sie wohl auch nicht, denn noch fehlt mir der Zugang zu meinem körperlichen Selbst. Hört sich sicher komisch, vielleicht sogar hochtrabend an, ist aber so. Ein Grund dürfte sein, dass ich fröstele. 15°C Hallentemperatur waren in der Ausschreibung angekündigt, tatsächlich steht die Quecksilbersäule des über Kopf aufgehängten Thermometers um Haaresbreite unter 10°C. An Kopf, Hals und Fingern friere ich und hoffe, dass sich das bald geben wird. Außerdem bewege ich mich auf meinen Beinen heute seltsam unangestrengt. Lange her, dass ich mich so … schwerelos, ausgeruht und leistungsbereit fühlte … jedenfalls so weit ich überhaupt schon etwas fühle. Heute überrasche ich mich selbst und entsprechend beschwingt, wenn auch mit Gänsehaut, zirkele ich durch die Halle.

Die Anzeige attestiert mir 8 Kilometer, an der Leichtigkeit, mit der ich meine Schritte setze, hat sich nichts geändert. Meine Rundenzeiten pendeln unterdessen zwischen 1:04.xxx und 1:06.xxx Minuten. „Ausreißer“ von 1:07.xxx Minuten ergeben sich nur selten, zum Beispiel wenn ich zum Trinken in die „Boxengasse“ ausschere. Schon beim ersten Griff zur Flasche verleihe ich der Organisation einen Sonderpreis für die fein durchdachte und erstklassig inszenierte Versorgung: Für jede Läuferin, jeden Läufer, steht eine mit Startnummer gekennzeichnete Trinkflasche bereit. Die habe ich vorm Start mit dem Getränk meiner Wahl füllen lassen, schnödem Wasser. Da meinte ich noch die Flasche en passant selbst greifen und nach beendeter Labsal wieder zurückstellen zu müssen. Eine hellwache, vier Köpfe starke Helfertruppe nimmt mir diese Arbeit jedoch ab. Bei Annährung höre ich meine Startnummer und nur Momente später wird mir die Trinkflasche auch schon griffbereit hingehalten. Flasche greifen und … weiter. Dieses „und weiter“ erschließt sich mir just in diesem Augenblick als beste Taktik: Drücken-/Saugen-Müssen verhindert auch bei unvermindertem Lauftempo Flüssigkeit zu verschütten und 200 Meter später kann ich ich die Flasche nach erneuter Einkehr wieder abgeben. Noch nie gelang mir Verpflegen ohne jeden Zeitverlust! Praktikabel ist die Trinkflaschen basierte Prozedur nur für ein relativ kleines Starterfeld. Und selbstverständlich verfolgt man damit vorrangig das Ziel indoor den sonst üblichen, klebrigen „See“ rund um den Tisch zu vermeiden. Dennoch zeigt dieser ausgeklügelte Ablauf, dass man mit etwas „Gedankenschmalz“ Lösungen findet, um alle Fliegen zugleich mit der Klappe zu erschlagen!

Ein bisschen unwirklich nimmt sich mein heutiges Tempo immer noch für mich aus. Weil es mich so gar nicht anstrengt … Mehrmals habe ich überprüft, ob ich irgendeinen Denkfehler begehe oder etwa die Anzeige falsch interpretiere. Doch da oben am Bord herrscht völlige Eindeutigkeit - falsches Ablesen ausgeschlossen! Die einzige Unbekannte in Anzeige und daraus abgeleiteter Gleichung besteht aus einem grünen Punkt vor meiner und diversen anderen Zeilen. Beim Passieren der Verpflegungsgasse frage ich einen Helfer, was es mit dem Punkt auf sich hat. Sein Schulterzucken nehme ich zum Anlass weitere Aufklärungsversuche zu unterlassen. Seit vielen Jahren schon gilt mir als gesicherte Erkenntnis: Du musst im Leben nicht alles verstehen, um es erfolgreich und mit Freude genießen zu können …

In den letzten Runden fixierte ich stets die Kilometeranzeige, um den Viertelmarathon nicht zu verpassen. Als da oben „10,5“ erscheint hänge ich zur Sicherheit noch eine halbe Runde an, schaue dann auf meine Uhr und lese 57:xx Minuten ab. Freude über diese unglaubliche Zwischenzeit und Furcht halten sich die Waage. Furcht vorm totalen Einbruch und damit einhergehenden Qualen, Konsequenzen, auf die ich möglicherweise zusteuere. Nur will dieses Horrorszenario überhaupt nicht zu dem passen, was meine Beine signalisieren. Ich bin mir selbst ungewohnt fremd heute. Erst ein Viertel wirst du sagen, da versteht es sich doch von selbst noch keinerlei Ermüdungsanzeichen zu spüren. Doch darum geht es nicht. Es ist dieses Empfinden von Lockerheit, das überaus Flüssige meines Bewegungsablaufes … Ich hatte fast schon vergessen, wie sich das anfühlt!

Von der heutigen, „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ noch beim Schreiben des Laufberichts beeindruckt unterließ ich bislang eine Vorstellung des Wettkampforts, der „Arena Geisingen“. Auf Fotos irritierte mich die Farbgebung des Hallenbodens ebenso, wie die Angabe, dass der Lauf auf einem Betonboden ausgetragen werden sollte. Beton? Was für eine Art Halle ist das? - Im Grunde eine Mehrzweckhalle, in der auch Bälle, kulinarische Großveranstaltungen, Konzerte und anderes mehr stattfinden. Sportlicher Hauptnutzer der 200 Meter-Bahn sind jedoch die Skater, was sowohl den Betonboden, als auch den ausgebrachten, rutschhemmenden Belag (Anstrich?) erklärt. Die Innenbahn ist komplett flach, wer außen vorbei will, muss in den Kurven in die mäßig steile 15 Grad-Überhöhung ausweichen. Summa summarum ein tolles Hamsterrad, um unter beinahe idealen Bedingungen zu kreisen. Einzig rätselhaft bleibt die Farbgebung, außen gelb-orange, innen pink. Vermutlich eine reine Geschmacksfrage.

Wieder einmal sprintet Ramin vorbei. Bisher war die Beschäftigung mit eigenen Belangen so umfassend, dass ich ihn immer erst wahrnahm, wenn er mit flinken Schritten bereits einige Meter enteilt war. Diesmal passt der Abstand und ich schicke ihm ein achtungsvolles „Da schießt die Rakete Ramin wieder vorbei!“ hinterher. Von Ramin abgesehen umschwirren mich weitere Satelliten, die in der Laufszene keine Unbekannten sind. Unter anderen Rainer Leyendecker, einer der erfolgreichsten M60-Läufer Deutschlands. Unerkannt, obschon ich ihn seit der Ultrarunde um Stuttgart auf dem „Rössleweg“ als Veranstalter kennen müsste, flitzt Christopher Greenaway durchs Rund. Am Ende wird er als einer von drei Läufern unter drei Stunden bleiben und damit den Bronzeplatz erringen. Erst nach meinem Finish werde ich sein Gesicht wieder erkennen und peinlich berührt feststellen, ihm keine Begebenheit zuordnen zu können. Von einem Namen gar nicht zu reden. Übt Nachsicht mit mir, denn dies ist bereits der vierte Marathon in diesem Jahr und im letzten waren es immerhin über 30 … Außerdem: Dort wo bei anderen das Namensgedächtnis logiert, verfüge ich lediglich über einen Schweizer Käse; einen speziellen allerdings, mit weit mehr Löchern als Käse.

An den Mann mit wilder Mähne und Waden-Tatoos könnte ich mich allerdings auch nach intensivem Gedächtnistraining nicht erinnern, weil er mir bisher nie unterkam. Während des ersten Halbmarathons, den ich übrigens nach erfreulich kurzen 1:56:xx Stunden abschließe, macht er mehrere Runden gut. Auf der zweiten Hälfte geht ihm zusehends die Puste aus. Anfangs wehrt er sich dagegen von mir überholt zu werden (sehr amüsant!), muss es dann aber geschehen lassen. Sein hinter üppigem Haupthaar verborgenes Gesicht bekomme ich in der ganzen Zeit nicht einmal zu sehen, halte ihn folglich für jünger, als er tatsächlich ist. Erst anlässlich der Siegerehrung, auf dem Treppchen neben mir stehend, wird sein wahres Alter offenbar. Und da höre ich auch seinen Namen zum ersten Mal: Achim Heukemes. Den Namen habe ich schon mal gehört, weiß allerdings nicht in welchem Zusammenhang. Falls du nun mit einem „Nie gehört? Das kann doch nicht sein!“ entsetzt aufstöhnst, solltest du bedenken, dass ich mich höchst selten darum kümmere, welche Meriten andere Läufer ansammeln. Natürlich hab ich Achim inzwischen „geguggelt“. Das solltest du übrigens auch tun, falls du nicht ohnehin schon weißt, wer er ist …

Ein Teilziel habe ich ohne merkliche Abnützung erreicht. Ich wollte das flotte Tempo mindestens bis zur Halbzeit durchziehen und dann sehen, wie ich mich fühle. Also, was geht noch? - Trotz gleichbleibender Rundenzeiten um die 1:06:xx Minuten steht auf absehbare Distanz kein Erlahmen zu befürchten. Inzwischen bin ich mir selbst ein bisschen unheimlich und - da ich das Unerhörte, die ungebrochene Wahrnehmung von Lockerheit, nicht anders zu deuten weiß - fast davon überzeugt auf ein bitteres letztes Viertel zuzusteuern.

In die Verpflegungsgasse verirre ich mich nur selten. Doch wenn, dann freue ich mich über die wachen, flinken Helfer, die mir verlässlich Gel oder die Flasche reichen. „Verlässlich“ bedeutet rechtzeitig UND genau in der richtigen Höhe. Als hätten sie’s vorab trainiert! Für ein Gel - die Beutel habe ich hinter meiner Trinkflasche deponiert - brauche ich zwei Anläufe: Signalisiere beim ersten Mal mit Handzeichen, dass ich nicht trinken will und ordere für die nächste Runde das Gel. 200 Meter später: Beutel schnappen, weiter laufen, aufschrauben, auslutschen und die leere Packung in eine von mehreren aufstellten Pappschachtel schmeißen. Nach dem ersten Gel trank ich unmittelbar in der Folgerunde, um die zuckersüße Pampe zu verdünnen. Zwei mit Verpflegen verbrachte Umläufe hintereinander brachten allerdings die Kopplung von Atem- und Schrittrhythmus ziemlich durcheinander. Erst nach ungefähr zwei weiteren Runden lief alles wieder rund und synchron. Lektion gelernt: Lasse nun zwischen Gel und Flasche zwei Runden verstreichen.

Der Hallensprecher plaudert seit Stunden munter vor sich hin. Wenn es nach mir (und anderen, die ich nach dem Finish befragte) ginge, dann könnte er sich das komplett sparen. Ich verstehe nicht einen seiner Sätze! Hie und da ein Wort oder Satzfragment, identifiziere im Redeschwall auch mal meinen Namen, weiter nichts. Das scheinbare Dauer-Genuschel ist schlechter Hallenakustik und der Ausrichtung der Lautsprecher auf die Zuschauerränge geschuldet. Sehr bedauerlich: Da müht sich einer über Stunden uns Läufer bei Laune zu halten oder mit Zwischenständen zu versorgen und dann versteht ihn keiner …

Während der Kilometer 22 bis 25 finde ich mich in einer Art „Krise“ wieder. Das Wort ist jedoch nur dann berechtigt, wenn dich das Anwachsen der Zwischenzeiten von meist 1:06.xx auf überwiegend 1:07.xx Minuten ebenso alarmiert wie mich. Ist das der Anfang vom Ende? Oder höre ich infolge hochfrequenter Verfügbarkeit von Zwischenzeiten nur das Gras wachsen? - Immerhin fallen mir die Schritte nun nicht mehr so leicht wie zuvor. Also mehr auf den Bewegungsablauf konzentrieren, um schleichendem Tempoverfall vorzubeugen …

Bislang musste ich mich nicht zwingen das Anwachsen meiner Rundensumme zu missachten. Tatsächlich schenkte ich diesem Wert nicht einen Blick. Die minütlich verfügbaren Rundenzeiten kontrolliere ich dagegen fortlaufend und mit wachem Interesse. Sie sagen nichts darüber aus, wie viel noch vor mir liegt, beschäftigen dennoch meinen Geist. Auf diese Weise fliegen die Kilometer rasanter vorbei, als ich zu hoffen gewagt hätte. Gelegentlich meine Position im Feld zu checken bereitet mir sogar beträchtliches Vergnügen: Anfangs nahm ich weit abgeschlagen Rang 44 ein. Da ich mich jedoch mit ähnlichem Gleichmaß im Orbit halte, wie ein Planet um die Sonne kreist, während Teile der Konkurrenz anfänglichem Übermut Tribut zollen müssen, arbeite ich mich Platz um Platz nach vorne. Inzwischen steigt die Spannung, ob ich es unter die ersten 30 schaffe. Merke: Filtere die Zwischenergebnisse beim Rundendrehen. Missachte Daten, die dich deprimieren könnten, fokussiere auf Positives, das dich aufbaut!

Der Einbruch geschieht nicht. Und da nun lediglich noch 10 Kilometer vor mir liegen, wage ich Zuversicht: Wie es aussieht, werde ich dieses Tempo bis zum guten Ende konservieren können! Es fühlt sich einfach nicht so an, als könnte meinem Akku in der verbleibenden knappen Stunde der Saft ausgehen. Auch mein Bewegungsapparat gibt nach wie vor satt grünes Licht. Die zeitweise aufbegehrende Achillessehne hat längst resigniert. Keine einsetzende Verhärtung im Bereich der Gesäßmuskulatur, kein Ziehen von dort in den hinteren Oberschenkel, nicht ein Vorbote finalen Leidens!

Die schnelleren Läufer sind längst am Ziel ihrer Wünsche. Jedem verkündete die Glocke seine letzte Runde. Als Ramin seinen Lauf als Neunter in 3:12:43 Stunden beendet, liegen noch ungefähr sieben Kilometer vor mir. Sieben Kilometer, umgerechtnet etwa 40 Minuten. Die Rundenzeiten blieben seit der scheinbaren Krise stabil. Statt Tempoverschleppung registriere ich eher das Gegenteil. Runden mit 1:06.xx überwiegen. Jede Überschlagsrechnung endet bei einer Laufzeit von 3:52:xx Stunden. Sollte mir das wirklich gelingen? Unfassbar eigentlich. Die gesundheitlichen Wirren der letzten Wochen bremsten mich aus, minderten mein Trainingspensum um etliche Kilometer. Aber vielleicht liegt genau darin die Erklärung. Hohe Umfänge, insbesondere das ausgefallene Ultra-Wochenende in Senftenberg, hätten mich unter Garantie lahmer werden lassen. Trotzdem ein erstaunlicher Sturmlauf gegen die Vier-Stunden-Marathonfestung. Noch immer weiß ich nicht, wann mir das zuletzt glückte. Vor allem so deutlich unter vier Stunden … das muss lange her sein*.

*) Im letzten Jahr blieb ich nur einmal, beim „Hunsrück Marathon“, unter vier Stunden. Und schneller als in der Arena Geisingen war ich zuletzt vor vier (!) Jahren, 2014, als Teilnehmer am „Knastmarathon“ in Darmstadt (3:48:33 Stunden).

Atemberaubend rasch verfliegen die Schlusskilometer. Obschon die Erosion der Kräfte spürend, muss ich mich nicht verausgaben, um meine Schrittfrequenz zu halten. Wie ist das möglich? Nach all dem zähen Ringen der letzten Monate, in denen Kampf nicht selten in Krampf ausartete. In denen ich meinen Entschluss den Saisonhöhepunkt bereits im Mai zu setzen ein ums andere Mal verfluchte. Bin das wirklich ich, der hier noch immer locker seine letzten Runden dreht? Wie ich dieses Finale bestreite, hinterlässt mich tatsächlich ein wenig fassungslos. Aber ich genieße das Gefühl, bade geradezu darin. Stelle ihm unabänderliche Fakten entgegen - mein Lebensalter zum Beispiel -, um das für mich Sensationelle noch ein wenig zu betonen. Wohl wissend, dass nun wieder lange Wochen und viele K(r)ämpfe bis zur nächsten läuferischen Sternstunde verstreichen werden …

„Noch zwei Runden!“ verkündet der Mann an der Glocke und bestätigt damit meine Vermutung, dass schlussendlich 42,2 km in der Anzeige erscheinen. Ganz sicher war ich nicht, welche Zahl dort stehen muss, ob die erste, unvollendete Runde mitgezählt wurde. Kein Blick mehr zur Uhr! Längst steht fest, wo sie am Ende stehen bleiben wird. Größer als meine Verblüffung sind nur Freude und Zufriedenheit darüber, was mir heute gelungen ist. Nicht nur physisch stark abzuliefern, sondern auch die dritte „Halleneinheit“ binnen weniger Wochen bei bester Laune zu überstehen. Natürlich bedingen sich Physis und Kopf. Wobei die mentale Verfassung in vielen Fällen den Ausschlag gibt. Und deshalb bin ich froh mit Erfahrung und Instinkt alles richtig gemacht zu haben, insbesondere die Rundenzahl komplett ausgeblendet zu haben.

Die Glocke für die Schlussrunde erklingt und sie gilt mir. Was so ein Hallen-Palim-Palim bewirken kann: Nun laufe ich nicht länger, jetzt fliege ich. Vorbei an den wenigen verbliebenen Mitstreitern, schneller und immer schneller, ein letztes Mal die Verpflegungsgasse außen passierend, in die letzte Kurve und schlussendlich mit Karacho durchs Ziel.

Mein erster Weg führt mich dicht unter die Anzeigetafel, um meine Schlussdaten zu dokumentieren: Platz 32 nach 3:52:23 Stunden. Zum ersten und einzigen Mal war mir in der Schlussrunde eine grüne Anzeige meiner Rundenzeit vergönnt. Dazu muss man offensichtlich unter einer Minute bleiben, was mir zum Abschluss mit 59.291 Sekunden gelang. - Im Sinn hatte ich einen harten Trainingslauf zur Standortbestimmung. Ich darf mir attestieren in guter Marathonform zu sein; sehr früh im Jahr und ohne spezifisches Training. Grund zur Freude also, jedoch keine Veranlassung in Begeisterungsstürme auszubrechen. Wie immer hat sich jegliches Laufgeschehen davor dem Saisonziel unterzuordnen. Und dieses Ziel liegt örtlich in Griechenland, zeitlich im Mai, fordert mit elend langen 180 Kilo- und unerhört vielen Höhenmetern. Von der dafür nötigen Verfassung bin ich - im wahrsten Sinne des Wortes - noch meilenweit entfernt. Die Ausdauer, um mutmaßlich länger als einen ganzen Tag lang zu laufen, hole ich mir in den kommenden Wochen …

 

Fazit zur Veranstaltung

Die „Arena Geisingen“ bietet für Laufveranstaltungen ideale Voraussetzungen. Das gilt für die Bahn ebenso, wie für sanitäre Einrichtungen und die sonstige Versorgung der Läufer. Die Organisatoren vom „Lauftreff Pfohren“ gaben sich Mühe alle Abläufe reibungslos zu gestalten, was, von der langen Wartezeit auf die Siegerehrung abgesehen, gut gelang. Besonders durchdacht und gelungen war die Läuferversorgung mit personalisierten und griffbereit gereichten Trinkflaschen. Die Halle bleibt trocken, jeder bekommt, was er will/braucht und obendrein verliert man keine Zeit zum Verpflegen.

Dass nirgendwo Urkunden verfügbar sind, weder vor Ort, noch auf der Internetseite, ist dagegen als echtes Manko zu werten. Darüber hinaus sollte die Angabe der Hallentemperatur in der Ausschreibung korrigiert werden. Statt der angekündigten 15°C fanden wir nur knappe 10°C vor. Hinsichtlich der zu wählenden Kleidung für viele Läufer - mich eingeschlossen - durchaus relevant.

Fazit: Bei Bedarf und Gelegenheit gerne wieder!

 

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