13. März 2021

So was will niemand lesen!  -  Grüntal Frühlingsultra 2021

Hunderte von Laufberichten hackte ich in bald 20 Jahren Marathon- und Ultraerleben in meine Tastatur. Ein paarmal geschah das in der Absicht mich kurzzufassen. Aus Zeitgründen jeweils oder in seltenen Fällen, wenn ich zweifelte aus einem unspektakulären Lauferlebnis einen kurzweiligen Text destillieren zu können. Tatsächlich scheiterte jeder Versuch einer Kurzfassung. "Eruptiv" zu schildern, was ich laufend erlebe, ist nun mal mein Stil. Diesmal muss es gelingen. Aus dem alleinigen Grund allerdings den interessierten, nach Erbaulichem stöbernden Leser nicht vor den Kopf zu stoßen. Wie das Debakel dort in Grüntal begann und wie es endete, willst du so genau gar nicht lesen. Jedenfalls nicht in der mir eigenen Art ehrlicher Schilderung, beschönigende Formulierungen rundweg ablehnend und nicht selten meine Läuferseele ungeschminkt bloßstellend. Niemand will so was lesen! Niemand, der den Laufsport mag und erst recht niemand, der sich ein wenig Laufmotivation von fremdem Erleben verspricht.

Zunächst Daten und Organisatorisches:

Strecke: Die Länge der Rundstrecke nahe Freudenstadt beträgt 12,6 km. Viermal absolviert ergeben sich als Ultradistanz 50,4 Kilometer. Pro Runde sind etwa 300 Höhenmeter zu überwinden, deren Löwenanteil den Läufer im ersten Streckenteil bis Kilometer sieben erwartet. Meist sanfte Anstiege, in die sich jedoch ein paar "böse" Buckel eingeschlichen haben. Abgesehen von etwa tausend Metern mit ansatzweise Trailcharakter, nutzt der Kurs ausschließlich gutes Geläuf - sechs Kilometer davon auf Waldwegen, rund fünf Kilometer asphaltierte Straßen oder Wirtschaftswege.

Versorgung: Mein leibliches Wohl sichere ich wie im letzten Jahr: Wasser und zwei Gelpäckchen im Start-/Zielbereich, dazu eine Trinkflasche und zwei weitere Gels im Gürtel. Den Trinkgürtel deponiere ich während Runde eins in Höhe von Kilometer 6, hinter demselben Baum wie letztes Mal. Seinerzeit hieß das Kind Grüntal Ultra und fand im August bei komfortablen Temperaturen statt. An diesem kalten Märzsonntag verspüre ich in keiner der vier Runden Durst, trinke stets nur der "Pflicht gehorchend". Schon im dritten Umlauf entscheide ich, dass letztmalig zum Auftakt der Schlussrunde zu trinken reichen wird und nehme den Gürtel vorzeitig mit zurück.

Witterung: Das Wetter präsentiert und entwickelt sich weniger "ekelhaft" als es dem Unken der Wetterfrösche gemäß zu befürchten war. Die Unwetterwarnung für den südlichen Hochschwarzwald - Windböen bis zu 120 (!) km/h - beschert zwar auch dem Ostrand des Nordschwarzwalds windige Stunden mit eingelagerten, zornigen Böen im Minutentakt. Zu meinem Erstaunen fühle ich mich jedoch vom Wind nur selten - nur punktuell - belästigt. Einerseits halten sechs Kilometer hohen Nadelwaldes ihre schützenden Zweige über mich. Und auf den übrigen Abschnitten weht es meist von der Seite oder von schräg hinten. Nur selten erwischen mich Böen von vorne und tatsächlich nur einmal mit solcher Wucht, dass ich fast zum Stehen komme. Als penetrant und durchdringend erweist sich dagegen die Kälte - verschärft vom Windchill und deshalb gefühlt nur knapp über 0°C. Während die Sonne in Runde eins noch Anläufe zu gelegentlichen Aufheiterungen unternimmt, beherrschen für den Rest des Lauftages Grautöne den Himmel. Zum Ende der vorletzten Runde setzt der vorhergesagte Regen ein, bei zeitgleicher Mäßigung des Windes. Bei dann tatsächlichen 2°C beginne ich auf der Schlussrunde in klatschnasser Jacke zu frieren.

Mitkämpfer: Weitere 34 Unentwegte kämpfen gleich mir gegen die Elemente. Irgendwo vor oder hinter mir. Meist bleiben Sichtachsen ohne Anzeichen von Läuferleben, selbst wenn sie sich über mehrere hundert Meter erstrecken. Auch ohne Covid-19-spezifische Einschränkungen wäre das kaum anders. 35 verteilt auf 12,6 km ergibt keine nennenswerte Läuferdichte. Wenn ich jemanden sehe, überholt werde oder selbst überhole, dann sind es meist Einzeltäter. Ich entdecke überhaupt nur ein Laufpaar, sie und ihn, mit denen ich mich ungewollt über zwei Runden duelliere. Eines jeden kurze Rast zum Ver- oder Entsorgen bringt mal sie, dann wieder mich in Front. Gespräche? Fehlanzeige. Insgesamt erinnere ich mich an keine Bemerkung hüben oder drüben, die aus mehr als einem die Wahrnehmung bestätigenden "Hallo!" im Vorbeilaufen bestanden hätte.

Alles in allem: Einem in Sonne und Wärme verliebten Menschen wie mir kann man es in einer Jahreszeit, die zwar schon Frühling heißt sich aber noch als Winter gebärdet kaum recht machen. Dennoch komme ich zusammenfassend nicht umhin den äußeren Rahmen des Grüntal Frühlingsultras 2021, bestehend aus Strecke, Versorgung, Witterung und was Ultraläufe sonst noch so charakterisiert, als durchaus erträglich zu beschreiben. Auf das, was mir an Kalamität in vier Runden zustößt, dürften die herrschenden Bedingungen infolgedessen nur minimalen Einfluss haben. Nun bleibt nur noch das Debakel mit sparsamen Worten zu schildern ...

Runde eins: Gegen 7:45 laufe ich los und ... fühle mich vom ersten Schritt an schwach und lustlos. Vielleicht auch so herum: lustlos und schwach. Ich warte ab und hoffe - zuweilen lief der Motor erst nach ein paar Kilometern wirklich rund. Meine Hoffnung erfüllt sich jedoch nicht, was mir ziemlich zusetzt. Denn außer der zu erwartenden Frische anfänglichen Laufens fehlt mir das Wichtigste, die Freude am Laufen. Allein ihretwegen stehe ich morgens um halb fünf Uhr auf, fahre bald 250 km im Lockdown durch Süddeutschland und jogge bei fragwürdigem Wetter durch fremde Gefilde. Schon der erste markante Anstieg nach nur anderthalb Kilometern, nicht sehr lang und nur ein paar Meter Höhenunterschied, fördert zutage, dass das heute alles andere als eine Erfolgsgeschichte werden wird. Nichts Gedeihliches, nichts das mir Laufspaß eintragen wird. Stattdessen schwere, müde Beine und Signale, die, schenkte ich ihnen Gehör und Glauben, mir nahelegten wieder heimzufahren. Ernsthaft: Schon zu diesem frühen Zeitpunkt spüre ich, dass die beabsichtigten 50 km in einer körperlichen Katastrophe enden werden. Um einen Funken Hoffnung auf ein verträgliches Ende am Leben zu erhalten, passe ich meine Lauftaktik an. Nehme derzeit noch mögliches Tempo raus und das nicht nur bergan.

Es kommt der Wahrheit ziemlich nahe, meine Reaktion während der ersten Rundenhälfte mit permanentem Erschrecken zu umschreiben. Dem Umstand heute so gar nichts "auf die Reihe zu kriegen" stehe ich ziemlich fassungslos gegenüber. Was ist da los? Hängt mir der Marathon von vor sechs Tagen noch nach, als ich mich am Neckarufer in Stuttgart energetisch verausgabte? Am miserablen Trainingszustand dieser Tage allein kann es nicht liegen. Vielleicht beides in unschöner Allianz? Minus eines weiteren gewichtigen, unbekannten Faktors "X"!?

Etwa zwei Kilometer vorm Ende der Runde, nach Überschreiten einer kleinen Brücke, erwartet den Grüntal Ultraläufer noch einmal ein kurzer, aber brutaler Anstieg. An diese Schräge, genauer gesagt an meine damaligen "Körpergefühle" als ich sie viermal in Folge bezwang, erinnere ich mich als wäre es gestern gewesen. Beim ersten Mal war da nichts als Unmut, auf dem flotten Weg talwärts noch einmal schickanös gebremst zu werden. Unwirsch Mentales, meinem Bewegungsapparat bedeutete der Buckel anfangs herzlich wenig. Erst auf der letzten Runde empfand ich den Buckel als grenzwertig. Und genau so wie damals in der finalen, so fühlt sich die Schräge heute schon zur Auftaktrunde an. Ich bin ... ja was? ... auf alle Fälle besorgt.

Für Runde eins, einschließlich Verpflegungsstopps brauche ich 1:29 Stunden

Runde zwei: Es fühlt sich an, als hätte ich in Umlauf eins das "schlimme Geschwür" meiner heute desolaten Verfassung "operativ" freigelegt. Da ist nun nichts mehr, was meine Tagesschwäche verschleiern könnte. Selbst Schritte bergab, bei denen es lediglich darum geht das eigene Gewicht abzufangen, fallen mir schwer. Ich achte peinlich genau darauf kein Quäntchen Energie zu verschwenden. In sanftem Gefälle verbiete ich mir schnellere Schritte, in starkem praktiziere ich Rasanz, um den Kraftaufwand fürs Bremsen zu reduzieren. Jeden Meter bergwärts und sei die Steigung objektiv noch so harmlos überwinde ich mit "Kaffeebohnen". Der Ausdruck - er kam mir schon beim ersten Anstieg in den Sinn - ist so ziemlich das Einzige, was mir heute das Herz wärmt. Weil er von meiner lieben Frau stammt, die damit kleine, kurz an kurz gesetzte Tippelschritte bezeichnet. Fußabdrücke in feuchtem Sand, einen hinter dem anderen platziert, die aus einiger Entfernung betrachtet aussähen, als hätte jemand eine Spur mit Kaffeebohnen gelegt ... Etliche Kaffeebohnen, hundert normale Schritte und wieder zig Kaffeebohnen ... Häufig geht das auf der ersten Hälfte des zweiten Umlaufes so.

Runde zwei beende ich nach ziemlich genau drei Stunden, benötige folglich mit 1:31 Stunden etwa zwei Minuten mehr als für den ersten Umlauf.

Runde drei: Schon auf den ersten Metern bedrängt mich das Aussichtslose meines Unterfangens. Es entspringt der kraftlosen Manier wie ich durch diesen Tag tappe. Wie soll ich nach jetzt gerade mal 26 Kilometern noch verbleibende 24 überstehen? Wie verhielte ich mich wäre das ein langer Trainingslauf zu Hause, also einer ohne Wertung und von demzufolge geringer Bedeutung? Was würde ich nach 26 mühsam errungenen Kilometern und von Schwäche bereits gezeichnet tun? Die Antwort darauf ist eindeutig: Abbrechen und mich mit der unterdessen erzielten Tagesleistung zufriedengeben. Eine Konsequenz, die ich in der jetzigen Wertungssituation und angesichts des Aufwandes, mit dem ich mein Hiersein realisierte, nicht mal ansatzweise erwäge. Auch, weil ich diese verdammte 50-Kilometer-Distanz genau heute (!) zu brauchen glaube, wenn ich demnächst die Talsohle meines Leistungsniveaus wieder verlassen will. Und zu schlechter Letzt natürlich auch, weil ich weiß, dass ich es doch "irgendwie packen" werde.

Nach 4:35 Stunden trete ich zur letzten Runde an. Einschließlich Verpflegungsstopps benötigte ich für Umlauf drei bereits 1:35 Stunden.

Letzte Runde: Was mich den Mut nicht sinken lässt, ist die dauernde Begegnung mit dem letzten Mal. Zum letzten Mal vorbei am historischen Grenzpfahl zwischen Grüntal und der Gemeinde Aach. Zum letzten Mal über den Beinahe-Trail, zum letzten Mal den heftigsten Anstieg auf dem Bürgersteig eines Freudenstädter Ortsteils, zum letzten Mal rein in den Schwarzwald, der mir heute mit jeder Runde schwärzer vorkam. Was mir die Sache nach und nach bis zum totalen Überdruss vergällt sind unaufhaltsam wachsende Erschöpfung, Regen und Kälte. Letztere kriecht unter meine völlig durchnässten Klamotten, wo ihr mein Körper nichts mehr entgegenzusetzen weiß. Nun gut, nichts ist natürlich übertrieben. Objektiv betrachtet entwickele ich nun jedoch weniger Körperwärme. Weil ich auch dort "Kaffeebohnen" laufe, wo der Kurs ebenerdig verläuft. Mehr ist nicht mehr drin.

Aufwärts verhalte ich mehrmals den Schritt. Einmal weniger der Tatsache fehlender Kraft geschuldet, mehr aus purem Frust. Ich bin stinksauer. Auf mich. Dass ich mich wochenlang hängen ließ, da doch Laufveranstaltungen in weiter Pandemie-Ferne zu liegen schienen. Unendlich verlockende und selbstsuggestive Aussichten für den Bequemen und Faulen in mir ...

Wie brutal mir gerade diese letzte Runde zusetzt, darüber möchte ich nicht schreiben, mich nicht noch einmal in diese entsetzliche letzte Stunde hineinversetzen. Von einem abschreckenden Inferno solcher Art will - wie eingangs festgestellt - auch niemand lesen. Nicht mehrere Absätze lang, die ich brauchen würde. Ich erinnere mich an keinen Marathon oder kurzen Ultra, der mich je dermaßen gebeutelt hätte. Dass ich dennoch jeden Schritt laufe und keinen gehe, scheint dieser Aussage zu widersprechen. Wer mich kennt, wird meine Worte dennoch nicht anzweifeln. Ich würde - als Minimalform der Bewegungsart "Laufen" - in "Kaffeebohnen" tippeln bis zum Umfallen, nur um nicht gehen zu müssen!

Außerdem gibt es ein beweiskräftiges Indiz für den nie zuvor erreichten energetischen Tiefpunkt: In 282 Läufen über Marathon und weiter befielen mich nur einmal Krämpfe. Das geschah tief unter der Erde, bei einem Marathon im Salzbergwerk in Thüringen. Dort widerfuhr es mir, weil ich zu spät realisierte quasi bei lebendigem Leibe in den Salzstollen auszutrocknen. Weil ich in meiner Unerfahrenheit versäumte früh und zigfach mehr zu trinken als an heißen Sommertagen im Freien. Ansonsten nie auch nur ein Anflug von Krampf, nicht mal wenn mehr als 200 Kilometer am Stück zu überwinden waren. Heute beginnen meine Zehen in der letzten Runde krampfartig zu zucken und in der Wadenmuskulatur des rechten Beines deutet ein schmerzvolles Ziehen an, was sich anbahnt. Ein paar Kilometer weiter und meine Beine hätten "das Handtuch geworfen".

Nach 6:15 Stunden beende ich die letzte Runde. Endlich die Erlösung von allem Übel (des Tages).

 

Fazit zum Lauf

Wenn Wettkämpfe dermaßen und unerwartet in die Hose gehen, gibt es meist Indizien, jedoch nie eine schlüssige Erklärung für das Scheitern. Das ist auch diesmal der Fall. Mit verursachend waren unter Garantie die noch unvollständige Regeneration nach dem harten Marathon in Stuttgart und meine erwähnte, miserable Ausdauerverfassung. Der "Unlust" infolge der Umstände, unter denen ich an diesem Lauf teilnahm, will ich einen negativen Einfluss gleichfalls nicht absprechen. Doch all das zusammen erklärt nicht das Ausmaß des Fiaskos. Wie in früheren, ähnlich gelagerten Fällen bleibt nur die so genannte "schlechte Tagesform" als (Haupt-?) Schuldige zu benennen. Und damit stehe ich vor derselben massiven Mauer wie jeder Freizeitläufer: Woher rührt eine "schlechte Tagesform"? Welches hormonelle oder sonstige biochemische Durcheinander im Stoffwechsel verursacht zeitweilige Ausdauerschwächen?

 

Fazit zur Veranstaltung

In diesem Jahr unter Pandemiebedingungen sind Aussagen zu Veranstaltungen wie dem Grüntal Ultra, der jährlich zwei- bis dreimal wiederholt wird, nicht sinnvoll. Daher verweise ich auf mein Fazit aus dem Vorjahr, als Veranstalter Thomas Dornburg trotz Hygienekonzept seinen "Standard-Service" bereitstellen durfte. Dort findet auch detaillierte Schilderungen zur Strecke und zum Ablauf der Veranstaltung, wer dergleichen sucht.

Fazit: Ich war bestimmt nicht zum letzten Mal in Grüntal.

 

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