Samstag, 2. Juli 2016

Ein neuer Freund?   -   Triple-Marathon 2016

Drei Marathonläufe an einem Tag, insgesamt also 126,585 km. Das klingt zwar nach einer enorm langen Strecke, doch „ziemlich machbar“ für einen, der die Hundert-Kilometer-Schallmauer zuletzt zweimal durchbrach. Kopfzerbrechen bereitet mir daher nicht die schiere Distanz, sondern - so merkwürdig das auf Anhieb klingen mag - die Ruhepause zwischen den Läufen. Deren Dauer ergibt sich aus der jeweiligen Lauf- und der folgenden Startzeit. Startzeiten:

  1. Marathon (M1): 5 Uhr
  2. Marathon (M2): 10:45 Uhr
  3. Marathon (M3): 17 Uhr

Ich habe mir vorgenommen jeden der drei Marathons im selben Tempo zu laufen und unter 4:30 Stunden zu beenden. Insgesamt soll sich folglich die Gesamtzeit auf weniger als 13:30 Stunden addieren. Ob ich das schaffe, steht so sehr in den Sternen, dass ich selbst nicht davon überzeugt bin. Doch ein forderndes Ziel muss ich mir allein schon aus Motivationsgründen vorgeben. Gelänge es mir wenigstens M1 und M2 wunschgemäß zu finishen, dann errechneten sich daraus folgende Pausen:

  1. Pause nach M1: 10:45 Uhr - 5 Uhr - 4:30 h Laufzeit = 1:15 Stunden
  2. Pause nach M2: 17 Uhr - 10:45 Uhr - 4:30 h Laufzeit = 1:45 Stunden

In der zeitlichen Dimension dieser Ruhepausen liegt die eigentliche Herausforderung des Triple Marathon. Zu kurz, um zu regenerieren, zu lang, um den Körper im „Kampfmodus“ zu halten. Verpflegen, Duschen, zur Ruhe kommen und alsbald zum nächsten Start antreten - das ist völlig neu für mich. Entweder lief ich die geforderte Ultrastrecke „in einem Rutsch“ durch oder zwischen zwei Läufen lag eine durchschlafene Nacht mit entsprechender Erholung.

Da ich Wettkämpfe im Wochentakt bestreite, bin ich nur selten detailliert über Abläufe und Anforderungen im Bilde. Aus diesem Grund weiß ich auch über die Strecken des „Triple“ nur das Nötigste: Dreimal exakt Marathon. Erster komplett in Holland, zweiter grenzüberschreitend, dritter komplett in Deutschland. Niederlande/Norddeutschland: Also weitestgehend flach. Wege? Bodenverhältnisse? Keine Ahnung. Beim Ausdrucken des Kartenmaterials, zwei Tage vor Tag X, entsteht zum ersten Mal der Eindruck, dass sich ein Großteil der Distanz über Straßen/Radwege erstreckt.

 

Marathon eins: Der frühe Vogel fängt den Wurm

Um 3 Uhr klingelt mein Wecker. Ich lasse Ines (weiter-) schlafend im Hotel zurück. Sie wird mich mit dem Auto im Ziel von M1 „einholen“. Für 3:30 Uhr hat der Veranstalter ein Frühstück arrangiert. Wirklich willkommen ist meinem Körper nur der heiße Kaffee, den Rest „drücke“ ich mir gewaltsam rein, weil es sein muss. Anschließend besteigen wir einen Bus und fahren zum Start in „Eelde“. Stadt, Dorf, Weiler? Ich weiß es nicht. Ohnehin verläuft die blaue Startlinie „in the middle of nowhere“ quer zu einem Radweg. Etwa ein Dreiviertelhundert relativ „unfroh“ in den frühen, lichtarmen Morgen blickende Gestalten treten vor der Linie an, zelebrieren den Countdown und setzen sich - eingedenk des gewaltigen Vorhabens - verhalten in Bewegung. Abgesehen von ein paar davonstiebenden, ausdauerstarken Heißspornen natürlich, die sich dann auch gleich am ersten Abzweig verlaufen. Mir bleibt dieses Schicksal erspart, weil Zurufe der begleitenden Sanitäter (dazu später mehr) das Feld jäh in die korrekte Richtung „omleiden“*. Bislang wegen Unausgeschlafenseins dem Zug der Lemminge unachtsam und arglos folgend, beginne ich jetzt nach Markierungen Ausschau zu halten. Blaue Pfeile, die - das sei hier abschließend für M1 bis M3 klargestellt - in solcher Eindeutigkeit und Menge ausgebracht wurden, dass sich zu verlaufen „grob fahrlässiges“ Missachten voraussetzt.

*) Wir sind in Holland, da heißt es nicht „Umleitung“, sondern „Omleiding“, wie ich mehrfach auf Straßenschildern lesen durfte.

Die Wetterprognose für diesen Samstag ist nicht berauschend. Rasche Wechsel zwischen Sonne und Regen sind vorhergesagt, Gewitter zumindest möglich. An diesem Orakel gemessen beginnt der Tag recht verheißungsvoll mit nur spärlich bewölktem Himmel. Wider besseres Wissen unterstelle ich den Herren Wetterkundlern sich zu irren, will an einen trockenen Tag glauben. Es würde die „Sache“ insgesamt erleichtern. Recht bald zieht sich das kleine Feld auseinander, den einen oder anderen Läufer behalte ich jedoch stets im Auge. Die blauen Pfeile am Boden geben unmissverständlich Orientierung, weitere Sicherheit die begleitenden Sanitäter. Zwei deutsche Rotkreuzteams bleiben stets auf Tuchfühlung, postieren sich an Kreuzungen und Abzweigen, fungieren also auch als Streckenposten. Darüber hinaus fragen mehrere „offizielle“ Radler/mobile Streckenposten immer mal wieder nach, ob alles in Ordnung ist. Ich fühle mich vom ersten Moment an bestens beschirmt und betreut …

Wie zuletzt häufiger, überlasse ich meinen Beinen das Tempo, um - falls erforderlich - korrigierend einzugreifen. Meine Zielzeit fordert im Schnitt jeden Kilometer unter 6:20 Minuten zu beenden. Um infolge Verpflegen, Fotografieren und „Sonstiges“ nicht ins Hintertreffen zu geraten, sollte die Pace darunter liegen. Tatsächlich stellt sich das angestrebte Tempo ohne mein Zutun bei etwa 6:08 min/km ein. Einstweilen kein Grund mich in die Tempogestaltung einzumischen. Umso weniger, als der Morgenmuffel in mir eine für die frühe Stunde höchst ungewöhnliche Leichtigkeit des Seins - pardon: des Laufens - registriert. Es lässt sich gut an und darf so weiter gehen …

Die Niederlande heißen Niederlande, weil das Land niedrig gelegen (am Hotel meldete das Navi minus sechs Meter Seehöhe) und brettflach ist. Allenfalls Hecken, Wälder, hoch aufgeschossener Feldbewuchs, Wohnbebauung und zuletzt die Erdkrümmung begrenzen meinen Blick. Als monoton oder langweilig empfinde ich die ländliche Umgebung trotzdem nicht, denn für Abwechslung ist gesorgt. Mal stieben Pferde über eine Koppel, als wollten sie die Läufer zu flotterem Galopp animieren. Oder der charakteristisch holländische Baustil älterer Häuser fordert meine Aufmerksamkeit ein: Im Grundsatz offen und freundlich, sympathisch bescheiden in allen Dimensionen. Auch die unvermeidliche Windmühle bekomme ich geboten und immer wieder Wasser. Wasser in Kanälen und Flüsschen, wobei ich oft nicht zwischen künstlichem und von der Natur geschaffenem Wasserlauf zu unterscheiden weiß.

Anhaltende Mühelosigkeit der Fortbewegung, ein freundlicher Himmel und die vielen ungewohnten Bilder stimmen mich frohgemut. Zwischen fünf und sechs Uhr am Morgen, zu einer Zeit also, da ich das Bett allenfalls zu Wettkämpfen und sonstigen Katastrophen verlasse, ist das alles andere als selbstverständlich. Dass der neue Trinkrucksack gut kooperiert - mit anderen Worten: seine Anwesenheit vergessen macht - ist meinem Optimismus sicher auch förderlich. Zu dieser für Trail-Gelegenheitstäter eher ungewöhnlichen Anschaffung habe ich mich entschlossen, weil einige der anstehenden Vorbereitungswettkämpfe sonst nicht zu „überleben“ wären. Beim Triple ergibt das Anlegen des Rucksacks nicht nur zu Testzwecken Sinn: Verpflegung wird nur an drei Punkten eines jeden Marathons gereicht, jeweils ungefähr bei Kilometer 10, 21 und 31.

Der erste Verpflegungspunkt in „Zuidlaren“ (weiß nicht mal, wie man das ausspricht) brachte ein Gel, Wasser, Cola und alkfreies Weizenbier in meinen Magen. Klingt das für dich nach Übelwerden? Gel liefert Energie, Wasser verdünnt und steigert das Rehydrierungstempo, Cola wegen „hat so schön geprickelt auf meine Zunge“ und Bier zum Abschluss, um meine Geschmacksnerven von jeglicher Süße zu reinigen. Erfahrungsgemäß wird mein Magen gegen diese Mischung mit heftigem Aufstoßen protestieren, sie im Übrigen jedoch „goutieren“.

Auf gepflasterter Straße bleibt „Zuidlaren“ hinter mir zurück. Wie man den Belag in der Fachsprache der niederländischen Pflasterer-Innung bezeichnet, weiß ich nicht. Einen Namen muss ich ihm aber geben, nenne es darum „Zickzack-Pflaster“. Nicht nur auf den nächsten Kilometern wundern sich meine Füße über den aufwändigen Straßenbelag. Rechteckige Steine von etwa Handlänge und -breite, schräg verlegt - immer schräg, niemals anders. Warum auf diese Weise verlegt und wieso überhaupt Pflaster? Ist das nicht um ein Mehrfaches teurer als Asphalt oder Beton? Der Zierde wird es kaum dienen, nicht hier, wo sich rechts und links des Weges und bis zum Horizont ausschließlich Felder und Wiesen erstrecken. Meine Sohlen würden Asphalt übrigens vorziehen, weil sie immer wieder die Kanten von aufgeworfenen, abgesenkten oder verschobenen Steinen spüren. Alle paar Augenblicke peile ich in Laufrichtung voraus, um die mutmaßlich ebenste „Fuhrt durchs dunkelbraunrote Meer“ zu finden …

Viertel nach sechs: In Höhe eines Kanals verharre ich kurz für ein Foto. Das Farbenspiel der aufgehenden Sonne spiegelt sich in kaum bewegtem Wasser. Wen solche Eindrücke kalt lassen, dem ist nicht zu helfen. Weiter auf Zickzack-Pflaster geradeaus, irgendwann rechtwinklig nach links, bald in ebensolchem Knick nach rechts und auf ein einsam stehendes Haus zu. Das Zickzack-Band gewinnt ein paar Meter Seehöhe, wonach in solcher Landschaft meist eine Brücke folgen dürfte. Wieder Gelegenheit für ein Foto und diesmal lege ich mich fest: Ein gottgegebenes, immerhin mit mittelgroßen Motorbooten befahrbares Flüsschen.

Seit er unvermittelt vor mir aus einem Gebüsch auftauchte, verfolge ich den „rosaroten Panther“: Pinkfarbenes Shirt, pinkfarbene Dreiviertelhose, pinkfarbene Laufschuhe. Vermutlich glühen auch die Wangen der Läuferin rosarot, doch zu dieser Vermutung liefert die Rückenansicht keine verlässliche Bestätigung. Eine Zeit lang hefte ich mich an die Fersen meines „Fixsterns in Pink“, bis ich Durst verspüre und den „Trinkvorgang“ einleite. In der Bewegung nestelte ich an der einigermaßen unzugänglich fixierten Trinkflasche herum. Ohne Übung kein leichtes Unterfangen und prompt segelt die Pulle zu Boden. Stoppen, aufheben, loslaufen, beim Laufen trinken und dann der Versuch die Flasche wieder in ihrem Depot zu versenken … Ein Artist brächte das vielleicht zu Wege, ein Schimpanse ganz sicher, der steife Udo jedoch … Zum Glück lässt sich der wie eine Weste gestaltete Rucksack mit einem Handgriff öffnen, flugs ab- und ebenso problemlos wieder überstreifen. Der „rosarote Panther“ kommt mir während der komplexen Operation allerdings abhanden …

Generelle Laufrichtung: Osten. Jetzt scharf nach links abknicken, mithin für ein paar Minuten gen Norden vorrücken. Zum ersten Mal seit langer Zeit blicke ich zurück in westliche Richtung und kann kaum fassen, was ich dort sehe: Eine dunkle Wolkenwand! Da der Wind stetig aus Westen weht, wird uns, was immer sich mit dieser finsteren Drohung verbindet, bald erreichen. Einstweilen übe ich mich in positivem Denken: ‚Wird schon nicht so schlimm werden!’

Am Anblick des stillen Kanals darf ich mich noch erfreuen, doch schon beim Überqueren der Fußgängerbrücke fallen die ersten Tropfen: „Mistwetter blödes!“ - Keiner hört meine verbale Entgleisung, denn kurz vor sieben sitzen alle Holzschuhträger noch beim Frühstück. Ich krame das ungeliebte Basecap aus dem Rucksack und streife es mir über. Na toll: Im Regen laufen, nasse Füße holen und das schon bei Kilometer 18 …

Tatsächlich hält der Regen ungefähr eine Dreiviertelstunde an, begleitet mich zu Verpflegungspunkt 2 und anschließend durch das kleine Provinzstädtchen „Veendam“. Allerdings regnet es nur ein paar Minuten wirklich ergiebig, um dann in den Status nässender Unentschiedenheit überzugehen: Irgendwas zwischen Tröpfeln und Nieseln. Schuhe und Strümpfe werden mit so wenig Feuchtigkeit spielend fertig. Wie immer dieses Triple-Abenteuer heute ausgehen wird - das bisschen Regen hatte darauf nicht den mindesten Einfluss …

Ich weiche Pfützen aus und halte Ausschau nach Motiven, die es wert wären die Kamera aus der schützenden Kunststofftüte zu kramen. Fehlanzeige. Schnurgerade voran über das „Brett“, einer unter grauem Himmel tristen, ostniederländischen Landschaft. Sehr zögerlich hellt sich der Himmel auf, während ich Kilometer sammele: 27, 28, 29 … Ich spüre die bereits gelaufene Strecke. Vor allem im Bereich der Pomuskulatur. Ein bekanntes Ziehen, absolut kein Grund zur Sorge. Das wird sich verlieren. Nach und nach werden andere Faserbündel und Gelenke die Stimme erheben, ihren Protest jedoch ebenso wieder einstellen … In meinen Ausdauerdepots machen sich die drei Stunden Dauerlauf dagegen überhaupt nicht bemerkbar. Offensichtlich bewege ich mich mit höchst ökonomischem Tempo. Meine Beine erledigen die Aufgabe „Tempokonstanz“ mit gewohnter Zuverlässigkeit. Ich beschränke mich auf Kontrollen und registriere mit Befriedigung Zwischenzeiten, die nur um wenige Sekunden differieren, wie gehabt um die 6:08 min pro Kilometer (mit Ausnahme jener Abschnitte natürlich, wo ich für Fotos oder zum Verpflegen Zeit verliere).

Dritte Verpflegungsstation bei Kilometer 31: Wieder ein opulent gedeckter Tisch, über dessen Angebote ich, wie häufig bei Ultraläufen, einen Blick des Bedauerns schweifen lasse: So viel leckere Sachen und ich übe Verzicht! Bescheide mich stattdessen mit pappsüßem Gel, weil ich sonst nichts runterkriege. Jedenfalls nicht in der kurzen Zeitspanne, die ich mir zum Verpflegen zugestehe. Gel, Wasser, Cola, abschließend mit ein paar Schlucken herbem Bier die Süße neutralisieren. Früher rauschte ich nach vollzogenem „Tankvorgang“ schon mal „egozentriert“ stumm davon. Das war a) grundsätzlicher Mundfaulheit beim Laufen und b) einem von vielen Marathonveranstaltungen geprägten Verhalten geschuldet. Schon bei Marathonläufen mit bescheidenem Teilnehmerfeld tobt rings um die „Trinkbude“ ein solches Tohuwabohu, dass sich Dankesworte sinnlos im Raum verlören. Als Ultra begann ich mit meiner „Umerziehung“. Helfern macht ihre Arbeit Spaß. - Warum sonst stellten sie sich bei oft widrigen Verhältnissen in den Dienst der Sache? Ein Dankeschön ist trotzdem das Mindeste, mit dem man sie belohnen sollte.

Kilometer 34: Kanal oder Fluss? Schnurgerade zieht sich das Gewässer zwischen beiderseits flankierenden Straßen und Häuserzeilen der Ortschaft „Pekela“ hin. Fließtendenzen zeigen sich nirgendwo auf der Wasseroberfläche. Ufernahe Seerosenkolonien sprechen überdies für weitgehend stehendes Wasser. Dann und wann verbindet eine Brücke die Ufer. Schmale, ausschließlich Fußgängern und Radfahrern vorbehaltene, wechseln sich mit Zugbrücken ab, über die auch Autos rollen. Welchen Sinn verfolgt man eigentlich mit diesen Zugbrücken? „Um Wasserfahrzeugen den Weg frei zu machen“ wäre zwar die naheliegende, nichtsdestoweniger jedoch unzureichende Antwort. Erstens liegt nirgendwo ein Boot vertäut am Ufer und zweitens fehlt kleinen Überwegen augenscheinlich jeglicher Mechanismus, mit dem auch sie bewegt werden könnten …

Ein willkommenes Angebot: „Soll ich ein Foto machen?“ - Der Begleitradler hat sich unbemerkt „angepirscht“ und mich bei eifrigem Fotografieren erwischt. Ich bitte ihn ein Stück voraus zu fahren und mich in der Bewegung abzulichten. Läufer, die irgendwo an der Strecke stehen und posen - solche Bilder fand ich schon immer höchst widersinnig … Ich bedanke mich für die gute Tat und erfahre noch, dass mir die Kanal-Ansicht ein paar Kilometer erhalten bleiben wird.

Brücken, immer wieder Brücken - Bilderbuch-Holland also -, schließlich, am jenseitigen Ufer, die Kirche des Ortes. Wie augenscheinlich alle Bauten der Gegend, besteht auch das Gotteshaus mit seinem hohen, schlanken Glockenturm aus rotem Backstein. „Pekela“ mit seiner nicht enden wollenden Gracht bildet zweifelsohne den malerischen Höhepunkt der Strecke. Vor allem der aktuelle Abschnitt, da der bislang schnurgerade Wasserlauf ein paar überraschende Biegungen beschreibt. Also doch natürlichen Ursprungs? Eine letzte Zugbrücke, dann wendet sich der Kurs bei Kilometer 38 vom Wasser ab und bringt mich per Radweg dem Ziel in „Blijham“ näher …

Keine halbe Stunde mehr und es steht außer Zweifel, dass ich das Ziel unter 4:30 Stunden erreichen werde. Auf den letzten 5, 6 Kilometern ist der Marathon nun endgültig in meinem Bewegungsapparat angekommen. Von der Pomuskulatur abwärts bis zu den Zehen spüre ich jeden Schritt. Ich hatte mir zwar erhofft etwas weniger „gezeichnet“ ins erste Ziel zu laufen, messe dem Ziehen allüberall dennoch keine Bedeutung bei. So lange ich Ultras beinahe im Wochentakt als Training laufe, kann es sich kaum anders anfühlen. Meiner Ausdauer tut das ohnehin keinen Abbruch. Ich fühle mich nicht wirklich beansprucht, hätte den Marathon um einiges schneller absolvieren können. Aber das entspräche nicht meinem Ziel: Gleichmäßiges Tempo über alle 126,xx Kilometer, ökonomisches Ultratraining. Das bestmögliche Ergebnis über alle drei Marathons erreicht nur, wer seine Ausdauerressourcen wirtschaftlich „verwertet“.

Schon entlang der Gracht in „Pekela“ kehrte die Sonne zurück und auf den letzten Kilometern heizt sie mir nun mächtig ein. Kurz vor „Blijham“ taucht noch einmal der Begleitradler neben mir auf. Gemeinsam freuen wir uns über den Sonnenschein und - wie er es ausdrückt - die Möglichkeit sich endlich aufzuwärmen. Bei der Gelegenheit erfahre ich, dass die Regenfront dem hinteren Teil des Feldes weit übler mitspielte als mir. Über den bedauernswerten Mitkämpfern ging ein regelrechter Wolkenbruch nieder, in dem einige übel auskühlten …

Die ersten Häuser von „Blijham“, noch zwei Kilometer. Kurz huscht der freudige Gedanke durchs Oberstübchen, dass ich gleich in mein „Marathonholz“ die 164. Kerbe schnitzen darf und - wenn alles gut geht - vorm Dunkelwerden zwei weitere folgen werden. Ich fühle mich gut und freue mich nun auf Ines und die Pause. Ein-, zweimal noch abbiegen, dann dem Schild „Sportcomplex“ folgen und schon laufe ich auf Ines und Roxi zu. Als mich Roxi erkennt beginnt sie wild zu bellen, dreht sich wie ein Derwisch mehrmals um die eigene Achse, zerrt an der Leine und bringt Ines aus dem Gleichgewicht. Der bleibt nichts anderes übrig als sie laufen zu lassen. Die freudige, von wildem Kläffen untermalte Wiedervereinigung kostet mich ein paar Sekunden, dann nehme ich kurzentschlossen die Leine auf und laufe mit Roxi durchs Ziel …

Zeit M1: 4:24:51 h,   Platzierung: 27,   Finisher gesamt: 70

Einen besonders „fetten Wurm“ habe ich mit Platz 27 zu früher Stunde also nicht gefangen. Doch immerhin kann ich das erste Teilziel als erfüllt abhaken und musste mich dafür nicht entscheidend ins Zeug legen. Gut gelaunt und zuversichtlich genieße ich meine erste Dusche und die leckere Verpflegung …


Marathon zwei: Die EU erleben

Was für ein seltsames Gefühl: Vor nicht mal anderthalb Stunden einen Marathon gefinisht und nun in frische Laufklamotten gehüllt wieder vor einer Startlinie Aufstellung nehmen!? Viertel vor elf und die Sonne scheint warm aus überwiegend blauem Himmel. Empfinde nur ich es so oder ist die Stimmung tatsächlich heiterer, gelöster als zu nachtschlafener Stunde vorm ersten Start? In aufgeräumte, deutsche Gespräche mischen sich ein paar kehlige, holländische Sätze. Unser EU-Nachbar stellt etwa ein Fünftel des Feldes. Weitere Internationalität steuern ein Norweger und ein Brite bei. Meine gute Laune speist sich nicht nur aus dem seit der Zielankunft guten Wetter. Ines ist bei mir. Rückblickend erinnere ich mich an keinen Marathon- oder Ultrastart der mir in ihrer Anwesenheit „verhagelt“ gewesen wäre …

Die Zeit drängt und der Starter tut es ihr gleich. Zum zweiten Mal an diesem Julisamstag gibt sich das Marathonfeld den Countdown … Schuss, Uhr gestartet und los geht’s … … … Oh, mein Gott!? Die ersten Schritte fühlen sich verheerend an. Zwicken, Zwacken, Ziehen, Jaulen allenthalben. Mit ungelenkem, roboterhaftem Auftakt hatte ich gerechnet, doch nicht mit diesem Grad der Abnutzung nach „nur“ 42,2 Kilometern. Um mich her jammert ein Chor: Aua!! Geteiltes Leid ist zwar keineswegs halbes Leid, gibt aber ein wenig mentalen Rückhalt: Den anderen fallen die ersten Minuten gleichermaßen schwer wie mir (und eingedenk meines Geburtsjahres ergänze ich in Gedanken : … und die sind viel jünger als du!). Noch ein Abklatschen mit der für Fotos vorausgeeilten Ines, dann nehme ich die Herausforderung an …

Denn genau darum geht es jedes Mal: Die Laufaufgabe als Herausforderung begreifen, sich ihr stellen, Widerstände überwinden und ankommen. Diesmal stehen eben diese gemeinen, von „Wiederanlaufschmerz“ geprägten Minuten mit auf der Liste zu bewältigender Schwierigkeiten. Die Beschwerden lassen ein paar hundert Meter weiter nach und damit wische ich sie auch erst einmal zur Seite. Es gibt Wichtigeres zu tun. Tempo aufnehmen und kontrollieren zum Beispiel. Mit einiger Überraschung stelle ich fest, dass sich das schmerzlich Schwerfällige meines „Fahrgestells“ nicht aufs Tempo auswirkt. Die Pace überlasse ich erneut meinen Beinen und sie bescheren mir von Beginn an die gewünschten Zwischenzeiten pro Kilometer: 6:12, 6:04, 6:05, 6:08, 6:08, 6:13, 6:11, 6:04, 6:12, 6:10 …

Tatsächlich dauert es etwa sieben, acht Kilometer bis sich zur objektiven, von den Zwischenzeiten belegten Ausdauerstärke ein akzeptables Quantum Lockerheit gesellt. Und das liegt nicht nur am „Wiederanlaufschmerz“, der sich erst nach längerem „Maulen“ verkrümelt. Susi Sorglos stopfte sich in der „endlos langen“ Pause zu viel in ihren Magen! Musste unbedingt zwei Brötchen mit Käse und Wurst vertilgen, sich dazu literweise Flüssigkeit (Kaffee und Apfelschorle) hinter die Binde kippen … Das fühlte sich zum Auftakt ziemlich scheußlich an, als trüge Susi einen unauflöslichen, dicken Klumpen in ihrem Bauch spazieren …

Die holländische Landschaft besteht aus denselben Elementen wie vorhin: Flache Felder und Wiesen so weit das Auge reicht; verstreute Höfe, wie mit dem Lineal gezogene Kanäle und Wassergräben, in minimalistischem Stil errichtete Einfamilienhäuschen. Nichts Neues also und doch sehe ich meine Umgebung mit anderen Augen. Vermutlich ein Werk des intensiven Sonnenlichts, das die Welt in satte Farben taucht. Ganz so, wie ich es liebe, auch wenn eine strahlende Sonne den Härten des „Triples“ eine weitere Dimension hinzufügt. - „Bellingwolde“ lese ich auf einem Ortsschild und darunter „Sportdorp“. Keine Ahnung, was Niederländer unter einem „Sportdorf“ verstehen, an unserer Veranstaltung zeigt das „Sportdorp“ jedenfalls nicht das mindeste Interesse. Überhaupt hält sich seit heute Morgen hartnäckig das Gefühl, als hätte jemand über Nacht alle Niederländer aus der Region verbannt. Kaum eine Menschenseele zeigt sich, obschon wir mittlerweile stramm auf „High Noon“ zulaufen …

Wo das „Sportdorf“ endet, ob die einseitig entlang der langen, schnurgeraden Straße wie Perlen an einer Schnur aufgefädelten Wohnhäuser noch dazu gehören, erschließt sich mir nicht. Hie und da flattert niederländischer Stolz in Vorgärten. Keine „oranje-farbenen“ Wimpel, wie der unkundige Süddeutsche erwarten würde, sondern ein an die norwegische Flagge erinnernde Variante*. Irgendwann dann nur noch „Gegend“: Wie gehabt Wiesen und Felder, Blickbegrenzung lediglich in Form von Baumreihen oder Horizont.

*) Es handelt sich um die Flagge der niederländischen Provinz „Groningen“

Das Völlegefühl im Magen löst sich auf. Glücklicherweise, denn bis zum ersten VP bleiben höchstens noch zehn Minuten Verdauungszeit. Trotz hoher Schweißrate habe ich noch nichts getrunken, wollte erst diesen Druck da unten loswerden. Inzwischen bauschen sich wieder mehr und ausgedehntere Wolkenformationen am Himmel. Vermutlich habe ich meinen Teller „Schlechtwetter“ heute noch nicht zur Gänze ausgelöffelt, auch wenn mir die Sonne anderes einreden wollte. Pünktlich zum ersten Marathonviertel taucht die von einem Party-Pavillon beschirmte Tränke auf. Für Ines, die mit der Kamera auf mich wartet, forme ich mit beiden Händen das „Victory-Zeichen“. Eine Geste, die meinem Lauf-Habitus sonst nicht eigen ist. Ein Reflex und er gilt einzig meiner Frau: „Es geht mir gut und ich fühle mich stark! Mach’ dir keine Sorgen!“

Unmittelbar hinter dem VP beginnt ein leichter Anstieg. In ebener Landschaft kann das nur eine Brückenrampe sein. Als ich Sekunden später ebendiese Brücke betrete und die unter mir auf der Autobahn A 31 vorbei brausenden Autos erblicke macht sich Überraschung breit. Schon wieder zurück in Deutschland? Wo war die Grenze? Eine Grenztafel stand dort sicher. Ich habe sie einfach übersehen. Dergleichen kann im (noch?) schlagbaumfreien EU-Europa schon mal passieren. Sich frei von einem Land ins andere bewegen zu können, von keinen Grenzkontrollen aufgehalten zu werden - diese Freiheit genieße ich ungemein und möchte sie auf keinen Fall missen. Warum nur wollen diese kurzsichtigen Briten unbedingt raus aus der EU? Das viele Wasser rund um ihre Insel hilft ihnen doch ihre Identität zu bewahren. Uns schützt keine natürliche Barriere. Bin ich deswegen weniger deutsch als vor 40 Jahren? Daran hat sich nichts geändert, es kam lediglich eine weitere Identität hinzu. Inzwischen fühle ich mich auch als Europäer. Weniger im Sinne der in Brüssel, Straßburg und Luxemburg exekutierten Verwaltung. Es ist ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, nicht nur mit den deutschsprachigen Österreichern, sondern eben auch mit Holländern, Franzosen, Italienern, Spaniern und anderen Nationalitäten …

Neuerlich schwingt sich der Weg empor, erklimmt den nächsten Brückenscheitel. Diesmal wird mir die Aussicht auf kleiner Tafel mit „Ems“ angekündigt. Weniger beeindruckend wird sie dadurch nicht, eher im Gegenteil. „Ems“ klingt irgendwie niedlich. Nicht so „strömend“ oder „majestätisch“ wie „Elbe“, „Donau“ und „Rhein“. Doch dieses gewaltige Flussbett lässt ahnen, wie es möglich sein kann, dass im nicht weit von hier entfernten „Papenburg“ riesige Passagierschiffe vom Stapel laufen, die dann durch etliche Kilometer „Ems“ bis zur Nordsee schwimmen müssen …

Die „Ems“ bedingt den Emsdeich, sicher vier, fünf Meter hoch. An seinem Fuß, auf dem Radweg traben wir Läufer, daneben fließt lebhafter Autoverkehr. Spätestens jetzt, angesichts bundesdeutscher Raserei, wäre mir klar wieder „daheim“ zu sein. So fährt „man“ nur in Deutschland, die Holländer erlebte ich als sehr zurückhaltende Automobilisten …

Kilometer 15, 16, 17: Immer noch Deich und anhaltender Sonnenschein. Einzig der bisweilen stramm von hinten wehende Wind verschafft Kühlung. Apropos Wind: Bislang war der Wind mein Feind. Jeder Läufer kennt das Mysterium, den Wind beim Laufen meistens gegen sich zu haben, egal welcher Richtung man sich auch zuwendet. Und in Mitteleuropa kühlt er einen meist auch noch aus. Also hasse ich den Wind. Doch heute „schleimt“ er sich derart bei mir ein! Wehte schon beim ersten Marathon überwiegend von hinten, schob mich vorwärts. Allenfalls ließ er mal von der Seite kommend durchblicken, wie schwer er mir das Läuferleben machen könnte … dann schubste er wieder von hinten, empfahl sich mit Nachdruck als neuer Freund.

Straße und Radweg wenden sich vom Deich ab und auf ein Gewerbegebiet zu, passieren ein von weitem schon zu erkennendes Sportgeschäft. Ein hallengroßer Sportladen mitten in der friesisch-emsländischen Pampa? Meine Gedanken kreisen so sehr um die Frage „Rechnet sich das?“, dass ich den Pavillon am Wegrand, samt unangekündigtem Angebot von Wasser und überdies meine freudestrahlend fotografierende Ines, erst sehr spät erkenne. Beides - Ines Lachen und das Wasser - kann ich gut gebrauchen. Das Lachen erfrischt die Seele, das Wasser den teil-dehydrierten Körper. Zwei, drei Becher sind rasch geleert, das Abklatschen mit Ines ist noch schneller vollzogen und weiter geht’s … Keine fünfzig Schritte später erfasst mich eine ungemein wuchtige Windböe. Die Sonne war schon vor ein paar Minuten verschwunden und so wende ich mich instinktiv um. Sehen und Erschrecken sind eins: Der Pavillon kippt aufs Dach und droht vom Wind auf die stark befahrende Straße gewirbelt zu werden. Ein wirklich kritischer Moment. Noch kritischer die Wahrnehmung, dass ausgerechnet Ines sich im Bereich des wild gewordenen Daches aufhält und nun auch noch eins der in den Himmel ragenden Beine des Pavillons ergreift. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und überzeuge mich, dass meine Frau nicht zu Schaden kommt. Dem Impuls zu helfen brauche ich nicht nachzukommen, rasch hat die Mannschaft das Dach wieder unter Kontrolle.

Was der böig auffrischende Wind zu bedeuten hat, ist klar: Irgendwo süd- bis südwestwärts tobt sich ein Gewitter aus. Es beginnt zu regnen und ich ziehe wieder die Schirmkappe auf. Bloß keine Spritzer auf die Brille bekommen! Dicke Tropfen platschen auf den Asphalt, werden zahlreicher. Gleich bricht die Hölle los, davon bin ich felsenfest überzeugt … … … Minuten vergehen, es bleibt beim Tröpfeln, der Asphalt wird nicht mal richtig nass … … … Nach und nach beruhigen sich die Elemente und die Wolken lockern wieder auf. Scheint, dass ich ohne Platzregen davonkomme - einstweilen!*

*) Im Nachhinein konnte Ines nicht fassen, dass ich nicht mal richtig nass wurde. In Höhe des Sportgeschäftes, also nur wenige Minuten hinter mir, ging ein rauschender Wolkenbruch nieder! Totale Lokalität des Wettergeschehens an diesem Tag!

Entlang der nächsten Kilometer geschieht … überhaupt nichts. In meiner Erinnerung bilden sie sich lediglich durch ihre Monotonie ab. Eeeeeeeendlos lange Geraden! Kilomeeeeeterweit geradeaus und nichts, was die Sichtachse verstellt. Ich kann den Anblick der scheinbar im Unendlichen verschwindenden Straße ohne mentalen „Knockout“ ertragen. Dergleichen macht mir nichts aus. Wäre das früher, mit weniger Ultra-Selbstbewusstsein, auf einer geringeren Stufe der Leidensfähigkeit anders gewesen? Dreimal Marathon ergibt insgesamt 126 Kilometer. Trotz (oder vielleicht gerade wegen) der Ruhepausen zwischen den Einzelläufen, eine knallharte Ultradistanz, da beißt die Maus keinen Faden ab. Psychisch scheine ich jedoch ein gutes Rezept gefunden zu haben, um meine Zuversicht dauerhaft zu konservieren: Ich denke nur in Abschnitten des aktuellen Marathons! Das war schon beim ersten heute Morgen so. Und Marathon ist „nicht wirklich weit“ - eine überschaubare Distanz für Ultras. Zum zweiten Mal mache ich heute die Erfahrung, dass es nach der Halbdistanz mental leichter wird. Dass ich schon lange vor dem Ziel beinahe „vergnügt“ mit Rückwärtszählen beginne: Nur noch 19, 18, 17, 16, 15 … Kilometer. Und jedes Mal spüre ich einen Hauch von „Bald-geschafft!“. Dass danach ein weiterer Marathon meiner harrt, spielt irgendwie keine Rolle.

Kilometer 28: 90 Grad nach rechts und - diesmal in Deutschland - an einem Kanal entlang. Stilles, moorig dunkles Wasser. Fließt es? Höchstwahrscheinlich nicht. In einer Landschaft bar jeglicher Höhenunterschiede bleibt nur die Anziehung des Mondes als treibende Kraft. Die blauen Markierungspfeile wurden aufs Zickzack-Pflaster des Gehweges gesprüht. Ich bleibe vorzugsweise auf dem betonierten Fahrweg, weiche den wenigen vorbeifahrenden Autos aus. Verlaufen werde ich mich nicht, meistens habe ich voraus einen, manchmal zwei Mitläufer im Blickfeld.

Kilometer 29, 30, 31: Der Kanal will nicht enden. Muss er auch nicht, längst ist mir einerlei, woran entlang ich die Kilometer einsammele. Bald werde ich einen Läufer einholen. Ein seltenes Geschehen, bei so wenigen Teilnehmern. Offensichtlich gehen Rico - inzwischen habe ich den hoch aufgeschossenen, schlanken Kerl erkannt - die Kräfte aus. Abschnittsweise geht er, um sich zu schonen. Die Läufer- und insbesondere die Ultrawelt ist klein: Das letzte Mal trafen wir uns 1.200 Autokilometer weiter südlich in der Steiermark, wo wir nach Marathondistanz und 1.730 Höhenmetern die schöne Sommeralm erreichten … „Wandertag!“ raunt Rico mir zu und lächelt, als ich in Höhe eines Torfwerkes (Moorlandschaft ringsum!) an ihm vorbeilaufe. Es beruhigt mich, dass es ihm lediglich an Ausdauer gebricht, er nicht von Schmerzen oder einer Verletzung geplagt wird.

Kilometer 32: Verpflegungspunkt zwei. Gel und Getränke, noch bekomme ich beides ohne Schwierigkeiten und mit nur minimalem Zeitverlust runter. So lange das noch „flutscht“, bin ich nicht wirklich müde! Kurz hinter dem VP endet die lange Kanalgerade (4 km!). Wenn ich dem Wind glauben darf, bewege ich mich nun wieder ziemlich genau ostwärts. Der alle paar Meter mieser werdende Straßenbelag verläuft zwischen Gewerbeansiedlungen und einem „neuen“ Kanal. Diesmal eine ausgewachsene, unter Garantie schiffbare Wasserstraße. Jeden Moment erwarte ich ein Binnenschiff zu sichten, doch die Wasserfläche bleibt einstweilen leer. Ende Gewerbegebiet, ein Sträßchen überqueren, dem Kanalufer weiter folgen und … Oh nein, das hätte ich nun wirklich nicht gebraucht: Ein geschotterter, kaum benutzter Weg, voller Pfützen! Gräser und Büsche engen die Laufspur ein und für die nächsten Minuten trachte ich einzig danach trockene Füße zu behalten und nicht auszurutschen. Nur 1,5 ziemlich anstrengende Kilometer, die mir in der Endphase von M2 allerdings viel länger vorkommen.

Ein Schiff tuckert hinter dichten Hecken also weitgehend unsichtbar für mich vorbei. Als ich zwei Minuten später dem glitschigen Weg über eine Kanalbrücke entkomme, ist der Lastkahn bereits kaum noch in Richtung Westen auszumachen. Ich überhole eine holländische Amazone auf der Brücke. Dass sie Niederländerin ist, höre ich jedoch erst als sie mir auf meine Frage antwortet, um was für einen Kanal es sich hier handelt*. Sie weiß das zwar auch nicht, findet ihn aber „schön“. „Schön“ finden meine Füße vor allem, dass sie auf der anderen Uferseite wieder einen asphaltierten Radweg vorfinden und in ihren gewohnten Trott zurückfallen dürfen …

*) Ich laufe am „Küstenkanal“ entlang, einer Schifffahrtsstraße, die die Ems im Westen mit der Hunte in Oldenburg verbindet. Über die Hunte gelangen die Schiffe in die Weser.

Ich vermied es darüber zu lamentieren, aber natürlich spüre ich die vielen Kilometer inzwischen heftig in allen Bestandteilen meines Bewegungsapparats. Im Chor der Beschwerden gibt es keinen auffälligen Solisten. Jedenfalls nicht länger als für ein paar Schritte. Mal zieht’s im Po, dann sticht’s an der Großzehe, bald meckert die Achillessehne. Der übliche orthopädische Singsang, wenn ich schon ein paar Stunden unterwegs bin …

Meiner Freude über den nach wie vor konstanten Bewegungsablauf habe ich auch schon eine Weile keinen Ausdruck mehr verliehen. Es scheint da eine Instanz in meinem Nervensystems zu existieren, die arbeitet wie ein „Tempomat“. Seit langer Zeit achte ich kaum noch auf die Pace und schon gar nicht nehme ich bewusst Einfluss darauf. Wenn ich dann doch mal wieder einen verzögerungsfrei gelaufenen Kilometer kontrolliere, steht irgendwas zwischen 6:03 und 6:18 min in der Anzeige …

Kilometer 38: Läufer mit Hund. Beide kenne ich, begegnete ihnen heute schon mehrfach an den Strecken. Sie gehören zu einer Läuferin, die irgendwo hinter mir unterwegs ist. Offensichtlich erledigen die beiden nun ihr Fitnessprogramm und laufen Frauchen mit der Trinkflasche entgegen. Kurzer Gruß und weiter. Nur noch vier Kilometer bis Esterwegen, dem zweiten Marathonziel. Nach gut zwei - natürlich wieder schnurgeradeaus führenden - Radwegkilometern wendet sich die Strecke vom Kanal ab und … Ines zu! Ich hatte nicht erwartet sie vorm Ziel noch zu sehen, doch da steht sie, schießt eine Fotoserie und baut mich für die letzten Kilometer zusätzlich auf …

Was ich durchaus brauchen kann, zumindest auf dem letzten Kilometer. Auf dem lerne ich einen so genannten „Geestrücken“ kennen (Link zu Wikipedia). Bestimmt gucke ich wie ein Eichhörnchen, wenn’s blitzt, als sich die geradlinige Dorfdurchfahrt einfach so zur Rampe erhebt. Ein „Berg“ mitten in emsländisch-friesischer Plattheit??? Mein GPS-Knecht registriert lediglich 20 bis 25 Meter Höhenunterschied, verteilt auf mehr als einem halben Kilometer Weglänge. Also nichts, was einen berglauferfahrenen Ultra aus der Ruhe bringen könnte. Trotzdem spüre ich nach nun grob geschätzt 100.000 Laufschritten diesen Anstieg heftig in den Beinen. Er treibt mir den Schweiß aus allen Poren und raubt Sekunden. Langsam, im Zeitlupentempo, verkürze ich den Abstand zu einem Läufer vor mir. Es liegt mir nichts daran zu überholen. Ich will einzig meinen Trott durchziehen, um das nun durchaus spürbare finale Leiden zu beenden. Mit dem Ziel bereits in Sichtweite laufen wir auf gleicher Höhe. Um nicht überholt zu werden, zieht er unvermittelt einen Schlussspurt an. Natürlich könnte ich dagegen halten. Aber wozu? Um unter „ferner liefen“ bei M2 einen Platz weiter vorne zu stehen? Und abgerechnet wird zum Schluss. Wer welche Platzierung einnimmt, entscheidet sich definitiv auf der Strecke von M3! - Letzte Schritte und mit Ines’ Beifall (und dem einiger Schlachtenbummler) ins Ziel!

Zeit M2: 4:24:40 h,   Platzierung: 14,   Finisher gesamt: da waren es nur noch 56


Marathon drei: Mal sehen, was noch geht!

Gut eindreiviertel Stunden liegt das M2-Finish zurück und zumindest einen Fehler habe ich in der Pause vermieden: Mir den Magen randvoll zu hauen. Ich beschied mich mit einer kleinen, gemessen an meinem üblichen Essgebaren sogar sehr kleinen Portion leckerer Pasta. Der Bauch sendet also bei den ersten Schritten durchaus gutwillige Signale. Unfassbar dagegen für Muskelfasern, Sehnen und Gelenke, dass sie nun Anlauf zu einer dritten „Trainingseinheit“ nehmen sollen. Ich will es nicht dramatisieren, aber es tut höllisch weh. Jedoch nicht auf eine beunruhigende Weise. Präziser erläutern kann ich das nicht. Schmerz zu beschreiben ist infolge begrenzten Wortschatzes und weil ihn jeder anders empfindet an sich schon schwierig. Und welche Harmonie im Konzert der Beschwerden mich mit der Aussage „Keine Angst, verletzen wirst du dich nicht!“ versorgt, vermag ich mir nicht einmal selbst zu verdeutlichen.

Es tut weh. Wie erwartet. „Erfüllte Erwartung“ muss der Grund dafür sein, dass mich der Anlaufschmerz dieses Mal weniger lange drangsaliert, ich viel rascher wieder auf Touren komme. Praktisch von Beginn an setze ich mich auf eine Position im ersten Viertel des Feldes. Nicht weil ich so unerhört schnell unterwegs wäre. Das Gros der Triple-Schar scheint jedoch noch fußlahmer unterwegs zu sein als ich. Bereits nach ein, zwei Kilometern finde ich in lockeren Trott zurück und - als wäre nichts gewesen - der „körpereigene Tempomat“ produziert wieder haargenau dieselbe Pace. Auftaktkilometer: 6:37, 6:01, 6:06, 6:04, 6:08 …

Von Beginn an hege ich keine Bedenken, dieses Triple, wie vorgesehen, zu beenden. Ich rechne mit einem Einbruch - irgendwann -, jedoch nicht allzu bald. Bedenken gibt mir eher der Himmel ein, vor allem die dunkelgraue Gewitterwand hinter mir. Der Wind scheint das Unheil genau in meine Richtung zu blasen und wenn ich mich umdrehe fühle ich mich verfolgt … Tatsächlich beginnt es nach etwa drei Kilometern zu tröpfeln. Mental igle ich mich schon mal ein: ‚Los Udo! Kappe auf und durch!’ …

Es tröpfelt … und tröpfelt … Der Kurs verzweigt von der Straße auf einen Feldweg und urplötzlich stoppe ich vor einer Kanalbrücke … Es tröpfelt … Ich stehe wirklich und suche einen Aus- oder genauer gesagt: Weiterweg. Eine ozeangroße Pfütze blockiert die Brücke in voller Breite. Einzige Chance, die ich dann auch nutze: Am Eisengestänge des Geländers festhalten und auf dem Geländerfundament zur anderen Seite balancieren … Es tröpfelt immer noch …

Jenseits der Brücke folge ich dem Kanalufer. Untergrund sandig, aber fest. - Was das für ein Kanal ist? Keine Ahnung und es interessiert mich auch nicht die Bohne. Irgend so ein Kanal halt, vielleicht 20, höchstens 30 Meter breit. Er weckt schon deshalb kein Interesse, weil er drei Minuten später in einen viel breiteren Wasserlauf rechtwinklig einmündet.* Ebendiesen rechten Winkel nach Osten nimmt auch unsere Route. Im ufernahen Wald, mit gelegentlichen Ein- und Durchblicken zum Wasser trabe ich in der Folge endlos lange dahin. Untergrund zunächst fest, jedoch nicht asphaltiert. „Endlos lange“ ist natürlich nur eine gedankliche Chimäre, geboren aus geradliniger, länger anhaltender Vorwärtsbewegung, während der sich die Umgebung keinen Deut verändert. Aber auch das nehme ich unbeeindruckt hin. Meinetwegen könnte es bis zum Ziel in „Wardenburg“ so weitergehen. Völlig egal. Wer es gewohnt ist 12 oder 24 Stunden im stets identischen kleinen Hamsterrad Kilometer zu sammeln, den kann keine Form von Streckenmonotonie mehr umhauen!

*) Bei dem breiten Kanal handelt es sich wieder um den unter M2 bereits beschriebenen „Küstenkanal“ von der Ems bis zur Hunte, siehe oben.

Ach ja, ehe ich es vergesse: Petrus hat entschieden mich heute nicht mehr mit Wasser von oben zu belästigen und das Tröpfeln eingestellt. Wieder wird mich Ines im Ziel ungläubig anschauen, weil sie auf ihrer Fahrt einmal mehr einen Wolkenbruch erlebte und mich im selben Schicksal wähnte …

Erkenntnisse vor, an und nach der ersten Verpflegungsstation (Kilometer 10,5): Es war auf den letzten Kilometern recht kühl im Uferwald des Kanals. Dem geringen Schweißverlust Rechnung tragend trinke ich deshalb erst am VP. Dafür mehr. Zusätzlich zwei Gels und nach langen drei Minuten mache ich mich wieder auf den Weg. Und das ist hart. Richtig: Wiederanlaufschmerz! Doch nicht allein der beutelt mich: Ich friere erbärmlich und bin kurz davor in haltloses Schlottern zu verfallen. Kenne ich: In nassen Klamotten und ausgekühlt nach der Pause will Erschöpfung mich zittern lassen. Schafft sie aber nicht, weil ich mich laufend wieder aufwärme. In diesen Minuten reift der Entschluss zwischen den VP nicht mehr aus den mitgeführten Flaschen zu trinken. Die wachsende Abendkühle sollte die Dehydrierung in Grenzen halten.

Zu Fotos raffe ich mich nur noch selten auf, weil mir kaum Dokumentierwürdiges vor die Linse kommt. Der Radweg begleitet die Straße, auf der dann und wann Autos vorbeizischen. Rechts und links wechseln sich Felder und Wälder ab, nichts, was mein Auge in besonderem Maße reizen würde. Es wird auch zunehmend unwahrscheinlicher, dass ich Reizvolles entdecke, weil mein Blick meist stur auf denselben Fleck gerichtet ist, drei, vier Meter vor den Füßen.

Das Tempo checke ich unterdessen überhaupt nicht mehr. Es fühlt sich an, als hielte ich - oder besser: der Tempomat - die Geschwindigkeit konstant. Die Pace zu konservieren fällt mir nicht leicht, aber auch nicht so schwer, dass ich einen baldigen Einbruch befürchten würde. Hätte ich die Anzeige meines GPS-Knechtes beachtet, wäre mir aufgefallen, dass ich mehrmals Kilometer sogar unter 6 min beende. Vielleicht hätte ich mich gebremst, wahrscheinlich hätte ich „es“ aber einfach geschehen lassen. Mein neuer Freund beschert mir dieses flotte Vorwärtskommen. Es steht außer Frage, dass ich - was immer auch am Ende an Zeit zu Buche stehen wird - die vergleichsweise hohe Pace ohne Rückenwind nicht hätte realisieren können.

In meinem Rücken senkt sich die Sonne dem Horizont entgegen und vor mir, VP2 ist nicht mehr weit entfernt, geht sie gerade auf. Da steht Ines, fotografiert und jubelt. Mit erhobenen Händen signalisiere ich ihr: Alles in Butter! Abklatschen und weiter …

Von Beginn dieses dritten Marathons an geschieht, womit ich im Vorfeld rechnete: Wenn es mir gelingt mein Tempo über alle drei Läufe einigermaßen konstant zu halten, werden am Ende nicht mehr viele vor mir sein. Tatsächlich sammele ich seit dem Startschuss immer wieder Läufer ein, die während M1 und M2 ihre Akkus zu tief entluden und nun schwächeln. Bedauerlich für sie, motivierend für mich, denn ihre Schwäche ist mir mentaler Treibstoff.

VP2: Trinken, Trinken, Trinken, Gel und noch ein Gel. Und wieder los … Wenn das mal so einfach wäre! Alle Fasern schreien Zeter und Mordio. Und fast noch schlimmer: Ich beginne zu zittern. Es fühlt sich an, als würde mir die Kälte vor allem in den nassen „Schädel kriechen“. Also Kappe raus und aufsetzen. Das hilft ein bisschen, weil der „Fahrtwind“ nun nicht mehr die klatschnassen Haare erreicht. Hundert Meter, zweihundert, dann beginnt die Wärme der beim Laufen verbrannten Kalorien mich wieder aufzuwärmen … Den Rest besorgt Ines. Als hätte sie mein Schlottern erahnt, steht sie keine zwei Kilometer hinter der Tränke und spendiert mir ein wärmendes Lachen …

Weitere zehn Kilometer trennen mich vom nächsten VP. Was ich in der guten Stunde bis dorthin zu sehen bekomme, hinterlässt nullkommanull Bilder im Kopf. Nichts. Rien. Nothing. Fotos, die meine Erinnerung auffrischen könnten, entstehen nicht. Kein einziges mehr bis ins Ziel. Lediglich eine Veränderung der „Laufbedingungen“ und einen kurzen Wortwechsel, irgendwo dort, gilt es zu vermelden. Geänderte Laufbedingung: Mehrmals rauf und wieder runter, sanft, nichts wirklich Forderndes … Vermutlich diverse „Geestrücken“, die die letzte Eiszeit hier zurückließ, um müde Läufer noch ein Quäntchen tiefer in die Erschöpfung zu treiben ...

Ein hoch gewachsener Läufer ist an meiner Seite. Über mehrere Kilometer verkürzte ich die Distanz zu ihm. Er scheint immer müder zu werden. „So richtig Spaß macht das aber auch keinen mehr!“ meint er dann. Zwei, drei Schritte später, für meine Verhältnisse also recht spontan, entgegne ich: „Davon stand nichts in der Ausschreibung, dass das Spaß machen soll!“ Wir schmunzeln. Jetzt und lange nach dem Zieleinlauf, als wir uns gegenüber sitzen und uns den Moment noch einmal ins Gedächtnis rufen …

Das war’s und damit zu VP3: Schon vor dem Verpflegungsintermezzo bin ich davon überzeugt M3 nicht unter 4:30 Stunden finishen zu können. Die Härte, mit der mir stetes Traben auf den letzten Kilometern zusetzte, lässt mich glauben an Tempo verloren zu haben. Und das ist falsch. Als unmittelbare Folge davon vertrödele ich Zeit, zwinge mich nicht so rasch wie möglich die Schluckprozeduren zu Ende zu bringen. Ewig lange fünf Minuten brauche ich, um mir zwei Gels einzuverleiben und die erforderliche Menge Wasser, Cola und Bier hinterher zu schütten.

Als ich mich schlussendlich auf den Weg mache, liegen 4:30 Stunden tatsächlich außer Reichweite, was mir jedoch einigermaßen schnuppe ist. Das wichtigere Ziel war insgesamt nicht mehr als 13:30 Stunden zu brauchen und diese Marke ist nicht in Gefahr. Ich muss nur unter 4:40 Stunden das Ziel erreichen. Das komfortable Zeitpolster zwischen beiden Prognosen, unter 4:30 nicht mehr möglich und unter 4:40 nicht in Gefahr, lähmt meine Beine. Wozu sich jetzt noch verausgaben, wenn das „Trainingsziel“ auch mit weniger Einsatz erreichbar ist? Weitere Bremswirkung geht vom Läufer und seiner Radbegleitung vor mir aus. Er brach etwa eine halbe Minute früher vom VP auf als ich und nun habe ich einfach keine Lust die Distanz zu verkürzen …

Aber ich habe Lust darauf Ines zu sehen, die nur ein paar hundert Meter hinterm VP an einer Einfahrt wartet. Wieder signalisiere ich „alles in bester Ordnung“ und wieder schenkt sie mir ihr strahlendes Lächeln. Noch eine Stunde etwa bis zum Zielstrich und nun kann mich absolut nichts mehr aufhalten …

Traben, trotten, tippeln - stoisch voran. Wenn ich den Blick um ein paar Grad hebe, was nur selten passiert, sehe ich den vor mir aufgebrochenen Läufer samt Begleitung. Unser Abstand verändert sich nicht. Zunächst. Daran liegt mir auch nichts. Meine Beine haben einen Rhythmus gewählt, der mir die letzten Kilometer einigermaßen erträglich gestaltet. Was sich in der Welt etwa einen Meter links oder rechts von mir abspielt, bekomme ich höchst selten mit. Dazu muss ich Interesse entwickeln, den Kopf heben und drehen. Drei Tätigkeiten, die eine Willensanstrengung voraussetzen, zu der ich mich nur selten aufraffe. Noch 30 Minuten. Endlos lange Radwege, kaum Richtungsänderungen. Egal. Hauptsache glatten Beton oder Asphalt unter den Füßen. Das schont meine Kraftreserven und ich muss kein finales Stolpern samt Hinschlagen befürchten. Wäre ja nicht das erste Mal in diesem Jahr ...

Noch vier Kilometer, die ersten Häuser. Ob das schon „Wardenburg“ ist? Ein Ortsschild gibt es nicht. Schließlich biegen wir in eine Seitenstraße ab, noch drei Kilometer. Wir meint den Läufer vor mir, seine Begleitung und mich, zwischenzeitlich nur noch ein paar Schritte dahinter. Da ich mein Tempo nicht verändert habe, muss er langsamer geworden sein. Das war klar: Zum Abschluss noch einmal Zickzack-Pflaster und das im Büchsenlicht der Abenddämmerung. Also noch mal konzentrieren, bloß nirgendwo mit schlappend müden Füßen hängen bleiben … Der Blick zur Uhr stellt mich zufrieden: Ich werde eindeutig unter 4:40 Stunden das Ziel erreichen. - Ein paar hundert Meter davor ist es dann so weit: Wir laufen beide fast gleichauf. Aber das gefällt ihm nicht und so legt er einen kurzen Zwischenspurt ein. Soll er. Mir steht nach 126 Kilometern nicht der Sinn nach Endspurt und finalem Wettstreiten. Hinter Häuserreihen höre ich bereits den Kommentator, es kann nicht mehr weit sein. Seit ein paar Minuten sind Anstrengung und Schmerzwahrnehmung in den Hintergrund getreten. Nicht mehr wichtig. Ich freue mich riesig auf den Zieleinlauf. Drei Marathons an einem Tag geschafft!!! Noch mal rechts rum und dann beende ich freudestrahlend Marathon Nummer 166 …

Zeit M3: 4:33:48 h,   Platzierung: 7,   Finisher: 50

Gesamtwertung:

Laufzeit: 13:23:19,   Platzierung: 10,   Finisher aller drei Marathons: 43

 

Fazit zur Veranstaltung

Der Triple Marathon erfordert einen gewaltigen logistischen Aufwand. Es wäre müßig alle Leistungen, die für die Teilnehmer erbracht werden oder ihnen zur Verfügung stehen hier aufzuzählen. Dafür verweise ich auf die Homepage des Triple Marathon. Alle Belange waren bestens geregelt. Es fehlte an nichts. Und für die Verpflegung vor und nach den jeweiligen Marathons kann man nur das Prädikat hervorragend vergeben.

Die Strecken muss man mögen. Am meisten Reize weist noch der erste, vollständig in den Niederlanden gelaufene Marathon auf. Wer mit geschätzt 97 % Asphalt, Beton und Zickzack-Pflaster hadert, sollte sich den Lauf nicht antun. Ebenso wenig jene, deren „mentale Festigkeit“ für Endlosgeraden (noch) nicht ausreicht. Was mich angeht, so behalte ich das Triple im Auge. Wo kann man schon drei Marathons an einem Tag laufen?

Zusammenfassung: Ganz ausgezeichnet geplante und durchgeführte Veranstaltung. Die Herzlichkeit aller Helfer und der Veranstalter waren sehr angenehm. Überzeugt hat mich auch das Sicherheitskonzept in Form der begleitenden Sanitätsfahrzeuge. Bei Gelegenheit jederzeit wieder!

Hinweis: Der Triple Marathon von Eelde in den Niederlanden, nach Wardenburg in Deutschland findet nur alle zwei Jahre statt.

 

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