Fehler über Fehler    –   Ötscher Mountain Marathon, 50 km, 2014

Nein, mit dem Titel habe ich keine Veranstalterschelte im Sinn. Was wäre auch an einem Bergultramarathon zu kritisieren, bei dem alles wie am Schnürchen klappt und jedwedem Läuferwunsch nach Kräften nachgekommen wird? Jeder der 1.001 Helfer legt sich mächtig ins Zeug. Von der ersten Minute an fühlen wir uns bestens umsorgt und aufgehoben. „Wir“ mit den sechs Beinen. Richtig: Wieder habe ich meine Hündin Roxi dabei. Ihr Gassi soll sich heute über 50 Kilo- und 1.900 Höhenmeter erstrecken. Vermutlich warten lange, harte Trailpassagen auf uns und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Abschnitte, die nicht laufbar sind. Nicht laufbar?? Was will Udo dann dort? Wer mich kennt, weiß vom Anspruch an mich selbst: Alles laufen! Wettkämpfe, bei denen das absehbar nicht geht, wegen „nicht ausreichend trainiert“ oder „Strecke unwegsam“, interessieren mich im Grundsatz nicht. Wieso bin ich dann trotzdem hier am Ötscher?

Mein Trainingsplan fordert in dieser Woche etwa 120 Kilometer. Oder umgerechnet 12 bis 13 Laufstunden, weil sich Einheiten in profiliertem Gelände gegen solche in flachem nicht 1:1 aufrechnen lassen. Ursprünglich enthielt meine Planung für das Wochenende zwei Marathons, Samstag und Sonntag, die terminlich jedoch nicht realisierbar waren. Also suchte ich nach einem Ultralauf, der mich an einem Tag über mehr als fünf Stunden fordert. Der Ötscher Mountain Marathon (ÖMM) erwies sich als einzige, überhaupt in Reichweite liegende Veranstaltung. Also meldete ich mich an und billigte mir läuferisch für diesen Tag eine Ausnahme zu: Laufen so lange irgend möglich, unwegsame oder zu steile Passagen gehend überwinden. Ist es falsch über den Tellerrand zu blicken, hin und wieder etwas zu unternehmen, was eigentlich jenseits des persönlichen Leistungsspektrums liegt? Kann sein, doch nur die Probe aufs Exempel wird diese Frage beantworten.

Gleich mehrere Fehler unterliefen mir allerdings bei der Trainingsgestaltung in der Woche vor dem ÖMM:

Mo: 17,6 km langsamer Dauerlauf, stark welliges Profil
Di: 20,5 km langsamer Dauerlauf, flach
Mi: 7 km Berglauf, 1 Stunde, ca. 730 Höhenmeter aufwärts, 0 abwärts
Do: 20 km langsamer Berglauf, 3 Stunden, ca. 1.100 Hm auf- und abwärts
Fr: Ruhetag, aber Abstieg 1.200 Hm mit schwerem Rucksack
Sa: 50 km Ötscher Mountain Marathon

Mittwoch- und Donnerstagabend nächtigte ich auf einer Berghütte oberhalb von Neukirchen am Großvenediger. Dort bot sich Gelegenheit für ein „Berg-Trainingslager“, wenngleich das nicht der eigentliche Grund für meinen Aufenthalt auf dem Wildkogelhaus (2.005 m) war. Erster Fehler: Der lange Lauf am Donnerstag – also zwei Tage vor dem ÖMM! – war deutlich zu lang. Dazu enthielt er bergauf einen sehr steilen, höchst unwegsamen Pfad, der mich regelrecht aufarbeitete. Fehlerursache: Mangelnde Geländekenntnis (oder zu schlechte Trainingsvorbereitung). Darüber hinaus stopfte ich in die beiden Einheiten Mittwoch plus Donnerstag zu viele Höhenmeter, was mir am Freitagmorgen einen netten Muskelkater bescherte. Und das, obwohl meine Haxen wenige Tage zuvor beim Sommeralm Marathon 1.800 Höhenmeter absolut klaglos überstanden hatten.

Samstag, 8:30 Uhr: Mit summa summarum etwa 8 Stunden Lauftraining und immer noch veritablen Muskelschmerzen in den Beinen stehe ich im Startbereich und lausche dem vorgeschriebenen Briefing. Halbherzig allerdings, weil ich mir Anspruch, Gefahren und Verbote auf der Strecke bereits gestern Abend in der Jugendherberge angehört habe. Dort verbrachte ich auch die Nacht. Ziemlich unkommod übrigens, weil in der Jugendherberge zwar auch 60jährige Jugendliche mit Hund nächtigen dürfen. Für die Etagenbetten des Etablissements indes, wurde bei den nebenan wohnenden sieben Zwergen Maß genommen. Selbst das bei ihnen adäquat beherbergte Schneewittchen hätte lieber in seinem gläsernen Sarg gepennt, um nicht mit Kopf oder Füßen (ich mit beidem) die Endlichkeit jedweder irdischen Bettstatt erfahren zu müssen.

Über eine provisorische Leine bin ich mit Roxi verbunden, die einen recht gleichgültigen, ruhigen Ausdruck zur Schau stellt. Damit täuscht sie alle Umstehenden. Mich nicht. Roxi riecht sehr genau, was demnächst passieren wird. Auch frische Läufer riechen nach laufen und Startvorbereitungen weisen stets dieselben Rituale auf. Vorhin, als die Bassstimme des Veranstalters mit ersten erklärenden Sätzen über die Lautsprecher dröhnte, begann Roxi jämmerlich zu quietschen und zu bellen. Um sicherzustellen, dass keiner auf der Strecke verloren geht, wird es einen Check-in geben. Auch das ein Vorzeichen für eine nicht ganz einfache Laufaufgabe. Ich stehle mich in Richtung Check-in davon, damit Roxi nicht schon vorm Start durchdreht, wenn alle in dieselbe Richtung marschieren. Tatsächlich sind wir beide die ersten, deren Startnummer am Einlass abgehakt wird.

Wir fallen auf. Bereits dreimal musste ich die in ungläubigem Ton vorgebrachte Frage beantworten, ob der Hund die ganze Strecke schafft. Eine Läuferin verwickelt mich in ein Gespräch. Rasch kommen wir über „mitlaufende Hunde“ und diverse andere Gesprächsstationen auf die verbreitete Sportunlust unter Jugendlichen allgemein und bei ihren Kindern im Speziellen zu sprechen. Keine Ahnung, wie es ihr gelungen ist, mich thematisch in diese Ecke zu bugsieren. Eigentlich bin ich viel zu nervös, um mich fundiert über was auch immer auszutauschen. Schließlich ist es so weit und es geschieht, was geschehen muss: Roxi verwandelt sich übergangslos in einen Kampfhund, bellt, zerrt, erwürgt sich halb im Halsband. Für umfangreichere Schilderungen ihres Startverhaltens verweise ich auf die Laufberichte von Sommeralm Marathon, Super Elm Trail, Stromberg Extremlauf und Schaichtal Marathon. Roxi war in diesem Jahr bereits viermal dabei und drehte jedes Mal auf dieselbe Weise am Rad.

Vom Startbereich gelangen wir auf eine sanft ansteigende Straße. Das Gezerre mag ich nicht länger ertragen, zumal der dünne Strick schmerzhaft in die Hand schneidet. „Roxi Sitz!“ Strick entfernt, in der Gesäßtasche verstaut, Tross bald fünfzig Meter enteilt. „Roxi langsam!“ Mühsamst und mit verbalem Ingrimm (das meine ich wörtlich) halte ich Roxi davon ab binnen Sekunden das Feld anzuführen. Mühsamst und unter Aufbietung allen anerzogenen Gehorsams (das meine ich auch wörtlich) widersteht mein Vierbeiner dem Zwang reichlich ausgeschütteter Kampfhormone, also letztlich ihrer Natur. Trotzdem zieht es sie unwillkürlich weg von meinem Fuß. Um sie nicht ständig in barschem Ton korrigieren zu müssen, habe ich mir einen Trick einfallen lassen: „Roxi rechts!“ Sie gehorcht, muss dazu aber – so hat sie’s von Frauchen gelernt – hinter den Beinen auf die andere Seite wechseln. Was wiederum nur möglich ist, wenn sie sich zurückfallen lässt … Nach dem Kommando „Langsam!“ huscht sie wieder auf meine linke Seite, gleichfalls „hinten rum“. Gefühlte hundert Mal traktiere ich Roxi mit Seitenwechseln, dann liegen die drei Kilometer Straße bergaufwärts hinter uns und wir biegen in einen Forstweg ab: „Roxi lauf!“

Runter! Unglaublich lange und grundlos tief. Mehr als sieben Kilometer weit rennen wir im Gefälle. Erst auf geschottertem Untergrund, dann lange auf Asphalt. Die ersten zehn Kilometer entsprechen so wenig dem Anspruch eines Trails, wie ein Knallfrosch der Sprengkraft von Nitroglyzerin. Unten angekommen bedanke ich mich (lautlos) für mehr als zehn geschenkte Kilometer. Mehr als zehn Kilometer, um sich auszutauschen. Erst mit Bernhard, einem Hundebesitzer, der seinen Dalmatiner leider Frauchen überlassen musste, weil er ihm diese Distanz nicht zutraut. „Wenig Deutsche hier!“ meint Bernhard. Ein Eindruck, den ich nur bestätigen kann. Weniger als zehn deutsche Läufer verlieren sich im fast 200 Köpfe starken Feld. Kein Wunder, denn wer in Deutschland kennt das eher unbedeutende Massiv des Ötschers? Und wer hat schon mal von Lackenhof, dem Start-/Zielort gehört, einem winzigen, von Bergen umringten Weiler in der Südwestecke Niederösterreichs? Wo Lackenhof und der Ötscher liegen? Grob gesagt etwa in der Mitte eines Dreiecks, das die Städte Wien, Linz und Graz aufspannen. Fast am Ende der Welt also, zumindest jenseits der mir bisher bekannten in Austria. Da ich aus dem Bundesland Salzburg anreiste, wird mir die Entlegenheit des Ortes erst auf der Heimfahrt so richtig bewusst: Als ich hinter Salzburg wieder deutschen Boden befahre, liegen bereits 240 (!) km hinter mir.

Auf der langen Schussfahrt gen Tal treffe ich auch die Frühstücksgesellschaft aus der Jugendherberge wieder. Zwei lustige Österreicher, beide um die 30. Da sie den Ötscher Mountain Marathon bereits kennen und zumindest anfänglich mein Tempo laufen, frage ich sie nach der Zielzeit. „Zwischen 6 Stunden und 6:30“ bekomme ich zu hören. Bar jeglicher Streckenkenntnis verfüge ich jetzt wenigstens über eine zeitliche Orientierung. Der unschwere Auftakt verbrauchte erst eine Stunde dieses mutmaßlichen Zeitbedarfs. Dächte ich vorausschauend logisch, dann wäre mir jetzt schon klar, dass da noch ein ganz dickes Ende nachkommen muss …

Erste Verpflegungsstelle und Druckbetankung von Udos Magen mit Iso. Trinken auf Vorrat. Noch ist es kühl und nur selten spitzt die Sonne durch fettgraues Gewölk. Aber es wird sonniger und wärmer werden, da bin ich sicher. Zu viel Flüssigkeit lässt sich biologisch entsorgen, einmal eingegangene Dehydrierung hingegen nicht mehr wettmachen. Schon vor der Labestelle haben wir den „Naturpark Ötscher Tormäuer“ betreten. Nie zuvor gehört. Leider bleibt mir nur ein kurzer Moment, um die erklärend aufgestellte Tafel abzulichten. Sie zu lesen, muss ich auf daheim verschieben. Danach geht’s bergauf, steil bergauf, seltsamerweise bequem auf Asphalt. Hinter mir wird diskutiert: Einer schwört dem anderen letztes Jahr unten am Bach auf einem Pfad gelaufen zu sein. Sofort bin ich verunsichert. Die Strecke ist zwar eindeutig markiert aber nicht üppig. Nirgendwo ein Hinweis. Ich wende mich Hilfe suchend an Bernhard, der gerade in meiner Nähe trabt. „Laufen doch alle da rauf!“ meint der nur lapidar. Kurz darauf erspähe ich einen der orangefarbenen Pfeile und beende den Disput der beiden Zweifler mit lautstarkem Hinweis.

Hinter dem Pfeil verjüngt sich der Weg, senkt sich zum Bergbach hinab, verwandelt sich unterdessen zum schmalen Pfad, wechselt alle paar Meter vertikal wie horizontal die Orientierung, verläuft am Rand einer engen, von hohen Felswänden und bewaldeten Flanken begrenzten Schlucht. Aufmerksam steppe ich über grobe Steine, setze den Fuß vorsichtig zwischen Wurzeln, entspanne kurz auf laubbedeckten Abschnitten oder festem Schotter. Grau bis türkisfarben leuchtet der Bach herüber, zieht mal träge auf Sandbänken dahin, gurgelt und gischtet zuweilen über Untiefen oder zwischen felsigen Engstellen. Mit gierigen Blicken sauge ich die Schönheit der Natur in mir auf. Wer sich jedoch bewegt und dabei umschaut, achtet nicht auf den Weg. Aufpassen Udo! Hier genügt eine Tiefflugeinlage, um sich alle Knochen zu brechen.

Spannende, ganz und gar ursprünglich wirkende, von Wasser und Fels in Szene gesetzte Bilder. Mutter Natur kann’s aber noch dramatischer: Keine zehn Minuten Bergbach, dann betreten wir eine eiserne Brücke und mein Mund bleibt offen … Aus unabsehbarer, von Bäumen und Felsen verborgener Höhe rauscht Wasser über Kaskaden herab, schießt tosend, sich überschlagend zwischen Felsblöcken dahin. Ein beeindruckender Wasserfall! Beinahe noch beeindruckender wirkt die Steiganlage aus betonierten Stufen, eisernen Treppen und Brücken, die sich am Rand der Wasserspiele aufwärts schraubt. Steil nach oben und das ist unsere Richtung. Ich laufe nach oben, weil es mein Ehrgeiz verlangt. Dann und wann bleibe ich für ein Foto stehen. Eine schwierige Koordinationsübung, weil ich zugleich niemandem im Weg stehen will. Einmal den Fuß nicht hoch genug gehoben und schon stolpere ich, kann mich gerade noch mit der linken Hand an einem Felsblock abfangen. Fast alles gut gegangen, nur an der Daumenspitze klafft ein kleiner, blutiger Riss. Weiter. Stufe um Stufe, Treppe für Treppe, Schweißtropfen für Schweißtropfen. Eine mordsmäßige Schinderei, sicher, aber eine die mir kaum zusetzt. Bin frisch und darüber hinaus hingerissen von der wildromantischen Szenerie. Schließlich „irgendwie“ oben und alles beruhigt sich; in mir drin der Herzschlag, neben dem Weg das fließende Wasser. Dr. Jekyll und Mr. Hyde: Wer würde diesem friedfertig dahin plätschernden Bach seine baldige Wandlung zum donnernden Wasserfall unterstellen?

Der Wald bleibt zurück. In gemähter Wiese folge ich dem Trampelpfad, den hunderte Füße meiner Vorgänger hinterlassen haben. Nichts erinnert hier mehr an die wilde Schlucht der letzten halben Stunde. Liebliche Voralpen-Idylle um mich her. Zwischen sanften Kuppen, die Wiesen und Wald sich redlich teilen, halte ich auf eine Gruppe Holzhäuser zu und finde die zweite Verpflegungsstelle. Dahinter scheint es recht beschaulich auf asphaltiertem Sträßchen weiter zu gehen. Voreilig und grundlos male ich mir einen weiteren, nicht allzu schwer erkauften Marathonsieg aus, bin also bester Dinge. Daran ändert sich nichts, als wir knapp einen Kilometer später auf einen eklig grob geschotterten Waldweg abbiegen, der sich als anspruchsvoll steile Prüfung entpuppt. Ich tippele aufwärts, folge Roxis Beispiel, schere mich nicht um die Vorsicht der meisten anderen, die es vorziehen zu gehen …

Läuferisches Selbstverständnis und Kampfgeist (Sturheit?) lassen Gehen nicht zu. Nicht so lange ich noch ausreichend Kraft in den Beinen spüre. Und so bewältige ich auf den nächsten 7 Kilometern Anstieg um Anstieg, nur gelegentlich von ein paar ebenen Metern unterbrochen. Mal über Stock und Stein, dann wieder durch Wiesen, auch schattig im Wald oder von der zeitweise scheinenden Sonne zum Schwitzen gebracht. Ich laufe jeden verdammten Meter. Halt Udo, bleib bei der Wahrheit: Drei Meter kann ich definitiv nicht laufend überwinden. Unmöglich! Ein umgestürzter Baum lässt jeden Läufer für besagte drei Meter zum Kletterer mutieren. Selbst Roxi hat Mühe im verfilzten Astwerk der Krone einen Durchschlupf zu finden.

Sieben Kilometer unentwegt aufwärts, das klingt nach elender Plackerei. Mag sein, nur empfinde ich es nicht so. Abwechslung in der Beschaffenheit des Kurses und landschaftliche Schönheiten lenken ab. Außerdem fühle ich mich in dieser Phase allem gewachsen, egal was an Steigungen auch kommen mag. Stimmung und Selbstvertrauen bewegen sich auf einem Niveau, das ich in einer frühen Phase von Wettkämpfen selten erreiche. Das geht großenteils auf Roxis Konto, die bei Mitläufern, Helfern und (den wenigen) Zuschauern immer wieder Staunen bis Entzücken auslöst. Wo wir auch auftauchen, genießen wir ungeteilte Aufmerksamkeit und schauen in lachende Gesichter. Im Bergdorf Puchenstuben platziere ich meinen Vierbeiner, um ihn dekorativ vorm Hintergrund einer kuriosen Kirche abzulichten. Kurios, weil deren Wetterseite mit Holzschindeln den Elementen trotzt. Sofort bietet sich jemand an uns als Laufduo zu fotografieren.

Hinter Puchenstuben, zum Abschluss der langen Schräge, will’s der Berg dann wissen: Auf mehreren kurzen Abschnitten strebt der Weg derart steil himmelwärts, dass zu laufen schlichtweg unsinnig ist, ineffizient, Kräfte verschleudernd, also ein grober Wettkampffehler. Uneinsichtig meinem Bekenntnis zu immerwährendem Laufen folgend, ficht mich das dennoch nicht an. Mit nanokurzen Schrittchen steppe ich aufwärts; verharre mehrmals kurz zum Fotografieren, will Härte und Anspruch der Strecke einfangen. Im Nachhinein will mir scheinen, damit eher unklugen Eigensinn als Streckeneigenschaften dokumentiert zu haben …

Für ein paar Minuten halten wir das erreichte Niveau, etwa 1.100 Höhenmeter. Jedenfalls will einem das die Höhenkurve meines GPS-Knechts einreden. Tatsächlich bewegt man sich in (vor-) alpiner Umgebung immer irgendwie rauf oder runter. Lange abwärts nun, sehr lange, weitere sieben (!) Kilometer. Herkulesarbeit für meine Knie, die sich allerdings heute zu stiller Kooperation entschlossen haben. Ein beleidigtes Schweigen, für das sie mich morgen und in der Folgezeit büßen lassen? Schier endlose Forstwege geht es hinunter, auf denen die Konzentration dennoch nicht erlahmen darf. Jederzeit ist mit losem Geröll, ei- bis faustgroßen Steinen und vom Regen ausgewaschenen Rinnen zu rechnen. Auch optisch kommt keine Langeweile auf: Mehrmals bietet sich zwischen Waldstücken ein ungehinderter Blick auf den Felsendom des Ötschers. Eine Schönheitskonkurrenz mit vielen anderen Berggestalten Österreichs wird er zwar haushoch verlieren. Durch seine – im wahrsten Sinne des Wortes – herausragende Stellung inmitten bewaldeter Berglandschaft, weiß der Ötscher aber durchaus zu gefallen. Und weiter hinab …

… Es folgt ein sonniges Intermezzo auf asphaltiertem Sträßchen, inmitten gemähter Almwiesen … runter, immer weiter runter … Im Kielwasser einer schnellen Läuferin überqueren wir die Geleise einer Schmalspurbahn (Mariazellerbahn) am Bahnhof Gösing und schlagen einen Halbkreis um ein feudales, vor fast hundert Jahren im Alpenstil errichtetes Vier-Sterne-Hotel. Wo sind die angekündigten Gäste, zu deren Gaudium wir hier angeblich beitragen sollen? So jedenfalls klang es im morgendlichen Briefing. Der große Hotelkomplex wirkt wie ausgestorben, nicht eine Nase zeigt sich, von Interesse an unserer Laufveranstaltung kann keine Rede sein. Weiter hinab und zurück in den Wald, alsbald an einer mit Lupinen geschmückten Böschung entlang, dann inmitten dichter Nadelwälder. Schließlich tritt der Wald zurück, der Forstweg flacht ab und wir erreichen einen weiteren Verpflegungspunkt.

Etwa 30 Kilometer bereits geschafft und nicht mal 3:30 Stunden verbraucht. Es war beileibe kein Kinderspiel hierher zu gelangen, und doch fühlt es sich auf unbestimmte Weise so an. Begünstigt sicher von der Tatsache, dass ich noch keinerlei Ermüdung verspüre. Auch eine unerklärliche, in dieser Form völlig untypische Euphorie, die mich faktisch vom Start weg begleitet, trübt mein Urteilsvermögen. ‚Nur noch 20 Kilometer!’ denkt es in mir. Was „es“ nicht denkt, unterbewusst aber so empfindet: ‚Was soll mich jetzt noch aufhalten? Was kann schon noch kommen? So gut wie geschafft!’ Gäbe ich besser auf meine mentale Verfassung acht, fiele mir die leichtsinnige, sogar törichte Einstellung sicher auf. Stattdessen schlabbere ich gut gelaunt mein Iso und schicke Roxi mit ein paar Steinwürfen in den nahen Bach. Ein kühlendes Bad ist zwar heute nicht wirklich notwendig, trägt aber zur Erheiterung einiger Zuschauer bei: The Show must go on!

Seit zehn Minuten dringen wir immer tiefer in die mit Spannung erwartete Schlucht der „Hinteren Tormäuer“ ein. Neben, meist auch ein paar Meter unterhalb unserer Füße und Pfoten fließt die Erlauf, an deren Ufer wir heute Morgen schon einmal unterwegs waren. „Hintere Tormäuer“ und der sich anschließende „Ötschergraben“ mit dem „Ötscherbach“ wurden laut Briefing im letzen Jahr zum schönsten Wandergebiet Österreichs gewählt. „Kostspielige Steiganlagen! Bitte nicht zerstören!“ stand vorhin auf einem Schild und so langsam verstehe ich, wie das gemeint ist. Treppe um Treppe, Brücke um Brücke, Geländer für Geländer müssen passiert werden, um die eigentlich unwegsame Wildnis begehbar – in unserem Fall: belaufbar – zu machen. Ich verliere eine Menge Zeit für Fotos. Erstens will ich sie nicht verwackeln und zweitens auf schmalem, meist steinig, knorrigem Pfad nicht stolpern.

Meine Begeisterung wächst von Minute zu Minute. Vielleicht entgeht mir deshalb, wie viel Kraft die Fortbewegung in diesem engen Tal erfordert. In ständigem Auf und Ab windet sich der Steig durch die Schlucht, tendenziell geht es dabei aufwärts, dem Gefälle der Erlauf entsprechend. Mal rauscht und gurgelt sie in engem Durchlass, plätschert alsbald in breiter, steiniger Rinne, füllt bisweilen ein sandig, breites Bett. Starken Regenfällen und Unwettern folgten nicht selten Erdrutsche, die immer wieder Teile des Wanderpfades wegrissen. Davon zeugen die frisch aus grob behauenen Holzbohlen gezimmerte Brücke und stellenweise neu angelegte Wegstücke. Hier zu traben macht einen Heidenspaß, was ich so nicht erwartet habe. Mit hohen technischen Anforderungen habe ich gerechnet, mit blockig steinigem Untergrund und ständigen Problemen die Füße einigermaßen sicher aufzusetzen. Vorsicht und Konzentration sind geboten, das schon. Ansonsten ist der Pfad allerdings „nur“ anstrengend und über alle Maßen schön …

Der grün schimmernde Erlaufstausee und ein kleines Kraftwerk kennzeichnen den Übergang zum Ötschergraben. An dessen Eingang bereiten uns die beiden Damen der nächsten Labestation einen warmen Empfang. Iso und aufmunternde Worte für mich, Streicheleinheiten für Roxi. Meine Stimmung könnte besser nicht sein. Wann habe ich je in einem Wettkampf so charmant geplaudert? Danke und ab. Keine dreihundert Meter hinter der Verpflegungsstation dann der jähe Dämpfer. Es passiert in schattigem Ufergehölz auf an sich unschwierigem Untergrund. Nicht mal Unaufmerksamkeit muss ich mir vorwerfen oder zu schnell unterwegs gewesen zu sein. Grauer Stein in grauem Boden, markant ein Stück aufragend und doch übersehen. Als ich mich fluchend wieder aufrappele blute ich aus Schürfwunden am rechten Ellbogen und dem Handballen. Ein paar Schrammen am rechten Bein sind auch zu beklagen. Das Wichtigste steht sofort fest: Ich habe mich nicht ernstlich verletzt und kann weiterlaufen!!!

Einigermaßen benommen und derangiert steige ich zum Bach hinunter und wasche den Dreck aus den Wunden. Nirgendwo eine starke Blutung, da und dort sickert es ein wenig. Egal. Im Ziel werde ich mich verarzten lassen. Die Kamera muss in die linke Hand, auch wenn das die Handhabung erschwert. Rechts würde ich sie vollbluten. Zurück auf den Weg und weiter. Allmählich weicht der Schock und die Abschürfungen beginnen zu brennen. Ist eben nicht zu ändern …

Landschaftlich war keine Steigerung mehr zu erwarten und doch wird sie mir geboten. Noch ursprünglicher, noch wildromantischer, mit noch mehr und kühneren Steiganlagen gesichert präsentiert sich der Ötschergraben. Habe ich mich verletzt? Blute ich? Kann sein, angesichts dieser Herrlichkeit völlig ohne Bedeutung. Bild um Bild landet im Speicher meiner Kamera und die Motivwahl fällt mir wirklich schwer. Ein superlanger Steg, wie der Ötscherbach sich in grünblaue Gumpen ergießt, ein weiterer Wasserfall, Pfade an steilen Felswänden und neben mir der Abgrund. Was die Bilder verschweigen, sind massenweise Besucher im Ötschergraben, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. In Gruppenstärke hintereinander – Busladungen von Menschen müssen das sein – laut lärmend, bevölkern sie die Schlucht. Meist weichen sie von sich aus zur Seite, machen sich gegenseitig auf die nahenden Läufer aufmerksam. Zudem verschafft mir Roxi als Vorhut rechtzeitig Aufmerksamkeit. Dennoch entstehen immer wieder Gefahrenmomente, wenn ich mich an den eher ungeschickt agierenden Besuchern vorbeidrücke. Alles geht gut, wenigstens jetzt. Und das ist ungleich wichtiger, weil oft ein Sturz in gähnende Tiefe droht.

Trotz brennender Wunden und Scharen von Besuchern haben wir unseren Spaß im Ötschergraben. Und hartnäckig hält sich das Gefühl auf diesem Trail bis ans Ende der Welt traben zu können. Bis es dann übergangslos vorbei ist mit meiner Läuferherrlichkeit. Ich kapituliere vor 40, 50 Grad steilem Hang und knie- bis hüfthohen Tritten. Völlig ausgeschlossen in diesem Terrain zu joggen. Mit Händen unterstütze ich mich beim Ersteigen des Hangs. Das hat mehr von Klettern als von Laufen. Und wo der Weg kurzzeitig abflacht, mich eigentlich wieder zum Joggen animiert, stauen sich andere Läufer, gehend hintereinander. Mich an ihnen vorbei zu drücken wäre viel zu anstrengend und grob fahrlässig. Also ist Gänsemarsch angesagt, um die Steilstufe zu überwinden …

Kurz vor der nächsten Labestelle wird der Weg flacher und (fast) alle fallen wieder in leichten Trab. Diese „Wanderung in steilem Gelände“ hat in mir etwas zerbrochen, das merke ich sofort. Keine Begeisterung mehr. Stattdessen fühle ich mich plötzlich ausgelaugt und müde. In einer Laufveranstaltung zu gehen hinterlässt ein schales Gefühl. Das hat was von Niederlage, auch wenn der Abschnitt objektiv für niemanden belaufbar ist. Den eigentlichen Knockout verpasst mir allerdings etwas anderes: Jede Verpflegungsstelle ist mit einer Kilometerangabe gekennzeichnet, die ich bisher übersah. Zufällig erfasst mein Blick die aufgedruckte Zahl und ich falle aus allen Wolken. Da steht: „39 km, noch 11 km“. Das GPS-Schätzeisen mit Namen „Forerunner“ an meinem Handgelenk zeigt aber volle 5 (!!!) Kilometer mehr an. Folglich wähnte ich mich bis eben schlappe sechs Kilometer vor dem Ziel und nun das.

Trinken und los. Wie benommen trabe ich über die beinahe ebene, unschwierig geschotterte Forststraße. Das gibt’s doch nicht! Wie kann das sein? In Gedanken steige ich wieder hinunter in die Tormäuerschlucht und den Ötschergraben, vergegenwärtige mir die räumlichen Gegebenheiten. GPS funktioniert auf der Basis eines Satellitennetzes. Bis zu sechs Satelliten muss das GPS-Gerät gleichzeitig anpeilen, um einigermaßen genaue Ortsangaben zu errechnen. Die Schlucht war einfach zu tief, die Felswände teilweise zu hoch, um ausreichend Signale empfangen zu können. Nur so lässt sich der exorbitante Fehler erklären. Verstehen ist eine gute Voraussetzung, um sich mit den Tatsachen abzufinden. Dann eben noch elf, zehn, jetzt neun Kilometer, das schaffe ich!

Obwohl die Forststraße nur zeitweise und dann sehr moderat ansteigt, spüre ich eine rasch fortschreitende Ermüdung. Und wenn schon. Einstweilen trabe ich stoisch dahin und werde das auch noch eine Weile durchhalten. Ein brachialer Buckel wird noch kommen, das weiß ich vom Studium des Streckenprofils. Nächste Labestation und da steht: „42 km, noch 8 km“. Ich unterdrücke jede Regung mir vorzustellen, wie weit sich acht Kilometer dehnen können. Vor allem, weil ab hier der Schlussanstieg beginnt … Wir biegen in einen ansteigenden Forstweg ab, gottlob schattig, weil sich die Sonne inzwischen mächtig ins Zeug legt. Steigung erträglich, kurze Schritte. Woran denke ich? Kann mich an nichts erinnern außer an den einen Satz: „So geht es, aber steiler darf der Weg nicht werden!“ Kaum zu Ende gedacht, weist ein gelbes Schild seitwärts in den Wald, zwingt mich von bequemem Forstweg auf schmalen Steig und der wird sofort steil, steiler, am steilsten. Keine Chance! Vor zwei Stunden hätte ich diesen Pfad sicher laufend bewältigen können, jetzt nicht mehr. Aus dem Läufer wird ein Wanderer und das für die nächste halbe Stunde. So lange brauche ich, um die finalen 350 Höhenmeter zu überwinden.

Oben angekommen, letzte Verpflegungsstelle: „45 km, noch 5 km!“ Roxi hat Durst und schlabbert aus dem Becher, den ihr ein Helfer hinhält. Ich gönne mir eine gehörige Portion Iso und frage nach dem Weg. Muss ich erwähnen, dass ich eigentlich keine Lust mehr habe? Nicht weil ich müde bin. Das bin ich oft. In gewisser Weise ist das sogar ein befriedigender Zustand. Ursache meines Stimmungstiefs ist der Wettkampfverlauf. Noch nie war ich gezwungen so lange am Stück zu gehen, wo ich doch eigentlich jeden Meter laufen will. Enttäuschung beherrscht mich und ein bisschen fühle ich mich auch gedemütigt. Aber nun will ich es zu Ende bringen und dann kommt es schlimmer als gedacht.

„Dort steil runter und dann unten dem Wirtschaftsweg folgen!“ lautet die Wegweisung. „Steil runter“ heißt nicht weniger als sich eine Skipiste runter zu stürzen. Im Winter eine Skipiste, jetzt ein spärlich begrünter, mit Geröll durchsetzter Steilhang. Kein entspanntes, flottes Traben möglich. Mit enormem Kraftaufwand fange ich Schritt um Schritt mein Gewicht ab. Mit voller Konzentration und äußerster Vorsicht verhindere ich Ausrutscher. Wer hier die Kontrolle verliert, kullert zig Meter talwärts ... Aufatmend, da unfallfrei, erreiche ich nach etwa fünf Minuten besagten Wirtschaftsweg. Weitere fünf Minuten vergehen, bis ich endlich wieder meinen Laufrhythmus finde.

Die Uhr war und ist heute Nebensache. Was nicht heißt, dass ich sie gänzlich aus den Augen verloren hätte. Lange Zeit glaubte ich an ein Finish um die sechs Stunden. Wie auch nicht, wenn der Entfernungsmesser fünf Kilometer mehr meldet als man tatsächlich zurückgelegt hat!? Vorm steilen Schlussanstieg durfte ich noch davon träumen, den Wettbewerb deutlich unter 6:30 h zu beenden. Oben angekommen, fegte der kühle Wind auch dieses Hirngespinst hinweg: Sechs Stunden um und fünf Kilometer noch zu laufen. Den Rest Hoffnung, den sich mein Kopf „ganz hinten, tief unten“ immer bewahrt, riss dann diese Skipiste an sich. Und nun bringt mich nichts dazu meine Schritte zu beschleunigen. Ich könnte schneller laufen, fühle mich wieder erstarkt, habe aber nicht die mindeste Lust dazu.

Leichtes Traben auf unschwerem Geläuf und Restaurierung meiner guten Laune: Fast vierzig Kilometer euphorische Stimmung, dann Absturz in ein jähes Stimmungstief – da muss doch noch was zu holen sein. Schritt für Schritt kehrt das innere Lächeln zurück. Ich habe eine Niederlage erlitten, lange vorm Erreichen des Ziels. Mein läuferisches Selbstverständnis hat sie mir zugefügt, in unguter Allianz mit diversen Fehlern. Niederlagen muss man verkraften können. Wer das nicht kann, darf nicht leistungsorientiert Sport treiben.

Mit wenig Gefälle windet sich die Forststraße den Hang hinab, quert mehrmals breite, steile Waldschneisen. Saftige Wiesen wollen mir heile, bäuerliche Welt einreden. Kluge Wald- oder Almbauern hätten diese steile „Diretissima“ allerdings nie geschlagen. Nicht so. Und im Grün fehlt etwas für Almwiesen Typisches: Wiesenblumen … Es ist Sommer und doch höre ich das Knirschen und Scharren von Skifahrern, sehe, wie sie elegant den Hang herab wedeln … Plötzlich sind diese Vorstellungen wie weggeblasen. Vor mir trabt ein anderer Läufer und weckt meinen Ehrgeiz. Überholen! Warum ich den hinter mir lassen will, fragst du? Einfach so: Weil ich es will und wahrscheinlich noch kann. Mehr Gründe brauche ich nicht.

Das einseitig erklärte Duell versüßt mir die letzten Minuten. Der Abstand verkürzt sich und bringt mich in Sichtweite eines weiteren Läufers. Wo kein Zeitziel motiviert, tun es jetzt die beiden „Konkurrenten“. Rechts vom Weg ab auf eine großflächig ausgedehnte Wiese. Wiese? Wir rennen über die Skipiste, hier unten nicht mehr ganz so steil bergab. Ich ziehe am ersten „Gegner“ vorbei und beschleunige meine Schritte, nähere mich dem zweiten. ‚Den packst du auch noch!’ sporne ich mich an. Noch zwei Kilometer bis ins Ziel. Auch der zweite kann mir nicht widerstehen, muss mich ziehen lassen. Keine Heldentat, torkelt der doch ebenso ausgelaugt durchs kniehohe Gras, wie mein erstes „Opfer“. Warum dieses Manöver? Worin besteht – „tiefenpsychologisch“ angesetzt – die Ursache für das sinnlose „um die Wette laufen“? Die Mitläufer „einzusammeln“ baut mich weiter auf. Genauer: Die beiden winzigen, völlig unbedeutenden „Siege“ kitten ein paar Sprünge in meiner läuferischen Weltkugel. Wieder Licht im zeitweiligen Dunkel meines Gemüts, Licht und warme Farben.

Damit nicht genug: Unvermittelt sehe ich das Ziel!?? Nicht mehr weit, da unten am Ende der Skipiste!?? Mir bleiben fünf Minuten, um doch noch unter 6:30 h zu finishen. Wie kann das sein? Dafür gibt es nur eine logische Erklärung: Die Distanzangabe „45 km, noch 5 km“ oben auf dem Sattel war ungenau. Egal. Nun fetze ich durchs Gras, als ginge es um den Sieg. Kann es nicht wirklich fassen, fürchte noch irgendeinen gemeinen Schlenker. Frage einen im Gras sitzenden Streckenposten: „Ist das schon das Ziel?“ Seinem verwundert ausgesprochenen „Ja!“ hängt er in Gedanken sicher an: „Was soll das denn sonst sein?“ … Noch zwei-, dreihundert Meter. Blick auf die Uhr: 6:27 h. Schaffe ich!!! Will aber gemeinsam mit Roxi durchs Ziel! „Roxi rechts!“ Die guckt mit Unverständnis*: Was soll denn das? Wir zischen hier durch eine Wiese! Warum soll ich jetzt neben dir laufen? Ein letztes, kurzes Steilstück am Hang. Weit ausgreifende Schritte. Schnelle Schritte. Vor allem federleichte Schritte nach harten 50 km, denn Laufen ist Kopfsache und meiner ist wieder obenauf. Noch dreißig Meter, Blick zur Uhr: Wird klappen! Mit dem Beifall zahlreicher Zuschauer belohnt und großem Hallo vom Moderator begrüßt, laufe ich mit Roxi über die Ziellinie.

*) Roxi stellt bei Kommandos natürlich immer denselben Blick zur Schau. Nur Menschen interpretieren ihn situationsbedingt und entsprechend ihrer Empfindungen mal so und mal so.

Niederlage und Demütigung dauern als Erfahrung fort, haben aber keine Bedeutung mehr. Ich bin einfach nur glücklich. Gemeinsam mit Roxi glücklich. Auch ihr hat man eine Medaille umgehängt. Ihr ist das gleichgültig, mir bedeutet es viel! Roxi wächst mir immer mehr ans Herz … Wir posieren für Fotos und müssen uns ein paar Fragen vom Mann am Mikro (zugleich Cheforganisator) gefallen lassen. Die Zuschauer sollen erfahren, wie es uns erging. „Der hat dich sicher immer wieder gezogen!“ schallt seine Vermutung aus den Lautsprechern. „Ja und einmal viel zu schnell!“ versuche mit Humor zu kontern, halte als Beweis meinen über und über mit Blut verkrusteten Arm in die Höhe … Was bleibt vom Ötscher Mountain Marathon? Ein paar unbedeutende Schürfwunden, etliche berückend schöne Kilometer, wichtige Erfahrungen und die Bestätigung von etwas, das ich längst wusste: Trails sind nicht mein Ding. Ich will jeden Streckenmeter laufen. Wo das nicht geht, gehöre ich grundsätzlich nicht hin. Als (Berg-) Wanderer durchaus, aber nicht als Läufer. „Trailrunning“, diese Mischform aus Laufen und Gehen, in noch harscherer Form mehr „Durchschlageübung“ als Laufveranstaltung, wird für mich die Ausnahme oder Notbehelf bleiben.

 

Fazit zur Veranstaltung

Wunderschöne, einzigartige Strecke, mit sehr anspruchsvollen Abschnitten und zumindest beim Aufstieg aus den Ötschergräben definitiv nicht laufbar. Wirklichen Trailcharakter hatten nur etwa ein Drittel der Kilometer, den Rest absolviert man auf asphaltierten Straßen und gut geschotterten Wegen. Wer Naturstrecken liebt und sich gerne abwechselnd mit Gehen und Laufen fordert, ist beim Ötscher Mountain Marathon genau am richtigen Ort.

Die Organisation verlief ohne jede Beanstandung. Versorgung und Unterstützung waren vorbildlich, alle Helfer extrem bemüht. Auch die ärztliche Nachsorge, die ich leider in Anspruch nehmen musste, hat mich überzeugt. Das Preis-Leistungsverhältnis fällt eindeutig zu Gunsten des Veranstalters aus.

Für Trailläufer eine ohne jede Einschränkung empfehlenswerte Veranstaltung!

 

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