15. Oktober 2023

Gänseblümchen-Marathon  -  Naabtal Ultra 2023

Soll ich, soll ich nicht - soll ich, soll ich nicht - ins Naabtal fahren und Marathon laufen? Hätte ich meinen Wankelmut der Vorwoche an den Blütenblättern eines unschuldigen Gänseblümchens ausgelassen, es guckte jetzt ziemlich gerupft von seinem Stängel in die Welt. Schuld daran hat - ich gestehe! - nicht zuletzt mein Hadern mit der Kälte, die dem Zusammenbruch des Oktober-Spätsommerwetters folgte. Aber nicht nur: Daneben wurde ich von terminlichen und anderen Unwägbarkeiten hin und her geschubst. Auch von der Aussicht drei Wochen rings um meine Wohnstatt auf nur allzu bekannten Wegen Marathonniveau konservieren zu müssen, sollte ich dieses Wochenende eine Wettkampfpause einlegen.

Schlussendlich ergatterte ich noch einen Startplatz und stehe deshalb jetzt, um 9:30 Uhr, in Duggendorf (ca. 25 km von Regensburg entfernt) vor der Behausung von Veranstalter Andreas Brey. Anwesend 32 weitere Laufbegeisterte, darunter auch Initiator Andreas und seine Frau Kristina, die wie stets ihren Carport mit Sitzgelegenheiten zum Läuferheerlager umfunktionierten. Mit flüssiger und fester Labsal bestückte Biertische werten das vor Regen geschützte Obdach überdies zum Verpflegungspunkt auf. Was kann man/frau unter Andreas‘ Fittichen laufen? - Die Pendelstrecke am Naabufer misst einfach 10,55 Kilometer, ergibt hin und zurück einen Halbmarathon. Zweimal absolvieren die Marathonis diese Distanz. Und wer seinen Lauf „ultrafizieren“ möchte - was heute nur einer im Sinn hat -, schlägt denselben Weg ein drittes Mal ein und kehrt in Höhe eines vorgezogenen Wendepunktes (ca. Km 3,9) um. Wem 10 Kilometer reichen, der läuft einmalig bis zum Wendepunkt bei Kilometer fünf.

Zu den Fragen, die der Tag mir beantworten wird, gehört, ob und wie mein Körper den Temperatursturz von fast 20°C binnen zweier Tage läuferisch verkraftet. Natürlich auch, ob mein Bekleidungskonzept den veränderten Witterungsverhältnissen in ausreichendem Maß Rechnung trägt. Laufkostüm heute: Langes Unterhemd, darüber ein T-Shirt, kurze Hose, dünne Handschuhe, Halstuch und Mütze. Einerseits gilt es übermäßigen Schweißverlust zu vermeiden, vor allem aber unterwegs nicht zu frieren. Zu frieren, so wie jetzt kurz vorm Start, in 9°C kalter Luft.

Auf Andreas‘ Zeichen treten wir auf der Straße hinter der imaginären Startlinie an und posieren für ein Gruppenfoto. Zu meinem Entzücken* wird eine Läuferin von ihrem Vierbeiner begleitet. Doppeltes Entzücken sogar, denn dieser Mitläuferin, Maria Parzefall, verdanken wir die hübschen, hölzernen Finishermedaillen, die an der Rückwand des Carports hängend auf Finisher warten. Ich plaudere ein wenig mit Maria, komme dabei nicht umhin die vormaligen „Begleitverdienste“ meiner Hündin Roxi zu rühmen. Roxi hat sich nach etlichen Marathons und Ultras nach 16 vollendeten Hundejahren aufs verdiente Altenteil zurückgezogen. Der „Hundemenschen-Talk“ endet erst nach dem Startsignal, auf den ersten Metern steil abwärts Richtung Naabufer.

*) Das Wort ist bewusst gewählt. Als Läufer, der sehr lange selbst mit Hund unterwegs war, bin ich stets ein bisschen aus dem Häuschen, wenn ich einem Läufer oder einer Läuferin mit Hund begegne.

Schon die anfänglichen vielleicht zweihundert Meter bis zur Naabbrücke reißen das Feld auseinander. Wie immer, wenn „Just-for-Fun-and-health-“ und ehrgeizige Vereinsläufer gemeinsam an der Startlinie stehen. Und was ist mit mir? - Das Attribut „Vereinsläufer“ belegt meine Trikotage und an Training war in den letzten zwei Wochen wahrlich kein Mangel. Der Ehrgeiz fehlt allerdings, jetzt, zu Beginn. Vielleicht meldet sich der Einpeitscher später noch zu Wort, um mir ein bisschen den Laufsonntag zu vermiesen. Einstweilen trabe ich ambitionslos-verhalten drauflos, über die Naabbrücke rüber zum Ostufer, auf bekannter Strecke. Ich bin seit 2021 zum fünften Mal in Duggendorf, kenne die Strecke sozusagen „aus dem Effeff“. Der große Unterschied heute: Die letzten Male trat ich im Winter hier an, einmal bei einsetzendem Frühling. Jahreszeiten, in denen die von Laubwald dominierte Vegetation des Naabtals ihre Reize Natur-gemäß nicht vollends zur Geltung zu bringen vermochte. Heute ist das anders. Die Blätter leuchten in allen Nuancen von Grün über Braun zu Gelb, Orange und Rot. Und das, obwohl sich die Sonne bisher bedeckt hielt.

Nach anderthalb Kilometern geht der zunächst asphaltierte, abseits der Naab verlaufende Feldweg in eine fest geschotterte Piste über. Perspektivisch hat es mir das Naabtal mit seinen geschwungenen Wegen, Waldrändern und Flussufern von jeher angetan. Heute drapiert buntes Laub Linien und Flächen, umso begieriger fange ich Bilder mit der Digicam ein. Das kostet Zeit, weil ich meistens stehenbleibe. In der Bewegung und ohne Sonne fürchte ich unscharfe Bilder. Nach anderthalb Kilometern beginnt der in meinen Augen schönste Abschnitt der Strecke, unmittelbar am Flussufer. Wunderschön, selbst bei bescheidenen Lichtverhältnissen wie heute, die das Wasser dunkel und unergründlich erscheinen lassen und Spiegelungen den Charakter von Schattenrissen verleihen. Eine Schwanenfamilie, zwei weiße Alt- und - wenn ich richtig zähle - sogar sechs graue Jungvögel, gründeln im Fluss, nutzen dafür Untiefen in der Nähe des Gegenufers - Naturidylle pur.

Nach drei Kilometern schieben sich wieder Wiesen zwischen Laufweg und Ufer. Meine Kamera ruht sich aus und ich richte den Fokus mehr nach innen. Was ich spüre weckt Skepsis: Nach zwanzig Laufminuten sollte mein Stoffwechsel hochgefahren, ich folglich auf munteren Beinen unterwegs sein. Von munter keine Spur, stattdessen gibt sich mein Bewegungsapparat müde, zäh, widerwillig. Nicht mehr als ein erstes „Bulletin“ - es kann noch besser werden, also nicht zu früh die Flinte ins Korn - pardon: ins Wasser schmeißen.

Dem komme ich auf dem Ufersträßchen der Ortschaft Pielenhofen nun wieder näher. Heute mal keine bunten Kanus zu sehen, die sonst immer auf einem ufernah abgestellten Anhänger in Höhe des Bootsverleihs auf Kundschaft warteten. Wohin ich auch spähe, nirgends ein Boot zu entdecken. Unverständlich denn: Vor zwei Tagen regierte hier, wie überall in Bayern, noch der Spätsommer mit Temperaturen über 20°C. Nachsaison für Wassersportler sozusagen. Als ich vormals im Winter oder zum Start in den Frühling an den Kanus vorbeilief war überhaupt keine Saison für Bootskapitäne …

Kilometer 5: Heute wird das nix mit guten Bildern vom Kloster Pielenhofen, der einzigen baulichen Attraktion an der Strecke. Ein Gerüst verschandelt das Schiff der Klosterkirche und ein hässlicher Baukran konkurriert mit den Türmen des Gotteshauses. Pflichtfotos und weiter. Vorbei an der Auffahrt zur Pielenhofener Naabbrücke, die Strecke folgt weiter dem diesseitigen Ufer. Mir ist unklar, wie man sich an dieser Stelle verlaufen und sozusagen „anlasslos“ über die Brücke zur anderen Flussseite wechseln kann. Ist laut Andreas aber schon mal passiert … An dieser Stelle zwar nicht, doch kann auch ich mich nicht von Fehlern freisprechen, wie der weitere Wettkampfverlauf beweisen wird.

Ich lasse Pielenhofen hinter mir, alsbald gewinnt die Straße an Höhe. Schöne Perspektiven, Linien, Konturen, Aus- und Fernsichten - das Naabtal hat sie reichlich zu bieten, dazu heute bunt gefleckt. Ich wünsche mir Sonne herbei, um die herbstliche Pracht eindrucksvoll im Bild festhalten zu können. Ein Wunsch, der sich offenbar ebenso wenig zu erfüllen scheint, wie die Hoffnung die anfängliche „Unfrische“ nach und nach „rauszulaufen“. Nichts dergleichen zeichnet sich ab, es fühlt sich an, als hätte ich noch gestern ein hartes Training absolviert.

„Charakter der Strecke: leicht wellig“, so hatte Andreas die Route anlässlich seiner Einweisung beschrieben. Vor zehn Jahren noch wäre mir diese Einschätzung übertrieben und der Kurs flach vorgekommen. Inzwischen spüre ich sogar diesen allmählichen Anstieg, der über etliche hundert Meter kaum mehr als 20 Höhenmeter überwindet. Dahinter sanft abwärts, vorbei an einem Campingplatz und schließlich wieder der Übergang von Asphalt zu festem Schotter. Ab hier erneut unweit der Naab dahin, ausschließlich flankiert von Feldern und Wiesen. Weit voraus mache ich noch die Silhouette einer Läuferin aus, ansonsten fröne ich - wie nicht anders zu erwarten - einem eremitischen Läuferdasein.

Das ändert sich - wenn auch nur sporadisch - ein paar Minuten später, nach ungefähr acht Kilometern, als mir bereits die Schnellsten der Schnelleren entgegen kommen, zwei Männer und eine Frau. Wenn das Lächeln in ihren Gesichtern nicht trügt, dann scheint zumindest diesen drei der Jogg locker vom Fuß zu gehen. Sicher lächle ich zurück, grüße überdies per Handzeichen, auch wenn ich mir im Vergleich zum „Vorbeischweben“ des Trios vorkomme wie der sprichwörtliche Elefant. Ich nehm’s wie’s ist, verschwende auch keinen Gedanken daran, warum es so ist, wie’s ist. Es gibt eben so Tage …

… an denen ich Zufriedenheit beim Lauf aus anderen als körperlichen Quellen schöpfen muss. Heute belohnt mich vor allem die herbstlich bunte Präsenz des Naabtals, die sich entlang der Flussschleifen und infolge mehrfach bis zum Ufer vorspringender Waldabschnitte beständig wandelt. Trotz stets gleich spärlicher Zutaten - Fluss, Talhänge, Wald, Feld, Wiese, selten ein paar Felsen - gleicht keine Ansicht der anderen. Und schon jetzt steht fest, dass die Entscheidung hierher zu fahren goldrichtig war.

Das unsichere, kalte Wetter hat auch sein Gutes: Der sonst zahlreich von Radlern befahrene Uferweg bleibt heute weitgehend radfrei. Etwa einen Kilometer vor der Wende begegnet mir eine vierköpfige Familie, die erwachsene Hälfte zu Fuß, kleiner Junge und Mädchen auf dem Rad. Ansonsten niemand, bis auf meine Mitläufer, deren spärliche Parade ich nach und nach abnehme. Ein paar Meter vor der Wende zwei Lauffrauen, von denen eine mir etwas zuruft: „ … Kapelle …“ Der Rest ihrer Rede bleibt unverständlich. Nachfragen? - Ach, was soll’s, schließlich weiß ich vom letzten Mal noch, wo die Wende liegt: vor der Hofeinfahrt eines relativ neuen, gelben Wohnhauses. Dort, wo demnach auch die Kapelle stehen muss, die Andreas als Wendepunkt bezeichnete, an die ich mich allerdings nicht erinnern kann …

Vorbei am gelben Haus, den Blick voraus zur Hofeinfahrt gerichtet, wo damals ein Tisch mit Getränken stand … rein gar nichts deutet hier auf eine Wende hin. Auch die Kapelle kann ich nirgendwo ausmachen. Vielleicht narrt mich meine Erinnerung? Vielleicht lag die Wende doch woanders, eventuell hinter der nächsten Kurve? Sicher steht dort auch die Kapelle! Also jogge ich zögerlich weiter, um die Kurve … Fehlanzeige! Noch ein paar Schritte, erst fünfzig Meter, dann hundert, unbekannte Ansichten. Hier war ich definitiv noch nie in diesem Leben! Meine GPS-Uhr meldet unterdessen schon 10,95 km. Also kehre ich um, unsicher und verwirrt natürlich. Ein Zustand, der exakt an der Stelle endet, wo ich die Wende vermutete. Aus Gegenrichtung kommend, kann man die Kapelle gar nicht übersehen. Aus der anderen schon, weil sie sich dem Auge des Passanten in ungünstigem Winkel präsentiert, überdies hinter Büschen und dem Geäst eines Baumes verbirgt. Zwei Nachzüglerinnen begegnen mir, die ich auf die Gefahr die Wende zu verfehlen nachdrücklich und wortreich hinweise. Womit auch klar ist, was mir die Frau vorhin mitteilen wollte.

Der sonntägliche Familienausflug kommt mir wieder entgegen: Mädchen auf dem Rad, Mama und Papa zu Fuß. Urplötzlich kehrt Papa den Seinen den Rücken zu. Warum tut er das? Das spontane Fragezeichen fällt in sich zusammen, als ich stückweit voraus, hinter einer Kurve das noch fehlende Viertel der Familie sichte. Ach ja, da war ja noch der kleine Junge auf seinem Laufrad … Der hat offensichtlich die Lust am Familienausflug, darüber hinaus die Blickverbindung zu seinem Rudel verloren. Wie reagiert ein spaßbefreiter Zwei- bis Dreijähriger, den man zur Fortbewegung „nötigt“? Der sich obendrein vom Verschwinden seiner Eltern hinter einer Kurve mindestens ignoriert, vielleicht auch im Stich gelassen fühlt? - Ganz klar: Er heult Rotz und Wasser! Auch eine verspätete Mitläuferin, die mir in diesem Augenblick entgegen joggt, gerät mitten hinein in die „erzieherische Familienposse“; kann sich aber keinen Reim darauf machen, weil sie den versteckten Vater nicht sieht. Mit einem Hinweis auf den hinter Büschen wartenden „Erziehungsberechtigten“ befreie ich sie von ihren Sorgen …

Es beginnt zu tröpfeln. Ein prüfender Blick Richtung Gewölk beruhigt mich: Nichts Ergiebiges zu erwarten. Bereits ein, zwei Minuten später stellt jemand die Sprinkleranlage wieder ab. - Schon erstaunlich, um wie viel attraktiver Herbstfarben und üppige Belaubung eine Gegend herausputzen. Manch eine der hübschen Ansichten habe ich in den Jahren zuvor nicht mal wahrgenommen, geschweige denn ein Motiv darin gesehen, das einen Caspar David Friedrich zu romantischen Pinselstrichen hätte inspirieren können. - Zurück auf Asphalt, sanft bergab halte ich auf die Ortschaft Pielenhofen zu. Vorm Gartenzaun eines der ersten Anwesen steht eine Läuferin. Was tut die da? Nicht zu fassen: Ich habe auf dem Hinweg das von Andreas angelegte Wasserdepot übersehen, hatte offenbar nur Augen für die Gegend. Ich leere eine 0,5 Liter-Flasche zur Hälfte und lasse sie an markanter Stelle für Umlauf zwei zurück …

Pielenhofen liegt hinter mir, wieder dicht am Ufer, 18 Kilometer gelaufen. Zwar habe ich mir das meist erfolglose Grübeln unter derlei Umständen weitgehend abgewöhnt, dennoch wüsste ich zu gerne, warum mir das Laufen heute so schwer fällt. Da ist objektiv betrachtet nichts, das als stichhaltige Erklärung Bestand hätte. Weil mir nichts anderes einfällt, schiebe ich dem Temperatursturz und fehlender Akklimatisierung meine „Unpässlichkeit“ in die Schuhe. Klingt weit hergeholt, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Immer wieder hat sich gezeigt, dass ich bei Kälte läuferisch nur die Hälfte wert bin. Nun sind 9°C nicht eisig, nicht mal wirklich kalt, gemessen an sommerlich warmer Luft, in der ich vor zwei Tagen noch „badete“, aber empfindlich kühl.

Unter Andreas‘ Carport empfängt mich gute Stimmung, die in mir gleichermaßen positiv widerhallt. Das ist angesichts meiner miesen Tagesform durchaus nicht selbstverständlich. Der familiäre Charakter der Veranstaltung macht den Unterschied. Der ist Andreas und seiner Frau Kristina zu verdanken, die sich mehr als zuvorkommende Gastgeber, denn als Veranstalter verstehen. Trinken, ein Gel einverleiben, ein weiteres im Hüftgürtel verstauen und wieder los.

Ich bleibe weitgehend allein auf der Strecke. Nur ab und zu begegnen mir andere Läuferinnen oder Läufer. Meistens rätsele ich, welche Zieldistanz die- oder derjenige wohl anpeilt. Schon auf dem ersten Abschnitt meiner zweiten Runde kommt mir einer der schnellen Läufer entgegen. Jetzt schon auf dem Rückweg? Zu weit für einen halben, zu kurz für den ganzen, vielleicht ein Dreiviertelmarathon? - Der Himmel lebt heute seine Unentschiedenheit aus; tendiert bisweilen zum Eintrüben, um wenig später mit blauen Flecken die Hoffnung auf Herbstsonne zu nähren. Insgesamt bin ich mit Petrus‘ Wetterdramaturgie durchaus zufrieden: zu kalt für mein Empfinden, doch ab und an Sonne, also kurzzeitig „Goldener Oktober“ fürs Auge, kein Regen und kaum Wind.

Auf müden Beinen werde ich stetig langsamer. Ich bin mir dessen bewusst, auch wenn ich bisher selten Tempochecks auf der Uhr anstellte. Und wenn doch, dann schien eine Zeit unter fünf Stunden - erst nach dem Start zum „Tagesziel“ avanciert - nicht in Gefahr. Je näher ich der zweiten Wende, also dem Dreiviertelmarathon, komme, umso unsicherer wird, ob die Zielmarke einzuhalten ist. Was mich allerdings nicht im Mindesten zu beschleunigten Schritte animiert. Wo bleibt mein Ehrgeiz? Eingefroren? Versehentlich daheim vergessen?

Das 10-Kilometer-Täfelchen kurz vor der Wende bringt noch nicht die (Ehrgeiz-) Wende, bereitet sie aber vor. Wenn ich in ein paar Minuten auf dem Rückweg hier vorbeikomme - denkt „es“ spontan in mir -, dann werde ich wissen, ob Sub5Stunden gelingen können. Einstweilen tippele ich seelenruhig vor mich hin, opfere an der Wende sogar bedenkenlos ein Minütchen, um die Kapelle in aller Ruhe abzulichten. Erst dann mache ich mich auf den Rückweg, erneut gemessenen Schrittes … Als ich an der „10“ vorbeilaufe guckt mich die Uhr mit skeptischen 3:54 Stunden an: Ob du das noch schaffst? Sicher nicht, wenn ich das Trödeltempo der letzten Stunde beibehalte. Werde ich diese Gewissheit kampflos akzeptieren? - Es ist nicht so, dass ich in Fragesätzen dächte und eine auf diese Weise vorbereitete Entscheidung träfe. Die Veränderung geschieht unwillkürlich, rein emotional, vermutlich der grundsätzlichen Läuferattitüde entspringend keine Niederlage hinnehmen zu wollen. Und so geschieht es: Ein Ruck geht durch den ganzen Kerl und fortan setzt er flottere Schritte.

Was natürlich zu Lasten des Genusses geht, schöne Herbstbilder spielen auf der Reststrecke nur noch eine untergeordnete Rolle. Mehr und mehr richtet sich mein Fokus darauf diese letzten zehn Kilometer auszuhalten. Die sich „hässlich“ anfühlen, weil’s einerseits schmerzhaft zieht im Gebein. Darüber hinaus muss ich mir jeden Meter abringen. Muss Willen mobilisieren, um den hinhaltenden Widerstand meines Körpers bei jedem Schritt zu überwinden. Und dieser Widerstand wird anders als die Zahl der Restkilometer beileibe nicht kleiner …

Nach und nach arbeite ich die vertrauten Abschnitte ab, … luge zum Fluss, … fasse die bunten Waldränder ins Auge, … registriere auch die hübsch in die Hänge am Gegenufer drapierten Felsen. Freude kommt dabei keine mehr auf. Zumal das Wetterpendel gerade mal wieder in Richtung „mies“ ausschlägt. Der Himmel ist mit fetten Wolken verrammelt und als ich in Höhe Campingplatz in Laufrichtung spähe, sind dichte Regenfahnen nicht mehr zu übersehen. Die Frage ist eigentlich nur: Zieht der Segen übers Tal hinweg ab oder kommt er auf mich zu? - Minuten später beantworten erste Regentropfen die Frage, leider nicht im erhofften Sinne. Mit jedem Schritt, der mich dem Ortsrand von Pielenhofen näher bringt, steigert sich das Tropfenbombardement. Zuletzt stirbt die Hoffnung: Es regnet und Graupel ist auch dabei.

Ich senke den Kopf, um so gut es geht meine Brille trocken zu halten. Seltsamerweise gelingt mir das weitgehend. Ich war schon vorm Regen halbwegs entschlossen am Getränkedepot keine Zeit zu verschwenden, nun fällt es mir nicht einmal mehr schwer daran vorbeizulaufen. Irgendwie diesen Schauer - mehr kann es nicht sein - überstehen, dabei Tempo halten, Strecke machen. Klatschnass der Asphalt, da und dort spritzt Wasser unter meinen Sohlen auf. Pielenhofen „Naabstrandpromenade“ - ich komme voran, nach und nach stellt Petrus den Unfug ein. Fünf Minuten Regen, mehr kommen nicht zusammen, nicht ausreichend, um mich bis auf die Haut zu nässen und damit unerheblich.

Noch vier Kilometer … schließlich noch drei … der Wille durchzuhalten ist ungebrochen. „Jüngste Hochrechnungen“ sehen mich eine bis drei Minuten unter der Fünf-Stundenmarke im Ziel. Also Licht im Dunkel, erst in mir drin, dann auch überm Naabtal. Der Himmel reißt auf, aber so was von! Blau dominiert unterdessen, hübsch dekoriert von weißen Blumenkohlwolken. Die Sonne verleiht dem ohnehin schönsten Streckenteil, unmittelbar am Naabufer verlaufend, herbstlichen Glanz. Kräftige Farben halten Einzug, die mich sogar im „finalen Leiden“ noch Erreichen. Ich kann nicht anders: Stehenbleiben und Fotografieren.

Kostet nur ein paar Sekunden und so knapp wird’s nicht werden … Noch zwei Kilometer - Blick zur Uhr - ausreichend Zeit! Während ich mich Duggendorf nähere, wehrt sich mein Körper immer heftiger gegen Laufschritte. Den Marathon zum Ultra zu adeln, indem ich nach Runde zwei auf mögliche 50 Kilometer ergänze, hatte ich zum Glück nicht geplant. Andernfalls erläge ich jetzt womöglich der Versuchung zu verkürzen und nach Marathondistanz aufzuhören. Kommt rechnerisch zwar aufs selbe raus, nur empfände ich es sehr wahrscheinlich als Niederlage. - Die letzten Meter: Über die Brücke, in die Seitenstraße zu Andreas‘ Behausung abbiegen, dann die supersteilen letzten Meter nehmen … geschafft! Ich stoppe meine Uhr bei 4:56:47 Stunden.

 

Fazit zur Veranstaltung

Der Naabtal Ultralauf mit seinen Distanzvarianten (Dreiviertel-, Halb- und ganzer Marathon, auch 10 km) offeriert Läufern nicht nur eine zu allen Jahreszeiten wundervolle Strecke. Hervorzuheben ist auch die familiäre Atmosphäre im limitierten Feld der Starter, ganz wesentlich geprägt von Andreas und Kristina Brey als Veranstalter und Gastgeber. Ein in jeder Hinsicht gelungener und somit empfehlenswerter Lauf.

Die Ankündigung der jeweiligen Termine erfolgt über die Veranstaltungsseite des 100 Marathon Clubs.

Der Naabtal Ultra wurde zu Zeiten der Pandemie ins Leben gerufen, als der Laufkalender leergefegt war. Von der ersten Auflage an verfolgten Andreas und Kristina mit ihrer Veranstaltung auch einen karitativen Zweck. Es wird kein Startgeld erhoben, dafür steht an Start und Ziel eine Spendenbox. Auf diese Weise kamen nun schon mehr als 5.700 Euro zusammen (655 Euro heute), die an den VKKK Ostbayern e.V. (Verein zur Förderung krebskranker und körperbehinderter Kinder) überwiesen wurden.

Fazit: Auch künftig sehr gerne wieder dabei!