Warum nur so wenige?  –  Donautal Marathon Tuttlingen 2011

Marathon kann man überall laufen; in der Stadt, auf dem Land, im Wald, über Berge, rund um Seen. Wem das zu normal (zu langweilig?) wird, verknüpft Marathon mit Abenteuer, quält sich in Bergwerken, durch Wüsten oder bei klirrenden Minusgraden in der Antarktis. Sogar von einer Astronautin las ich, die einen Marathon in der Raumstation ISS laufen wollte. Das eine oder andere jener bizarren Laufexperimente lockt mich zugegebenermaßen auch. Aber bei allen Laufheiligen: Für keinen noch so exklusiven, selbstquälerischen Nervenkitzel würde ich auf das Lauferlebnis dieses Sonntags verzichten wollen, auf den Marathon im oberen Donautal

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Unter dem Motto „Run & fun“ veranstalten die Tuttlinger ihre Läufe. Laufen und Spaß haben? Am frühen Sonntagmorgen? In den ersten Stunden nach dem Aufstehen empfinde ich mich regelmäßig als halben Menschen. Heute ist das nicht anders, wenngleich vor einem Marathon, in fremder Umgebung, Hormonlage und Denkapparat rascher auf Touren kommen. Keinen Bock auf „run“, keine Spur von „fun“. Vielleicht hätte ich doch früher aufstehen sollen!? Erst um 6:15 Uhr weckte mich das Handy und bereits um 8:30 Uhr sollen „run & fun“ beginnen. Eine so kurze Anlaufzeit gestehe ich mir nur ausnahmsweise zu, weil wieder „nur“ ein Trainingslauf geplant ist. Der siebte Marathon in diesem Jahr, ein weiterer „langer Lauf“ zur Vorbereitung auf die 100 Kilometer rund um Ulm.

Zehn Minuten bleiben bis zum „run & fun“. Noch immer fühle ich mich als Fremdkörper im bunten Treiben um mich her – übrigens mehr bunt als Treiben: Trikots in allen Farben, wie immer. Dazu hunderte bunter Luftballons, die Läuferhände kurz vor dem Start in den weiß- blauen Himmel und ein ungewisses Schicksal entlassen werden. Das Häuflein der Marathonis weist einen recht bescheidenen Umfang auf. Nur 170 Voranmeldungen lagen gestern beim Abholen der Startunterlagen vor. Warum nur so wenige? Die Strecke verspricht landschaftlichen Hochgenuss und droht auch nicht mit gewaltigen Höhendifferenzen. Von der mitgereisten Ines (sie war gestern beim Halbmarathon in Tuttlingen erfolgreich; siehe unten) habe ich mich verabschiedet. Sie geht ein Stück voraus, um die obligatorischen Startbilder zu schießen. Was mit Roxi ist, unserem hündischen Laufwunder? Verletzt! Im Moment wartet sie mit verbundener Pfote im Hotelzimmer auf Abholung. Sie hat sich einen Ballen am Fuß aufgerissen oder aufgeschnitten (keine Ahnung wo und wie) und wird nun eine Weile nicht laufen können.

Ich stehe am Ende des Feldes. Ein paar Meter entfernt entdecke ich die junge Läuferin, mit der ich beim Frühstück ein paar Sätze wechselte. Ihr zweiter Marathon heute. Den ersten beendete sie nach 4:19 h, gemeinsam mit Papa. Heute startet sie mit 20 Lenzen erstmalig in der Hauptklasse und möchte ihre Zeit gerne unterbieten. Leider blieb sie ein paar Minuten über ihrer Wunschzeit – so viel vorweg. Obwohl wir uns im Ziel nicht wiedersahen, glaube ich zu wissen, welche Umstände die neue Bestzeit verhinderten – doch dazu später mehr …

Noch immer stehe ich am Ende des Feldes auf der einzigen Straße durch das Donautal, mitten im Dorf „Hausen im Tal“, und lausche dem Moderator. Armer Kerl. Nur eine Handvoll Läufer, nebst Begleitung und er soll Stimmung machen, wie bei einem „Mega-Event“. Erst fordert er Jubelgeschrei der Frauen, dann sind die Männer an der Reihe. Erst „Uuhhh!“, danach ein „Aahhh!“. Nicht laut genug! Ergo müssen die Männer noch mal ran: „Jaaaahhh!“ Das reißt beileibe keine Hausener Langschläfer aus sonntäglichem Schlummer, doch immerhin sind einige Mitläufer schon ganz gut drauf – nicht jeder ist so eine Schlafmütze wie ich.

Ich stehe weiter am Ende des Feldes und warte auf einen Anfall von Lauflust. Der verzögert sich, genauso wie der Start von „run & fun“. Angeblich muss auf der Strecke erst ein Auto abgeschleppt werden. Wo soll das denn stehen? Schon fünfzig Meter hinter der Startlinie schwenken wir auf einen Feldweg und nutzen dann auf dem ersten Halbmarathon nur Radwander- und Spazierwege.

8:38 Uhr: Endlich ist es soweit. Ich wünsche meiner jungen Mitläuferin per Handschlag viel Erfolg und Spaß. Sehr ruhig, ohne das sonst übliche Gedränge, trabt der kleine Tross über die Startlinie, unter der Bahnstrecke hindurch und passiert den Campingplatz. Um ein Haar wäre ich gegen ein Hinweisschild gerannt, kann ihm in einer Relexbewegung aber noch halbwegs ausweichen (ich sollte jetzt endlich aufwachen!). Bereits nach einer Minute liegt Hausen im Tal in meinem Rücken. Den halte ich kerzengerade, weil mich Ines mit der Kamera aufs Korn nimmt. Ein letztes Winken, dann habe ich nur noch Augen für die grandiose Natur um mich her, für eine wahre Bilderbuchlandschaft: Die Donau mäandert durch ein enges Tal, an manchen Stellen nur knapp 200 Meter breit, gesäumt von steilen, dicht bewaldeten Hängen. Löse dich von deiner Vorstellung der Donau als mächtigem Strom, der weite Regionen europäischer Topographie mitgestaltet. Stelle sie dir eher als etwas zu breit geratenen Bach vor, als oft flaches, klares, grün-braunes Gewässer, derzeit – mangels ergiebiger Regenfälle – kaum Strömung aufweisend, lieblich, idyllisch, wie das ganze Tal. Unvorstellbar, aber erdgeschichtlich eine Tatsache: Dieses harmlose Flüsschen grub sich über Jahrmillionen ein zweihundert Meter tiefes Bett, bahnte sich seinen Weg durch hartes Gestein, wovon die an vielen Stellen senkrecht aufragenden Felswände Zeugnis ablegen.

Mit jedem Schritt werde ich wacher und je wacher ich werde, umso mehr ergebe ich mich dem Rausch der Natur. Wohin soll ich zuerst schauen, was fotografieren? Mittlerweile hat die kräftige Junisonne morgendliche Nebel aufgelöst und bringt alles zum Leuchten. Ich bin ein Glückskind, hier und heute Marathon laufen zu dürfen! Und ich darf – nein ich muss! – sogar langsam laufen, kann alles mit Muße betrachten. Darf auch stehen bleiben und Eindrücke fotografisch verewigen, wenn mir danach ist. Also gut, kurz die sportlichen Hintergründe, immerhin soll das ein Laufbericht werden: In meinen Beinen stecken nicht nur die sechs Vorbereitungs-Marathons seit März. Im Ziel wird der Tacho 130 Wochenkilometer anzeigen. Das letzte harte Training – 800 Meter-Intervalle – datiert vom Freitag. Die letzten 10 Tage verbuchte ich ausgesprochen hoffnungsvolle Trainingsergebnisse: Der Puls tickt in allen Tempolagen auf historischem Tiefststand und mein Bewegungsapparat kooperiert weitgehend ohne Meckern. Heute ist Disziplin und Zurückhaltung gefordert, weil ich morgen, in heimischen Gefilden, einen weiteren langen Lauf (34 km) in möglichst demselben Tempo plane. Dieser Doppelschlag bildet eine entscheidende Trainingsetappe zur Vorbereitung auf die 100 Kilometer rund um Ulm in vier Wochen. Wenn ich heute zu schnell laufe, kann ich den Langen morgen vergessen! Eine Pace von 5:30 min/km, Endzeit zwischen 3:50 und 3:55 h, traue ich mir zu. Das wird schwer genug. Es ist warm, schwül und die Strecke fordert mit etlichen Buckeln.

Zunächst entfernen wir uns von Tuttlingen, laufen also Richtung Osten. Anfangs rückt die Donau nahe heran, um sich nach einer Biegung wieder außer Sichtweite zu bringen. Die vielen Eindrücke überfordern mich, obschon ich dieses Wegstück bereits kenne, hier gestern nach langer Autofahrt die Beine lockerte. Inmitten einer Schar Gleichgesinnter zu laufen öffnet eine weitere Dimension. Trikots in allen Farben, bunte Tupfer vor herrlich sattgrüner Kulisse. Nach zwei Kilometer wechseln wir zum anderen Ufer und laufen zurück. Ab jetzt steht die Sonne im Rücken, das Blinzeln hat ein Ende und die Farben werden satter. Sofort steigt der Weg an, verläuft jedoch im angenehm kühlen Waldrand, was die Laufarbeit wieder erleichtert. Schwülwarme Luft und stechende Sonne erwarte ich heute als ärgste Gegner. Ich werde trinken, so viel nur irgend in mich reinpasst. Aber Wärme und Sonne sind nur meiner Ausdauer abträglich. Mental betrachte ich sie als Verbündete, ziehe sie jedem anderen Klima vor.

Ich habe mich auf mein Tempo eingeschossen. Bergauf liege ich etwas darunter, bergab gleicht es sich wieder aus. Die Beine haben schon nach wenigen Kilometern an Frische eingebüßt. Darüber mache ich mir keine Gedanken, kenne es so und habe es nach dem harten Training der Woche auch erwartet. Kopf und Nacken sind bereits schweißgebadet. Klingt nicht nach Genuß, ist aber einer! Fast auf der kompletten Distanz zurück nach Hausen nutzen wir die morgendliche Kühle unter hohen Bäumen und genießen fantastische Ausblicke Richtung Westen. Weit voraus, auf vorgeschobenem, kantigem Fels, thront Schloss Werenwag. Was für ein Anblick! Dann, am Ortsrand von Hausen, wartet Ines ein weiteres Mal, fotografiert, feuert mich an.

Nun gerate ich in Not, denn alle paar Sekunden entdecken meine Augen neue Ansichten. Doch wie soll ich das beschreiben, ohne zu langweilen? Wie ist es überhaupt möglich, dass die immer gleichen Zutaten – Wiesen, Wald, Wasser, Fels und Himmel – ständig neue, abwechslungsreiche Bilder komponieren? So rasch wie heute zogen die Kilometer selten vorbei 6, 7, 8 … Wiesen, Wald, Wasser, Fels und Himmel … 9, 10, 11 … Wiesen, Wald, Wasser, Fels und Himmel … und nun per Fußgängerbrücke über die Donau. Die übt sich hier mit viel Wasser in der Disziplin „Mehr Schein, als Sein!“. Mir macht sie damit nichts vor, denn eines der vielen Wehre verursacht einen Rückstau. Die obere Donau gilt auch als Eldorado für Angler. Ich habe mich gefragt, wie das bei häufig und langanhaltend niedrigem Wasserstand möglich ist – hier erhalte ich die Antwort.

Mal wieder aufwärts, ein Stück in heller Sonne, schweißtreibend, vorbei an einer Kapelle. Ich begrüße den Schatten des Waldes immer noch im Anstieg. Ein Pappschild – wer mag das dort platziert haben? – kündet vom Ende des Berges und verlangt „es laufen zu lassen“. Rasant geht’s runter, kurz nur, und mittels einer weiteren Fußgängerbrücke zurück ans andere Ufer. Wie schon das erste, erschüttern die rhythmisch trappelnden Läuferfüße auch dieses Bauwerk in seinen Grundfesten.

Der Ort Beuron, mit seiner berühmten Klosteranlage in einer Flussschleife liegend, bildet das nächste Zwischenziel. Außer dem Kirchturm vermag ich zunächst wenig von der imposanten Anlage zu erspähen. Dann fordert ein Verpflegungspunkt meine Aufmerksamkeit und kurz danach die schmale Gasse zwischen wartenden Staffelläufern am ersten Wechsel. Schließlich liegt Beuron hinter mir. Wo ist das Kloster? Um es in voller Pracht und Ausdehnung zu sehen, muss ich über die Schulter schräg nach hinten blicken – eine Mühe, die sich lohnt.

So, wie sich die Mühe für jeden Meter dieser Strecke lohnt! Als bloße Manege im Wettkampf-Zirkus ist das obere Donautal viel zu schade. Immer wieder bedauere ich eine Startnummer auf der Brust zu tragen und nicht verweilen zu können. Zum Beispiel am Fuß dieser romantischen, hoch aufragenden Kalkfelsen und wenige Schritte weiter, als die Augen wieder einen besonders hübschen Eindruck des Tales einfangen. Oder hier unter Bäumen laufend, wo ich mich für ein ausgesprochen verträumtes Stückchen der träge dahin fließenden Donau begeistere. Mitläufer sind natürlich auch unterwegs: Einige, die gleich mir langsam dahin traben, selten überholt werden und noch seltener andere hinter sich lassen. Dann und wann rauscht einer der Staffelläufer vorbei, erzeugt unwillkürlich den Impuls sich umblicken, ob man etwa ein Haus auf dem Rücken trägt und eine Schleimspur hinter sich herzieht …

In Höhe Gasthof Jägerhaus, bei Kilometer 17,5, gibt’s dreierlei reichlich: Trinkbares am Verpflegungspunkt, pralle Sonne aus einem mittlerweile wolkenlosen Himmel und wunderschöne Ausblicke entlang des hier von Landwirtschaft geprägten Tales. Eine Herde brauner Kühe, samt Kälbern in jedem Wachstumsstadium, drängt sich eng zusammen. Kurz darauf passieren wir eine Stelle, wo der aufgestaute Fluss mehr als die Hälfte der Talsohle beansprucht. Diese und andere malerische Ansichten genieße ich unter recht komfortablen Umständen. Der Kurs verläuft längere Zeit nahezu eben und unter dem Schirm weit ausladender Äste. Je länger ich laufe, umso größer wird die Lust noch weiter zu laufen. 18, 19, 20 Kilometer vorbei. In einer Steigung – nicht steil, nicht lang und sogar im Schatten – gehen die ersten Läufer. Mir scheint, da haben sich ein paar übernommen …

Die Verblüffung ahnungsloser Zeitgenossen ist groß, wenn einer der Marathon-Verrückten eine Kamera als zusätzliche Bürde mit sich schleppt. Mehr noch: Der benutzt die auch, verschenkt manchmal sogar Zeit, um schöne Motive im Stehen einzufangen. Dem auf Gegenkurs radelnden Paar gelte ich jedenfalls als kurioses, kleines Weltwunder. Mich animiert ihre Reaktion zu einem längst überfälligen Foto. Einer plötzlichen Eingebung folgend, richte ich die Linse auf zwei Streckenposten, die uns zuliebe einen großen Teil ihres Sonntags hier an der Strecke ausharren. Ihr Bild betrachte ich als eine Art „Denkmal des unbekannten Streckenpostens“. Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer, den Weg weisend, Getränke einschenkend oder auf andere Weise nützlich, wäre mein Hobby Marathonlauf nicht möglich. Menschen, denen wir für etwas Unersetzliches, im Grunde Unbezahlbares, danken sollten, für die Zeit, die sie uns schenken!

Die ersten Häuser von Fridingen ziehen vorüber. Meine Spannung steigt, weil Ines hier an der Strecke stehen wollte. Seit mehr als einer Viertelstunde laufe ich jetzt in praller Sonne. Kurz vor elf hat sich die Luft bereits auf über 20°C aufgeheizt. Entsprechend glänzt meine Haut vor Schweiß. Die Reihen der Zuschauer werden dichter. Menschen stehen in ihren Vorgärten und applaudieren. Ich biege um eine Ecke und halte auf das Zentrum der kleinen Ortschaft zu. Vorbei am zweiten Wechsel der Staffelläufer, quer über den Kirchplatz, das Rathaus rechts liegen lassend und dauerhaft begleitet von tosendem Applaus. Dann sehe ich Ines, die sich nach der Art professioneller Fotografen kniend in Schussposition gebracht hat. Klick, klick, klick … ein Lächeln, ein Gruß … mein Hochgefühl ist kaum noch zu überbieten. Ich quere die von wachsamen Polizisten phasenweise gesperrte Hauptstraße und laufe an ihr entlang. Plötzlich entdecke ich unser Auto auf der anderen Straßenseite. Die hinteren Fenster sind halb geöffnet, um Roxi ausreichend frische Luft zu garantieren. Auf den schmerzhaften Hieb bin ich nicht vorbereitet: Da sitzt meine treue Begleiterin auf vielen Laufkilometern, mit eingebundener Pfote, unfähig ihre zweitliebste Leidenschaft auszuleben.

Fridingen verabschiedet sich mit einem der unvermeidlichen Gewerbegebiete. Die hat’s fast in jedem Marathon. Da guckst du kaum hin, willst einfach nur durch. Aber hoppla! Was ist das? Ein Erpel mit Harem will die Straße überqueren. Kurios: Enten im Gänsemarsch! Die Tiere bleiben wie angewurzelt stehen, der Läufer auch. Ihm entfährt ein überraschtes: „Na los! Lauft zu!“ Die klare Anweisung kommt an und so watscheln sie weiter. Ich sichere mir noch den Fotobeweis für verschenkte Sekunden, dann haben sie die andere Fahrbahnseite erreicht und zusammen mit einem heran nahenden Verfolger nehme ich den Wettkampf wieder auf.

Das tief eingeschnittene Tal der Donau hat sich zur Mulde erweitert. Die Hänge beidseits des Flüsschens erscheinen längst nicht mehr so steil und hoch. Dem landschaftlichen Reiz nimmt das nichts weg. Entlang der Donauufer erstreckt sich jetzt eine stille, friedliche Auenlandschaft. Hie und da lockt der Wegrand mit herrlichen Blumenwiesen. Ein Flussabschnitt mit umgefallenen, versunkenen Bäumen verstärkt den Eindruck von Ursprünglichkeit. Im Himmelblau quellen inzwischen weiße Wolkenbäusche, die jedoch keinen Schatten spenden. Der Schweißverlust ist jetzt enorm, was mir aber nichts auszumachen scheint. Wieder und wieder wundere ich mich, wie kurz mir der Lauf heute vorkommt. Kilometer 27, 28, 29 …

Kilometer 31: „Mühlheim an der Donau“ heißt der Ort, durch dessen Wohngebiet und Zuschauerspalier ich gerade trabe. Der Asphalt strahlt die Hitze zurück und so ist mein Magen dankbar für zwei weitere Becher Flüssigkeit. Auch den feinen Nebel einer Dusche verschmähe ich nicht – hätte auch keine Ausweichmöglichkeit gefunden. Da steht Ines! Völlig unerwartet! Wunderbar! Abklatschen und auf Wiedersehen in Tuttlingen …

Auf Mühlheim folgt nach nicht mal einem Kilometer der nächste Ort: Stetten. Wieder begrüßen uns haufenweise Zuschauer, klatschen, feuern an. Ein Intermezzo für Sekunden, dann sind wir wieder draußen. Das Tal öffnet sich immer weiter, die Hänge treten zurück und werden flacher. Schatten gibt’s nun keinen mehr. Nicht bis zum nächsten Dorf Nendingen und auch nicht dahinter. Dennoch empfinde ich den Lauf nicht als hart. Ich habe literweise Flüssigkeit intus und noch keinen trockenen Mund. Die Wärme ficht mich nicht an und meine Pace kann ich problemlos halten – nun nahezu uhrwerkartig, da keine ausgeprägten Anstiege mehr zu überwinden sind. Der weiterhin asphaltierte Weg verläuft hier zwischen Feldern. Vor einer Buschgruppe hat sich eine Gruppe Schlachtenbummler auf Bierbänken niedergelassen. Ihnen geht’s wohl eher um den Genuss köstlichen Gerstensaftes, als um das sportliche Ereignis. Ein überaus beleibter Herr (das ist sehr wohlwollend formuliert), dem sportliche Betätigung sicher gut täte, fuchtelt wild mit den Armen und ruft jedem Läufer etwas zu. Als die Reihe an mir ist, verstehe ich: „Ist nicht mehr weit! Und am Hof gibt’s köstliches Quellwasser!“

Welchen Hof mag er wohl meinen? Oder habe ich das missverstanden? Habe ich nicht! Einen halben Kilometer weiter, vor einem Bauernhaus sind zwei Frauen eifrig damit beschäftigt Wasser in Becher zu füllen. Eine „Oma“ – wenn sie ihren Achtzigsten noch nicht gefeiert hat, dann ist es sicher nicht mehr lange hin! – drückt mir einen Becher in die Hand. Köstlich! Ob das an meinem Durst liegt oder das Wasser hier wirklich besonders gut schmeckt – ich weiß es nicht. Ein paar Schritte lang freue ich mich einfach über die uneigennützige Wohltat und verlängere das zuvor ausgesprochene „Danke!“ mit entsprechenden Gedanken.

Bei Kilometer 39 erreiche ich die Ortsgrenze von Tuttlingen. Hier wühlen sich werktags Planierraupen durch die Erde. Nach so viel wunderbarer Natur ein recht herber Kontrast. Augen zu und durch! Das anschließende Gewerbegebiet gibt sich dann auch nicht wirklich hübscher. Spektakulär wird’s noch einmal an einer von Polizei gesicherten Kreuzung. Just in diesen Minuten wartet eine Oldtimer-Kolonne auf freie Durchfahrt. Natürlich bleibe ich aus diesem Anlass stehen und banne die Szene in den Speicher meiner Kamera. Damit fange ich mir ein krächzendes Hupen und einen leider unverstandenen Zuruf ein.

Der Weg zum Finish führt an der Donau entlang, am Tuttlinger Wehr, durch schöne Parkanlagen und schließlich noch ein Stück durch menschenleere Innenstadtstraßen. Vor dem Ziel säumt wieder reichlich Publikum die Strecke und spart auch nicht mit Beifall. Die für mich wichtigste Zuschauerin ist auch dabei, erwartet mich mit schussbereiter Kamera. Auf der langen Zielgeraden weiß ich nicht wohin mit meinem Hochgefühl. Es ist mir zu diesem Zeitpunkt eines Marathons nicht unbekannt. Aber heute hat es einen besonderen Grund: Nach 42 Kilometern fühle ich mich überhaupt nicht ausgepowert und nichts tut weh! Sichtbar für alle lege ich meine Freude in einen lang gezogenen Endspurt …


Zeit: 3:51:21 h
Platzierung Gesamt: 44. von 151 Teilnehmern
Platzierung M55: 4. von 14 Teilnehmern

 

Ines Halbmarathon in Tuttlingen (Samstag, Start 17 Uhr)

Im zufälligen Gespräch mit einem Offiziellen erfuhr Ines, dass man überlegte, auch den Halbmarathon an die Donau zu verlegen. Letztlich entschied man sich dagegen, weil dieser Lauf von den Tuttlinger Zuschauern lebt. Und deren Unterstützung ist wirklich enorm. Ines zeigte sich beeindruckt von der Dichte und Begeisterung des Publikums. Letztlich ist es auch diesem Umstand zu verdanken, dass sie trotz Schwüle (25°C) und mit wenig Training den Lauf ohne Schwierigkeiten durchstand. Als dann auch noch Freunde von uns an der Strecke auftauchten, war sie völlig aus dem Häuschen. Sie absolvierte ihre drei Runden entlang der Donauufer mit Spaß und einem Dauerlächeln …

Zeit: 2:13:57 h
Platzierung Gesamt: 44. von 72 Frauen
Platzierung W40: 11. von 16 Frauen

 

Fazit zum Donautal Marathon

Selten habe ich den geringen Zuspruch bei einer Laufveranstaltung dermaßen bedauert! Für nur 151 Finisher (170 Voranmeldungen) auf einer der schönsten Strecken Deutschlands finde ich keine stichhaltige Erklärung. Tuttlingen mag dezentral liegen, aber das gilt für Städte wie Freiburg gleichermaßen. Auch Inhalt und Gestaltung der Internetseite machen einen etwas kümmerlichen Eindruck. Doch ist so etwas ursächlich für ein vergleichsweise winziges Teilnehmerfeld? Jedenfalls kann ich den Donautal Marathon jedem Läufer guten Gewissens empfehlen. Und wer Landschaftsmarathons bevorzugt, sollte sich den Leckerbissen im oberen Donautal keinesfalls entgehen lassen.

Die Strecke weist einige Buckel auf, kann aber auch von Einsteigern bewältigt werden. Der Untergrund ist zu schätzungsweise 70 % asphaltiert, besteht ansonsten aus festen, fein geschotterten Wegen.

Auch der Halbmarathon hat seinen Reiz. Das fantastische Publikum macht die drei Runden zum Spaziergang. Und hässlich ist der Stadtkurs auch nicht, weil die Läufer überwiegend die Ufer der Donau nutzen.

 

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