Sonntag, 24. Juli 2016

Zweimal Marathon und weiter - Teil 2:

Mountain high, Battery low - Hornisgrinde Marathon 2016

6 Uhr: Ein reichlich unausgeschlafener Udo schlägt die Bettdecke zurück, setzt skeptisch lauernd seine Füße auf den Boden des Hotelzimmers, erhebt sich, unternimmt erste, zögerliche Schritte Richtung Bad und … bleibt entspannt. Die Abteilung „Vorwärtsbewegung“ gibt sich etwas störrisch verspannt, aber immerhin zwickt und schmerzt nichts. Eigentlich ein kleines Wunder, wenn ich das Gefühl der Zerschlagenheit dagegen setze, in dem ich gegen ein Uhr heute Nacht die Horizontale aufsuchte. Es schmerzte und zog derart, dass ich lange nicht einschlafen konnte. In drei Stunden werde ich am Start zum „Hornisgrinde Marathon“ stehen und damit einen zweiten „langen Trainingslauf“ innerhalb weniger Stunden absolvieren. Der erste hatte mit 52 km sogar Ultralänge und endete gestern Abend nach 23 Uhr in ziemlicher Erschöpfung. Ich bin gespannt, was nachher noch geht …

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Gemeinsam mit Roland und Franz - die beiden haben gleichfalls den gestrigen „Night52 Ultralauf“ in den Knochen - stehe ich in der Startaufstellung. Rund 90 Kilometer betrug der Weg vom Hotel in Bretten, dem Schauplatz des „Night52 Ultras“, durchs schwülwarme Oberrheintal hoch auf die noch neblig kühlen Berge des Schwarzwalds. Erste Gehschritte auf etwa 900 Metern Seehöhe, vom Auto zur Anmeldung, ließen mich fühlen, dass sich meine Akkus über Nacht nur eingeschränkt wiederaufgeladen haben. Natürlich hoffe ich auf den bei ähnlichen Doppelschlägen mehrfach erlebten Effekt, dass der zunächst stotternde Motor schlussendlich doch noch anspringt. Allerdings kann ich mich nicht entsinnen, anlässlich früherer Marathon-Doubles bereits in der Startaufstellung, also stehend, eine solche Mattigkeit verspürt zu haben …

Ich blicke mich um: Keine 100 Läufer und Läuferinnen haben sich unweit und etwas unterhalb der Skihütte am so genannten „Hundseck“, quasi im Auslauf eines Skihanges, versammelt. Dem Sprecher des Veranstalters widmete ich bisher wenig Aufmerksamkeit, bekam immerhin mit, dass er einige nach Entschuldigung klingende Sätze als Begründung für die „neue“ Strecke in seine Rede einflocht. Früher holten sich die Marathonis auf einer 42,195 km langen Schleife ihren Lorbeer. Heute stehen uns vier 10 km-Runden bevor. Aus diesen Runden, zuzüglich etwa einem Kilometer Zu-, vorm Finale dieselbe Spanne als Rücklauf, errechnet sich die Marathondistanz. Meine Erwartungen an den Marathontag halten sich also sowohl körperlich, als auch hinsichtlich der Streckenreize in engen Grenzen.

Ich wünsche Roland und Franz gutes Gelingen, dann schickt uns der Starter mit Pistolenknall auf die Reise. Sofort hohe Fichten beidseits des ansteigenden Weges, dann eine Spitzkehre und kurz darauf queren wir in Aufwärtsbewegung den Skihang. Wie erhofft tut mir nichts weh, wie befürchtet bringe ich vor lauter Kraftlosigkeit keine befriedigend flotten Laufschritte auf die Erde. Wann startete ich je so müde in einen Marathon? Zu allem Überfluss geht es auf diesem Zubringerkilometer auch noch stetig und fordernd bergan. Sofort steht mir der Schweiß auf der Stirn und alsbald klafft eine ziemliche Lücke zwischen dem größten Teil des Feldes und mir. Der Abstand zu Franz wächst stetig und von Roland sehe ich nach drei Minuten nicht mal mehr einen Kondensstreifen …

Runde eins

Im Grunde ist die Geschichte dieser Runde rasch erzählt. Die Hoffnung stirbt normalerweise zuletzt, meine heute aber doch schon im Verlauf des ersten Umlaufs: Mein Energiestoffwechsel stößt nirgendwo auf Reserven. Schlapp beginne ich die Runde und ebenso schlapp beende ich sie dann auch wieder … Mein Tempo liegt im Mittel, Verpflegungspausen eingerechnet, bei etwa 6:20 min/km. Mehr ist definitiv nicht drin, und schon um diese Geschwindigkeit zu halten, muss ich von Beginn an Willenskraft mobilisieren.

Meine Laufberichte leben von Umgebungsschilderungen, gewinnen Spannung aus dem unterwegs Erlebten. Und genau daraus ergibt sich die Problematik der folgenden Zeilen: Wie schildert man eine Strecke, die zu einhundert Prozent, minus zwei gequerte Skihänge, minus ein Schlenker über einen Parkplatz, im Wald verläuft? In deren Verlauf überwiegend dichter (Schwarz-) Wald nur zwei Sichtschneisen freigibt? - Schwierig. Ich versuch’s mal nach Gesichtspunkten zu ordnen:

Profil: Auf die ersten acht Kilometer der Runde verteilen sich etwa 150 Meter Anstieg, von kaum spürbar bis erträglich. Nur einmal, für etwa hundert Meter, in Höhe des bereits erwähnten Parkplatzes, schnellt die Belastung kurzfristig in die Höhe. Ebene Abschnitte bilden die Ausnahme, kommen aber vor. Den Höhenmeter-Bonus investiert man auf den verbleibenden zwei Kilometern, holt verlorene Zeit in - vor allem zum Ende der Runde hin - stärkerem Gefälle wieder auf. Alternative auf so müden Beinen wie meine: „Downhill“ trudeln, wie ein liebestoller Schmetterling …

Streckenführung: Die Runde weist natürlich Rundungen auf, die sich zur Nierenform zusammenfügen. Nach etwa zwei Kilometern verzweigt man unterm Kontrollblick eines Streckenpostens auf einen 75 Meter kurzen Wendezipfel, der dem Marathon seine klassische Länge sichert. Eine Niere mit Blinddarm also …

Untergrund: Abgesehen von ein paar asphaltierten Metern Parkplatz und weiteren nicht mal hundert, wenn sich die Runde abschließend selbst in den Schwanz beißt, findet man feste, geschotterte Waldwege vor. Gelegentliche, maximal die Größe von Taubeneiern erreichende, lose Steine mindern den Spaß ein bisschen, stören insgesamt jedoch nicht entscheidend.

Umgebung: Bäume!!! Kleine, hohe, junge, mittelalte, uralte, lückenhaft stehend oder auch dicht zusammen; im Wesentlichen Fichten, seltener Laubbäume. Unangetastete Bestände, Teileinschlag, Kahlschlag, tote Bäume am Wegrand, entastet, entrindet, auf Länge gesägt, zum Abtransport bereit. Nach etwa sechs Kilometern öffnet eine Schonung ein Schaufenster Richtung Süden. In Runde eins wabert allerdings noch Nebel (Wolken?) durch die Wälder, so dass ich dich bitten muss ein, zwei Runden zu warten. Dann erfährst du, was es von hier aus zu sehen gibt … Dasselbe gilt für Ausblick Nummer zwei, gen Westen, den man ungefähr bei Rundenkilometer 7,5 erreicht.

Sonstige Flora: Wer würdigt im grünen, alles dominierenden Wald schon das übrige Grün? Wer hätte Namen dafür? Der lustlos einher schlurfende Udo jedenfalls nicht. Zwei Blütenpflanzen fallen ihm auf. Die Eine: Winzige, weiße Blüten, die sich zu einer Dolde gruppieren, hübsch anzusehen. Lockender, prächtiger, dafür nun mal ziemlich giftig: Roter Fingerhut, der an mehreren Stellen des Streckenrands zu bewundern ist.

Fauna: Wenn sich was bewegt, so sind es Läufer und Autofahrer. Erstere Spezies sehe ich, allerdings zunehmend „ausgedünnter“, je mehr Distanz von Runde eins hinter mir liegt. Zweitere kann ich hören, durch seltene Gucklöcher zwischen Bäumen auch mal sehen, wenn sie ihren Pferdestärken auf der Schwarzwaldhöhenstraße die Sporen geben. Die Schwarzwaldhöhenstraße schneidet den Hang geschätzte ein- bis zweihundert Meter unterhalb der Marathonstrecke und begleitet sie ab Rundenkilometer 6,5 bis zum Ende. Läufer und Autofahrer also. Tierisches springt mir natürlich nicht vor die Linse. Wann hätte man je Wildtiere im Auftrieb einer Laufveranstaltung gesehen? Was mir allerdings schon in Runde eins auffallen müsste, jedoch erst viel später bewusst wird, als ich doch einmal Gezwitscher aus der Nähe vernehme: Der Schwarzwald ist arm an Vogelstimmen. Nur hier? Lokale Besonderheit? Jedenfalls erinnere mich nur dieses einen Zwitscherns in mehr als vier Stunden Laufzeit …

Besondere Vorkommnisse: Blaulicht! Ein putziger „Krakrawa“ (Krankenkraftwagen) parkt mit blitzenden Rundumleuchten bei etwa Kilometer 6. Im Näherkommen gilt meine Aufmerksamkeit dem ungewohnten Gefährt, das offensichtlich für Einsätze in nur über Waldwege zugänglichen Gebieten ersonnen wurde. Zunächst verhindert Krakrawa-Verblüffung den Einsatz meiner Kamera, dann Betroffenheit: Zwei Rot-Kreuz-Helfer kümmern sich um eine offensichtlich gestürzte Läuferin. Blut sickert ihr über die Oberlippe. Mehr bekomme ich nicht mit, weil ich mitleidend den Blick abwende. Nachdem so ein Einsatz irgendwo an der Strecke erst nach Verzögerung zum Tragen kommt, rechne ich die Dame dem Feld der 11 km-Läufer zu, das eine Viertelstunde vor uns Marathonis auf die Strecke entsandt wurde …

Runde zwei

Zeit für ein Geständnis: Spaß macht mir das heute nicht. Nullkommanull. Ich sehe die skeptischen Gesichter, höre die verwunderten Fragen: Warum machst du’s dann? - Weil ich diesen Lauf im Rahmen meiner Vorbereitung als hartes Training brauche! Die Antwort mag jene irritieren, die es gewohnt sind beinahe jeden Meter in Gefühlen von Freude und Lust zu „verjoggen“. Denen ebendiese Lauflust unbedingte Voraussetzung für ihr Hobby ist. Die sich nicht vorstellen können, auch nur eine Viertelstunde gegen unangenehme, bedrängende, von der unablässigen Vorwärtsbewegung ausgelöste Empfindungen anzukämpfen. Doch so bin ich als Läufer nun einmal nicht „strukturiert“. Nicht als Läufer und auch nicht als Mensch. Ich setze mir ein erreichbares, forderndes Laufziel. Das ist in diesem Jahr besonders fordernd und nur unter unsäglichen Mühen erreichbar: 246 km von Athen nach Sparta laufen … Eine UltraUltraUltra-Distanz und nur dann mit Laufschritten zu überbrücken, wenn man physisch und psychisch zu leiden bereit und - entscheidend! - auch gewohnt ist. Überspitzt formuliert müsste ich mich also zumindest über einen Umstand heute freuen: Dass es mir keinen Spaß macht und ich von Beginn an unter meiner Schlappheit leide …

Es ereignet sich nichts. Ab und zu überholt mich jemand und die Nebelschwaden lösen sich langsam auf. Das wär’s auch schon rings um mich her. Innen drin tut sich auch nichts. Hätte ich kein hehres Ziel vor Augen, würde ich mir das hier sicher nicht zumuten. Keine Lust zum Laufen zu verspüren, weder davor noch währenddessen, ist bei mir allerdings nicht mit schlechter Stimmung gleichzusetzen, wenn ich dann doch die Laufschuhe schnüre. Immerhin darf ich Marathon laufen und das Schönste: Kein Schmerz, nicht einmal ein Zwicken, nervt dabei. Nur müde bin ich.

Ich halte mich mit positiven Gedanken bei Laune: In drei Stunden werde ich zum 169. Mal Marathon und weiter gelaufen sein. Gestern eine Kerbe im Marathonholz und heute wieder eine. Hurra! - Vor Jahresfrist verletzte ich mich schwer. Ermüdungsbruch. Drei Monate Laufpause. Beginn bei (fast) Null und Ängste ohne Ende. Erster Marathon im März dieses Jahres und dabei die Hosen gestrichen voll. Fürchtete die Verletzung könnte wieder aufbrechen. Rückschlag in der Folge: Meine Netzhauterkrankung und wieder drei Wochen Laufverbot. Brutale Schinderei danach, die mir selbst manchmal wie ein Test auf Biegen und Brechen vorkam. Aber alles ging gut. Hurra! - Zuletzt im Abstand von nur einer Woche der Triple Marathon und die 28 Stunden des Kölnpfades. Hurra! - Adduktorenbeschwerden und andere rund um die Bruchstelle im Schambein, anfänglich nach jedem längeren Lauf zu spüren, wurden weniger und sind seit Wochen so gut wie gar nicht mehr zu spüren. Jippieh Yeah!

Das ist es, was zählt. Das allein. Ich kann wieder weit - sehr weit - laufen. Was kümmert mich da ein Marathon, bei dem ich zu schlapp bin die vorauseilende Lauflust einzuholen?

Runde zwei gleicht in allem Runde eins. Nicht zuletzt, was die Laufzeit angeht. Stehe ich das Tempo durch, werde ich nach ungefähr 4:30 Stunden das Ziel erreichen.

Runde drei

Während dieses Umlaufs driften physische und mentale Verfassung langsam auseinander. Keine Bange: Übler wird‘s (noch?) nicht. Physisch deckt sich meine Wahrnehmung mit der der bereits vergangenen Stunden: Hinhaltender Widerstand eines an Energiemangel leidenden Körpers. Nicht schlechter, selbstverständlich auch nicht besser. Mental hellt sich mein Gemüt jedoch mit jedem Kilometer auf. Halbzeit vorbei. Weniger Strecke vor als hinter mir. Die „Nur-noch-Gedanken“ setzen ein: Nur noch 20 - 19 - 18 - 17 - 16 … Kilometer. Mir ist bewusst, dass selten Marathon laufende Zeitgenossen nicht nachvollziehen können, wie man daraus positives Mentalkapital schlagen kann. Mit bereits mehr als einem Halbmarathon in den Beinen, scheinen ihnen auch „nur“ … 15 - 14 - 13 - 12 - 11 - 10 … Kilometer unendlich weit. Das soll nun beileibe nicht elitär oder abgehoben klingen, ist schlicht eine Tatsache: Ultraläufer, besonders wenn sie mehrmals im Jahr bereits die 100 Kilometermarke überwunden haben, legen an Distanzen andere Maßstäbe an. Und sie ordnen physische Belastungen anders ein. Beispiel: Zu Zeiten meines Marathonbestzeitenstrebens, also vor etwa 10 Jahren, hätte ich die augenblicklich gefühlte Schwäche nicht ertragen können, hätte sie 17 - 16 … Kilometer vorm Ziel als den Anfang vom Ende verstanden. Das ist lange her. Inzwischen weiß ich durch diverse „Proben aufs Exempel“, dass Schwäche nicht das Ende von Laufschritten bedeutet. Schwäche verhindert Tempo, nicht das Laufen an sich. Durch Temporeduzierung lässt sich der Tod des Laufschritts schier endlos hinauszögern …

Es geschieht, was immer in späteren Phasen eines Marathons geschieht, wenn ich mein Tempo halte, egal wie niedrig das auch sein mag: Ich sammele Mitläufer ein. Heute sind das zunächst jene, die mich vor vielleicht einer Stunde ihrerseits überholten. Es gibt den Spruch: „Ein Marathon beginnt erst hinter Kilometer 30!“ Jeder Marathonläufer weiß, was damit gemeint ist. Nach meiner Beobachtung ist allerdings die Grenze, ab der man der Selbstüberschätzung Tribut zollen muss, fließend und beginnt bei vielen weit vor 30 Kilometern …

Ich bin nicht schnell, aber stetig, konstant und durchhaltefähig. Mein Uhrwerk tickt in gewohntem Gleichmaß, was mir jedes Mal Zufriedenheit beschert. Warum das so ist, weiß ich nicht. Demzufolge empfinde ich zwar keine rechte Freude am Laufen/beim Laufen, zumindest jedoch Zufriedenheit. Die speist sich auch aus der Wetterentwicklung: Dann und wann entbietet mir der Himmel nun schon azurblaue Grüße. Und in den Schaufenstern gibt es endlich was zu sehen! Lücke eins, Richtung Süden, präsentiert mir einen bewaldeten Höhenrücken, auf dessen Kuppe ein Sender steht. Ich kann zu diesem Zeitpunkt nicht wissen den Blick auf die „Hornisgrinde“ (1.163 m), die Namenspatronin der Veranstaltung, zu richten, ermittele den Fakt daheim aus der Streckenkarte.

Eine Viertelstunde später, oberhalb der Schwarzwaldhöhenstraße trabend, reicht der Blick hinunter ins Oberrheintal. Bei weniger diesigen Sichtverhältnissen könnte man vielleicht Vater Rhein ausmachen, mit Sicherheit aber bis hinüber ins französische Elsass blicken.

Runde vier

Noch elf Kilometer und ich stelle nun eine auf verlässlicherem Zahlenmaterial beruhende Hochrechnung hinsichtlich meiner Endzeit an. Nicht, dass die irgendeine Relevanz für den Erfolg dieses Trainingslaufs hätte. Aber sie lenkt mich ab und letztlich möchte ich auch wissen, ob ich noch unter viereinhalb Stunden finishen kann. - Ergebnis: Wenn ich weiter trödele, wie bisher, dann wird es wahrscheinlich nicht reichen. Eine Chance habe ich nur, wenn ich an den zwei Verpflegungspunkten zügig trinke, keine längeren Fotostopps mehr einlege und mein Tempo eine Idee forscher gestalte.

Will ich das? Oder anders gefragt: Was hätte ich davon? - Ehrgeiz erzeugt Spannung und spannende Filme sind nun mal kurzweiliger als gemächlich dahinplätschernde Dramen. Wenn ich mich richtig einschätze, dann wird mir so ein abschließendes Scharmützel gegen die Uhr die Sache erleichtern. Beschluss und Zielsetzung: Finish unter 4:30 Stunden!

Ich kann’s! Bin nun um einige Sekunden pro Kilometer schneller unterwegs. Es kostet mich Schweiß und Überwindung, doch selbst in den Passagen mit fühlbarer Steigung zieht keiner den Stecker. Obwohl härter gefordert, erscheint mir die Runde paradoxerweise kürzer als die drei zuvor. Aber das ist nicht der einzige Gewinn. Es macht mich zufrieden im Rahmen meiner heute eng begrenzten Fähigkeiten noch einmal ein wenig Gas geben zu können. Und natürlich springt wieder von jedem Überholten ein Funke Energie auf mich über. Je später die Runde, umso hinfälliger die Mitläufer. Man schleppt sich dahin, geht oder wechselt in kurzen Intervallen zwischen den Gangarten. An diesen bedauernswerten Mitläufern lese ich den Erfolg meines Ultratrainings ab: Es macht mich langsam, verleiht mir aber zunehmend die Fähigkeit niedrige Geschwindigkeiten über zig Stunden konstant zu erbringen …

Noch einmal den harschen Anstieg in Höhe des Parkplatzes überwinden, den unmittelbar sich anschließenden Skihang unterhalb des „Hochkopfes“ queren und einen weiteren Kilometer ansteigendes Terrain hinter mich bringen. 13 Uhr längst vorbei und es ist auch hier oben im Schwarzwald wärmer geworden. Wenn mich die Sonne „erwischt“, rinnt inzwischen reichlich Schweiß. Abschnittsweise Schatten spendender Wald und Wolken verhindern das indes überwiegend. Übrigens: Der Veranstalter wirbt mit einer Hundert-Prozent-Wald-Strecke. Wäre ich kleinlich, müsste ich diese Zahl auf vielleicht 97 % kürzen. Aber das ist nicht der Punkt. Um Fehleinschätzungen vorzubauen sei festgestellt: Hundert Prozent Wald bedeuten keineswegs hundert Prozent Schatten. Es gibt genügend Lücken auf dieser Runde, durch die die Sonne einen an heißen Tagen leiden lassen kann …

Der höchste Punkt der Strecke liegt hinter mir, die restlichen etwa 2,5 Kilometer bis ins Ziel unterstützt mich Gefälle. Wieder einmal blicke ich zur Uhr und bin nun absolut sicher die Ziellinie unter 4:30 Stunden zu überschreiten. Nur ein Sturz könnte das noch verhindern und den vermeide ich mit hoher Konzentration. Abwärts, immer weiter abwärts. Noch einen Kontrahenten eingesammelt, dann den nächsten und schließlich beende ich die vierte Runde …

Nun fehlt nur noch der Zubringerkilometer. Der beschert mir weiteres Gefälle, Zeitgewinn und bringt mich zwei weitere Positionen im Gesamtklassement nach vorne. Auch wenn es keine Bedeutung hat, gibt mir das ein gutes Gefühl. Noch die Spitzkehre mit Bedacht nehmen, letzte hundert Meter durch dichten Fichtenwald, dann renne ich aufs Zieltor zu und beende Sekunden später meinen 169. Marathon.

Ergebnis: 4:25:12 h, Platz 54 von insgesamt 71 Männern, Platz 3 von 5 in M60

 

Fazit zur Veranstaltung

Nur wer den Marathon abgöttisch liebt oder nirgendwo mit mehr Leidenschaft als im Wald läuft - am besten beides - wird sich auf diesen Vier-Runden-Marathon freuen. Selbstverständlich lassen sich auch viele lokale Läufer einen Marathon vor der Haustür nicht entgehen. Im umfangreichen Verzeichnis deutscher Marathons wird diesem Lauf allerdings ein langsames Siechtum beschieden sein, wenn man sich nicht entschließt zur langen Schleife zurückzukehren. Wer weiter anreisen muss, wird es kaum tun, um vier Runden zu laufen, von denen mindestens die letzten beiden mangels „optischer Diversität“ in Langeweile verlaufen. Vielstarter wie mich, die ihre Starts nach anderen Gesichtspunkten als „Attraktivität der Strecke“ auswählen, kann man als Gegenbeweis nicht ins Feld führen.

Organisatorisch gibt es vom „Hornisgrinde Marathon“ nur Positives zu berichten. Klare Abläufe, keine Reibungen, ausreichend Verpflegung, freundliche Helfer.

 

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