Den Überblick verloren!   –   Fichtelgebirgsmarathon 2014

Ein paar Minuten bleiben noch. Ich streune ein bisschen im Startareal des Fichtelgebirgsmarathons herum. „Das ist ja richtiges Aprilwetter!“ höre ich einen der Buntgekleideten sagen. Er meint Regen und Sonne im Wechsel. Kurz vorm Bustransfer, noch in Wunsiedel, ging ein Regenschauer nieder und ließ auch mich befürchten, heute nicht nur schwitzend nass zu werden. Dann lösten sich die fetten Regenwolken auf und nun, hier in Weißenstadt, am gleichnamigen See, verwöhnt uns die Sonne aus blauem, vielversprechendem Himmel. Mit Aprilwetter hat das allerdings nicht mehr gemein, als den Wechsel von Regen zu Sonne. Vermutlich bleibt uns die Sonne nun treu. Außerdem ist es zu warm (ca. 17°C kurz vor halb neun Uhr) und auch ein bisschen schwül. Im 130 Köpfe starken Teilnehmerfeld regieren Optimismus und gute Laune, von denen ich mich anstecken lasse. „Nur“ ein Marathon heute und nicht mal barbarisch viele Höhenmeter. Wie viele Höhenmeter? Weiß ich nicht. 1.000 oder so*. Ist mir auch egal. 42 Kilometer und kein strenges Profil – darin steckt in meiner augenblicklichen Verfassung wahrlich kein „Drohpotenzial“. Ich gehe auch in diesen Marathon ohne Erholung, aus vollem Training heraus. Erst in der nächsten Woche darf ich kürzer treten und mal wieder bei weniger Wochenbelastung regenerieren.

*) Tatsächlich sind es „über 800“ Höhenmeter (offizielle Angabe des Veranstalters; genauere Angabe liegt mir nicht vor).

Ein Zeitziel habe ich nicht. Wie auch, wenn man nicht mal die Streckenanforderungen genau kennt. Vermutlich werde ich wegen fehlender Erholung und Höhenmetern viereinhalb Stunden brauchen – plus/minus. Schön vorsichtig und keinen „Hax’n“ ausreißen! Dieses Motto setze ich dann auch gleich nach dem Start auf der Seerunde um. Ein herrlicher Auftakt zum Warmlaufen. Herrlich, weil flach entlang schönster Aussichten auf See, Stadt und Höhen des Fichtelgebirges. Die Seerunde (ca. 3,8 km) kenne ich sehr gut, kreiste hier 2007 anlässlich des Weißenstädter 6h-Laufs. Die nach und nach wiederentdeckten, auf der durchweg asphaltierten Seepromenade aufgesprühten Weitenangaben spülen Erinnerungen ins Bewusstsein. Vor allem an bekannte Ansichten, die einzuprägen ich damals 16 Runden (~ 65 km) lang Zeit hatte. Erst der Kurpark mit Kinderwasserspielplatz, dann am Campingplatz vorbei, anschließend durch die von Schilf geprägte sumpfige Zone, schließlich auf der Gegenseite mit Blick nach Weißenstadt.

Die ersten drei Kilometer verbringe ich mit Erinnern und körperlichem Erwachen. Endlich eingelaufen fühle ich mich weder stark noch schwach. Erfreulicherweise kein Mucks aus der Abteilung Knochen, Gelenke, Sehnen. Auch nicht seitens der zuletzt häufig mosernden „Adduktoren rechts“, ein Souvenir vom Mozart100 in Salzburg (100km-Lauf, siehe Laufbericht). „Du bist ja jetzt schon total nass!?“ wundert sich ein Begleitradler, der statt reizvoller Landschaft meine offensichtlich noch attraktivere Gestalt zu mustern scheint. „Das ist bei mir immer so!“ Keine Ahnung, weshalb ein nach 10 Minuten schweißfeuchter Läufer überhaupt der Erwähnung wert ist und noch weniger Ahnung, weshalb ich antworte (Höflichkeit?). Stimmt schon: Ich schwitze erheblich mehr als die meisten anderen Menschen. Das ist einerseits lästig, weil es entsprechend mehr zu trinken und ständig die „Brühe“ aus dem Gesicht zu wischen gilt. Zudem bin ich frühzeitig mit triefnassen Klamotten unterwegs. Andererseits garantiert starkes Schwitzen eine jederzeit optimale Kühlung. Vielleicht laufe ich deshalb so gern, wenn es mollig warm ist und die Sonne ihr strahlendstes Lächeln zeigt …

Den See im Rücken und sofort beginnt die Steigung. Sehr moderat allerdings, ideal um den Stoffwechsel schonend auf den höheren Energiebedarf umzustellen. Bis zum Schneeberggipfel (1.051 m) wird es nun ununterbrochen aufwärts gehen. Alsbald umringt von Fichten, was niemanden in einer Region, die sich „Fichtelgebirge“ nennt, wundern wird. Zwischen Millionen von Fichten war ich vor genau einer Woche auch unterwegs, im Erzgebirge, beim Sachsentrail. Obwohl Luftlinie nur etwa 70 km vom Erzgebirge entfernt, besitzt die Fichtelgebirgslandschaft einen eigenen Charakter. Besser erschlossen und von Land- und Waldwirtschaft intensiver genutzt, fehlen ihr Einsamkeit und Weite des Erzgebirges. Auch die ausgedehnten Wiesen, mit denen sich der Wald die Höhenrücken des Erzgebirges teilen muss, werde ich hier nicht antreffen. Das Fichtelgebirge wirkt auf mich „heimeliger“, milder, strahlt mehr Geborgenheit aus. Subjektive Eindrücke – zugegeben –, aber von tatsächlich vorhandenen An- und Aussichten geprägt.

Steiler bergan jetzt und kaum einer geht. Dafür ist es noch zu früh. Meist umfängt mich kühlender Schatten, der mich den Scheibenwischer recht sparsam einsetzen lässt. Mal wieder flacher, ein Stück auch in leichtem Gefälle, dann wieder fordernd aufwärts. Erfreulich und erstaunlich: Ich fühle mich kein bisschen müde; als hätte ich die ganze Woche eine ruhige Kugel geschoben und nicht schon über 70 Trainingskilometer zum Weißenstädter See mitgebracht. Besonders in den steileren Abschnitten sammele ich Mitläufer ein. Logik diktiert meine Gedanken: ‚Irgendwann müssen sich die beinharten, extrem langen und mit zig Höhenmetern gespickten Trainingswettkämpfe ja auszahlen!’ Das mag stimmen, kann aber nur die halbe Wahrheit sein. Schlappe ich mal nicht zu Beginn eines Trainingswettkampfs mit der üblichen Beinschwere mangels Erholung durch die Gegend, muss ich zugleich einen ausgesprochen guten Tag erwischt haben.

Iso trinken, zwei, drei Becher und weiter auf eine breite, zunächst schnurgerade verlaufende Asphaltstraße. Sie steuert fordernd aufwärts und weithin einsehbar auf die Erhebung des Schneebergs zu. Mancher Mitläufer wird sich wundern, wer mitten in schützenswerter Natur bis offensichtlich zum Gipfel eines Berges eine derart breite Straße baut!? Ich frage mich das nicht, weil ich es weiß. Schon auf der Seerunde kann man den auf dem Schneeberggipfel errichteten Fernmeldeturm ausmachen. Was darin heute vor sich geht, entzieht sich meiner Kenntnis. Bis zum Zusammenbruch des Warschauer Pakts residierten darin allerdings Soldaten der Bundeswehr – der Luftwaffe, um genau zu sein –, die mit ihren Antennen alle Wellenbereiche abhorchten. Die aufgezeichneten Nachrichten – oft nur kommunikationsfreie Wellenspektren – wurden von Spezialisten ausgewertet. Im Kalten Krieg versuchte man auf diese Weise möglichst viel über Stärke, Gruppierung, Bewaffnung und andere „Eigenschaften“ des gegenüber liegenden potenziellen Feindes heraus zu finden.

Ein bisschen fühlt es sich an als wüchsen mir Flügel. Kann kaum fassen mit welcher Leichtigkeit ich diesen Anstieg nehme. Soll ich mich zurückhalten? Zu Beginn eines Marathons weißt du nie, wie weit deine Kräfte reichen werden. Und das letzte Wettkampfdrittel unter Höllenqualen zu leiden, brauche ich wirklich nicht jede Woche … Letztendlich halte ich das Tempo. Mein Körper funkt heute eindeutige Signale anhaltender Stärke. Wissen kann ich’s natürlich nicht, ahne jedoch, dass das bis ins Ziel so bleiben wird. Die Steigung gibt sich dauerhaft erträglich und diesen Asphalt unter den Füßen zu spüren bereitet mir nach Wochen anspruchsvoller bis üblelster Trails unheimlich Freude. Zum Gipfel hin beschreibt die Straße alsbald einen weiten Bogen (ca. 1,5 km), einem Halbkreis nicht unähnlich. Schilder mit anspornendem Aufdruck künden vom baldigen Ende des Anstiegs. Erst: „Nicht mehr weit zum Gipfel, 500 m, auf geht’s!“ Schließlich: „Zum Gipfel nur noch 100 m. Endspurt!“ Und dann wächst der „hellgraue Spargel“ mit der unverkennbaren Verdickung in der Mitte, der Fernmeldeturm, langsam vor mir aus dem Boden. Mehr als die Aufschrift eines Banners: „Super! Du bist der Gipfelstürmer!“ belohnt mich Genugtuung über die spielerische Leichtigkeit, mit der ich die 450 Höhenmeter vom Weißenstädter See hier rauf bewältigen durfte.

Ein paar ebene Meter auf dem Gipfelplateau und die nächste Tränke. Keine drei Kilometer liegt die letzte zurück, was auf besondere Fürsorge für die Läufer schließen lässt. Ein weiteres Plus auf der Habenseite einer Veranstaltung, die mich schon bisher mit der Präzision der Abläufe und die zuvorkommende Art aller Helfer zu überzeugen wusste. Ein Becherchen Iso und weiter, in Richtung des tiefen Basses, wie ihn sonst nur dröhnende Nebelhörner von sich geben. Hier oben gibt’s nie Schiffe und heute keinen Nebel. Zudem schallt mir aus dem Horn Melodisches entgegen. So vereinzelt wir vorbei traben, so individuell bekommt ein jeder „den Marsch geblasen“. Zwischendurch schont der Alphornist Lunge und Backen, bis wieder ein bunter, schwitzender Marathoni auf ihn zu steuert …

Dass wir jenseits des Schneebergs ziemlich lange würden bergab rennen dürfen (müssen?), hatte ich mir beim flüchtigen Blick auf das Streckenprofil eingeprägt. Aber nicht sooo lange und sooo weit. Nach zehn Gefällekilometern – insgesamt ziemlich genau dem Halbmarathon – entlässt mich der Wald rund um den Schneeberg in eine weite von Sonne durchflutete Mulde. Zehn Kilometer abwärts, die in Knie und Sehnen unüberfühlbare Spuren hinterließen, was ich mir unumwunden eingestehe. Meine Schuld? Wessen Schuld wohl sonst? Immerhin meinte ich die Gunst der (Gefälle-) Stunde nutzen und Zeit aufholen zu müssen, die im Anstieg liegen blieb. Zwei Umstände plädieren allerdings auf Freispruch oder wenigstens milderne Umstände für Udo: Ich rannte definitiv nicht der Vier-Stunden-Marke hinterher! Mit der hatte ich schon im Anstieg abgeschlossen. Dass die Uhr nach wilder Hatz bergab in Höhe Halbmarathon ziemlich genau 2:03 h anzeigt, erklärt noch einmal jedweden Angriff auf Sub4h zum groben Unfug. Drei Minuten wären kaum aufzuholen, zumal ich auf der zweiten Streckenhälfte wahrscheinlich ein bisschen einbrechen werde …

Ich wollte bergab so flüssig wie möglich laufen und dabei möglichst wenig Energie zum Bremsen verwenden. Bei jedem Bremsschritt muss der Bewegungsapparat unnötig viel Energie kompensieren. Sie verpufft vor allem dort, wo im Körper Dämpfung eingebaut ist, in Gelenken und Sehnen beispielsweise, die dadurch übermäßig beansprucht werden. Aus der Absicht Energie in Tempo (= längere Schritte) umzusetzen lässt sich also eine gewisse Schonung dieser Körperpartien schlussfolgern. Beim Aufsetzen der langen Schritte lastet zwar vergleichsweise mehr Körpergewicht pro Schritt, dafür aber nicht so oft. Mit Messungen kann ich es nicht belegen, habe mir auch nie die Mühe einer Recherche gemacht, fühle mich aber bei flottem, flüssigem Bergablaufen orthopädisch eindeutig weniger „ramponiert“. Freispruch also: Meine „Knochen“ jammern zwar, aber der Protest wäre lauter, hätte ich besagte 10 km abwärts tippelnd und bremsend verbracht.

Zu sehen gibt’s außer dichtem Nadelwald in allen Wachstumsstufen wenig, seit ich das Gipfelplateau verließ. Tiefblicke? Fehlanzeige, mit einer oder zwei Ausnahmen. Ein paar Minuten unterhalb des Gipfels signalisiert ein schlanker Findling die 1.000 Höhenmetermarke. Und kurz vorm Verlassen des Waldes gefällt eine Gruppe Felsen, die, zum Brunnen arrangiert, eine Quelle malerisch einfassen.

Am Waldrand ist die tiefste Stelle der Mulde noch lange nicht erreicht. Nach ein paar hundert Metern Wiesen und Felder durchqueren wir Leupoldsdorf. Der Ort hat ein auf den ersten Blick merkwürdiges Denkmal zu bieten: Auf einem Stück Bahndamm samt Schiene steht ein alter Eisenbahnwaggon, dereinst vermutlich für Holztransporte verwendet. Riskiert man auch noch Blick zwei und drei und richtet dabei die Augen auf den Weg vor sich, dann ist das Eisenbahnrätsel rasch gelöst: In dem fein geschotterten, verdächtig weite Kurvenradien beschreibenden Radweg vermute ich den Rest einer aufgelassenen Bahnstrecke (was die spätere Internetrecherche bestätigt).

Per alter Bahntrasse fährt der „Marathonzug“ nach wenig mehr als anderthalb Kilometern in die nächste Ortschaft ein, die ein Ortschild als „Tröstau“ identifiziert. Was hat Tröstau den Kämpfern Tröstendes zu bieten? Ein paar Interessierte, die unsere bisherige Laufleistung mit starkem Beifall quittieren. Treppenstufen einer Unterführung, die der über den ganzen Ort als Streckenposten verteilten Feuerwehr wenigstens die Absicherung der Hauptstraße erspart. Ich staune über den enormen Aufwand an Mensch und Material – hunderte Meter Trassenband, ungezählte Pylone – hinter dem man sich als Läufer hier so sicher fühlt, wie in Abrahams Schoß. Absolut vorbildlich! Schon vorm Ortsausgang steigt die Straße an, beginnt der zweite, allerdings weniger lange Daueranstieg. Entlang kurz geschorener Grüns eines ausgedehnten Golfplatzes gewinnen wir zunächst sanft, kurzeitig aber auch fordernd an Höhe. Mit „uns“ meine ich konkret einen Mitläufer im roten Dress und mich. Auf den ersten Metern am Rand des Golfplatzes überhole ich den Mann und kann mir einen kleinen Anfall von Wettkampfdenken nicht verkneifen: ‚Der sieht nach M60 aus! Also einen Platz in der Altersklassenwertung gut gemacht.’ Das ist zunächst pure Spekulation; vielleicht ist der Mann jünger als er aussieht oder älter. Den Rang einer Anekdote erlangt meine Mutmaßung erst Stunden später, anlässlich der Siegerehrung …

Etwa dreieinhalb Kilometer weit führt uns der Weg bergan, von einem Flachstück kurz unterbrochen. Ein paar kurze, heftigere Abschnitte sind dabei, die ich – große Freude – immer noch erstaunlich locker bewältige. Immer wieder horche ich in mich hinein: Heute lauert nirgendwo Schwäche. Ich habe die Kilometer 25, 26, 27 unter den Sohlen. Entsprechend häufig lasse ich „abgenutzte“ Konkurrenten hinter mir. Wieder führt uns der Kurs durch ein ausgedehntes, willkommen kühles Waldstück, das sich auch abwärts fortsetzt. Zuweilen mischt sich nun Laubwald unter die Fichten. „Jetzt geht’s nur noch bergab bis Wunsiedel!“ meint ein Radler. Pedaliert der zufällig durch den Forst oder „coached“ er einen der Mitläufer? Auf jeden Fall höre ich nach mehr als 30, für meine gegenwärtigen Verhältnisse stramm gelaufenen Kilometern gerne so einen Satz. Allein: Ich habe Zweifel und bekomme sie prompt und mehrfach bestätigt. ‚Da kommt nicht mehr viel an Höhenmetern!’ meinte vorhin einer, selbst in Laufschuhen Richtung Finish unterwegs. Und damit liegt er richtig. Es kommt tatsächlich nicht mehr viel, aber diverse kurze Anstiege stehen bis kurz vorm Ziel mehrfach an. Es ist eben ein Unterschied, ob man eine Marathonstrecke auf Läuferbeinen erlebt oder mit den Augen eines Bikers sieht …

Kilometer 32, 33, 34 im Wald, Tendenz abwärts. Natürlich hinterließ die Strecke Spuren in meinem Bewegungsapparat. Da „zieht es“ all überall. Ausschließlich deshalb fühlt es sich „hart“ an das Tempo aufrecht zu erhalten. Meine Ausdauer ist dagegen ungebrochen. Ich achte nicht auf die Pace. Wozu auch? Mein Tempogefühl meint allerdings, ich sei recht flott in der Spur. Flott und mit Sicherheit nicht langsamer als auf der ersten Hälfte. Was habe ich heute früh erwartet? Wenn überhaupt etwas, dann müde Knochen. Stattdessen „rauschen“ die Kilometer nur so an mir vorbei. Das ist exakt die Form von Bestätigung und Motivation, die ich brauche!! Nach brutal harten Trainingswochen wieder einmal „Leichtigkeit“ spüren! Unverhofft ohne Bleigewichte an den Füßen einen kompletten Marathon „runter zu reißen“, spricht die klarste aller Sprachen: Das Training war richtig dosiert, mein Körper regeneriert ausreichend rasch. Also bin ich auf dem richtigen Weg! – Berlin! Berlin! Bald fahr’ ich nach Berlin!

Der Waldrand liegt schon eine Weile zurück. Ich trabe durch eine sanft gewellte Landschaft, eine von Wiesen dominierte Talmulde. Höfe und Häuser eines Weilers ducken sich am Hang. Ländlich friedlich, idyllisch, verschlafen, ein wunderschöner Fleck auf dieser Erde. „Idyllisch“ kann man steigern. Wem auch immer die paar Hennen samt Hahn gehören – er hat ein sicheres Gespür dafür, wie man das „fröhlich Schöne“ auf die Spitze treibt und dabei die Untiefe „Kitsch“ zielsicher umschifft: Wiesenstück abgezäunt, gelber Bauwagen mit aufgemaltem Blumendekor als Hühnerstall, eine adrett gekleidete Vogelscheuche, um geflügelte „Mitpicker“ fernzuhalten und ausgesucht hübsches Federvieh in der Rolle als Eierleger. Foto und weiter … Ein Stück Bilderbuch-Bayern darf ich auf dem letzten Fünftel des Fichtelgebirgsmarathon erleben: Weiß-blauer Himmel über Hügeln mit sattgrünen Wiesen. Getreidefelder, gleichfalls noch grün, jedoch mit gelbem Schimmer, baldige Erntereife verheißend. Im Wald zu laufen ist herrlich, in offener Landschaft aber auch.

Foto um Foto fängt meine Kamera ein, weil ich mir die Eindrücke über den Tag hinaus erhalten will. Die zwangsläufigen Fotostopps provozieren einen absolut nicht mehr erwarteten Konflikt. Fotografieren kostet Zeit. Und die Kilometertafeln 36, 37, 38 meinen unisono, Udo habe die Chance, diesen Marathon doch unter vier Stunden zu beenden. Zunächst unterstelle ich eine falsch gesetzte Km-Tafel, habe mich dann aber doch mit der unverhofften Gelegenheit zu befassen: Alles dem Zufall überlassen? Vielleicht erwartet mich noch ein längeres, steiles oder extrem schlechtes Stück Weg, das dann alle Bemühungen ins Leere laufen lässt!? Andererseits steht fest: Verfehlte ich am Ende die magische „4“ um ein paar Sekunden und hätte nicht mein Bestes gegeben, wäre das Bedauern groß …

Also beeilen! Fotos ja, aber beeilen! Noch einmal trinken in Höhe eines „klassisch griechisch“ anmutenden Rundpavillons (Was soll der denn vorstellen?) aber dabei beeilen! Zum Glück konnte ich das immer schon: Große Mengen Flüssigkeit binnen Sekunden schlucken. Das Geheule meiner Orthopädie ist real, Ehrgeiz allerdings ein probates Mittel jedwede Schmerzwahrnehmung auszublenden. Tempo machen! Auf den Weg achten! Steine und vom Regen ausgewaschene Rinnen. Besonders abwärts Rutsch- und Stolpergefahr. Konzentriert laufen! Dann geht der unbefestigte Weg in ein asphaltiertes Sträßchen über. Km-Tafel mit der „40“. Blick auf die Uhr. Ich schaffe das! Wenn die Wegmarkierung stimmt, schaffe ich das! Die ersten Häuser … Weiter! Dann die „41“. Blick zur Uhr. Gut sechs Minuten bleiben mir und ich nehme nun wirklich die Beine in die Hand, ziehe einen langen Endspurt an. Feuerwehr sperrt mir den Weg über die Straße frei und dann kenne ich mich endlich aus. Noch ein paar hundert Meter zum und ins Stadion von Wunsiedel. Aufwärts noch mal. Hart aber völlig egal. Wie „geil“ das zu spüren: Nach 42 km gegen eine Steigung anrennen und dabei fast mühelos Reserven freisetzen! Tor zum Stadion, auf die Laufbahn. Uhr? Drei Minuten für 150 Meter. Geschafft!!! Ein Spurt für die Galerie … Leichtigkeit demonstrieren und fühlen … und dann bin ich im Ziel.

Keine Ziele haben und dann alle (mir möglichen) erreichen – gefällt mir! Ich bleibe nicht nur unter der Vier-Stunden-Schallmauer. Bei der Siegerehrung der Alterklasse M60 darf ich auch noch die höchste Stufe erklettern. Und neben mir, auf Platz 2, steht jener Läufer im roten Dress, den ich hinter Tröstau einsammelte und mit dem Prädikat ‚Der sieht nach M60 aus!’ bedachte …

War’s auf der Heimfahrt, als mir die mit dem Fichtelgebirgsmarathon verknüpfte Zahlenspielerei bewusst wurde? Es war mein 13. Marathon (oder weiter) in diesem Jahr und der 131. seit dem Marathondebüt 2002 in Berlin. „13131“ … und das soll nichts anderes als Zufall sein? Da ich nicht abergläubisch bin, rücke ich vom Gedanken an ein gutes (oder gar schlechtes) Zeichen (wofür auch immer) ab. Aber fiele mir das auch dann noch so leicht, wenn sich die Organisation statt Samstag den 12. Juli, auf den Sonntag danach als Tag der Durchführung festgelegt hätte?

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So weit, so gut. Mit dem Titel „13131 ... und das soll Zufall sein“ veröffentliche ich meinen Laufbericht. Irgendeine böse Ahnung lässt mich aber noch einmal nachzählen. Und dann traue ich meinen Augen nicht! Auch die zweite, dritte und vierte Überprüfung ändern nichts an der Tatsache, dass ich mit dem Fichtelgebirgsmarathon bereits den 14. Ultra/Marathon in diesem Jahr erfolgreich absolviert habe. Also rasche Änderung der Überschrift und des Laufberichts in „Den Überblick verloren!“

 

Fazit zur Veranstaltung

Reizvolle Naturstrecke, die mit lohnenden Ausblicken vom Schneeberggipfel und idyllischen Momenten zu gefallen weiß. Bis auf ein paar Meter, die nicht ins Gewicht fallen, läuft man entweder auf Asphalt oder glatten Feld- und Forstwegen.

Alle Abläufe waren vorbildlich organisiert. Auch der Transfer klappte reibungslos. Die Versorgung auf der Strecke ist überreichlich, lässt also auch keine Wünsche offen. Alle Helfer und die Leitung geben einem das Gefühl zwischen Weißenstadt und Wunsiedel als Marathoni wirklich willkommen zu sein.

Note eins mit Sternchen für eine mit sympathischem Lokalkolorit inszenierte Veranstaltung!

 

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