Uhr spricht eine eindeutige Sprache: ich werde langsamer. Schaffe zwischen Kilometer 20 und 30 nur noch Schnitte von 4:36. Zum Glück führt dieser Teil durch den um diese Zeit schon sehr schattigen Wald im Wiener Prater, also kein Heizstrahler von oben. Im Prater begegnen mir auf einem kurzen Wegstück einige der schwarzen Spitzenläufer. Kurze, willkommene Abwechslung vom ständigen Kampf mit dem inneren Schweinehund. Scheinbar federleicht, wie schwerelos laufen sie vorbei. Herrlich dieser Laufstil. Unerreichbar. Dann geht es mitten durch den Vergnügungspark des Praters, vorbei am Riesenrad. Komisch, heute interessiert es mich nicht die Bohne!? Zufrieden tauche ich wenige Minuten später wieder ins schattige Pratergrün ein. Auf der kühlen Hauptallee sind insgesamt etwa 10 km zurück zu legen. Immer wieder applaudierende Spaziergänger und immer wieder dröhnende Lautsprecher. Der Veranstalter hat die gesamte Hauptallee von einem lokalen Rundfunksender beschallen lassen. So erfahre ich dass der Sieger mit 2:12:20 schon im Ziel ist, dass wir lahmeren Schnecken inzwischen Badewetter von 24°C im Schatten „genießen" dürfen und dass es auch morgen wieder schön sein wird … Morgen? Wen interessiert schon morgen??? Die Musik und das Gequatsche lenken ein bisschen ab. Nach Kilometer 32, noch immer im Praterpark, haut er dann auch mich - der Hammermann. Intensiver als sonst, als deutlichen Übergang in wenigen Minuten merke ich, wie meinem Stoffwechsel das Glykogen ausgeht und er vollständig auf Fettverbrennung umschaltet. Nunmehr „dicke“, schwere Beine lassen alle Zeitträume brutal verfliegen. Ich habe ja auch schon lange nicht mehr Tabelle und Uhr verglichen. Vor einigen Kilometern schon war mir bewusst, dass heute der Lauf insgesamt auf dem Spiel steht! Dass es schwer sein wird das Ziel auf dem Heldenplatz überhaupt zu erreichen. Meine Bewegungsabläufe fühlen sich immer eckiger an. Nur mühsam gehorcht die Muskulatur. Alles in mir drin schreit „stehen bleiben“. Und der Schweinehund fragt hinterhältig gemein: „Warum in aller Welt tue ich mir das an?“. Ich bleibe nicht stehen, ich laufe weiter und halte ein passables Tempo. Noch 5 km, dann noch 4, noch 3 … Kilometer 40 ist erreicht. Längst ist mir die Uhr so was von egal. Nur noch die Sehnsucht nach dem Ziel hat jetzt Platz. Ich nehme alles um mich her wahr und zugleich gar nichts. Bin ich hier? Laufe ich? Keine Anfeuerung erreicht mich mehr. Saftlos, kraftlos, apathisch schleppe ich mich dahin, vermag mich nicht mehr aufzubäumen. Da ist ganz einfach nichts mehr. 42 km, gleich biege ich um die letzte Ecke, werde auf den Heldenplatz laufen, das Ziel sehen. Aberhunderte säumen die letzten Meter beidseits der Strecke: Da ist das Zieltor. Jetzt den Kopf hoch, du hast es geschafft, zeig es allen … Ein paar beschleunigte Schritte gelingen noch, ich reiße die Arme hoch, bin im Ziel - grenzenlose Erleichterung - vorbei -geschafft! Ich darf jetzt stehen bleiben, halte mich an der Absperrung fest, verfolge die irrwitzige Idee (woher kommt so was in dem Moment) ein paar Dehnübungen zu machen. Geht nicht, keine Kraft. Mann bin ich froh. Mensch die Zeit, irgendwas mit 3 Stunden 15 Minuten sagt meine Uhr. Gar nicht so schlecht. Dann wieder Erleichterung: Die Sehne tut nicht mal weh, der Oberschenkel auch nicht. Alles hat gehalten. Ich will weiter gehen, in Richtung Burghof, zu den Verpflegungsständen. Urplötzlich wird es heller! Alles verschwimmt in diesem grellen Meer aus Licht. Hinsetzen, sofort. Im Schatten sitzend ist der Spuk sofort vorbei. Minuten harre ich aus. Schließlich schaffe ich die paar Meter zur „Tränke“, lasse mir unterwegs die Finisher-Medaille umhängen. Trinken, trinken, trinken. Plötzlich wieder diese Helligkeit. Ich kenne das nicht. Solche Sehstörungen hatte ich nie zuvor. Weder beim Laufen noch sonst irgendwann. Wieder hinsetzen, langsam trinken. Ich muss etwas essen, hole mir das „Verpflegungssackerl“, wie es hier heißt. Eine Banane, ein Apfel, zwei Portionspackungen Knäckebrot, zwei Flaschen mit Getränken. Da kann man wirklich nicht meckern. Noch immer bin ich völlig ausgepowert. Auf einer Bank sitzend beobachte ich das Sitzen, Liegen, Kommen und Gehen der anderen Läufer. Gleich werde ich meine Halbmarathon-Frau und unseren aus Sachsen angereisten Zweier-Mini-Fanclub treffen. Ich komme langsam zu Kräften und mit der Kraft wächst die Freude.
Morgen ist es soweit!

Seit Tagen wird das Wetter besser. Endlich wärmer! Noch am Samstag, auf der Fahrt nach Wien, machen wir uns keine Gedanken über die Temperaturen, genießen einfach die Wärme. Eigentlich laufe ich am liebsten wenn es warm und schwül ist. Mit Temperaturen über 30°C habe ich keinerlei Probleme. Das schlaucht mich genau so, wie andere Läufer, ist für mich dennoch überaus angenehm. Nur habe ich noch nie einen Marathon bei Temperaturen über 15°C absolviert … Der erste Weg in der österreichischen Metropole führt uns zur Marathonmesse im Messegelände. Enttäuschend klein ist sie, füllt kaum eine Halle. Das Abholen der Startunterlagen für meine 42,195 km und den Halbmarathon von Ines erfordert nur Minuten. Schon nach einer reichlichen Stunde sind wir auf dem Weg ins Hotel und zur Kaiserschmarrn-Party im Kurpalais am Stadtpark, ein wirkliches Wiener Highlight! In prunkvoller, K.u.K-inspirierter, durch schrille Kaffeewerbung eines der Hauptsponsoren allerdings übel entweihter Kultstätte (Bild) genießen wir den ganz ausgezeichneten Kaiserschmarrn. Eine tolle Alternative zum üblichen Nudelservice. Kaffee rinnt endlos bis zum Maximalpuls und darüber, aber die Portion Kaiserschmarrn hätte schon ein bisschen größer ausfallen dürfen. So habe ich am Abend mächtigen Hunger und es fällt mir schwer die Abendkost nicht zu üppig ausfallen zu lassen. Auf das letzte kurze Training verzichte ich. Die langen Wege durch Wien ermüden ausreichend. Irgendwie spüre ich, dass Lauftraining jetzt kontraproduktiv wäre ...



Vienna City Marathon oder ...
 ... warum der Heldenplatz Heldenplatz heißt


Was interessiert den Marathonläufer, wenn er am Tag X aus dem Schlummer erwacht? Erst einmal nichts außer dem eigenen Körper: Wie fühle ich mich? Kneift irgendwas? Alles in Ordnung? - Heute passt alles: Ich fühle mich kraftvoll, ausgeschlafen, Sehne und Oberschenkel geben grünes Licht. Die letzten Stunden und Minuten vor dem Lauf mache ich alles richtig: Der Kaffeenarr in mir schafft die Askese von nur einer Tasse zum Frühstück, dazu ausreichend Saft und eine Dose Mineralgetränk, danach nichts mehr bis unmittelbar vor dem Start. Dort stehe ich im zweiten Startblock kurz vor der Donaubrücke. Das übliche Getöse aus den Lautsprechern und dann doch wieder eine Überraschung, die mir ein bisschen Gänsehaut und feuchte Augenwinkel macht: Zum Start spielt uns Johann Strauß auf: „An der schönen blauen Donau“. Die Spannung in mir löst sich, die Zweifel verschwinden, ich lasse die spürbare Vorfreude der anderen Läufer an mich heran: Alles wird gut gehen! Oberschenkel und Sehne werden halten! - Massenstart in Wien, tausende Läufer schwärmen über die Reichsbrücke. Verdammt eng ist es da. Nicht nur, dass ich mein Tempo auf den ersten Kilometern nicht aufnehmen kann. Fast bringe ich einen anderen Läufer zu Fall, dem ich zwei Mal versehentlich auf die Hacken trete. Natürlich bringt so ein Massenstart tolle Fotos für Bildberichte. Aber sonst? Das könnte man deutlich entzerren, wäre organisatorisch absolut kein Problem. - Die ersten Kilometer führen durch das Herz der Stadt. Die Wärme ist "geil"! Lockeres, leichtes Laufen. Es macht Spaß. Ich fühle mich gut. Die Sehne schweigt, der Oberschenkel auch. 15 km vorbei: Ich halte mein Tempo, liege in der Zeit. Am Armband meiner Uhr trage ich die Zeittabelle: Kilometerschnitte von 4:22 stehen darauf. Sie sollen mich in 3 Stunden und 4 Minuten im Ziel ankommen lassen. Das traue ich mir zu, wenn alles optimal läuft … Der Schweiß rinnt seit einigen Kilometern in Strömen. Deutlich über 20°C unter praller Sonne sind dafür verantwortlich. Ich trinke an den Verpflegungsstellen mehr als sonst. 20 km: Da ist es wieder dieses Gefühl der schweren Beine. Zu früh! Ich werde kämpfen müssen. Inzwischen schwitze ich merklich weniger, als Folge der fortschreitenden Dehydrierung. Die
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