Samstag, 14. Juli 2018

Ultralauf mit 77?  -  Night52 im Kraichgau 2018

„Der hört aufs Wort, nur nicht auf deins!“ - Der männliche Part eines Laufpaares, dem wohl die Präzision imponiert, mit der sich mein Vierbeiner bei Bedarf und per Kommando dirigieren lässt, widmet die Bemerkung einem Nebenmann. Er spielt auf eine Begebenheit an, die sich ein paar Meter vor mir zutrug. Zwar habe ich die Szene nicht mitbekommen, schwer zu verstehen ist sie dennoch nicht: Der offenbar entzückte Mitläufer wollte Roxi anlocken. Nur macht die grad ihr eigenes Ding, tippelt dahin, dorthin, meist vorwärts voraus, verharrt auch mal schnüffelnd. Dann und wann - selten - kehrt sie um, schaut, ob ihr schwitzender Rudelführer noch folgt (Was sollte der auch sonst tun?). Will man sie abrufen, muss man natürlich das ihr „geläufige“ Vokabular benutzen oder zumindest einen Leckerbissen in Aussicht stellen. Nichts davon steht dem Mann zur Verfügung …

Schließlich trabe ich an den dreien vorbei. Sie gehen bergauf, während ich laufe. Zumindest das Laufduo ist mit dieser Taktik im Schnitt ebenso flott unterwegs wie ich. Abwärts oder in flachen Passagen rannten sie schon mehrmals an mir vorbei. Sieben Kilometer liegen hinter mir und Roxi. Ungefähr so lange brauchte ich heute, um nach dem Start den „Einschwingvorgang“ abzuschließen. „Einlaufen“ als Begrifflichkeit für diese Phase zu verwenden, griffe zu kurz. Aufs Einlaufen im engeren Sinne, also darauf die Leistungsbereitschaft des Körpers herzustellen, achte ich umso weniger, je mehr „Randbedingungen“ eine Laufaufgabe mir auferlegt. Und die heutige ist um einiges aufwändiger und komplexer als ein kurzer Ultra von 52 Kilometern vermuten ließe …

Das ist der herrschenden schwülen Hitze am Spätnachmittag - immer noch fast 30°C -, der hügeligen Landschaft des Kraichgaus - insgesamt 900 Höhenmeter -, sowie der Begleitung durch Roxi geschuldet. Um alle Utensilien, Wasser, sowie Verpflegung für Herr und Hund mitnehmen zu können, musste ich auf den Laufrucksack zurückgreifen. Schon um sich ans Zaumzeug zu gewöhnen, braucht der Lastesel eine ziemliche Weile. Dazu die Hitze, die ich bekanntermaßen liebe, die mich aber literweise Schweiß vergießen lässt. Mehr als andere - viel mehr! - und vor allem zu Beginn. Als Brillenträger hast du unter solchen Bedingungen die A…karte gezogen: Im Minutentakt Brille ab, über Stirn und Schläfen wischen, Brille wieder auf. Parallel zu allen anderen Verrichtungen, wozu auch Fotografieren gehört, achte ich auf meinen Hund, lenke ihn, wann immer nötig. Im selben Maß, wie ich Routine darin entwickele die Vorgänge zu koordinieren, darf sich der Kopf auch mal mit reinem Erleben von Lauf und Strecke befassen.

Sieben Kilometer währte dieser Einschwingvorgang und nun beginne ich die „Sache“ mit allen Sinnen zu genießen. Spüre die schwülwarme Hitze auf meiner Haut - mein Lieblingslaufwetter! Meine Augen erfreuen sich an der reizvollen Landschaft, erkennen vieles wieder, das sie vor zwei Jahren schon einmal schauen durften. Vorbei an Streuobstwiesen, mal einer Koppel mit Pferden, Wiesen und Getreidefeldern, vielfach schon abgeerntet. Goldgelbe Stoppeln blieben zurück, formen hellgelbe, große Vierecke, die sich die Hügel mit grünen Arealen teilen. Staub hängt in der Luft, kitzelt mich in der Nase. Sommer, den man riechen kann. Beim Dreschen entstandene Spreu, von Wind, Füßen oder Fahrzeugen neuerlich aufgewirbelt. Die Kombination von Duft und Hitze weckt diffuse Erinnerungen an hochsommerliche Kindheitstage, an vor vielen Dekaden abgespeichertes wohliges Empfinden. Wie von einem unkonzentrierten Maler mit spritzendem Pinsel hingekleckst schmücken Wolkenschleier das Himmelblau. Vor mir in loser Folge ein paar Läufer, irgendwo dazwischen, mal mehr, mal weniger weit entfernt, ein Hund …

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Heute laufe ich mit Hund!

Laufen mit Hund ist anders. Wie anders hängt vor allem vom Vierbeiner ab. Wenig anders stelle ich mir einen Wettkampf mit Hunden vor, deren Wesen die kontinuierliche Erbringung von Ausdauerleistung eigen ist. Schlittenhunde - Huskys, Samojeden und andere - wurden vom Menschen für solche Dienste gezüchtet. Ihrem Temperament entspricht es durchaus angeleint und über lange Distanzen an der Seite des Hundeführers zu trotten. Dem Wesen unserer Hündin dagegen widerspräche solche Praxis. Roxi - halb Golden Retriever, halb Australian Shepard - ist zwar extrem ausdauernd, jedoch auf „unstete“ Weise. Sie bestimmt ihr Tempo gerne selbst, rennt voraus, kehrt den Rudelführer suchend um, bleibt schnüffelnd zurück, holt im Zwischenspurt wieder auf … Fesselte ich Roxi mit einer Leine auch nur für 10 Kilometer an mich, man könnte mir Tierquälerei vorwerfen.

Laufen mit Hund verlangt die Verschmelzung zweier Rollen: Die des Läufers mit der des Hundeführers. Es versteht sich von selbst, dass Letztere jederzeit Vorrang genießt. Ein wenig zum Schutz der Mitläufer, meist jedoch um Roxi vor Schaden zu bewahren. Über die schmale Absicht des Tierschutzparagraphen hinaus möchte ich unseren gemeinsamen „Jagdausflug“ so gestalten, dass er meinem Hund Freude bereitet! Denn: Wie könnte ich Spaß an etwas haben, das ich mit Roxi gemeinsam unternehme, dem sie eher mit Unlust begegnet? - Alles in allem erfordert „Roxi-gerechtes“ Laufen deutlich mehr Zeit. Zu einem Wettkampf im eigentlichen Sinne kann es also gar nicht kommen. Mehr Zeit unterwegs und noch mehr Zeit an Verpflegungsstellen - weshalb das so ist, wird der Laufbericht erschöpfend erläutern …

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Lange Rede kurzer Sinn: Roxi läuft frei! Bei den meisten Wettkämpfen verbietet mir dieser Umstand sie mitzunehmen. Grundsätzlich ungeeignet sind Stadtmarathons, Wettkämpfe mit großem Teilnehmerfeld oder Bewerbe, die überwiegend auf stark befahrenen Straßen stattfinden. Und manchmal untersagt die Ausschreibung Hundebegleitung. Beim „Night52 Ultralauf“ in Bretten passt dagegen alles. Die Strecke nutzt oder quert eher selten stärker frequentierte Straßen, was ich seit meiner Erstteilnahme vor zwei Jahren weiß. Das Teilnehmerfeld besteht lediglich aus 104 Einzelstartern samt einer Handvoll Staffelläufern. Die stehen etwa 30 Meter vor uns. Der Abstand gaukelt Roxi vor, dass bis zum Start noch viel Zeit vergehen wird. Und deshalb bleibt sie ruhig, eine durch und durch abgeklärte, kreuzbrave Hündin. Noch! Laufen mit Roxi macht Spaß, doch in den Sekunden vorm Start und den ersten Minuten danach wünscht sich ihr Hundeführer weit, weit weg.

In dieser Phase explodiert Roxi wie ein Knallfrosch! Heute beginnt es exakt in dem Moment, da sich die Stimme des Moderators hebt, ihr so den unmittelbar bevorstehenden Beginn der „Jagd“ signalisiert. Als der Countdown einsetzt stranguliert sie sich bereits heiser kläffend in Halsband und Leine. Und natürlich will sie der loshetzenden Meute mit aller Kraft hinterher, sich am liebsten an die Spitze setzen. Grund genug den zahlreich versammelten Zuschauern auch heute wieder ein - im wahrsten Sinne des Wortes - irres Schauspiel zu liefern. Adrenalin in hohen Dosen führt zu völligem Kontrollverlust. Bei Menschen wie bei Hunden. Worte, harsch ausgesprochene Kommandos, Drohungen, sogar körperliches Maßregeln - nichts schafft Abhilfe. Adrenalin blockiert Schmerz, den sie sich selbst zufügt, lässt ihn ins Hirn nicht mehr vordringen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als die tobende Bestie an der Leine zu halten und immer wieder zurück zu zerren. Das ist wie ich mir den Kampf eines Hochseeanglers mit dem Schwertfisch vorstelle: Die Kreatur ermüden, bis sie sich in ihr Schicksal ergibt …

Die Rückverwandlung vom völlig durchgeknallten Köter zur handzahmen, jedes Kommando bereitwillig ausführenden Roxi geht gottlob rasch vonstatten. Nach den etwa drei, vier Minuten einer kurzen Stadtrunde darf sich mein inzwischen etwa fünf Zentimeter längerer linker Arm wieder erholen. Ich lasse sie an der Leine, stadtauswärts, auf befahrenen Straßen, eine Weile auch noch auf den sich anschließenden Feldwegen, bis sich die Läuferkolonne in Grüppchen aufgelöst hat. Schließlich scheren wir auf eine Wiese aus und ich befreie die hechelnde Roxi von der physischen Fessel. Dafür klemme ich sie mir ersatzweise mit der verbalen Fessel „Langsam!“* ans Bein. Ein paar Meter leinenfrei Seite an Seite, um ihr klarzumachen, wer hier das Sagen hat. Schlussendlich die Erlösung - für uns beide übrigens: „Roxi lauf!“

*) Das Kommando „Langsam!“ versteht Roxi nicht als Tempoangabe. Es bedeutet: „Bleib an meiner linken Seite!“ - Es unterscheidet sich vom Kommando „Fuß!“ darin, dass eine laxe Ausführung, dem Gelände und der Situation beim Joggen angepasst, also mal einen halben Schritt voraus oder zurückhängend, toleriert wird.

Am ersten Verpflegungspunkt „parke“ ich Roxi ein paar Meter abseits. Eine bewusste Inszenierung für meine Mitläufer. Jene, die sich jetzt hier verpflegen, noch da sind oder gerade ankommen, werden sich auch während der nächsten Kilometer in unserer Nähe aufhalten. Die Demo soll ihnen Roxi „sympathisch“ machen, auch zeigen, dass von diesem ungewohnten, nicht angeleinten Laufteilnehmer keine Gefahr ausgeht. Hastig schütte ich ein paar Becher Flüssigkeit in mich rein, nasche Gel vom Tisch, spare eigenes. Abschließend greife ich mir einen Becher Wasser und biete ihn Roxi an, die das Angebot jedoch wie erwartet ignoriert. Hunde saufen genau dann, wenn sie Durst empfinden und keine Sekunde vorher. Hunde leben im Jetzt. Auf Vorrat zu trinken, ist ihrem Wesen fremd. Leckerbissen werden dagegen jederzeit gern genommen. Vermutlich hat die Natur das ihren Genen so einprogrammiert, weil Nahrung viel rarer ist als Wasser. In Roxis Fall eine weiche Kaustange, mit der sie fürs abseitige Warten belohnt wird.

Alles im grünen Bereich, außen und innen. Unterdessen haben unsere Mitläufer begriffen, zu wem Roxi gehört und wie unsere von variierendem Abstand geprägte Laufgemeinschaft tickt. Erst jetzt, nach knapp 10 Kilometern, nach bereits zwei durchmessenen Dörfern und wunderbaren Landschaftseindrücken, spüre ich ernsthaft in mich rein. Anfängliches Zwicken - War da eins? Ja, ich glaube schon! - hat sich zwischenzeitlich gegeben. Keine Beschwerden! Schon allein dieser Umstand ließe mein Gemütsbarometer in Richtung Schönwetter steigen, so es nötig wäre. Heute überflüssig, weil ich auch so gut gelaunt einher trabe. Das mäßige Tempo strengt mich zwar ungemein an. Doch das habe ich am Ende einer extrem harten Trainingswoche ohne Erholungstage erwartet. Wenn ich heute das Ziel erreiche, werde ich immerhin 160 Wochenkilometer gesammelt haben. Daran gemessen geht mir der Jogg sogar vergleichsweise locker flockig vom Fuß.

Roxi ist inzwischen elf Jahre alt. Natürlich beobachten wir mit geschärfter Aufmerksamkeit, ob sie den Anforderungen langer Läufe noch gewachsen ist. Derzeit bestehen daran keinerlei Zweifel. Bedenken bewegen einen dennoch. Vor allem bei dieser Hitze, mit der Roxi per „Zungenkühlung“ schlechter als Menschen zurechtkommt. Über kurz oder lang werde ich ihr ein Bad verpassen, um mein Gewissen zu beruhigen. Derzeit hechelt sie allerdings weit weniger, als ich erwartet hätte. Vielleicht, weil die Sonne nur noch handbreit überm Horizont steht und mehrfach hinter Wolkenschleiern verschwindet. Ein Waldstück bietet weitere Abkühlung, allerdings geht’s hier steil bergauf. Inzwischen ist der Weg wieder asphaltiert und mündet am Waldrand in ein Sträßchen. Öffentlich befahrbar oder gesperrter Feldweg? Einerlei, heute sind viele Traktoren und Mähdrescher im Einsatz und ich kann den Querweg nicht einsehen: „Roxi rechts!“

Ein Mitläufer stellt amüsiert fest, dass ich Roxi nach „rechts“ schicke, mit ihr am Bein aber links abbiege. „Rechts ist keine Richtungsangabe, sondern die Anweisung an meiner rechten Seite zu laufen!“ - Die Erklärung ist zwar im Grunde überflüssig. Es macht mir dennoch Spaß mich und meinen Hund zu erklären, zugleich zu demonstrieren, wie gut Frauchen unsere Roxi dereinst schulte - Herrchen ist eigentlich nur Nutznießer dieser Ausbildung!

Wir überqueren eine stark befahrene Bundesstraße im Dorf mit dem merkwürdigen Namen „Bauschlott“. Während mein unterbeschäftigter Geist um die Wortassoziation „Bauschrott“ kreist, joggen wir auf eine „familiär betriebene Extratränke“ zu. Das Familienoberhaupt beobachtet des Treiben gemütlich vom Campingstuhl aus, die Kinder bieten Wasser aus Bechern an und die Dame des Hauses offeriert eine Dusche mittels Gartenschlauch. Kommt mir wie gerufen! Nicht für mich, für Roxi! Ich leihe mir den Schlauch, fasse Roxi am Halsband und spritze sie ab. Das hasst sie mehr als ich mit Worten ausdrücken könnte, obwohl sie sich im Element Wasser eigentlich pudel-, besser gesagt: retriever-wohl fühlt. Doch da muss sie jetzt durch. So wie der Hausherr im Campingstuhl durch seine „Sekundärdusche“ als sich die triefnasse Roxi in Hundemanier neben ihm schüttelt. Hundemanier bedeutet: Jeder Quadratmillimeter seitlich der Körperflanken im Abstand von ein bis zwei Metern wird nass. Ich murmele eine Entschuldigung, bedanke mich bei der Dame und Kindern, dann machen wir uns wieder auf den Weg - Roxi, indem sie rasch Abstand zu mir und zum verhassten Schlauch herstellt.

Zweiter Verpflegungspunkt in Bauschlott. Alle mühen sich um Roxis Wohl. Weibliche Helfer, Kinder und sogar einer der Läufer. Rasch wird ihr ein Schüsselchen mit Wasser vorgesetzt, in das sie zwei, dreimal ihre Zunge schnellen lässt, es fortan aber ignoriert. Sie wartet auf Schmackhaftes und wird nicht enttäuscht. Eine Kaustange von Herrchen und der hundefreundliche Mitläufer fragt mich, ob sie ein Stück trockenen Zopf fressen darf. Darf sie, ausnahmsweise, weil wir heute ein Lauffest feiern! Mir selbst gönne ich mehrere Becher Flüssigkeit, bis meine Bauchdecke spannt. Dazu zwei Gels vom Büffet. Wenn das so weitergeht, werde ich meine eigenen Gels wieder heim tragen. Gut so! Pro Beutel immerhin eine Ersparnis von etwa Euro 1,50. Auf diese Weise hole ich mir einiges vom Startgeld wieder zurück*.

*) Ich fand tatsächlich an jedem Verpflegungsstand Gel vor, so dass ich meinen mitgebrachten Vorrat nicht anzutasten brauchte.

Ich erkenne die Wegabschnitte wieder, einen nach dem anderen. Vollständig und in korrekter Abfolge einprägen kann man sich so viele, ständig wechselnde, von Flussläufen und erdgeschichtlichen Prozessen geformte Hügelansichten nicht. Landschaftsbilder sind zudem variabel. Die herrschende Witterung wandelt sie und einfallendes Licht. In landwirtschaftlich geprägter Region wird die Ansicht nicht zuletzt auch von dem geprägt, was der Bauer in diesem Jahr hier, da und dort pflanzte. Wir folgen einem moderat abfallenden Geländeeinschnitt abwärts, nähern uns einem Weiher. Sehen kann man ihn zwischen dichter Uferbepflanzung und alten Bäumen erst aus der Nähe. Eine Menge Autos parken davor und von jenseits der Wasserfläche schallt Gelächter wie von einer Feier herüber. Insgeheim hoffe ich, Roxi möge sich die nötige Abkühlung verschaffen, bleibe dem Ufer aber fern. Etwaige Angler mögen es gar nicht, wenn ein Hund ihre Fische verschreckt … Tatsächlich verschwindet mein Hund für kurze Zeit an der Uferböschung. Als ich näher heran bin, sehe ich Roxi unweit des Ufers paddeln. Nur ihr Kopf schaut noch raus. Ich jogge unbeirrt weiter und beobachte mit Wohlgefallen, wie sie mir erst triefend hinterher rennt, um dann ihre Schwimmeinlage einige Meter weiter zu wiederholen …

Der Taleinschnitt wird tiefer, das Tal enger. Auf relativ neuer Asphaltdecke (vor zwei Jahren war das noch ein unbefestigter Weg) flitzen wir abwärts, neuerlich auf einen dicht besetzten, scheinbar mitten in der Natur abtrassierten Parkplatz zu. Aus der Ferne und von weiter oben entstand der Eindruck eines Campingplatzes. Ich erkannte Wohnwägen und Zelte. Nun entpuppt sich die Versammlung als Heerlager einer Motorrad-Trial-Veranstaltung. Zwischen Bäumen erkennt man die von Motorradreifen hinterlassenen und mit Trassenband abgetrennten narbigen Fahrspuren im Gelände. Zu hören ist erstaunlicherweise nichts. Vielleicht besteht eine Weisung, derzufolge am Abend die Motoren schweigen müssen. Immerhin wäre schon eines der „sägenden“ Triebwerke kilometerweit zu hören.

Kilometer 20: Mir geht es gut. Die Beine fühlen sich bereits erschöpft an aber beschwerdefrei. Ersteres betrachte ich als Ausdruck „erfolgreichen Trainings“. Dass ich schon vorermüdet in den Wettkampf ging, verdeutlicht worum es mir geht: Weitere Trainingskilometer anhäufen und Spaß mit Roxi haben. - Die Beleuchtung der Umgebung wird immer Fotografen-freundlicher. Wie an dieser Stelle, wo die tiefstehende Sonne ein Stoppelfeld am Hang goldgelb anstrahlt. Der Bauer als Künstler! Wenngleich ohne Absicht geschaffen, darf jedermann sein monumentales Werk interpretieren - eine Landschaftsskulptur aus dekorativ verteilten, zylindrischen Strohballen …

Ein kleiner Stausee bildet das nächste Highlight, mehr noch für Roxi als für mich. Knapp unterhalb der Dammkrone sitzen Angler, dicht an dicht. Platz 11 zwischen Büschen - die Plätze sind sogar mit kleinen im Boden steckenden Täfelchen nummeriert - ist jedoch frei. Ich brauche Roxi gar nicht runterschicken. Ehe ich mich versehe, schwimmt sie ein paar Züge, um sich abzukühlen. Kluger Hund!

Stausee war unten, nun wieder rauf. Anstrengend war’s von Beginn an, inzwischen fahren mir Höhenmeter schon gewaltig in die Beine. Da ich mir ausgerechnet diese Steigung gut einprägen konnte, muss sie mich auch vor zwei Jahren schon ordentlich „’rangenommen“ haben. Nicht lange allerdings, nach ein paar Minuten beruhigen sich Herz- und Atemfrequenz wieder. Eine längere, kühle Waldpassage folgt, an die ich mich dagegen überhaupt nicht mehr erinnere. Weil es in moderatem, also bequemem Gefälle abwärts geht vielleicht? - Entlang der sich anschließenden Bundestraße, auf einem Radweg laufend, gibt es wenig erbaulich Irdisches zu vermelden. Dafür unterhält mich der Himmel: Eine zerrissene Wolkenformation zeichnet sich vor zarten Pastellfarben ab, zieht meinen Blick mehrfach magisch an.

Dritter Verpflegungspunkt: Wie gehabt zieht Roxi alle Aufmerksamkeit auf sich. Und natürlich muss ich auch hier die übliche, in unserem gemeinsamen Laufleben schon zigfach gestellte Frage beantworten: „Läuft der Hund die ganze Strecke mit?“ Wie jedes Mal löst mein „Ja, natürlich!“ einiges Erstaunen aus. Bei Menschen, die nicht mit Hund leben, ebenso wie bei diversen Hundehaltern, deren Vierbeiner das (angeblich*) überfordern würde.

*) Natürlich gibt es rasseunabhängig viele Hunde, die ungern ausdauernd laufen. Und es verhält sich auch so, dass große Hunde (Berner Senn, Bernhardiner, große Hütehunde und ähnliche), wegen des ungünstigen Verhältnisses zwischen Zungenfläche (Kühlung!) und Körpermasse, keine stundenlange Laufausdauer erbringen können. In vielen Fällen liegt es aber am Menschen, der seinen eigenen, begrenzten Radius ungeprüft auf den Hund überträgt. Der Vierbeiner könnte durchaus, wenn er denn dürfte, bzw. entsprechend gefordert würde.

Die Ortschaft „Knittlingen“ bleibt hinter uns zurück. Weiterhin fußfreundlich asphaltierte Wege bringen Roxi und mich voran. Inzwischen bilden Mitläufer in Sichtweite eher die Ausnahme. Nach 26 Kilometern hat sich das kleine Läuferfeld in „Moleküle und Atome“ aufgelöst. In weit gezogenen Schlangenlinien, einer Höhenlinie folgend, also ebenerdig, kommen wir gut in der Talmulde voran. Das Licht begeistert mich! Immer wieder wende ich mich halb um, weil schräg hinter mir die Sonne ein furioses Farbenschauspiel in den Himmel projiziert. Den Rand eines Maisfeldes vor uns lässt sie Rotgolden aufleuchten. Ein Genuss in diesen Abend hineinzulaufen, auch wenn es mich anstrengt. Tempo? - Weiß nicht. Will ich auch nicht wissen. Seit dem Startschuss habe ich nicht einen Tempocheck vorgenommen. Ich überlasse meinen Beinen den Takt. Sie geben, was sie nach einer anstrengenden Trainingswoche noch geben können.

Im Wald aufwärts. Unter dichtem Blätterdach regiert bereits die Dämmerung, deshalb konzentriere ich mich auf etwaige Stolperfallen. Ein Kilometer, auf dem ich mich frage, um wie viel ich meiner Zeit von vor zwei Jahren hinterhinke. War’s damals in diesem Waldstück auch schon so dunkel? - Ich erinnere mich nicht. Ebenso wenig wie an den winzigen Stausee, der uns gleich hinterm Waldrand entgegen schimmert. Weitere und für heute letzte Gelegenheit einer Roxi-Schwimmeinlage.

Der asphaltierte Wirtschaftsweg verläuft nahezu geradlinig in der Talflanke, gewinnt dabei fast unmerklich, aber stetig an Höhe. Obschon - vielleicht auch gerade weil - die Dämmerung fortgeschritten ist, genieße ich den Rundblick. Rechterhand, am nicht übermäßig steilen Hang, stehen Legionen von Rebstöcken in Reih und Glied. Am Fuß des bewaldeten Gegenhangs, duckt sich ein einzelnes Gehöft in die Talmulde. Ein prächtiger Fachwerkbau, aus der Ferne so frisch wirkend, als hätte man gerade erst Richtfest gefeiert. Die Äste des alten Baumbestandes zur Linken - vornehmlich verwilderte Obstbäume - zeichnen einen scharfen Schattenriss in einen Traum von Abendhimmel: Pastellfarben, Lila bis karminrot, eigenwillig schraffiert von in Auflösung begriffenen Wolkenresten. Und als Höhepunkt des herrlichen Panoramas lugt der glutrote Ball der untergehenden Sonne noch ein paar Sekunden über den Hügelkamm. Einer der Momente unter freiem Himmel, die zu erleben jede erdenkliche Mühe lohnt …

Von links voraus wummert es mir rhythmisch entgegen. Ein paar Meter weiter ergänzen höherfrequente Klangkomponenten den Bass und ich identifiziere den Stil des Dargebotenen als „Rap“. „Rap“ oder etwas Ähnliches, in diesem Musiksegment kenne ich mich so gar nicht aus. Ein am Wegrand aufgepflanzter Lautsprecher entlässt die aufputschenden Klänge in den bislang friedvoll stillen Abend. Einerlei. In zwei Minuten werde ich weit genug entfernt sein und nichts mehr davon hören. Mit farbiger Kreide wurde der Asphalt zu meinen Füßen bemalt, als wären spielende Erstklässler am Werk gewesen. Allerdings entziffere ich die Vokabel „Party“, eine Schulkindern noch fremde Spielart menschlichen Sozialverhaltens. Plötzlich, auf Höhe des Lautsprechers, werde ich Opfer höchst skurrilen Geschehens. Aus dem Halbdunkel dichten Baumbestandes huscht eine schwarzgekleidete, wohlgestalte Elfe herbei und fordert mich auf. Wozu? - Das teilt sich mir einfach nicht mit. Mag sein der im Bassrhythmus hüpfende Lautsprecher übertönt es. Vielleicht wusch reichlich genossener Alkohol auch Ausdruckskraft aus ihrem hellen Stimmchen. Reste männlicher Instinkte erlöschen augenblicklich, machen großväterlichen Platz: In Not scheint sie immerhin nicht zu sein … eine Begleiterin steht 20 Meter abseits und beobachtet ihr exaltiertes Gehabe … Was sie denn von mir erwarte, will ich wissen!? - Nüchterne Vernunft mitten hinein in ein nun höchstens noch einen Meter entferntes, reizendes, allenfalls vierzehnjähriges Mädchengesicht. „Na, abklatsch’n ’türlich!“ Sprechen und Heben der Hand koordiniert sie immerhin noch simultan und also erfülle ich meine Ultraläuferheldenpflicht, wische den Schweiß meiner Hand an der ihren ab. Die würde sie sich nun sicher wochenlang nicht mehr waschen, wäre ich tatsächlich ihr Held - zum Beispiel auf Youtube omnipräsent oder bei Facebook von Millionen „Followern“ gejagt. Aber ich bin ja nur ein Ultraopa.

Vom Hügelkamm aus schweift der Blick über bisher ungesehene Teile des Kraichgaus. Jenseits der Straße laden Infotafeln zum Verweilen ein, dahinter scheint der Hang steil abzufallen. Ich wüsste zu gerne, worüber die Tafeln informieren, verzichte aber auch heute darauf. Vor zwei Jahren hinderte mich Ehrgeiz, heute Roxi, deren „Bespaßung“ ohnehin schon reichlich Zeit kostete. Sanft auf dem Hügelkamm abwärts, schlussendlich in jäher Linkskurve und fußmarternd steil hinab. Nicht lange hinab, dann wieder hinan. 32, schließlich 33 Kilometer geschafft.

Hinter diesem Hügel, bereits wieder in Abwärtsbewegung begriffen, erwartet uns ein Dorf. Wir halten geradeaus auf die Kirche zu. Da und dort hat man es sich nach Camperart vorm eigenen Anwesen bequem gemacht, nutzt die Veranstaltung für einen unterhaltsamen Sommerabend im Freien. Sie sparen nicht mit Beifall, der sich verstärkt, sobald die Zaungäste meiner in der Dämmerung schwer auszumachenden, schwarzfelligen Begleiterin ansichtig werden. Am plätschernden Dorfbrunnen, unweit der Kirche, gerade mal hundert Meter vorm nächsten Verpflegungspunkt, legen wir einen Halt ein. Ich fordere Roxi auf, aus dem Brunnen zu saufen: „Wasser!“ - Offensichtlich durstig umkreist Roxi den aus ihrer Perspektive nicht einsehbaren Trog, fürchtet jedoch von mir nass gespritzt zu werden. Ich löse das Dilemma auf, indem ich meine Hände zur Schale zusammenlege, mehrmals Wasser schöpfe und es ihr jeweils abseits zum Schlabbern hinhalte.

Am Verpflegungspunkt verlieren wir abermals Zeit, weil man sich wieder rührend um den „armen Hund“ kümmert. Wasser lehne ich mit Hinweis auf den Brunnen ab, biete Roxi dafür wieder ein Häppchen vom trockenen Zopf an. Natürlich bekommt sie auch Streicheleinheiten. Dringend erforderlich, weil dieser Hund zu Hause unter Garantie zu wenig Zuwendung erhält!

Der asphaltierte Weg in der Talsohle zieht sich. Immerhin ist er flach und Unebenheiten weist er auch nicht auf. Mannshohes Schilf zur Rechten lässt genügend Restlicht zu, die sich anschließende Allee dann nicht mehr. Wie jedes Mal will ich mir die lästige Stirnlampe so spät wie möglich aufsetzen und vertraue auf einen intakten Straßenbelag. Ein paar Minuten weiter, inzwischen wieder hangaufwärts trabend, um 22:11 Uhr, ist es dann soweit: Es werde Licht! Im Dunkeln an der Ausrüstung rumnesteln zu müssen will ich nicht riskieren. Zunächst krame ich Roxis LED-Halsband aus dem Rucksack und schließe es um ihren Hals. Mehrere grelle, rote Lichtpunkte stellen sicher, dass sie nicht übersehen wird. Wieder zum Schutz von Mitläufern, die über sie stolpern könnten, als auch zu ihrem eigenen. Und mir garantiert die Christbaumbeleuchtung sie jederzeit im Auge behalten zu können.

Am vorletzten Verpflegungspunkt und damit nach absolvierten 40 Kilometern brechen wir gegen 22:35 Uhr wieder auf. Übrigens die einzige mit einer Cut-off-Zeit bedrohte Marke der Veranstaltung. Wer nach 23:30 an VP 5 „Gölshausen“ anlangt, wird aus dem Wettkampf genommen. So steht es im Reglement, wie hart diese Vorgabe tatsächlich „exekutiert“ wird, weiß ich natürlich nicht. Inzwischen ist es stockdunkel. Ein Umstand dem sich Roxis Verhalten anpasst. Sie bleibt nun von sich aus meist in meiner Nähe, tippelt zwei, drei Meter vor mir im Lichtkreis meiner Lampe. Ich war auf diese Phase unseres Laufes gespannt, da wir noch nie gemeinsam im Dunkeln joggten. Nicht in Wettkämpfen, im Training ohnehin nicht. Ich war darauf vorbereitet sie häufiger herbeizitieren zu müssen und bin ein wenig perplex, dass sie selbst engen Kontakt hält …

Auch diesen Abschnitt erkenne ich wieder, erinnere mich zugleich an vormals noch hellere Lichtverhältnisse. Wir überwinden einen weiteren Hügel, laufen neuerlich durch Wohnstraßen und verlassen Gölshausen schlussendlich in Höhe des Sportplatzes. Noch eine Unterführung, dann erreichen wir wieder freies Feld - nur leider unter Preisgabe des bisher fußschonenden Asphalts. Erinnerung setzt ein: Die letzten 10 Kilometer verlaufen überwiegend auf nicht asphaltierter Route. Zudem vielfach im Wald. Meine Stirnlampe reißt ein Feld mit leuchtend gelben Sonnenblumen aus dem Dunkel. Einen ohnehin fälligen biologischen Halt nutze ich für letzte Erinnerungsfotos, verstaue anschließend die nun nutzlose Kamera im Rucksack … und weiter.

Wald verschluckt uns. Auf Sichtweite weder vor noch hinter uns Leben. Seitwärts im Wald mutmaßlich schon. Hie und da bleibt Roxi stehen, peilt aufmerksam ins Dunkel. Meist trabt sie jedoch stoisch an beschriebener Position: Zwei Meter rechts voraus. Was motiviert sie diese Nähe beinahe unverändert einzuhalten? Angst hat sie keine im Dunkeln, das wäre uns nach zahllosen lichtlosen Gassis geläufig. Im Grunde gibt es nur eine, dafür einleuchtende Erklärung: Sie nutzt das Licht meiner Lampe, um zu sehen, wohin sie ihre Pfoten setzt.

Aufwärts im Wald, abwärts im Wald, mehrmals, moderat, gut auszuhalten. Für ein paar Minuten laute Volksmusik von rechts, irgendwer scheint irgendwo hinter den Bäumen irgendwas zu feiern. Nach zweieinhalb Kilometern, unterdessen wieder auf Asphalt einen weiteren Hügel bezwingend, halten wir auf den letzten Verpflegungspunkt zu. Eine kleine Lichtblase im allumfassenden Dunkel. Auf dem angrenzenden Feld rumort ein gleichfalls von Licht umflorter, bedrohlich wirkender Schemen: Ein Mähdrescher bei nächtlicher Arbeit.

Eigentlich wollte ich den Halt am letzten VP, an dem uns nur noch 6,5 Kilometer vom Ziel trennen, kurz halten. Auf Gel verzichten, nur noch ein, zwei Becher leeren. Nur bin nicht ich Herr des Geschehens. Roxi gibt den Aufenthalt vor, genauer gesagt Entzücken und Begeisterung, die ihr Erscheinen an der Tränke auslöst. Sie taucht ihre Zunge ein paarmal in eine angebotene Schale mit Wasser, will dann aber ihre Belohnung. Eine Kaustange wechselt Konsistenz und Aufenthaltsort: Aus Rucksack und Packung rein in Roxis Maul, hurtig zerkaut in ihren Magen. Unterdessen überbieten sich die Helfer gegenseitig mit Lobpreisungen zu Roxis außergewöhnlichem Laufvermögen. Wieder geschieht, was ich mit gespielter Eifersucht gegenüber einer Helferin an der vorletzten Tränke äußerte: „Wenn ich mit Hund laufe, interessiert sich niemand für mich und meine Leistung.“ - Wie alt Roxi denn sei, wollen sie wissen. Die von mir angegebenen 11 Jahre multipliziert der Helfer flugs mit 7: „Man stelle sich vor: Einen Ultra laufen mit 77 Jahren!“

Die einfache Formel „Hundealter = Lebensjahre x 7“ wurde von tiermedizinischer Forschung längst widerlegt. Die Lebenserwartung eines Vierbeiners wird wesentlich von seinem Gewicht mitbestimmt. Diverse „Hundealterrechner“ im Internet berücksichtigen diesen Faktor. Wende ich sie auf Roxi an, errechnen sie witzigerweise den Wert „64“, also exakt mein Lebensalter …

Der lange Aufenthalt am Verpflegungspunkt brachte uns ins Hintertreffen. Einerseits, was die Hoffnung angeht, noch vor Mitternacht das Ziel zu erreichen. Auch einer Läuferin gegenüber, die nach uns eintraf und kurz vor uns aufbricht. Später im Ziel wird sie mir gestehen, wie sehr einen Hund in kurzem Abstand hinter sich zu wissen weiblichen Ängsten auf dem finalen einsamen Abschnitt vorbeugte. Zunächst vergrößert sich der Abstand zwischen uns, bis ich nur noch einen schwachen Schein ihrer Lampe sehen kann. In einer Steigung kommen wir ihr wieder näher, was Roxi magisch anzieht. Tagsüber wär’s mir gleichgültig, in der Nacht dulde ich es nicht und rufe sie zurück. Gerade noch rechtzeitig - danach sieht es jedenfalls zunächst aus: Die Läuferin ist stehengeblieben und redet mit einem Mann. Ein Mann mit einem großen Hund an der Leine. Ein paar Satzfetzen verstehe ich. Demnach warnt sie ihn, dass da gleich ein Läufer mit Hund kommt.

Mir ist die Situation nicht geheuer: Spaziergänger mit Hund in stockfinsterer Nacht auf unbeleuchtetem Weg ohne Lampe? Selbst wenn er den Weg kennt - wie findet der sich zurecht? - Ich nehme Roxi mit Kommando „Rechts!“ an meine Seite, um der bevorstehenden Begegnung hündisches Konfliktpotenzial zu nehmen. Überflüssigerweise wie sich herausstellt, weil die Vierbeiner sich mögen. Also dürfen sie sich schwanzwedelnd beschnüffeln, während mir der Unbekannte versichert, dass wir „noch einiges vor uns haben!“ Einschüchtern kann er mich damit nicht. Nicht fünf Kilometer vorm Ziel. Außerdem habe ich die heftigen Schlusssteigungen längst aus der Tiefe meines Laufgedächtnisses gefischt und mich mental gewappnet.

Tatsächlich prüfen uns auf diesen finalen Kilometern drei der steilsten, zugleich längsten Steigungen der Strecke. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil meine Beine müde sind und die Dunkelheit ohnehin alle Dimensionen dehnt. Ich erinnere mich an mein „Fluchen“ vor zwei Jahren, als ich auf einen gemütlichen Ausklang hoffte und mehrfach am Limit gefordert wurde. Das war jedoch sicher auch meiner damaligen miesen Stimmung geschuldet, die sich nach Einbruch der Dunkelheit eingestellt hatte. Keine Spur davon heute, entsprechend unbeeindruckt lässt mich die Schinderei.

Ein Glucksen seitwärts im Busch. Fließendes Wasser. Sogar ich höre es und Roxi steuert darauf zu, macht Anstalten im hohen Gras zu verschwinden. Im Vorbeilaufen rufe ich sie zu mir, trabe weiter, doch Roxi überholt mich nicht. Nach ein paar Metern bleibe ich stehen, drehe mich um … Keine Christbaumbeleuchtung zu sehen! Ich wiederhole die Anweisung. Überaus laut und ungehalten! Während sie herantrottet begreife ich: Roxi hat Durst! Ich leuchte mit der Stirnlampe in den Graben neben der Straße … Es hätte meines Hinweises „Wasser!“ nicht bedurft: Mit vier Beinen steht sie im Bächlein und schlabbert. So lange und so viel, als wäre es das erste Nass in dieser Woche …

Wir sind zurück in Bretten, joggen durch menschenleere Straßen. Glaubte ich der vorhin auf den Asphalt gepinselten Marke, wären wir fast im Ziel. In der Anzeige meines GPS fehlen allerdings noch anderthalb Kilometer. Und die leisten wir vollends ab: Als eine nahe Turmuhr mit zwölf Schlägen Mitternacht einläutet, biegen wir gerade vom unbelebten Bretten in die Fußgängerzone ein, passieren wenig später auf dem Marktplatz diverse Lokale, vor denen nächtliche Zecher die laue Nacht genießen. Angesichts des sonderbaren, mitternächtlichen Laufduos sparen sie nicht mit Beifall. Im Zickzack durchstreifen wir die Brettener Altstadt ohne einem Menschen zu begegnen, erreichen kurz darauf das Sportgelände und werden auf die Tartanbahn geschickt.

Überflüssigerweise absolvieren wir eine Ehrenrunde, an der jedoch niemand ausharrt, der uns diese Ehre erweisen könnte. Erst im Ziel, nach 6:18:57 Stunden, schallt uns Beifall entgegen. Ein Empfangskomitee dreier Helferinnen hängt erst mir, dann auch Roxi eine Finishermedaille um den Hals. Die hat Roxi verdient, finde ich. Auch wenn sie diesen Ultra nicht mit vermeintlichen 77 sondern „nur“ mit 64 Hundejahren absolvierte. Bravourös auf jeden Fall und ihrem lahmen Herrchen ein steter Quell der Freude!

 

Fazit zur Veranstaltung

Ein gut organisierter, von allen Beteiligten mit viel Spaß umgesetzter Ultralauf. Reichlich Verpflegung unterwegs und insbesondere im Ziel. Hervorheben sollte man die exzellente Streckenmarkierung. Sich zu verlaufen war auch im Dunkeln so gut wie unmöglich.

Landschaftlich reizvolle, sehr abwechslungsreiche Strecke auf überwiegend asphaltierten, meist nur für landwirtschaftlichen Verkehr freigegebenen Wegen. Die nicht asphaltierten Abschnitte häufen sich auf den letzten zehn Kilometern.

Hinweis für Läufer, die wie ich eine Suunto Ambit3 nutzen: Die Kilometerangaben des Veranstalters hinsichtlich der sechs VP und des Zieles stimmten mit denen meines GPS bis auf kleine Abweichungen überein. Gelegentlich auf den Asphalt gesprühte Distanzangaben, wichen dagegen mehrmals ab.

Fazit: Gerne immer wieder!

 

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