Samstag, 28. April 2018

Seeschlacht  -  Die 12 Stunden von Langenzersdorf 2018

Was läuft?

Die Königsdisziplin - man könnte auch sagen das „Maximum der Selbstkasteiung“ - verlangt von gut 50 angetretenen Läufern und Läuferinnen 12 Stunden währendes Rundendrehen. Begrenzt Leidenswillige oder -fähige haben sich zu Staffeln zusammengefunden. Um 8 Uhr beginnt der Reigen, das Schlusssignal soll um 20 Uhr erschallen. Zum selben Zeitpunkt endet auch der um 14 Uhr begonnene Bewerb über sechs Stunden (ebenfalls Einzelstarter und Staffeln). Zeitlich überschaubar bleibt die Aufgabe der Drei-Stundenläufer, die sich um 17 Uhr unter die bereits müden anderen Rundendreher mischen.

Wo läuft’s?

Langenzersdorf ist eine Gemeinde in Niederösterreich, in unmittelbarer Nachbarschaft der Stadt Wien und dem überregional weniger bekannten Korneuburg. Weinbau prägt die Gegend und natürlich die etwa einen Kilometer vom Veranstaltungsort vorbei fließende Donau. Die vermessene 923,271 Meter lange, asphaltierte Runde darf man zu den schöneren Stundenlauf-Strecken dieser Welt zählen. Sie trennt das Ufer eines Badesees von schattigen Liegewiesen mit altem Baumbestand. Das Gelände ist für derartige Veranstaltungen auch deshalb gut geeignet, weil drei großzügig dimensionierte, übers Areal verteilte Toilettenhäuser die sanitären Belange bestens abdecken. Jedenfalls hing ich bis kurz nach 20 Uhr dieser Auffassung an und dann … doch dazu später.

Zum Herrichten der Läuferverpflegung, der Startnummernausgabe und für die wettersichere Unterbringung der Technik wurden Zelte errichtet. Eine lange Gasse aus Absperrgittern trennt Läufer und veranstaltungsfremde Besucher des Sees im Start-/Zielbereich. Der damit beabsichtigte störungsfreie Betrieb, beispielsweise zum Trinken und Essen, klappt allerdings nicht durchgängig. Mal um Mal werden Omis auf Fahrrädern, Eltern mit ihren Sprösslingen oder Spaziergänger zum Verlassen der „Zone“ aufgefordert. Von derartigen Verstößen gegen die Tagesordnung erschrockene Omis wenden selbstverständlich umgehend - leider mitten auf der nur mäßig breiten Strecke, wodurch sie erst recht ein Hindernis bilden. Viele andere ignorieren achselzuckend die Bitte den Zielkanal zu verlassen. Schließlich ist das ihr See, ihr Gelände und ihr freier Samstag. Sollen die Jogger doch sehen wie sie klarkommen.

„Seeschlacht“ heißt der hier kurz umrissene Naherholungsbereich der Gemeinde Langenzersdorf - warum auch immer. „Seeschlacht“ gilt mir aber auch als treffende Umschreibung der Tortur, der ich spätestens im letzten Drittel der 12 Stunden ausgesetzt sein werde. Und damit reiße ich auch schon die Frage nach meinem Tagesziel an:

Wie weit will ich laufen?

Ausgeruht, also im Vollbesitz meiner Ausdauer, wäre ich wahrscheinlich noch immer fähig in 12 Stunden etwa 110 bis 120 Kilometer zu sammeln. In der gegenwärtigen, von unvollständiger Regeneration geprägten Verfassung, bin ich von dieser Leistung jedoch „x“ Kilometer weit entfernt. Vor genau einer Woche kämpfte ich mich fast 16,5 Stunden lang durch die Toskana, überwand dabei 102 km und 3.200 Höhenmeter. Diese Gewalttour bescherte mir im Training tonnenschwere Beine. Und heute, zwei Tage nach der letzten Laufeinheit, wird der Akku seinen vollen Ladezustand noch immer nicht erreicht haben.

Ein Ziel muss ich mir dennoch setzen, sonst fehlt es in der Schlussphase an Motivation und damit an Durchhaltevermögen, wenn der Wille erlahmende Beine in Bewegung halten muss. „100 Kilometer sollen es schon werden …“ antworte ich auf die Frage von Ernst, was ich mir für heute vorgenommen habe. Den Österreicher Ernst Bart - Markenzeichen „grüner Strohhut“ - kenne ich von diversen Ultra- und Marathonveranstaltungen her. Eigentlich begrüße ich die Frage nach meiner Wunschdistanz. Dadurch bin ich „gezwungen“ das Ziel auszusprechen und kann den Grad der Zielerreichung nicht allein mit meinem „Ultralauf-Gewissen“ abmachen. Eine Hintertür halte ich mir dennoch offen: „100 Kilometer sollen es schon werden! Allerdings weiß ich nicht, ob sich das mit dem Toskana-Wettkampf in den Beinen wird realisieren lassen. Mal sehen …“.

Wen kenne ich in Langenzersdorf?

Seitens der Veranstalter natürlich niemand. Von den Teilnehmern besagten Ernst Bart und Andy Kapui. Andy durfte ich im letzten Jahr 10 Tage in Folge beim Marathonlaufen zusehen (und er mir). Beide waren wir (erfolgreiche) Teilnehmer an den „10 Marathons in 10 Tagen“ in der Steiermark. Andy ist ein sehr angenehmer Laufkamerad, vor dem ich jedes Mal den Hut ziehe. Schon meiner eher stämmigen Läufergestalt fehlt es an „knöcherner“ Eignung für den Laufsport. Verglichen mit Andys massiger Erscheinung gehe ich allerdings als Gazelle durch. Ein Handicap, das Andy weder den Spaß am Laufen verdirbt, noch ihn davon abhalten konnte bereits weit über hundert Marathonläufe zu finishen!

Ein weiterer Läufer dreht seine Runden, der zwar mich kennt, dessen Konterfei in meiner Erinnerung jedoch kein Echo erzeugt. Genau genommen kennt er nicht mich allein, sondern unsere Hündin Roxi und mich als Laufduo. Er wurde beim Sommeralm Marathon in der Steiermark auf unsere sechs Beine aufmerksam. Wen wundert’s, dass er nach Roxi fragt, sich folglich mehr um das Wohlergehen meines Vierbeiners sorgt, als um meines. Recht so: Immerhin kann ich als vernunftbegabtes Wesen über die Teilnahme an Laufexzessen wie dem heutigen frei entscheiden, es tun oder lassen. Zumindest theoretisch ist das so …

Wie gehe ich’s an?

Beim Ertönen des Startsignals beherrscht mich das gewohnt „lauf-unwillige“ Gefühl. Meine Beine gelüstet es eher nach weiteren Ruhetagen, als abermals Laufleistung zu erbringen. Dementsprechend widerstrebende Meldungen aus „Motor und Fahrwerk“ ignoriere ich während der Auftaktrunden. Muss (!) ich ignorieren, weil mich sonst Panik anspränge wie ein tollwütiges Viech. Und darf ich ignorieren, weil Erfahrungen aus den Vorjahren mit ähnlichem Trainingsaufbau lehren, dass ein zäher Beginn nicht meine tatsächliche Leistungsfähigkeit wiedergibt. Trotz Mega-Programm in den letzten Wochen laufe ich schmerzfrei und außerdem scheint die Sonne aus herrlich blauem Himmel. Allein das zählt. Ersteres wird sich natürlich über die zeitliche Distanz hinweg ändern. Doch zumindest die Sonne wird uns heute erhalten bleiben. In den Nachmittagsstunden soll sie die Luft sogar auf 25°C erwärmen. Mein Laufwetter! Dass ich unter solchen Bedingungen mehr trinken muss als andere Läufer, stellt bei einem Stundenlauf keine Herausforderung dar: Wenn der Durst es fordert, kann ich mir jeweils nach 923,x Metern den nächsten Becher mit Trinkbarem greifen.

Morgens um acht ist das Licht zum Fotografieren besser als zur Mittagszeit. Die Luft ist noch klar und die Morgensonne sorgt für leuchtende Farben. Während dreier Warmlauf-Runden schieße ich wild um mich und verfüge damit über genügend Material um drei Laufberichte zu bebildern. Fortan und bis zum Abend verbringt die Kamera den Tag in meiner Ausrüstungskiste.

Ein bestimmtes Tempo gebe ich mir nicht vor. Loslaufen und der Schrittautomatik alles weitere überlassen. Um die Pace zu überprüfen (nicht um sie zu justieren!) habe ich 6 min/km als Referenz auf die Streckenlänge umgerechnet. Ergab: 5:32 Minuten pro Runde. Dieses Tempo entspräche einer Distanz von 10 km pro Stunde oder 120 km über die volle Wettkampfzeit. Anlässlich einer ersten Messung liege ich genau 2 Sekunden über dieser Zeit und somit im Bereich dessen, was ich zum Auftakt erwartet hatte.

Nach und nach melden die üblichen Verdächtigen der Abteilung „Körpergewebe“ missbilligend Bedenken an. Das linke Knie, dem die Wege in der Toskana überhaupt nicht gefielen, mosert ein wenig und natürlich der notorische Nörgler „Achillessehne“. Beide werden irgendwann in der zweiten Stunde die Klappe halten - so meine Erfahrungswerte und Hoffnung. Da und dort zwickt und zwackt es, jeweil nur kurz, für ein paar Schritte oder Minuten. Lauter bekannte Querulanten, deren Protest ich keine wirkliche Bedeutung beimesse.

Wie zähle ich die Runden?

Die Frage stellt sich seit ich unterwegs bin und nach Runde eins ein bisschen verunsichert feststellte, Zwischenstände nicht „en passant“ einsehen zu können. Dass ich nicht einmal kontrollieren kann, ob die aktuelle Runde überhaupt gezählt wurde. Einziges Indiz dafür ist ein schwaches Piepsen beim Überlaufen der Messmatte. Das kann allerdings auch einem annähernd zeitgleich auslösenden Mitläufer gelten. Zudem steht nahebei ein Lautsprecher „auf Ohrhöhe“, aus dem Musik und Durchsagen allzu oft das Signal übertönen. Ersatzweise beobachte ich die Entwicklung der GPS-Anzeige meiner Uhr, die mir Runden konstant etwa 25 Meter zu früh gutschreibt. Der Messfehler summiert sich auf 250 Meter pro 10 Runden.

Die aktuellen Zwischenstände sind als Livestream im Internet abrufbar, werden überdies auf einem Monitor im Zelt eingeblendet. Damit ergibt sich die kuriose Situation, dass „all over the world“ jedermann eines jeden Kämpen Erfolgsrate jederzeit abrufen kann. Nur der Betroffene selbst tappt im Dunkeln … pardon: von der starken Sonne geblendet! … im Kreis herum. Ersatzweise nehme ich mir vor nach 50 Runden erstmalig zu überprüfen, ob die tatsächlichen Gutschriften mit meiner GPS-basierten Zählung übereinstimmen.

Warum werden keine Zwischenstände angezeigt?

Die ganze Veranstaltung atmet eine Atmosphäre liebenswerter Unvollkommenheit. Ich wüsste einige Punkte aufzuzählen, die mich irritieren, allerdings nicht weiter stören, weil sie die erfolgreiche Durchführung der Veranstaltung nicht in Frage stellen. Zumal nicht für einen wie mich, der hier nur trainingshalber als Satellit im Orbit kreist. Einzig lästig ist die fehlende direkte Kontrolle der Rundenerfassung. Weshalb es nicht möglich sein soll, den Monitor so zu platzieren, dass man ihn im Vorbeilaufen hin und wieder einsehen kann, will ich nicht weiter hinterfragen. Stattdessen bin ich dankbar, dass dieser Stundenlauf überhaupt stattfindet. Der verantwortliche Verein bietet nicht mehr als einen juristischen Rahmen und Zugang zu offiziellen Sportgremien. Entstanden ist die Veranstaltung als Projektarbeit einer Schulklasse im Fach Eventmanagement und als solche wiederholt sie sich alljährlich. Unter Gesamtleitung ihres Lehrers decken Schüler (fast) alle Funktionen, von Musikauswahl, über Zubereitung der Speisen, bis zur Betreuung des Läuferbüffets ab. Schon die Idee gefällt mir so ausnehmend gut, dass sich Kritik an diesem oder jenem gar nicht erst regt.

Wie entwickelt sich meine Rundensammlung?

Bereits in der zweiten Stunde werde ich langsamer. Da ich das Tempo meinen Beinen überlasse und lange Zeit keine weitere Kontrolle vornehme, merke ich es nicht einmal. Als ich mich wieder einmal dazu aufraffe und eine Runde weit die Zeit nehme, liege ich 20 Sekunden über der Referenzmarke. Ein „Hoppla! So langsam?“ ist die gedankliche Konsequenz, gefolgt von dem höchstens einen Umlauf weit währenden Versuch dem Tempoverfall mit bewussterem Traben zu begegnen. So ein Versuch ist naturgemäß mit der Wahrnehmung von mehr Anstrengung verbunden. In meinem Fall verhilft sie der Vernunft zum Durchbruch: Wenn ich mich weiter so verausgabe, werde ich nicht mal 8 Stunden durchhalten!

Letzten Endes addiert sich die akzeptierte „Entschleunigung“, ergänzt um Zwangspausen zum Verpflegen und einen Toilettenbesuch, zu ein paar Minuten Zeitverlust (gemessen an der Referenz von 6 min/km bzw. 10 km/Stunde). Im Verlauf der Stunden drei bis fünf bleibt mein Durchschnittstempo auf diesem Niveau konstant. Auch mein Körpergefühl verändert sich in dieser Zeit kaum. Etwas angestrengter trabe ich von Stunde zu Stunde um den See, ein Schwinden der Kräfte bahnt sich allerdings nicht an. Entsprechend sparsam „verwalte“ ich meinen Gel-Vorrat.

Wie versorge ich mich?

Die Getränke - Wasser, Iso und Cola - nehme ich mir vom offiziellen Büffet, nasche zuweilen dort auch ein bisschen Salzgebäck. Um den dauersüßen Geschmack im Mund zu vergrämen und den Verlust von Körpersalzen im Schweiß zu kompensieren. Gel und Ausrüstung für alle erdenklichen Situationen halte ich in meiner Kunststoffbox bereit. Sie steht auf einem Klapptisch am Streckenrand, etwa 50 Meter nach dem Start-/Zielbereich. Auf einem Tisch, damit ich mich nicht bücken muss. Das mag nach purer Bequemlichkeit klingen. Ich gebe auch unumwunden zu, es mir so bequem wie möglich einzurichten - ein Vorteil von Stundenläufen. Letztlich ist dieses Detail jedoch meiner Erfahrung geschuldet: Sich nach 7, 8 und mehr Stunden zu bücken ist mit Schmerzen verbunden. Außerdem braucht man mehr Zeit, um auf Nahrung oder Ausrüstung zuzugreifen. Du hältst dieses Argument für übertrieben und vorgeschoben? - Probier es aus: Trabe einige Stunden im Kreis herum und greife dann nach etwas, das auf dem Boden liegt. Im Anschluss an diese Selbsterfahrung reden wir noch mal über das Thema …

Wie geht es weiter?

Einen eklatanten Einbruch der Pace erleide ich zwar nicht, spüre jedoch in Stunde sechs, mehr noch in sieben den Verfall meiner Kräfte. Wäre das ein Trainingslauf unter Ausschluss der Öffentlichkeit, irgendwo in heimischen Gefilden, ich steuerte mutmaßlich baldmöglichst die Haustür an … Geht hier nicht, außerdem habe ich ein Ziel formuliert. Also reagiere ich mit mehr Energiegel, um dem zu erwartenden Bröseln meiner Trabgeschwindigkeit vorzubeugen. Auf diese Weise gelingt die Konservierung der Schrittfrequenz. Wogegen ich mich nicht wehre, sind die Unterbrechungen zum Verpflegen. Während ich mir anfangs Becher mit Trinkbarem und Gels im Vorbeilaufen schnappte und zügig leerte, bleibe ich nun jeweils ein paar Sekunden stehen. Diese Pausen werden von Mal zu Mal länger. Es mag sich merkwürdig anhören, doch einen Becher leer zu trinken fällt mir ab einem gewissen Grad der Erschöpfung schwer. Denselben Inhalt in meinen Magen zu zwingen, den ich mir Stunden zuvor noch mit einem, höchstens zwei Schlucken vollständig einverleibte …

Was ergibt die Rundenkontrolle?

Wie beabsichtigt, stelle ich mich nach 50 Runden (46,x km) erstmals vor den Monitor im Zelt (Zeitverlust gut und gerne zwei Minuten). Wie erhofft zeigt der tatsächlich 50 absolvierte Runden an. Die Kilometer interessieren mich einstweilen nicht. Stattdessen fällt mein Blick auf die angezeigte Position: Platz 15. Dass es dabei nicht bleiben wird, steht für mich außer Frage. Entweder geht mir zum Ende hin die Kraft aus, dann werde ich diesen Rang einbüßen. Oder - und das wünsche ich mir aus Gründen der Motivation - ich mache Platz um Platz gut. Einstweilen nehme ich mir vor nach 70 Runden das nächste Zwischenergebnis in Augenschein zu nehmen.

Tatsächlich treibt mich die Neugier bereits nach 60 Runden wieder ins Zelt. Neugier und der Drang nach der damit verbundenen kleinen Unterbrechung. Ich weiß, dass die Sehnsucht nach Laufpausen nun exponentiell wachsen wird. Zugleich werde ich ihr immer weniger widerstehen können … Also ins Zelt und vor den Monitor: 60 Runden absolviert und … bereits auf Platz 11 vorgerückt. Höchst erfreulich und motivierend. Das habe ich in dieser Deutlichkeit nicht erwartet. - Zur Klarstellung: Im Grunde meines Herzens ist es mir zugleich egal, als auch das genaue Gegenteil davon, auf welchem Listenplatz ich diese „Prüfung“ beenden werde. Natürlich steckt ein Wettkämpfer in mir, der nach Erfolgen in Ranglisten hungert. Umso mehr als er sich üblicherweise mit dem „in meinem Alter noch Erreichbaren“ abspeisen lassen muss. Der vernünftige Udo, in Personalunion mit dem Planer meiner Vorbereitung für den Zielwettkampf des Jahres, winkt dagegen desinteressiert ab: Einerlei, welche Position du bekleidest, am Ende zählt nur, die vorgesehenen 100 Trainingskilometer mit möglichst wenig orthopädischem Verdruss zu realisieren!

Trotzdem stelle ich mich nach jeweils 10 Runden vor den Kontrollmonitor und darf mit Freude registrieren Platz um Platz gut zu machen: Rang 9 nach 80, Rang 8 nach 90 und Rang 7 nach 100 Runden. Ein kleinen „Rückschlag“ muss ich hinnehmen, als ich mich nach vollbrachter 100 Kilometer-Leistung (108 Runden) erneut vorm Bildschirm einfinde: Einen Platz eingebüßt, jetzt wieder auf Rang 8.

Was steckt dahinter? - Meine Lauftaktik baut immer auf möglichst gleichmäßiges Tempo von A wie Anfang bis Z wie Ziel. Nicht nur, weil das die wirtschaftlichste Art ist mit der Ressource „Ausdauer“ umzugehen. Auch, weil ich nicht anders kann. Ich beobachte immer wieder Läufer, die mit unbotmäßig hohem Tempo beginnen, im weiteren Verlauf eines Wettkampfs jedoch mehr und mehr und längere Pausen einlegen. Das gilt gleichermaßen für Stundenläufe wie für Wettkämpfe über feste Distanzen. Auch hier in Langenzersdorf bleiben Mitläufer, die mich mehrmals überholten, während der zweiten Veranstaltungshälfte für geraume Zeit „unsichtbar“. Zudem büßen einige „Konkurrenten“ an Tempo ein. Auch ich verschleppe zunehmend meinen Schritt, doch nicht im selben Maß wie manch anderer. Dass zwischen Runde 100 und Kilometer 100 wieder jemand an mir vorbeizieht, erklärt sich aus derselben Tendenz: Einer, der länger pausierte, den ich dabei überholte, kehrte zurück und kreist nun wieder mit deutlich höherem Tempo als ich.

Am Ende - und damit schließe ich die Rubrik „Wettkampf“ in diesem Laufbericht - belege ich Platz 7 von 41 männlichen Teilnehmern. Dass dieser Erfolg meinem am Haupthaar ergrauten Ego schmeichelt, muss ich sicher nicht betonen.

Was geschieht an Ungewöhnlichem?

Andy geht baden. Nicht sprichtwörtlich, sondern tatsächlich. Um sich abzukühlen, schwimmt er zur mitten im See verankerten Badeplattform und setzt danach den Wettkampf fort. Andy, wie er leibt und lebt!

Ich frische mein „Feindbild“ in diesen 12 Stunden von Langenzersdorf auf. Die gleichfalls zirkulierenden Walker gehen mir mit ihren Stecken grundsätzlich und manche von ihnen zusätzlich mit rücksichtslosem Gebaren gewaltig auf den Wecker. Ich werde nie verstehen, dass man bei Stundenläufen Teilnehmer mit Waffen in den Händen zulässt. Walker beanspruchen mehr als die doppelte Wegbreite eines Läufers und müssen ständig überholt werden. Wer sich auskennt unternimmt das in weitem Bogen, um sich vor den Spießen zu schützen. Zweimal schwillt mir dennoch verbal der Kamm: Einmal, als ein Stöckler in seinem Gesicht herumwischt, wobei er unkontrolliert mit den Stöcken herumfuchtelt. In einem anderen Fall muss ich mich mittendurch drängen, weil zwei nebeneinander walkende Walker den kompletten Weg be-walken …

Wie entwickelt sich die Schlussphase für mich?

Im Grunde habe ich nach sechs, längstens sieben Stunden „fertig“, wie ein bekannter Italiener das in seinem unvollkommenen, charmanten Deutsch einst ausdrückte. Der Rest ist Kampf, zunehmende Viecherei, Trainingsfleiß, den ich mir außerhalb offizieller Wettkämpfe so nie zumuten würde. Genau deshalb sind Vorbereitungswettkämpfe für mich so wichtig. Ehrgeiz bei offiziellen „Auftritten“ lässt nicht zu, dass ich aufgebe. So lange noch Kraft da ist, nicht einmal, dass ich Abstriche am gesteckten Ziel hinnehme. Solche Härte gegen sich selbst vertreibt irgendwann im Verlauf einer Veranstaltung den letzten Rest Laufspaß. Was mir allerdings nichts ausmacht, weil ich es so will und entsprechend leidensfähig bin. Zudem begegne ich Aussagen wie „Laufen muss Spaß machen“ mit einer gewissen Skepsis. Das mag im Grundsatz gelten und absolut richtig sein. Wer sich jedoch über eine gewisse Laufdauer hinaus fordert oder auf anspruchsvolle Ziele vorbereitet, wird regelmäßig den Rubikon von Spaß zu reinem Durchhalten überschreiten. Mag sein, dass manche das nicht können (wollen?). Das bedeutet jedoch nichts anderes, als sich mit weniger Erfolg zu bescheiden, als das physische Limit zuließe. Ich habe Läufer sagen hören: „Ich habe keine Lust mehr und deshalb höre ich jetzt auf!“ Selbstverständlich akzeptiere ich diese Einstellung, nur ist sie mir fremd. Ohne wirkliche Not einen Lauf abzubrechen kommt in meiner Vorstellung lediglich als hypothetische Möglichkeit vor.

Zum Ende hin quäle ich mich sehr. Meine Muskulatur verhärtet sich, vor allem im Gesäßbereich, und die Füße schmerzen barbarisch. Ich ringe mir Runde um Runde ab, bis ich endlich, endlich, endlich, nach ziemlich genau 11:20 Stunden, hinter mein Ziel „100 km“ einen Haken setzen kann. Eine zweite, stets gültige Vorgabe lautet: Ein 6/12/24-Stundenlauf dauert tatsächlich 6/12/24 Stunden. Ein paar Minuten früher aufzuhören käme deshalb nur ausnahmsweise in Betracht! Also kreise ich weiter, wenngleich langsamer und mit längeren Unterbrechungen, wann immer es mich danach verlangt. Auch die Kamera kommt in den Schlussrunden wieder zum Einsatz, weil die inzwischen tief stehende Abendsonne wunderschöne Effekte und Farben erzeugt.

Schließlich ist es vollbracht: Nach 12 Stunden ertönt das Schlusssignal. Ich deponiere das Holzstück mit meiner Startnummer darauf an der in diesem wunderschönen Augenblick erreichten Position. Ich fühle vor allem Erleichterung. Das Glück eines völlig Ausgelaugten nun endlich nicht mehr laufen zu müssen. Ich fühle mich erschöpfter als vor einer Woche in Italien, wo ich erst nach 16 Stunden und zwanzig Minuten das Ziel erreichte. Vermutlich, weil ich die heute getrabten 104,662 Kilometer auf der Basis weniger weit fortgeschrittener Erholung erbringen musste.

Mit diesem zweiten Wettkampf über mehr als 100 Kilometer binnen acht Tagen ist meine Vorbereitung auf den „Olympian Race“ abgeschlossen. Es bleiben drei Wochen, die ich zur vollständigen Erholung aller Körperpotenziale nutzen werde. Es klingt möglicherweise ein wenig „schräg“, dass zu dieser Regeneration auch zwei Marathons beitragen sollen, die ich am kommenden Wochenende laufen werde. Bedenke jedoch, dass ich Ultraläufer bin und entsprechend umfänglich trainiere. In diesem Training übernimmt ein zurückhaltend absolvierter Marathon die Funktion eines langen Laufes.

 

Fazit zur Veranstaltung

Der 12h-Lauf von Langenzersdorf punktet mit seiner vergleichsweise attraktiven Strecke. Ein paar Minuspunkte, was Organisation und Ablauf der Veranstaltung angeht, verzeiht man gerne. Ich verzichte auf eine Aufzählung, weil nichts davon den Erfolg der Veranstaltung insgesamt, noch meinen persönlichen gefährden konnte. Zudem wird auch im nächsten Jahr die „Projektarbeit einer Schulklasse“ den Lauf ermöglichen. Dann werden andere Schwächen die Veranstaltung kennzeichnen oder auch nicht. Statt zu kritisieren bedanke ich mit beim verantwortlichen Lehrer, mehr noch bei seinen Schülern und Schülerinnen, für die Gelegenheit 12 Stunden lang meine (Trainings-) Runden drehen zu dürfen.

Auf einen Hinweis möchte ich dennoch nicht verzichten: Duschen kann man in den Sanitärhäusern nur mit kaltem Wasser! Warmes Wasser ist nicht angeschlossen, weil es sich um Duschen an einem Badesee handelt. Wer von weiter her anreist, sollte daher zwei Übernachtungen einplanen und nach Laufende im Hotel duschen. Im April ist durchaus mit kaltem Wetter zu rechnen. Wer dann nach 12 Stunden tiefenerschöpft auch noch eiskalt duscht, fängt sich leicht eine Erkältung ein.

Fazit: Wenn als Trainingseinheit erforderlich und in meinen Terminplan passend, gerne wieder.

 

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