Samstag, 28. Juli 2018

Des einen Leid, des anderen Freud’  -  Sechs-Stundenlauf Schwindegg 2018

Wesentliche Eigenart von Stundenläufen ist fortwährendes Rundendrehen. Mehr oder weniger viele, je nach Wettkampfdauer und Länge einer Runde. In Schwindegg werde ich nicht übermäßig viele Umläufe vollenden können. Für die 2,25 Kilometer des hiesigen Orbits brauche ich fast eine Viertelstunde und sechs Stunden Wettkampf sind nicht so „furchtbar“ lang. Grob gerechnet und „normalen“ Verlauf vorausgesetzt, sollte ich es auf etwa 24 Runden bringen.

Klingt nach Vorsatz oder Fahrplan, nach Ziel oder „cool“ kalkulierter Absicht. Nichts davon habe ich hierher mitgebracht, in die dreieinhalbtausend Seelen Gemeinde Schwindegg, ziemlich genau 60 Kilometer östlich von München gelegen. In meinem Kopf kursiert lediglich eine verschwommene Vorstellung vom eventuell Machbaren. Alle widrigen Umstände einbeziehend, könnten nach sechs Laufstunden etwa 55 Kilometer zu Buche stehen.

In dieser Größenordnung bewegten sich meine Gedanken vorher und während der ersten Umläufe. Jetzt, nach etwa einem Viertel der Laufzeit, bezweifle ich, dass meine Beine mich an diesem glühend heißen Samstag tatsächlich so weit tragen werden. Die Hitze - gegen 30°C zu Beginn und am Nachmittag mehr - hat jedoch an meiner Skepsis eher geringen Anteil. Dem verehrten Leser vielleicht geläufig: Ich mag Wärme, sogar schwüle Hitze. Natürlich fühle ich mich in der Sonne bei Lufttemperaturen um die 25°C am wohlsten. Das ist sozusagen mein Traumlaufwetter. Ich nehme aber auch die Hundstage gerne in Kauf. Um Potenzen lieber in Kauf, als alles unter 15°C.

Nicht die rasch ansteigende Temperatur nährt folglich meine Zweifel, verantwortlich ist die ständige Begleiterin der letzten Wochen: Alles durchdringende Müdigkeit. Die Hitzewelle hat an ihr - wenn überhaupt - nur marginalen Anteil. Es ist mein Trainingspensum, das mich aufreibt. Die vielen in den vergangenen Wochen geschrubbten Kilometer. Und Ruhetage, die ich mir versagte. Laufen am Limit, um in zwei Wochen die 100 Meilen von Berlin durchstehen zu können. Noch vorgestern zwei Laufstunden, zu denen ich mit bereits kraftlosen Beinen aufbrach. Im Verlauf dieser Einheit wurde offenkundig, dass ich mir - in Abwandlung meiner Planung - tags drauf würde lauffrei nehmen müssen, wollte ich die sechs Stunden in Schwindegg ungeschoren überstehen.

Also zog ich die Reißleine und pausierte. Gestern. Nun stell dir einen Fallschirmspringer vor, der die Reißleine ähnlich spät zieht wie ich: Der Schirm entfaltet sich, bremst seinen Fall ein wenig - zu wenig -, dann schlägt er hart am Boden auf, überlebt mit Ach und Krach … Ähnlich erging es mir in den ersten anderthalb Wettkampfstunden: Müde Beine nach dem Start um 10 Uhr, weitere müde Schritte während der Einlaufrunde und nach zwei kompletten Orbits die Einsicht: Besser wird’s nicht mehr! Sei froh, wenn du die sechs Stunden irgendwie laufend überstehst!

Kilometer 20 meldet mein GPS nach 2:06 Stunden. „Läuft doch bestens!“ dächten wohl Beobachter, denen ich mein trainingsbedingtes Handicap vorab geschildert hätte. Sie spürten jedoch meine Beine nicht, steckten nicht in diesem schon jetzt mehr vom Willen als von der Physis angetriebenen Körper. Alle Ampeln stehen auf gelb: Wenn kein Wunder geschieht, wird sich mein Schritt über kurz oder lang verkürzen …

Diese ersten Zeilen des Laufberichts strotzen von Zeiten und Distanzen, von erhofften und tatsächlichen. Ganz so, als wäre ich seit mehr als zwei Stunden mit nichts anderem beschäftigt. In Wahrheit ignoriere ich die Uhr die meiste Zeit über. Tempokontrollen blieben auf die Anfangsphase beschränkt, dienten lediglich der Untermauerung meines Laufgefühls mit Messwerten. Denn: Je häufiger man auf die Uhr schaut, umso länger werden sechs Stunden. Also lasse ich es. Überwiegend. Gibt genügend anderes zu tun.

Zum Beispiel entdecke ich nach und nach die Laufstrecke. Schwindegg liegt im Tal der Goldach, die unsere Runde in zwei Hälften teilt. Zu sehen bekommt man das Flüsschen allerdings nur zweimal, wenn man es überquert. Ansonsten hält es sich hinter dichtem Uferbewuchs und abseits verborgen. Wirkliche Höhepunkte hat die Strecke nicht zu bieten, als langweilig kann man sie allerdings auch nicht bezeichnen. Richtung West-Südwest reicht der Blick zu umliegenden Höhen, ansonsten dominiert Naheliegendes. Aber der Reihe nach: Die Route beginnt im Zielbereich auf dem Verkehrsübungsplatz der Volksschule, setzt sich auf der Schulzufahrt fort, die alsbald in eine Straße mündet. Weiter auf einem Radweg, etwa 400 Meter nahezu geradeaus, bis zur nächsten abzweigenden Straße. Dort beginnt der kurioseste Streckenabschnitt: Statt der Straße zu folgen, schlagen wir einen Halbkreis um ein Anwesen mit ausgedehntem Garten. Der Radius des Halbkreises wird vom Hochwasserdamm vorgegeben, den der Hausbesitzer (oder die Gemeinde?) um das Anwesen herum aufschütten ließ. Es schließt sich eine schattige Passage auf Asphalt entlang der Schwindegger Sportanlagen an, alsbald ein Radweg zwischen mannshoch stehendem Mais und einer weiteren Schwindegger Zufahrtsstraße. Der Wald auf der gegenüberliegenden Straßenseite gönnt uns anfangs Schatten, zwei Stunden später kaum noch. Schließlich zweigt ein Fußweg von dieser Straße ab, bringt uns zu einem abgeernteten, bereits gepflügten Getreidefeld, von dessen vier Trapezseiten wir drei ablaufen. Zuletzt, schon mit Sicht aufs Gelände der Volksschule, per Fußgängerbrücke über die Goldach und vorbei am Schwindegger Wasserschloss. Von dem ist hinter Hecken bedauerlicherweise wenig mehr als sein oberes Drittel mit den Zwiebeltürmen auszumachen. Ernsthafte Steigungen weist die Route nicht auf. Etwa drei Viertel einer Runde sind asphaltiert, der Rest geschottert.

Nach zwei Stunden habe ich ausreichend Fotos im Kasten und deponiere die Kamera in meiner am Streckenrand abgestellten Tasche. Was könnte mir in den verbleibenden vier Stunden noch Bedeutendes vor die Linse geraten, das mir auf inzwischen mehr als acht Umläufen nicht schon begegnet wäre? - Möglicherweise bescherte mir das Wettkampfgeschehen noch die eine oder andere bemerkenswerte Szene, die einzufangen sich lohnte. Andererseits behindert mich die kleine Digicam heute mehr als sonst. Über die gewohnten Handhabungen zum Versorgen hinaus, muss ich heute meinen „Kopfschmuck“ feucht halten. Mut zur Hässlichkeit: Bei dieser Hitze habe ich mich für die Kombination aus Babystoffwindel und Schildkappe entschieden, um einen „coolen Kopf“ zu bewahren.

Seltsam: Keiner im etwa 45köpfigen Läuferfeld wappnet sich mit so hohem Aufwand gegen die Hitze wie ich. Ausgerechnet ich, der von sich behauptet dieses Wetter zu mögen und davon überzeugt ist, deutlich weniger als die meisten anderen darunter zu leiden. Ernst, Österreicher aus Steyr, dem ich in diesem Jahr schon auf vielen Stecken begegnete, hat sein Markenzeichen aufgesetzt, einen grünen Strohhut. Manche tragen eine Kappe, andere ein weißes Kopftuch, mehr aber auch nicht. Offen gestanden wäre ich lieber barhäuptig unterwegs, wie immer bei Marathons oder nicht allzu ausgedehnten Ultras. Was mich am Beduinen-Kostüm festhalten lässt, ist der Wunsch mehr als ein halbes hundert Trainingskilometer zu sammeln. Die müden Beine sind schon Hypothek genug. Außerdem kann es nicht schaden, ein paar Gewöhnungsstunden unter wüstentauglicher Haube zu verbringen. Wenn die Wetterlangzeitprognose zutrifft, werde ich auf den 100 Meilen des Mauerweges in Berlin ähnliche Bedingungen vorfinden …

Vorfristiges Ende seines ersten Sechs-Stundenlaufes: Nach zweieinhalb Laufstunden steht Eckardt trinkend am Verpflegungsstand und eröffnet mir, dass er den Wettkampf abbrechen wird. Seine Gesichtsfarbe lässt am Grund für diese überraschende Mitteilung keinen Zweifel aufkommen; auch wenn er - so sind Läufer nun mal gestrickt - nur von einem plötzlichen Tempoeinbruch spricht. Auf der beginnenden Runde überdenke ich Eckardts Renntaktik: In den ersten anderthalb Stunden überrundete er mich zweimal. Offensichtlich unterschätzte er seine Widerstandsfähigkeit in diesem Brutofen. Oder er überschätzte seine gegenwärtige Ausdauerverfassung. Bernhard, der Allgäuer, den ich seit den Tagen des Hallenmarathons in Senftenberg (Januar 2018) kenne, geht noch flotter zu Werke. Vom Start weg belegt er einen der vorderen Plätze. Zeitweise führt er die Konkurrenz sogar an, um „zu schlechter Letzt“ dann doch noch auf den zweiten Platz zurückzufallen.

Und wie schlage ich mich? - Nach vier, fünf Runden nehme ich erstmals meine Platzierung in der Anzeige wahr, da steht eine „23“. Zunächst messe ich der Zahl keine Bedeutung bei, da ich sie nicht einzuordnen weiß. Kenne weder die Anzahl der Teilnehmer insgesamt, noch weiß ich, ob die Anzeige „geschlechtsneutral“ oder „rein maskulin“ zu verstehen ist. Von Orbit zu Orbit sorgt die Zahl allerdings für wachsende Genugtuung. Wie stets, wenn ich mein moderates Tempo über längere Zeit konstant erbringe, mache ich fortlaufend Boden gut. Weil ich „hinten raus“ nicht einbreche, mein Pulver nicht schon auf der ersten Hälfte verschieße. Dahinter steckt keine besondere taktische Leistung oder Raffinesse. Anders, als von Beginn an langsam und über Stunden gleichmäßig, kann ich gar nicht laufen. Eine Kombination aus konstantem Schrittrhythmus und sehr schmaler Tempobandbreite, die mir seit Langem eigen ist. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bildet sie auch eine der Voraussetzungen, die einen mittelmäßig begabten Ultraläufer wie mich erfolgreich über Hürden wie „Spartathlon“ oder „Olympian Race“ trugen. Hürden, an denen manche, mir physisch überlegene Läufer strauchelten.

Ich bin unkonzentriert. Renne diverse Male durch den Zielbereich, ohne eigentlich Notwendiges für Bauch und Kopf zu erledigen. Zu spät greife ich erstmals nach einer Gelportion in meiner Tasche. Glatt vergessen. Und in der Folgezeit wähle ich zu lange Intervalle. Lasse ich den Zielbereich hinter mir zurück, vergeht immerhin eine Viertelstunde, bis ich Unterlassungen wettmachen kann. Dazu gehört auch mein Trinkverhalten. Zur Wettkampfmitte hin überfällt mich heftiger Durst, wie ich ihn höchst selten verspürte. Viel zu wenig getrunken! Fortan fülle ich meinen Magen jeweils bis die Bauchdecke spannt. Schütte Wasser, Iso, Cola, Apfelschorle und alkohlfreies Bier in mich rein, nicht selten „bunt gemischt“. Zum Glück verfüge ich über einen in dieser Hinsicht unempfindlichen Pferdemagen … Nach und nach trägt die „Druckbetankung“ Früchte, hält sich der Durst wieder in Grenzen.

Meinen Kopfputz feuchte ich zu selten an. Der um Wangen und Nacken „flatternde“ Teil der Windel trocknet binnen weniger Minuten. Im Grunde müsste ich Kappe und Windel nach jedem Umlauf in der bereitstehenden Wanne wässern, was mich allerdings viel Zeit kosten würde. Ein Stopp zum Trinken, ein weiterer Halt an der Tasche, um ein Gel zu konsumieren und eine dritte Unterbrechung vor der Wanne mit Wasser - alles in allem ein horrender Zeitverlust pro Runde. Kalorien und vor allem Wasser im Bauch müssen sein, also mache ich Abstriche bei der Kühlung, tränke das Beduinen-Kostüm nur bei jedem dritten Durchlauf.

Es bleibt bei kurzen Bemerkungen, wenn mich einer der Bekannten überholt und anspricht. Manchmal beschränkt sich die Kommunikation auf ein Handzeichen, oft nicht mal das. Über Gründe für die Wortkargheit meiner Mitkämpfer könnte ich höchstens spekulieren. Was mich betrifft, so gehöre ich schon „frisch und munter“ zur Fraktion der Mundfaulen. Wenn ich mir wie heute gleichsam jeden Schritt erkämpfen muss, kommt kaum mehr ein Satz über meine Lippen. Das klingt nicht sonderlich erbaulich, provoziert die Frage, ob mir ein Wettkampf unter solchen Bedingungen denn noch Spaß bereiten kann. Die Frage kann ich mit „Ja!“ leicht und rasch beantworten. Nötigte man mich allerdings auszudrücken, wieso mir ein Tun Spaß bereitet, unter dem ich körperlich leide, müsste ich nach Worten suchen …

Physische Abnutzung über Stunden macht mich glauben, Tempo eingebüßt zu haben. Ich will herausfinden inwieweit dieser Eindruck zutrifft und achte beim nächsten, nicht von einem Halt unterbrochenen Kilometer auf die Anzeige meiner Uhr … Ergebnis: Nicht wesentlich langsamer, höchstens vier, fünf Sekunden pro Kilometer. Die Pausen zum Verpflegen kosten mich inzwischen mehr Zeit als in den ersten zwei Stunden, weil ich mehr trinke, überdies die Becher nicht mehr „rigoros kuhmäulig aussaufen“ kann. Auch das ein mehrfach erlebtes Phänomen: Mit wachsender Erschöpfung fällt mir das Trinken schwerer. Dann muss ich mich zum Schlucken zwingen und es kommt mir vor, als wäre mein Schlund zugeschwollen.

Vier Stunden vorbei und ich trabe mit befreitem Kopf im Kreis herum. Äußerlich von Windel und Kappe befreit, dafür innerlich ein wenig angespannt. Gewitterwolken verdunkeln die Sonne und es sieht ganz danach aus, als bekämen wir in ein paar Minuten eine Zwangsdusche verpasst. „In persona“ wäre es mir gleichgültig. Zwei Restlaufstunden überstehe ich auch mit nassen Füßen. Was ich weiter oben am Leib trage, klebt ohnehin seit Stunden klatschnass am Körper. Ich ertappe mich sogar bei wohligen Fantasien von auf die Haut prasselndem Regen und kühlenden Windböen. Meiner Tasche wegen hoffe ich trotzdem vom aufziehenden Unwetter verschont zu bleiben. Vorsorglich sehe ich mich im Zielbereich um, suche mir schon mal ein geparktes Fahrzeug - etwa das der Zeitmessfirma oder der Sanis - unter dem ich die Tasche verstauen könnte …

Für etwa eine halbe Stunde bleibt ungewiss, wie Petrus sich entscheiden wird. In dieser Zeit drehe ich zwei Runden. Obwohl sich der Himmel nicht weiter verdunkelt, treffen mich ein paar Tropfen. Ich erwäge ernsthaft die Tasche in Sicherheit zu bringen, auch wenn mich das viel Zeit kosten wird. Begänne es auf halber Strecke zu schütten, käme ich zu spät und schlüpfte nach dem Duschen in zwar saubere, aber klatschnasse Klamotten …

Binnen Minuten klart der Himmel auf. Erstes Himmelblau im Westen wandelt Hoffnung in Überzeugung: Es wird trocken bleiben. Das blauschwarz Drohende zieht südlich an uns vorbei. Alsbald drückt die Sonne durch milchige Wolkenschleier und die Poren arbeiten wieder auf Hochtouren. Windel und Kappe? - Nein! Widerwille und fortgeschrittene Erschöpfung raten zum Verzicht auf eine erneute Maskerade. Den Ausschlag gibt meine Überzeugung, die noch ausstehenden anderthalb Stunden auch barhäuptig ohne merkliche Leistungseinbuße überstehen zu können.

Ich erinnere mich an Sechs-Stundenläufe, in denen ich mich im letzten Drittel von einer Minute zur nächsten quälte. Nicht unablässig aber viel zu oft zur Uhr blickend, dehnten sich Zeit und Raum entsetzlich in die Länge. Erschöpft und auf schmerzenden Füßen schleppte ich mich wie ein waidwundes Tier voran, schleichendem Tempoverfall preisgegeben. Gab Pantomimisches zum Besten, das nur entfernt jener Bewegungsform glich, die der Duden als „Laufen“ verzeichnet. - Von der Quälerei abgesehen ist das heute anders. Das Anbrechen der finalen Stunde bemerke ich beispielsweise erst Minuten später, anlässlich eines eher unbewussten Blicks zur Uhr. Und außer (mutmaßlich) einer Blase, seitlich an der Ferse des linken Fußes, tut mir nichts weh. Wenn ich laufe - also nicht gerade eine der länger gewordenen Trinkpausen zelebriere - unterscheidet sich mein Tempo kaum vom anfänglichen. Wer mich musterte, attestierte mir vermutlich ein ausnahmsweise ehrliches „Du siehst noch gut aus, Udo!“ - Im Grunde fühle ich mich auch so. Mit den Signalen eines erschöpften, in allen Fasern ächzenden Körpers bin ich bestens vertraut. Sie gehören zu meinem Sport dazu, und so kurz vor Schluss können sie meine Stimmung ohnehin nicht trüben.

Die Schar der Kreisenden hat sich inzwischen gelichtet. Einige vertraute Gesichter sind schon vorzeiten ausgeschieden, andere mussten anfänglichem Überschwang Tribut zollen, drehen verhaltenere Runden. Überholen nur noch selten oder gar nicht mehr, bleiben verschiedentlich sogar hinter mir zurück. Dennoch mache ich vergleichsweise wenige Mitkämpfer aus, die sich aufs Gehen verlegt haben. Das ist der Hitze geschuldet behaupte ich, auch wenn das vordergründig paradox klingen mag. Wer mit Lufttemperaturen von 30°C und mehr unter praller Sonne nicht zurechtkommt, hat längst aufgegeben. Dazu gehören auch alle, die heute Morgen unzureichend ausdauertrainiert ins Rennen gingen. Wer sich jetzt noch bewegt, war hinreichend vorbereitet und deshalb trabt er noch …

Meine GPS-Anzeige behauptet, dass ich gleich zur letzten Runde aufbrechen werde, die die 50 Kilometer vollendet*. Über eine Bestätigung dafür verfüge ich nicht. Auch wenn es mir in einem Aufbauwettkampf an sich piepegal ist: Die angezeigten Zwischenergebnisse beim Überlaufen der Messschleife sind mit dem Prädikat „dürftig“ oder „ungenügend“ wohlwollend beschrieben. Eingeblendet wird lediglich die Zahl der absolvierten Runden, die man in müdem Hirn mit 2,25 Kilometer multiplizieren müsste. Von der so erhaltenen Zahl hätte man allerdings noch jene Distanz zu subtrahieren, die auf Runde eins fehlte. Fehlte, weil der Start geschätzte 500 Meter vor der Ziellinie vollzogen wurde … Mit einer gewissen Spannung sehe ich folglich dem Beginn der 50er-Runde entgegen. Anderen wurde sie angesagt, mir dann hoffentlich auch. Natürlich summieren sich GPS-Messfehler zu keiner kompletten Runde von 2,25 Kilometer. Andererseits bin ich nicht sicher, vom System bei jedem Durchlauf erfasst worden zu sein. Rannte jemand kurz vor mir über die Ziellinie, wurde meine Runde nicht angezeigt (oder zu spät, nachdem ich die Anzeige bereits passiert hatte) … Meine Spannung hat nicht mal bis zur Ziellinie Bestand. Schon ein paar Meter davor drückt mir der Veranstalter ein Fähnchen mit weißblauem Rautenmuster in die Hand, das ich ehrenhalber auf der 50er-Runde schwenken darf.

*) Der Start wurde gegenüber dem Ziel um einige hundert Meter vorverlegt, um die 50 km-Zwischenzeit nehmen zu können.

Während der Ehrenrunde beschäftigt mich die Frage, wie viele Runden noch möglich sind. Mehr noch die Überlegung, wie es mir gelingen könnte, dem Zielbereich möglichst nahe zu sein, wenn der Wettkampf endet. 50 km in 5:31:xx Stunden, also bleiben mir 28 Minuten … Rundenzeiten, die zuletzt die Viertelstunde deutlich überschritten, schließen zwei komplette Durchgänge aus. Durch vorfristigen Ausstieg nach dieser Runde Zeit zu „verschenken“ bringe ich nicht über mich: Ein Sechs-Stundenlauf dauert sechs Stunden und keine Minute weniger! Mit einem schnell-läuferischen Kraftakt vielleicht doch noch zwei Umläufe zu schaffen will ich mir aber auch nicht zumuten. Lösung: Vor der letzten Runde auf jedweden Halt verzichten, dann sollten am letzten Orbit höchstens ein paar hundert Meter fehlen.

„Welche Startnummer?“ schallt es mir entgegen … Von der am Boden aufgereihten Auswahl an Hölzern reicht man mir dasjenige mit der „11“. Zum Glück eine gut einzuprägende Zahl, nachdem ich meine Startnummer schon in der ersten Stunde einbüßte*. Ich schaue zur Uhr: Noch gut 12 Minuten bis Ultimo. Noch einmal hinaus auf die Straße, vorbei am ersten Maisfeld, auf dem langen Stück Radweg gen Westen - auch jetzt, wie von der ersten Minute an unter praller Sonne. Halbkreis auf Hochwasserdamm, ein letztes Mal vorbei an den Sportanlagen, wie stets im Schatten … Kurz darauf begegne ich dem Mann mit der Presslufttröte. Damit wäre die letzte der insgeheim gestellten Fragen beantwortet: Wie sollen Läufer weit abseits des Zielbereiches das Schlusssignal hören? Noch anderthalb Minuten. Fußgängerbrücke, Spazierweg und aufs gepflügte Feld zuhalten … noch 30 Sekunden. Ich biege um die Ecke, tippele weiter, horche angestrengt… Als der Blick wieder auf die Uhr fällt steht da „6:00:06“. Augenblicklich bleibe ich stehen, unterstelle mir das Signal überhört zu haben, schaue mich um … andere laufen weiter … einer nähert sich meiner Position, schafft es fast bis auf meine Höhe … in diesem Augenblick ertönt das „Schlusströten“.

*) Wegen eines Missverständnisses (?) zwischen Veranstalter und Zeitmessfirma, wurden die fehlenden Startnummern vorm Start kurzerhand auf Papier ausgedruckt, das sich schweißnass alsbald auflöste.

Ich hinterlasse mein Hölzchen am Wegrand, dann setzen wir uns zu zweit Richtung Ziel in Bewegung, höchstens 500 Meter bis dorthin. Plötzlich und mit Urgewalt bricht es aus meinem Nebenmann heraus: „Das könnte heute sogar Spaß gemacht haben! Wenn nur dieses Dreckswetter nicht wäre!“ - Als ich dann mein Loblied auf den Sommer 2018 mit einem „Wieso Dreckswetter? Ich mag die Hitze …“ einleite, glaubt er sicher er habe sich verhört oder ich wolle ihn auf den Arm nehmen. Muss dann aber mit jedem weiteren, schwärmerisch ausgesprochenen Wort erkennen: Der Irre meint das ernst. Der läuft tatsächlich mit Lust bei solchen Temperaturen. - Des einen Leid, des anderen Freud’! - In ein paar Wochen, wenn die Quecksilbersäule wieder mühsam Klimmzüge in der Nähe des Gefrierpunktes vollführt, dann werde ich von „Dreckswetter“ reden …

 

Ergebnis: 54,186 Kilometer, Platz 13 gesamt von 28 Männern, Platz 1 von 1 in M65

 

Fazit zur Veranstaltung

Alle elementaren Läuferbelange wurden befriedigend bis sehr gut bedient. Bei der zweiten Auflage des Schwindegger 6h-Laufes war aber organisatorisch noch Luft nach oben. Ein paar Schwächen - wie etwa die Panne mit den Startnummern - lassen sich ohne weiteres abstellen. Zudem sollte man auf ein Zeitmesssystem umstellen, das den Rennverlauf mit mehr Transparenz zur Anzeige bringt.

Die Strecke wusste auch ohne wirkliche Attraktionen zu gefallen. Läufer, die sich gleich mir auf geschotterten Wegen gerne mal einen Stein im Schuh einfangen, sollten mit Gamaschen antreten. Etwa ein Viertel der Strecke ist nicht asphaltiert.

Fazit: Wenn der Termin passt, gerne wieder.

 

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