Samstag, 21. April 2018

Heimvorteil  -  Tuscany Crossing 2018

Ultraläufer fühlen wie andere Menschen. Außer im Wettkampf, dann fühlen Ultraläufer anders. Unter der Lupe wachsender Erschöpfung erleben sie die fortwährende Metamorphose ihrer Gefühlswelt. Wer Glück hat - oder Pech, je nach Sichtweise - durchläuft fast die komplette Palette möglicher Emotionen. „Tuscany Crossing“ schickt dich 103 Kilometer weit und 3.200 Höhenmeter auf wie ab durch einen der schönsten toskanischen Landstriche. Auf Trails und Pisten entdeckt der Läufer grüne Hügel, gepflegte Weingärten, malerische, historische Gassen, dichten Bergwald und manches mehr. Körperlich verschlingt einen dieser Lauf, emotional besitzt der das Potenzial Ultralaufträume wahr werden zu lassen. Mein Laufbericht nimmt dich mit auf einen abwechslungsreichen Weg, der mich aller Kräfte beraubte und mit zauberhaften Eindrücken überschüttete.

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Ende 2017 plante ich mein Training für den „Olympian Race“. Problem: Der Lauf wird mich bereits im Mai mit 180 Kilometern Distanz herausfordern. Folglich muss ich März/April ausreichend harte/lange Vorbereitungswettkämpfe einplanen. Auf meinem Leistungslevel bedeutet „ausreichend lange“ mindestens zehn Stunden, wenn möglich noch etwas länger. Ideal wäre ein Hunderter, der obendrein auch noch Höhenmeter aufweist. Wer meinen Hunger auf Sonne und Wärme kennt, wird verstehen, dass ich vorrangig in Italien auf die Suche ging und fündig wurde. Die auf der Internetseite des „Tuscany Crossing“ veröffentlichten Bilder verheißen wunderschöne Landschaftseindrücke. Und wenn ich Glück habe, scheint im April die Sonne warm aus blauem Himmel. Gerade während der für mich so niederdrückend ekelhaften Wintermonate, während der ich diverse Rückschläge wegstecken musste, richtete sich mein Blick immer wieder gen Süden, gen Italien, auf die Toskana. Über viele Wochen empfand ich dabei nichts anderes als Vorfreude.

Erst zuletzt, in den Tagen davor, auf der Fahrt hierher und vor allem als ich dann vor Ort Teile der Strecke in Augenschein nehme, wird mir bewusst, was auf mich zu kommt. Ich erkenne zweifelsfrei, dass ich für eine Laufaufgabe dieser Größenordnung eigentlich noch nicht ausreichend präpariert bin. Überdies muss ich nun realisieren, was ich all die Monate weitgehend verdrängte: „Tuscany Crossing“ ist kein Straßenlauf. Überwiegend werde ich wohl auf befestigten Pisten unterwegs sein, aber etliche Kilometer eben auch auf Pfaden und miserablem Geläuf. Wieder einmal überfällt mich bange Erwartung: Was wird die Strecke mir antun? - Nach einem Blick in die Ergebnisliste des Vorjahres, gekoppelt mit realistischer Selbsteinschätzung, taxiere ich meine Laufzeit auf 17 bis 18 Stunden. Sollte ich länger brauchen, würde mich das allerdings auch nicht wundern.

Dennoch: Objektiv betrachtet bilden Zeitdauer, Höhenmeter und Distanz des „Tuscany Crossing“ ziemlich genau jenes „Leistungspaket“ ab, das ich im Hinblick auf den „Olympian Race“ zu diesem Zeitpunkt brauche. Insofern liege ich mit meiner Planung goldrichtig. Nur - wie bereits angerissen - verfüge ich aufgrund entgangenen Trainings (zwei Erkältungen, eisige Witterung über Wochen) nicht über den erforderlichen Ausdauer-Istwert für diesen Lauf. Fehlende Ausdauer kann man mit weniger Tempo und viel Energiegel zu einem gewissen Grad ausgleichen. Devise: Muss ich eben leiden, wie so oft. Unzulängliche orthopädische Anpassung hingegen lässt sich mit nichts in der Welt kompensieren. In dieser Hinsicht wird das Defizit an Umfang und Höhenmeter meiner Vorbereitung voll durchschlagen. Dabei hoffe ich den Bogen nicht zu überspannen und deshalb unverletzt und weiterhin trainingsfähig zu bleiben.

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Samstag, 5:25 Uhr, Castiglione d’Orcia: Laufzeit 0:00 Stunden, Kilometer 0

Die äußeren Bedingungen könnten besser nicht sein: Sterne am Himmel versprechen einen sonnigen, warmen Tag, der mir in der Spitze wohlige 25°C bescheren wird. Lauftraumwetter für mich! 15°C und Windstille am Start verhindern sogar bei einem verfrorenen Typen wie mir jedwedes Frösteln. Sicherheitshalber trage ich Armlinge, wenngleich es sich anfühlt, als würde ich sie nicht brauchen. Wie im Ameisenhaufen wimmeln etwa 400 bis 500 Läufer im engen Startbereich durcheinander. Spannung, Aufregung, Vorfreude schwirren durch die Luft. Emotionen, die mich nicht anstecken, eher zusätzlich einschüchtern. Wie jedes Mal vor unabsehbarer Härte fühle ich mich klein und jedermann unterlegen. Wüsste Etliches aufzuzählen, das die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs begünstigt. Von Ines habe ich mich verabschiedet. Wer, wenn nicht meine Frau, könnte meine Furcht spüren? Sie steht seitlich am Hang und winkt mir noch einmal aufmunternd zu.

Parlare, parlare … der Sprecher redet sich fast heiser, schickt ununterbrochen beschwörende italienische Sätze in den pechschwarzen Morgenhimmel. Schließlich bekomme sogar ich mit, was er damit bezweckt. Alle müssen hinter die Startlinie zurück, bevor der Start erfolgen kann. Und alle bedeutet nun einmal ALLE. Ich stehe am falschen Ende der Meute, weil ich glaubte der Start erfolge dorf-auswärts. Damit gehöre ich zu den Letzten, die den entscheidenden Schritt hinter die Matte der Zeitmessung vollziehen. Wie die Ölsardinen presst uns die Enge des Startkanals aneinander. Schließlich der Countdown auf Italienisch … Ein letzter Blick zu Ines, dann schickt uns der Starter auf den langen Rundweg.

Auftakt im wunderschönen Dorf Castiglione d’Orcia: In einer Seitengasse aufwärts. Gleich zu Beginn drangsalieren Höhenmeter meine noch nicht warmgelaufenen Beine. Historische Fassaden der ineinander verschachtelten Häuschen flankieren die schmalen Gassen. Wie sehr mich diese Ansichten begeistern könnten … zu anderer Uhrzeit und unter anderen Umständen! Bald ist der Scheitel erreicht. Voraus wird der Blick zur alten Burgruine frei. Um die Reste der Festung herum, bergab und wieder bergauf, schließlich nur noch hinab. Im Dunkel der Gassen höre ich das Echo meiner gestrigen, an Ines adressierten Worte: „Das ist wieder so eine Strecke, die nur zwei Orientierungen kennt - rauf oder runter!“ … Straßenbeleuchtung und Läufer in Trauben um mich her - ich schalte meine Stirnlampe gar nicht erst ein. Akkuladung sparen. Zwar habe ich geplant heute Abend mit einer anderen, stärkeren Lampe das Finale zu bestreiten, doch bei einem Unternehmen wie diesem kann immer Mal was aus dem Ruder laufen. Was, wenn die andere Lampe nicht funktioniert?

Steile Passagen talwärts. Rasch lassen wir Castiglione d’Orcia hinter uns, queren die Verbindungsstraße, rauschen auf Pisten, Pfaden, am Rande einer Wiese abwärts. Die Silhouette der toskanischen Landschaft bildet sich scharf vorm ersten zaghaften Rot am morgendlichen Himmel ab. Als sich dann auch noch ein paar Zypressen diesem majestätischen Anblick zugesellen, ist es um ich geschehen: Stehenbleiben und fotografieren!

In rasch fortschreitender Dämmerung wird es sozusagen mit jedem Schritt heller. Schon vermögen angepasste Augen gröbere Unebenheiten sicher auszumachen. Den Rest erhellt Seitenlicht der Mitläufer. Bin unsicher, welches Tempo, welche Gangart, bergab, bis hinunter zum Orcia-Fluss, meine Ressourcen bestmöglich schont. Nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell. Vor allem nicht stolpern. Also räume ich der Vorsicht Vorfahrt ein, bremse stellenweise vehementer, beanspruche meine Muskulatur stärker, als ökonomisches Mittelmaß es vorschreibt. Wie ein Damoklesschwert hängen die heute durchzustehenden 3.200 Höhenmeter über mir. Hab zwar diese und letzte Woche ein Bergtraining absolviert, aber natürlich nicht annähernd in solchem Umfang. Wird das reichen?

Die Fußgängerbrücke über den Orcia taucht ganz plötzlich hinter einer Wegbiegung auf. Ein bisschen überraschend für mich, dass wir zur anderen Uferseite wechseln. Vor ein paar Tagen erhielt ich eine E-Mail vom Veranstalter in Sachen Streckenänderung: Wegen starker Regenfälle in letzter Zeit habe man eine Flussüberquerung hin und wenig später wieder zurück gestrichen. Dadurch verkürze sich die Strecke um einen Kilometer. - Hundert Meter flache Strecke am Steilufer. Ein Laufrhythmus beginnt sich zu etablieren, da geht es zwischen Felsen auch schon wieder rauf. Einem Pfad folgend, der die Läuferherde staut. Laufen unmöglich. Also gehe ich. Auch solo bliebe mir das an dieser Stelle wohl nicht erspart. Wer meine Berichte häufiger liest, kennt mein Credo: Gehen nur, wenn Laufen mangels Kraft nicht möglich ist. Das ist kein Tick von mir, entspricht lediglich meiner Natur. Gehenmüssen macht mir schlechte Laune. Bin von ganzem Herzen Läufer. Kein Geher. Für heute habe ich mein Glaubensbekenntnis suspendiert. Unterdessen bin ich zu alt und obendrein nicht ausreichend trainiert, um die meisten der über Dreitausend Höhenmeter laufend zu bewältigen. Schon im Vorfeld meinen Frieden mit der Ausnahme zu machen wird hoffentlich Missmut gar nicht erst aufkommen lassen. Den „Sündenfall“ abzusegnen birgt allerdings den Nachteil da und dort vielleicht zu früh die Waffen zu strecken …

Ein paar Minuten Trail zwischen Felsen, zuletzt über eine Treppe … Ruinen aus der Römerzeit sind das Erste, was ich von Bagno Vignone („Bad Vignone“) zu sehen bekomme. Sekunden später passieren wir ein ummauertes, in morgendlicher Frische dampfendes Bassin. In der Mitte des etwa 30 x 40 Meter großen Beckens ragen kreisrunde Spiegel aus dem Wasser. Effekthascherei? Kunst? - Weiter durch die malerischen Gassen des winzigen Badeortes, wieder hinaus und hinunter ans Flussufer. Anfängliche Furcht wurde längst von gebotenem Respekt vor der Aufgabe verdrängt. Bislang war kein Schritt technisch problematisch. Außerdem hat mich die Strecke mit reizvollen Anfangskilometern bereits für sich eingenommen. - Wir folgen dem mäandernden Ufer des Orcia durch Wiesen und Dickicht. Oft in Spuck- höchstens Wurfweite vom fast klaren Wasser entfernt. Die Wege sind trocken und übermäßig hoch erscheint mir der Wasserstand des Orcia auch nicht. Von gelegentlichen, großen Pfützen abgesehen deutet nichts auf die im E-Mail erwähnten Sturzfluten hin. Möglicherweise hätten wir hier irgendwo den Orcia hin und wieder zurück „durchwaten“ sollen. Das kann ich mir im stellenweise grundlos tiefen Wasser allerdings überhaupt nicht vorstellen … jedenfalls nicht ohne Schwimmbewegungen.

Das Orcia-Ufer liegt hinter, eine Straße vor uns. Höchstens 500 Meter Asphalt, dann biegt die bereits gelichtete Läuferkette auf eine Piste ab. Wie schon die Straße verwöhnt mich auch die Piste mit weitgehend flachem Geläuf. Ich könnte schneller laufen, habe mich aber mehrfach und strikt der Tempomäßigung verpflichtet! Wo immer möglich möchte - nein: muss! - ich Energie sparen. Denn wirklich hart wird erst die zweite Hälfte des „Tuscany Crossing“. Dort lauern die meisten Höhenmeter. Ich könnte dir diese Überlegungen nun hochtrabend als „Planung der Lauftaktik“ verkaufen. In Wahrheit geht es um die Verwaltung meines Ausdauermangels, der gar nichts anderes zulässt. Außerdem werde ich nicht mal dieses sehr verhaltene Tempo bis ins Ziel konservieren können.

Derlei Gedanken sind längst gedacht, prägen unterbewusst die Schrittfrequenz, beschäftigen meinen Geist nicht aktuell. Wie sollte das auch gehen? In dieser Umgebung, in diesem Licht!!! In ein paar Minuten wird sich die Sonne über den Hügeln im Osten erheben. Schon jetzt überzieht ein goldener Schimmer das frische Grün der Felder. Immer wieder bleiben Läufer stehen, um die zauberhafte Stimmung einzufangen. Gleich mehrmals verharre auch ich, um fotografisch zu fixieren, was meine Augen sehen. Wissend, dass das mit den bescheidenen Fähigkeiten meiner Digicam nicht wirklichkeitsgetreu gelingen kann. Wunderschöne Fotos nehme ich mit. Doch bitte glaube mir: Die Realität hier draußen ist tausendfach schöner. Ist unwirklich, märchenhaft, mysteriös, zum Heulen schön. Bilderbuch-Toskana erstreckt sich ringsum: Sanfte Hügel, oft gekrönt von einem Bauernhof im typischen Stil der Region, die Auffahrt nicht selten gesäumt von schlanken Zypressen. Wie man das halt von einschlägigen Ansichtskarten kennt. Ansichtskarten, die man so lange für übertrieben, ja kitschig hält, bis man das Wunder mit eigenen Augen sieht. Und nun auch noch dieses irre Licht, das göttliche Schauspiel des Sonnenaufgangs!

Ich trabe verhalten die Piste entlang, ohne Gedanken an schnöde Dinge wie Training und Wettkampf zu verschwenden. Will nicht wissen, was war, noch was sein wird. Gehe vollends auf im Jetzt. Sauge Bilder und Stimmung auf, warte auf den großen Moment. Die Sonne wird mich aufleben lassen, den verbliebenen, hartnäckigen Rest Morgenmuffel verdampfen. Sonne. Wie unglaublich wichtig ist mir Sonne! Im Allgemeinen, viel mehr noch beim Laufen. Natürlich wird sie mir auch zusetzen, doch erst später, am Nachmittag. Die Haut könnte sie mir versengen, wenn ich mich nicht rechtzeitig wappne. Aber sonst? Komm Sonne! Zeig dich! Wärme mich!

Irgendwo in den Hügel des Orcia-Tals: 6:40 Uhr, Laufzeit 1:10 Stunden, Kilometer 10

Es geschieht! Viel zu kurz die Zeit vom ersten grellen, den Horizont touchierenden Strahl, bis die Welt unter Fluten von Licht in wärmsten Farben erstrahlt. Auch von mir selbst verkürzt, weil ich gerade aufwärts trabe und meiner wärmenden Freundin mit jedem Schritt entgegen strebe. Was für ein erhabenes Schauspiel. Was für eine grandiose Arena. Es war mir vorbestimmt hierher zu kommen. Heute. Jetzt. Alles sollte genau so eintreffen: Freier Himmel, klare Sicht, genau dieser Ort in den Hügeln des Orcia-Tales - für diesen betörend schönen Sonnenaufgang.

Wie auch immer das heute ausgehen wird, es hat sich jetzt schon gelohnt … und lohnt sich weiter. Werde ich 18 Stunden brauchen? Wie viel Zeit auch vergehen mag, am Ende wäre es um einiges weniger, müsste ich den Lauf nicht vielfach für Fotos unterbrechen. Immer wieder glaubst du das reizvollste aller Bilder bereits gesehen zu haben, nur um hinter der nächsten Wegbiegung oder im Zenit des übernächsten Hügels eine mindestens ebenso herrliche Ansicht zu genießen. Ein Rausch der Farben und Formen, ein toskanischer Rausch. Ich bin nicht zum ersten Mal in der Toskana, doch nie hat sie mich auf solche Weise im Innersten meiner Seele berührt. Es ist völlig gleichgültig, dass ich schon jetzt meine Beine und die Anstrengung spüre. Dass meine Füße nach nur elf Kilometern schon meckern. Absolut einerlei, ich nehme es kaum wahr.

Unersättlich schauen, aufnehmen, mitnehmen. Eine Landschaft voller Liebreiz. Ja, richtig, dieses altmodische Wort trifft es haargenau: Liebreiz! Nirgendwo harte Linien, keine Kanten, ringsum sanfte Wellen. Licht und Schatten gehen verträglich ineinander über, von goldenem Gelbgrün hier, zu Dunkelgrün daneben. Und im Hintergrund, auf einem Höhenrücken thronend, scheinbar weit entfernt, das erste Etappenziel: Pienza mit Dom und altem Ortskern. Ein steiler Anstieg unterbricht den Genuss, vielleicht hundert Meter. Ich gehe, um Kraft zu sparen, purer Vorsicht gehorchend, wie mit mir selbst vereinbart. Bin ich genervt vom Gehen? Nicht im Mindesten. Die magische Stimmung - außen wie innen - lässt es nicht zu.

Von schlanken Zypressen begleitet trabe ich eine Weile sanft bergan. Pienza rückt näher. Für alle erdenklichen, auch künftige Mühen entschädigt der Blick gen Westen. Raps und kräftig sprießendes Getreide überziehen die Senke. Als hätte ein Titan einen samtweichen, gelbgrünen Teppich über rohe Erde gebreitet. Ich stelle mir vor wie es hier noch vor ein paar Wochen ausgesehen hat: Erdbraune Äcker so weit das Auge reicht. - Lange bevor ich die steile Piste sehe, weiß ich, dass sie auf mich wartet: Zu weit oben liegt die Stadt und noch viel zu tief unterhalb ihrer Mauern bewegen wir uns. Dann wirft der Weg sich gegen die Falllinie des Hanges, wird mit jedem Schritt steiler. Recht bald gebe ich klein bei und gehe, gehorche dem Diktat der anderen Läufer. Zu früh für meinen Geschmack, doch einige wissen sicher recht genau, was uns noch erwartet.

Kann die Neigung nur schätzen, erheblich mehr als 10 und weniger als 20 Prozent. Hätte ich mich für den kurzen Wettbewerb, der in Montalcino nach 53 Kilometern endet, entschieden, setzte ich alles daran jeden Meter zu laufen … Anderthalb anstrengende Kilometer, auf denen zügige, nur auf kurzen Abschnitten von (sinnlosen) Trabversuchen unterbrochene Gehschritte meine Atemfrequenz in die Höhe schnellen lassen. Wie steil die Passage tatsächlich ist, spüre ich am Ziehen in Waden und Achillessehnen. Übergang zur Straße, dann das Ortschild: Pienza. Die Allee wird flacher, der Atem beruhigt sich, wieder Muße südwärts zu blicken, wo ich nun einen Großteil des Orcia-Tales im Glanz der Morgensonne überblicken kann. Von weither grüßt der Monte Amiata, der höchste Berg der Provinz Toskana. Weit entfernt, aber nicht weit genug. Am späten Nachmittag werde ich in seiner Flanke den höchsten Punkt der Strecke erreichen, nach dann über achtzig Kilometern …

Pienza: Laufzeit 1:51 Stunden, Streckenkilometer 15

Die Erbauer hatten anderes im Sinn, was mich allerdings nicht daran hindert das Stadttor als ersten Triumphbogen für uns Läufer zu empfinden. Allzu heftig fällt dieser Triumph allerdings nicht aus, da mich die steile Rampe unterm Bogen gleichfalls zu Gehschritten nötigt. Vor den Grundmauern des Domes nach rechts und in einem letzten, steilen Aufschwung empor. Noch bevor ich meinen Fuß auf die prächtige Piazza zwischen Dom und altem Rathaus setze, erfasst mein Blick die Läuferansammlung vorm ersten Verpflegungspunkt. Beinahe zeitgleich vollführt mein Herz einen Luftsprung, weil ich Ines - quasi in Verlängerung meiner Sichtachse - auf der anderen Platzseite vor einer Bar entdecke. Rasch am „Ristoro“ - wie die Verpflegungspunkte auf Italienisch heißen - trinken, ein Stück Kuchen mampfen und dann hinüber zu Ines.

Meine Frau wird mich heute vom Auto aus „supporten“, wenngleich das entlang einer Crossstrecke, überwiegend abseits asphaltierter Straßen, nur eingeschränkt möglich ist. Ines wird in der Nähe einiger der acht Verpflegungspunkte (VP) auf mich warten. Zusätzlich und wichtiger an drei Stellen zwischen den VP, wo die Route eine Straße kreuzt. Neben der Versorgung mit Wasser, Gel und zum Abend hin Ausrüstung, freue ich mich vor allem auf mehrfache Begegnungen. Wer jemals einen über viele Stunden währenden Wettkampf bestritt, weiß den mentalen Vorteil solcher Rendezvous zu schätzen. Vermutlich übersteigt er den rein materiellen Aspekt der Unterstützung um ein Vielfaches.

Nur ein paar hundert Meter der malerischen Altstadt von Pienza sind uns vergönnt, doch selbst diese Stippvisite - zu früher Stunde gänzlich touristenfrei - beschenkt uns mit einer Vielzahl baulicher Reize. Kolossales, wie der Palazzo Piccolomini, aber auch Idylle pur in Seitengassen oder vorm westlichen Tor in der Mauer, durch das wir die Stadt verlassen. Wir folgen der mit einer Mauer gesicherten Abbruchkante südwärts. Ebenerdig auf unschwierigem Weg und erneut die fantastische Aussicht von hier oben genießend. Mein Problem: Stürme der Begeisterung, unablässiges Schwärmen. Wird dich das zunehmend langweilen, darüber hinaus meinen diesbezüglichen Sprachschatz überfordern? - Dennoch kann ich den ans Märchenhafte grenzenden Zauber dieses Landstrichs nicht oft genug zitieren. Und ich bin beileibe nicht der Einzige, dem es so ergeht. Häufig stoppen auch andere LäuferInnen, um künftig dem Bild im Kopf, durch ein Bild im Handy auf die Sprünge helfen zu können.

Moderat abwärts nun auf erträglich abschüssiger und hindernisfreier Piste. Zum Glück hindernisfrei, weil ich es einfach nicht schaffe ständig den Boden zu fixieren. Das ist unmöglich. Auf den Bühnen ringsum wird nicht weniger als ein toskanischer Traum vom Frühling inszeniert: Überwältigend, unvergleichlich, fantastisch. Nur selten hat mich eine Landschaft so gepackt, mein Läuferherz ganz und gar an sich gerissen. Hochstimmung möchte ich nennen, was sich in meinem Oberstübchen austobt. Da ist kein Raum, Gedanken um drittrangige Fragen kreisen zu lassen. Etwa die, wie ich mit bereits nach 17, 18 Kilometern übel schmerzenden Fersen stundenlang durchhalten soll.

Anfängliches Frösteln und klamme Finger sind schon länger Vergangenheit. Nach mittlerweile zwei Laufstunden bin ich endlich in allen Körperteilen gut durchgewärmt. Die Armlinge brauche ich jetzt nicht mehr und streife sie kurz entschlossen bis zu den Handgelenken runter. Beim nächsten Treff werde ich die überflüssigen Textilien an Ines übergeben.

Steiler hinab auf grobem, von tiefen Rinnen durchzogenem Geläuf. Kaum hat der grobschlächtige Feldweg den tiefsten Punkt der Mulde erreicht, trägt er mir die nächsten Höhenmeter auf. Tippelnd hinan, bis die Steigung meine Toleranzgrenze überschreitet. Im Pulk mit anderen Gehern vereint erobere ich den nächsten Hügel. Voraus ein Baum. Ein besonderer, ein stolzer Baum. Weder sein frisches Laub, noch Kugelform oder Größe bestimmen seine Bedeutung. Singularität erhebt ihn über andere Exemplare seiner Gattung. Einsam stehend, von Weitem unübersehbar zwischen Feldern, fordert er Bewunderung heraus.

Nach zuletzt sehr steilem Anstieg falle ich auf gut befestigter Piste wieder in moderaten Trab. Leicht abschüssig, technisch unschwierig, mit weiterhin fantastischem Rundblick. Bewegte ich mich wochenlang durch diese Landschaft, mich daran satt zu sehen wäre trotzdem ausgeschlossen. Nur zwei Wegbiegungen weiter vermag ich mein Entzücken neuerlich nicht zu zähmen: Hinreißende, dekorativ von Nadelbäumen umringte Kapelle* neben Bauernhof, auf Hügelkuppe weithin sichtbar. Hätte ich nicht an den Vortagen schon einige solcher optischen Kostbarkeiten gesehen, die alle wie zufällig „in der Gegend rumstehen“, ich müsste touristischen Nepp unterstellen. Bilder wie aus einem Kalender der Toskana, allerdings real, anfassbar, nicht nur gedruckt.

*) Capella della Madonna di Vitaleta

„Toskana in hässlich“ bei Kilometer 20,5: Von solchem und ähnlichem Übel habe ich mehr erwartet. Ein glitschiger, von Buschwerk gesäumter Hohlweg führt mit wachsender Steilheit hinan. Binnen Sekunden füllt schmieriger Lehm das grobstollige Profil meiner Trailschuhe und nimmt mir die Bodenhaftung. Irgendwie laviere ich mich vorwärts aufwärts. Winzige Schritte. Suche halbwegs verlässliche Tritte, wo meine Füße nicht im Morast versinken oder sofort wegrutschen. Alsbald starren die Schuhe vor Dreck. Die Suhle scheint kein Ende zu nehmen. Will mir gar nicht vorstellen, was einem dieser Hohlweg an einem Regentag antut …

Sieben Minuten lehmige Schlammschlacht, dann ist der Spuk vorbei als wär’s ein Albtraum gewesen. Vor mir erstreckt sich einmal mehr „Toskana in schön“. Vorbei an zwei Stockwerke hohen Zypressen, die wie Zinnsoldaten neben mir strammstehen. Manchmal weiß ich wirklich nicht, wann und was ich fotografieren soll. Alles geht nicht und auswählen fällt mir schwer. Die Piste mündet in eine Straße, der ich ein paar Minuten folge, bis ich Ines am Straßenrand parkend ausmache. Sie hat es sich auf der Kofferraumkante sitzend in der Sonne bequem gemacht und liest. Als sie mich bemerkt winken wir uns zu. Kurzerhand schließt sie den Kofferraum, damit unsere Hündin Roxi nicht wieder ihr kläffendes Begrüßungsritual vollzieht, wie vorhin auf der Piazza. Ich trinke und bunkere frisches Gel, begrüße Roxi kurz, dann weiter. Ines’ strahlendes Lächeln nehme ich mit mir, zufrieden, dass sich der Tag auch für sie gut anlässt.

Piazza von San Quirico d’Orcia: Laufzeit 2:55 Stunden, Streckenkilometer 23

Noch ein paar Minuten Straße, dann zieht die Ortstafel von San Quirico d’Orcia an mir vorbei. Etwa zeitgleich kommt mir mein Versäumnis in den Sinn: Die Armlinge! Gerade noch rechtzeitig, kurz bevor ich durch ein Tor im historischen Teil von San Quirico untertauche, fährt Ines vorbei und stoppt nach Handzeichen. - Irgendwann im Lauf der Jahre und nach zahlreichen Urlauben formulierten Ines und ich unser persönliches Italien-Postulat: So gut wie jeder Ort, ob groß oder klein, verfügt über einen schmucken, historischen Kern. Behutsam restauriert und liebevoll geschmückt mit Blumen und Zierrat. San Quirico macht da keine Ausnahme und deshalb dauert es länger, bis ich den zweiten Verpflegungspunkt auf der kleinen Piazza, zwischen Kirche, Palazzo Pellegrino und Rathaus erreiche.

Unter Unmengen verschiedenster Angebote, von Kuchen über Nüssen, bis zu Früchten und Käse, finde ich etwas, das mir sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Für meine Verhältnisse im Wettkampf ein höchst seltener Vorgang. In Stücke geschnittene Mortadella lässt mich unwillkürlich zulangen. Warum das so ist, vermag ich nur ansatzweise zu deuten. Der würzige Wurstgeschmack, das Nicht-Süße, macht mich an. Obwohl ich normalerweise „Ernährungsexperimente“ scheue, wie der Teufel das Weihwasser, mache ich diesmal eine Ausnahme. Bei langsamem Tempo wird mein Magen mit der schwer aufschließbaren Nahrung schon klarkommen. Außerdem enthält die Wurst Salz, das ich bei dem zu erwartenden heftigen Schweißverlust nötig brauche (sich die Verfehlung ein bisschen schönzureden kann auch nicht schaden).

Der malerische kleine Ort entlässt uns in eine abermals bildhübsche Landschaft. Vorbei an Olivenbäumen und Wiesen, inmitten bestellter Felder. Manchmal scheint es, als hielten wir direkt auf die Stadt Montalcino zu, die etliche Kilometer entfernt auf einem Höhenrücken die vorgelagerte Landschaft beherrscht. Das scheint aber nur so, denn nach unterdessen 25 Kilometern ist bis Montalcino noch einmal dieselbe Distanz zu laufen. Es geht flott, da abwärts, voran. Eine Vierergruppe, allesamt im selben, blauen T-Shirt steckend, überholt mich in gewagtem Tempo. Nach Seitenblick auf ihre Startnummer korrigiere ich meine Einschätzung: Die vier laufen „nur“ die gut 50 km bis Montalcino, können sich eine rasche Akkuentladung folglich leisten.

Runter gilt nur zeitweilig, nun wieder bergan und auf einen Bauerhof zu. „Proprietà privata“ (Privatbesitz) akzeptierend, biegen wir vor der Hofeinfahrt links ab und gewinnen einen weiteren Hügel. Wieder müsste ich in die Formulierkiste für optische Superlative - ach, was schreibe ich da - „Hyperlative!“ greifen, um all das Wunderbare zu beschreiben, das sich auf dem nun folgenden Wegstück vor mir ausbreitet. Zum Beispiel die kreisrund im Radius von etwa 20 Metern gepflanzten Zypressen. Vermutlich gepflanzt vom Eigentümer umliegender Ländereien. Mich beeindruckt das „grüne Denkmal“, auch wenn ich ihm keinen tieferen Sinn zuzuordnen weiß. Letztlich dokumentiert das Zypressen-Kreisrund die Verbundenheit des Bauern mit seiner Landschaft. Dass auch hier lebende Menschen die Schönheit der Region noch sehen und zu würdigen wissen.

Sanfte Wellen, grün und gelb getüncht. Schon gesehen heute. Doch nicht so, so, so … göttlich, so himmlisch formvollendet wie hier. Ich raste aus vor Entzücken! Bleibe stehen, fotografiere … bete, meine Kamera möge es schaffen mehr als nur einen Abglanz von solcher Vollkommenheit einzufangen. Schritte später die nächste überwältigende Ansicht: Fahrspuren des Feldweges, die sich in mehrfachem Auf und Ab über grüne Buckel ziehen, darauf Läufer, gereiht wie Perlen einer Kette. Das ist so unendlich viel mehr an Spektakel jedweder Art als ich erwartet hatte. Und meine Erwartungen waren beileibe nicht bescheiden.

An diese Ansicht, die spärliche Dekoration einer Kammlinie mit einzelnen Zypressen, Schirmpinien und anderen Nadelbäumen erinnere ich mich. Allerdings erblickte ich sie gestern von jenseits des Kamms, wo eine Straße unsere Route kreuzt und Ines bereits auf mich warten wird. Die Anordnung der Bäume gehorcht keiner Regel. Wie unüberlegt gepflanzt oder vor Urzeiten bei der Rodung des Landstrichs übersehen wirken sie. Dennoch möchte ich wetten, dass der Zufall beim Wie und Wo der Baumreihe die geringste Rolle spielte. Sie sind das Tüpfelchen auf dem „i“. Nein, mehr. Weil sie von allen Seiten aus gut sichtbar sind, im wahrsten Sinne „herausragend“, bringen sie das Reizvolle, die Schönheit des Landstrichs, erst richtig zur Geltung.

Wie vermutet laufen wir die Baumreihe ab und aus dieser erhöhten Position erkenne ich Ines, die in der Mulde, am Rande der Straße wartet. Mein zusätzlicher Verpflegungspunkt „I3“. Ines verfügt über eine gestern flugs und provisorisch erstellte Liste aller Verpflegungspunkte. Die offiziellen habe ich mit „VP1“ bis „VP8“ durchnummeriert und Stellen, an denen mich Ines zusätzlich versorgt, mit „I1“ bis „I10“. Natürlich decken sich „VP“ und „I“ großenteils, wenngleich Ines meist abseits des offiziellen Büffets warten wird. - Wasser, Gel und ein Lächeln, nach Minutenfrist weiter entlang der Straße, schließlich auf die nächste Piste abbiegend.

Die bringt mich in einen Winkel der Landschaft, wo sich mein Gemüt erst einmal erholen kann. Wo ich nicht ständig vom Gesehenen berauscht um Worte ringen muss. Olivenplantagen, ein Weinberg, darüber ein Anwesen, Fernsichten ins Grüne, Wiesen … zweifellos reizvoll, wie die meisten italienischen Landschaften, an das heute schon Gesehene aber nicht heranreichend. Das lenkt meine Aufmerksamkeit mehr auf innere, im Gegensatz zu den äußeren eher unangenehme Wahrnehmungen. Meine Ausdauer hat noch nicht merklich gelitten. Dafür schmerzen die Füße an den Fersen barbarisch. Am Knochen im Sohlenbereich und vor allem in einer nie erlebten Intensität. Hat das mit den neuen Schuhen zu tun? Oder eher mit den häufigen, oft auch steilen Abwärtsjoggs?

Das mit der optisch-mentalen Entspannung hat sich mit Erreichen eines von einem Bach durchflossenen, von Weinbau und Feldwirtschaft gleichermaßen geprägten Tales gleich wieder erledigt. Über jenseitigen Hängen residieren prächtige Landsitze. Vermutlich nichts anderes als „Bauernhöfe“, wobei ich dieses schmucklose Wort angesichts der schieren Größe der Gebäude als eher deplatziert empfinde. Eine Wegbiegung weiter demonstriert ein stinkreicher Italiener, wie man Millionen in stilvolles, der Landschaft angepasstes Wohnen investieren kann. Wunderbar die architektonische Grazie der Gebäude und ihre Einbettung im Hang. Geradezu unglaublich in Perfektion wie Ebenmaß präsentiert sich eine Doppelreihe aus Zypressen, die die Auffahrt flankiert. Die Bäume sehen aus, als hätte man sie „künstlich verschlankt“, allwöchentlich beschnitten. Was für ein Anwesen, fantastisch!

Torrenieri: Laufzeit 4:55 Stunden, Kilometer 39

„Torrenieri“ steht auf dem Ortsschild. Sein verwitterter Zustand sollte mir gleichermaßen bekannt vorkommen, wie die Brücke, die wir bereits passierten. Allerdings scheint in meiner Erinnerung neben all dem Großartigen, das wir gestern schon sehen durften, kein Platz für schnöde Details. Fast wäre ich an Ines vorbei gelaufen, die mich - wiederum lesend - auf einem Parkplatz hinter der Brücke erwartet. Ein Seitenblick meinerseits bringt uns dann aber doch noch zusammen. Dreierlei Geschenke, wie gehabt: Wasser, Gel und die Sonne in ihrem Lächeln. - Torrenieri selbst hat wenig mehr zu bieten als die offizielle Tränke, an der ich mir den Bauch randvoll mit Cola und Mortadella fülle. Harmonie bietet einzig die Landschaft, in meinem Magen herrscht wüstes Durcheinander. Einerlei, nur der Erfolg zählt und bisher goutiert mein Bauch die ungewohnte „Beschickung“.

Leib, Trinkflaschen, Vorratstaschen für Gel - alles prall gefüllt, denn nun muss ich 10 lange Kilometer bis zur nächsten möglichen Versorgung überbrücken. Und das unter praller Sonne in zwischenzeitlich deutlich über 20°C warmer Luft. Lege mir diese Bemerkung nicht als Jammern aus. Worüber ich zuallerallerletzt klagen würde, sind Sonne und Wärme. Beides musste ich so viele Monate entbehren und beides zusammen ergibt „mein Laufwetter“. Auch der Landstrich vor - oder genauer gesagt: unterhalb - von Montalcino begeistert mich. Wieder das fortwährende Auf und Ab der Hügel, nun mehr und mehr vom Weinanbau geprägt. Es ist schlichtweg unmöglich all die Herrlichkeit rings umher in Worte zu fassen. Zehn Kilometer Landschaft, deren Ansichten sich mir gleichfalls unauslöschlich einbrennen. Als ich stehen bleibe, um einen besonders reizvollen Hügel mit Reben und Wiese abzulichten, werde ich auf Deutsch angesprochen: „Das ist der zweitbeste Wein der Welt!“ - Ich bleibe stumm, weil ich ein mundfauler Typ bin, besonders nach bereits mehr als einem Marathon in den Beinen. Vor allem jedoch, weil ich nicht weiß, welche meiner vielen Fragen ich zuerst aussprechen sollte: „Wenn dort der zweitbeste wächst, wo gibt es den Besten?“ - „Kennt er den Weinbauern dort drüben persönlich?“ - „Trinkt er den angeblich so edlen Tropfen häufiger?“ - „Womit vergleicht er jene Reben?“ - „Woher kann er so gut und relativ akzentfrei Deutsch?“ - all das und mehr. Stattdessen: Stehen, schauen und schweigen.

Am Wegrand sitzt ein Läufer mit gesenktem Kopf im Gras. Selbstverständlich erkundige ich mich: „Are you allright?“ - Er schaut mich an, winkt beschwichtigend und versichert mir mehrmals keine Hilfe zu benötigen. Danach sieht er zwar nicht aus, aber da er noch fremdsprachlich klar denken und artikulieren kann, wird’s wohl stimmen. Also weiter auf Montalcino zu, dessen Türme nun schon klar vorm blauen Himmel auszumachen sind.

Bis der wirklich heftige Schlussanstieg beginnt, schickt uns der Streckenplaner unter mehrfachem Richtungswechsel zwischen Weinstöcken hin und her. Weinstöcke, die alle gleich aussehen. Was ihren Schnitt und die Anordnung der Reben angeht ebenso, wie hinsichtlich des Wachstumsfortschritts. Überall an dicken Strünken erstes, zaghaftes Grün, nirgendwo ein voll ausgebildetes Blatt. Und dann ist es soweit: Aus der Ebene gen Himmel streben. Anfangs noch in verhaltenem Trab, alsbald jedoch der Vernunft gehorchend mit zügigen Gehschritten. Vom Feldweg wechsele ich wenig später auf den bisher steilsten aller Fußwege, direkt unterhalb der Stadt. 20 Prozent Steigung? Mehr? Die randständigen Häuser von Montalcino scheinen mit Häme auf uns herab zu blicken, lachen uns aber mindestens aus. Sturzbäche von Schweiß ergießen sich über meinen Körper. Ich atme schwer, wie bei einem lang gezogenen Zielsprint. Dabei gehe ich doch nur. Und das nicht mal schnell …

Montalcino: Laufzeit 6:20 Stunden, Kilometer 50

Zwei steile Kilometer, die wohl niemand laufend bewältigt, mutmaßlich nicht einmal Spitzenläufer des kürzeren Wettkampfs, die dort oben ihr Zieltor erwartet. Es macht mir nichts aus zu gehen. Der innerlich geschlossene Friede hält umso fester, je müder ich werde. Das Unsinnige auch nur an einen Laufversuch zu denken tut ein Übriges. Ich schreite durch eine Pforte in der Stadtmauer, fortan durch mittelalterlich anmutende Gassen. Die scheint man zwei Kriterien beachtend für uns ausgewählt zu haben: So malerisch hübsch und so kraftzehrend steil wie möglich. Immer weiter aufwärts, bis ein Scheitelpunkt im Pflaster erreicht ist. Gestern war der Wochenmarkt gerade vorbei als Ines und ich hier entlang schlenderten. Nun steht ein Zieltor an der Stelle, wo Lieferwagen und Stände die Sicht versperrten. Ich laufe wieder, auf leicht abschüssigem Pflaster und mit wachem Interesse auf das Ziel des kurzen Wettkampfs zu. Weiß eigentlich nicht, was ich erwarte, es nimmt auch niemand Notiz von mir. Also passiere ich die Matte der Zeitmessung, folge weiter der wunderschönen Gasse und weiche diversen Touristen aus, die es offensichtlich auch zu dieser Jahreszeit schon reichlich in Montalcino gibt.

Ein Läufer kommt mir entgegen, fragt mich etwas auf Italienisch, das ich nicht verstehe. Also wendet er sich an einen anderen und dessen Antwort kapiere ich durchaus. Der Umkehrer hat den Verpflegungspunkt verpasst. Bedauerlich nicht nur für ihn. Auch ich muss - irritiert oder geblendet von was auch immer - daran vorbei gelaufen sein. Was tun? - Gleichfalls zurück oder durchhalten bis „I6“? Vier weitere ungewisse Kilometer. Eigentlich kein Wagnis: Eine Trinkflasche ist noch halb voll und Gel habe ich im Überfluss an Bord. Kein schwieriger Entschluss einfach weiter zu laufen. Bedenken habe ich nur Ines’ wegen. Sie legte sich zwar darauf fest Montalcino - ihren „I5“ - auszulassen, weil wir gestern keinerlei Streckenmarkierungen fanden. Doch was, wenn sie ihren Entschluss änderte und nun irgendwo dort hinten an der verfehlten Tränke wartet? - Ich fingere gehend das Handy aus dem Rucksack und rufe sie an. Ein bisschen ängstlich klingt ihr „Hallo?“ Schließlich deuten unerwartete Anrufe in unserer Situation auf erlittenes Missgeschick hin. Wir sind dann beide erleichtert. Ines, weil mir nichts widerfuhr und ich, weil sie wie angekündigt bereits bei „I6“ die Sonne genießt …

Ein halben Kilometer weiter fletscht „Tuscanny Crossing“ unvermittelt die Zähne. Ein knochenharter Trail, wie er übler auch in den heimischen Alpen kaum zu finden sein wird. Im wahren Sinne der Worte über Stock und Stein hinab. Füße und Oberschenkel betteln um Gnade, die ihnen allerdings lange, sehr lange nicht zuteil wird. Eine Dreiergruppe junger Läufer trailt flinken Fußes an mir vorbei. Wie kann man diesen stark abschüssigen, holprigen Pfad so gemsen-haft hurtig runter flitzen? - Augenfälliger könnte man mir die fehlende Eignung zum Trailläufer kaum demonstrieren. Udo und Trail - wirklich schwieriger Trail - das geht einfach nicht zusammen.

Der Trail trieb mich „füßisch“ ans Limit, bot aber Abkühlung im Schatten dicht belaubter Bäume und Sträucher. Vorbei. Bis auf weiteres wieder unschwieriges Geläuf, dafür aufwärts und in lichtem Wald. Immer weiter bergan, zu steil zum Laufen. Noch zwei Kilometer bis „I6“. Gierig trinke ich den Rest meines Wasservorrats. Wie jedes Mal, wenn ich mich aus eigenem Vorrat versorge, überziehe ich den Konstrukteur des Rucksacks und den Ladenbesitzer, der mir das Ding seinerzeit andrehte, mit üblen Verwünschungen. Eine der Flaschen „hinten unten“ irgendwie „rauszuwurschteln“ gelänge mit üblen Verrenkungen noch so eben. Nur nützt mir das nichts, weil ich es nicht schaffe sie wieder zu verstauen. Dafür bräuchte ich den katzenhaft biegsamen Körper eines Artisten. Trinken kostet mich stets eine Laufunterbrechung, um den Rucksack auszuziehen. Nur an ein (damals) einfältiges Trail-Greenhorn konnte man so einen Schrott loswerden! Auf jedem Trail nehme ich mir vor einen neuen zu kaufen. Um es anschließend doch wieder zu unterlassen, weil ich das Ding so selten brauche.

Nur Gehschritte möglich. Vermutlich bis zur Straße oben, an der ich Ines auf Posten weiß. Halbe Distanz überschritten. Der Gedanke kommt mir unwillkürlich, auch wenn mein Kopf wohlweislich keine motivierende Formel wie „Jetzt keine 50 Kilometer mehr!“ hinterher schickt. Die eigentlichen Schwierigkeiten, die meisten Höhenmeter und damit vermutlich auch die kritischeren Wegverhältnisse erwarten mich auf Hälfte zwei. Ich bin jetzt siebeneinhalb Stunden unterwegs. Die Endzeit zu schätzen ist nicht mehr als ein Glücksspiel, von dem mein Geist partout nicht lassen will. Also verdopple ich die 7,5 Stunden und nehme einen Aufschlag von weiteren zwei Stunden vor - für wachsende Erschöpfung und das Plus an Höhenmetern. Werde ich es in 17 Stunden schaffen oder doch eher 18 brauchen?

An der Straße SP14 nahe Montalcino: Laufzeit 7:05 Stunden, Kilometer 54

Der von Sonne durchflutete Wald spuckt mich auf eine sanft ansteigende Straße. Ein paar Gehschritte noch, dann fällt mir wieder ein, dass ich kein Wanderer bin. Zwei, drei Mitläufer vor mir können sich offensichtlich nicht mehr entsinnen Teil einer Laufveranstaltung zu sein. Langsam trabe ich an ihnen vorbei, um eine Kurve mit weitem Radius. Und hinter der Kurve sichte ich zu meiner großen Freude „I6“. Ich bekomme Wasser, Gel und das so vertraute, aufbauende Lächeln meiner Frau. „Geht’s gut?“ ruft einer der eben überholten Italiener auf Deutsch herüber. „Mir geht’s gut!“ antwortet Ines mit einer Betonung, die ihren Zweifel ausdrückt, ob das auch für uns Läufer gilt. Konnten seine italienischen Ohren die phonetische Feinheit heraushören?

Ringsum Wald, vielstimmiges Gekläff hinterm Zaun, ein übel zerfurchter, matschiger Weg unter den Füßen. Begleitumstände der nächsten Minuten, bis sich der an dieser Stelle zu mächtigen Stapeln von Brennholz verarbeitete Forst lichtet und feste Wege wieder zügigeres Traben zulassen. Eine weitgehend baumfreie Hochebene schließt sich an, Weideland für Schafe und einen Esel. Wenig Futter für meine Kamera und meine von Toskana-Hochglanzkalenderbildern vielfach entzündete Begeisterung ruht sich ein wenig aus. Zeit andere Aspekte zu erwähnen, wie etwa die wirklich vorbildliche Markierung der Strecke. Meist habe ich zwei, drei der weiß-blauen Flatterbänder oder gelben Tafeln mit Richtungspfeil im Blickfeld. Verlaufen? Absolut ausgeschlossen! Es muss unendlich viel Mühe bereitet haben mehr als hundert Kilometer Strecke in dieser Dichte auszuflaggen. Schon dieses Indiz beweist, mit wie viel Engagement und Liebe die Macher von „Tuscany Crossing“ zu Werke gingen.

Abwärts, immer weiter abwärts. Die Fersen haben ihren Protest zurückgeschraubt, dafür meckern unter solchen Umständen - oft extrem abschüssig und miserabler Untergrund - Oberschenkel und die Knie. Ich halte mich tempomäßig auch abwärts im Zaum. Etwas hurtiger könnte ich meine Füße zwar ohne zusätzliches Risiko koordinieren, will aber Gelenke und Sehnen nicht überlasten. Zeit spielt keine Rolle! Ankommen und weiter trainingsfähig bleiben heißt das Gebot der Stunde! Runter, immer weiter runter, mehr als dreihundert Höhenmeter, bis in ein Tal unterhalb der Ortschaft Castelnuovo del’Abate. Dabei komme ich an einer mächtigen, freistehenden Kirche vorbei, die gestern schon meine Aufmerksamkeit erregte: Abbazia Sant’Animo. Dass es sich dabei um ein Kloster handelt, entgeht mir, weil sich die zugehörigen Wirtschaftsgebäude auf der abgewandten Seite hinterm mächtigen Kirchenschiff verbergen.

Hinunter zur tiefsten Stelle des idyllischen Tals, einem Bachlauf folgend, schlussendlich wieder bergauf, dem nahen Castelnuovo del’Abate entgegen. Ich lasse mich von einer schwedischen Verfolgerin im neckischen Laufröckchen überholen. Keineswegs um einen Blick unter dasselbe zu erhaschen, vielmehr um Menschengestalt neben einer Wand aus Kakteen* ins Bild zu setzen. Übrigens erkenne ich erst nach dem Überholen die schwedische Landsmannschaft der Dame und zwar am Wimpel auf ihrem Rucksack. Weiter schweißtreibend hinan - gehend versteht sich - bis mich eine Gasse des Ortes aufnimmt.

*) Botaniker werden es wissen: Wahrscheinlich handelt es sich gar nicht um Kakteen, sondern um eine andere Art sukkulenter Pflanzen. Ist mir aber egal - wenn man stolpert und reinfällt pieken alle Arten.

Castelnuovo del’Abate: Laufzeit 8:10 Stunden, Kilometer 60

Die Gasse steigt an, verengt sich. Nach mehrmaligem Abbiegen zwischen schattigen Fassaden mündet der Weg in eine geradezu winzige, pittoreske Piazza: Runde Zisterne in der Mitte des dreieckigen Platzes, riesige Pflanzkübel setzen grüne Akzente, zwei Sitzbänke, darauf ein Mann. Unwillkürlich fühlt man sich in ein Bild von Carl Spitzweg versetzt, dessen Werke häufig kleinteilig Romantisches zur Momentaufnahme vereinigen. Über die Piazza in die schmalste und deshalb schattigste (leider auch windigste) aller heutigen Gassen. Wimpelbänder künden vom nahen und mit viel Liebe hergerichteten „Ristoro“. Ines kann ich nirgendwo entdecken. Kluge Frau: Sie wird irgendwo abseits die Sonne genießen. Durch den engen Kanal der Gasse pfeift der Wind und lässt meinen schweißnassen Körper frösteln. Eilig fülle ich die Flaschen auf und mache mich baldmöglichst davon. Ich tippele auf einen steinernen Rundbogen zu, der mich in die wärmende Sonne entlässt …

Dörfer in der Toskana krönen vorzugsweise das Haupt irgendwelcher Hügel. Das gilt auch für Castelnuovo del’Abate. Jenseits des mittelalterlichen Rundbogens strapaziert ein abschüssiges Sträßchen erneut meine Oberschenkel. Sie geben sich angestrengt, klagen aber nicht. Sollten mich die beiden Bergtrainings - je eines letzte und in der Woche davor - in dieser Hinsicht ausreichend konditioniert haben? Zweifel bleiben, denn die längsten Auf- und Abstiege stehen mir noch bevor … Ines! Sie hat „I7“ auf einer Mauer am Straßenrand „installiert“; sitzt, liest, erkennt mich, winkt. Später notiert sie 13:50 Uhr als Uhrzeit unserer Begegnung. Von der Sonne wieder gut durchgewärmt lasse ich mir ein paar Minuten Zeit, trinke aus der angebotenen Flasche, entsorge leere, übernehme frische Gelbeutel. Am meisten gibt mir ihre Gegenwart, was sie sagt, wie sie es sagt und natürlich ihr Lächeln. Ein gewaltiger Mehrwert, der nicht mit Gold - für Ultras sind das Kalorien und Wasser - aufzuwiegen ist. Ein von meiner Seite hingehauchter, da verschwitzter Kuss, dann überquere ich die Hauptstraße, passiere eine Kolonie alter, zum samstäglichen Schwatz vor einem Lokal versammelter Männer und verlasse den Ort auf einem Feldweg.

Von der Hangflanke aus noch einmal das Kloster Sant’Animo drunten im Tal bewundernd mache ich auf recht brauchbarer Piste Fahrt. Die Füße fühlen sich nicht sonderlich gut an, nörgeln aber weniger als noch vor ein, zwei Stunden. Vorsorglich bat ich Ines beim nächsten Mal die Ersatzschuhe bereitzuhalten. Sollte mein „Fußgefühl“ sich nicht drastisch verschlechtern, werde ich allerdings auf den Schuhwechsel verzichten. Eingedenk der aus der Computertechnik übernommenen und anlässlich meiner Ultralauferfahrungen stets bewährten Devise „Never change a running system!“. Außerdem trage ich Trailschuhe, die mir bislang bombigen Halt garantierten (vom Lehm im Hohlweg einmal abgesehen). Bei den Ersatzschuhen handelt es sich um „normale“ Laufschuhe für Straße und einfaches Gelände. In denen wäre ich auf dem letzten Drittel der Strecke, auf dem ich weit üblere Untergründe befürchte, eventuell überfordert.

Den nun folgenden Teil des Kurses gehe ich mit besonderer Spannung an: Zunächst noch einen „Buckel“ überwinden, dann vermutlich steil bergab, hinunter ins Tal des Orcia. Übersetzen, jenseits wieder steil bergan, bis ich Ines im Zenit der Hügel, auf einer Bank sitzend wieder sehen werde. Was die „besondere Spannung“ ausmacht? - Lass mich dich noch einige Sätze weit auf die Folter spannen … Der Weg hinunter ins Tal des Orcia beginnt recht harmlos und mit reizvollen Aussichten, für die ich anderenorts in Begeisterungsstürme ausbräche. Hier und heute nicht mehr. Nicht nach all der Pracht, die ich heute schon erleben durfte. Auf sanft gen Süden abfallenden Hängen recken Reihen von Reben zaghaft sprießendes Blattwerk der Sonne entgegen. Da und dort gliedern Wäldchen oder Hecken die hügelige Landschaft. Olivenhaine säumen bisweilen meinen Weg. Jenseits des Tales reicht der Blick bis zur Flanke des Monte Amiata. Vorgestern, als ich seiner erstmals ansichtig wurde, meinte ich noch den höchsten Berg der Toskana überqueren zu müssen. Die Sorgenfalte auf meiner Stirn angesichts eines verbliebenen Schneefeldes glättete sich alsbald. Der Monte Amiata ist 1.738 Meter hoch und der Gipfelpunkt unserer Route, in der Flanke des Berges, liegt auf „nur“ 1.053 Metern. Dennoch verzichte ich vorsorglich darauf, mir auszumalen, was für einen Knochenjob meine Beine bis dort oben noch werden verrichten müssen …

Ja, die Beine … denen spielt der Kurs nun übel mit. Vor allem den Oberschenkeln, die sich steil abwärts wie auf Ballondicke aufgeblasen anfühlen. Die Füße reagieren eigenartigerweise eher zurückhaltend. Vielleicht unterwerfen sie sich aber auch dem Prinzip „großer Schmerz vertreibt kleinen Schmerz“?! Erstreckt sich das Martyrium über einen Kilometer? Zwei? Keine Ahnung. Zu allem Übel finde ich auf diesem Abhang die bisher übelsten Pisten und Pfade vor. Löcher, Rinnen, steinhart ausgehärtete, von Landmaschinen grobstollig hinterlassene Knubbel, Schrunden, Bollen, Brocken. Eiertanz hoch sieben. Talwärts. Kurzes Durchatmen vor einer in vielen italienischen Gegenden anzutreffenden Erdformation: Was wie aufgeschüttet anmutet, unwillkürlich an Sandgruben erinnert, ist in Wahrheit Ergebnis fortschreitender Bodenerosion. An Stellen ausgebildet, die die Landwirtschaft ihrer Steilheit wegen verschmäht, womöglich durch übermäßiges Abholzen begünstigt. Ein paar Aufnahmen, dann stürze ich mich den nächsten Hang hinab. Zuletzt unerträglich steil und für ein paar hundert Meter auf einem Albtraum von Weg: Faustgroße Steine erheben die Frage, wo ich die Füße platzieren soll, zum unlösbaren Problem. Also einfach irgendwie durch und hoffen, dass nichts schiefgeht …

Gottlob geht im Dickicht von Ginster und Auwald des Orcia nichts schief. Aufatmend betrete ich einen - man höre und staune - flachen Uferweg. Meine Knochen fühlen sich nach dieser Schussfahrt dermaßen zerschunden an, dass ich dem Beispiel einiger Leidensgenossen voraus folge und erst einmal ein paar Schritte gehe. Bis ich diese Form menschlicher Fortbewegung nicht mehr ertrage und wieder antrabe. Etwa einen Kilometer weit am Fluss entlang, allerdings ohne ihn durch dichten Bewuchs hindurch auch nur einmal zu Gesicht zu bekommen. Schlussendlich unter einer (Eisenbahn-) Brücke hindurch und ans Ufer des Orcia.

Also doch!!! Kein Trugbild!!! Angesichts des Ungeheuren bleibe ich ruhig und vergnügt. „Vergnügt“ passt durchaus, weil keine Form körperlicher Pein meine bisher blendende Laune dämpfen konnte. Also: Ruhig und vernügt, obwohl ich kaum glauben kann, was ich sehe. Anlässlich der Läuferbesprechung am gestrigen Abend wurde auf das Unglaubliche hingewiesen, auch in Englisch. Obschon man sich ringsum auf Bänken sitzend skeptisch anblickte und sich im Gesicht des Vortragenden auf dem Podium ein „ist halt nicht zu ändern!“ abzeichnete, war ich nicht sicher, den Sachverhalt korrekt erfasst zu haben. Hatte ich aber, wie ich jetzt sehe: Der Orcia führt nach reichlich Regen in den letzten Wochen viel Wasser! Sehr viel Wasser! Von einem zum anderen Ufer, etwa 20 Meter, wurde ein Seil gespannt. An dem entlang hangeln sich meine Vorderleute zur anderen Seite. Wie sie versinke auch ich in den folgenden Minuten bis zu den Knien im Wasser. Doch wie gesagt: In Ruhe und mit Vergnügen. Mehr noch: Ich empfinde das kühle Nass an Beinen und Füßen als ausgesprochen wohltuend!

Drüben angekommen suppt die Brühe in den Schuhen. In jedem anderen Lauf, in dem mir noch etliche Stunden Kampf bevorstünden, wäre ich nun besorgt um meine Füße. Fürchtete Blasen, später offene Stellen. Heute wird nichts passieren, denn heute genieße ich Heimvorteil!!! Etwa einen halben Kilometer hinter der nassen Furt, ein paar Wegbiegungen und vielleicht fünfzig Höhenmeter weiter, nehme ich gemütlich auf der Terrasse unserer Unterkunft Platz, trinke das am frühen Morgen bereitgestellte Wasser, packe zwei Gelpäckchen ein und wechsele vergnügt die Strümpfe. Trocken aus einer Plastiktüte gegen nass an meinen Füßen. Der Zufall wollte es so. Vielleicht auch höhere Mächte. Wer weiß? Er ließ Ines just ein Zimmer in diesem höchst abgelegenen „Agriturismo“ reservieren. Schon bei der Ankunft vorgestern deutete ein Flatterband vorm Haus darauf hin: Das Haus liegt an der Strecke. Und anlässlich eines Spaziergangs erkundete ich einen Teil dieser Strecke. Einen mordsmäßig steilen Teil, den ich mich nun hinauf quäle. Jene erste Begehung raubte mir die letzten Illusionen, was den Anspruch der Strecke angeht.

Bergauf also. Steil bergauf. Stückweit manchmal mehr als 20 Prozent. Nur einen Abschnitt bewältige ich joggend und auf dem geht’s moderat bergab. Ansonsten gehen, gehen, gehen, mehr als fünf Kilometer weit. Der Aufstieg setzt mir gewaltig zu, ist mit etwa 450 Höhenmetern der bisher längste. Ich versuche so wenig wie möglich daran zu denken, dass mir später ein noch längerer mit 700 Höhenmetern bevorsteht … Ist mir ein Rätsel, wie ich unter solchen Umständen und der Drohung von noch mehr Unbill gutgelaunt einher schreiten kann. Ich fühle mich bereits ziemlich erschöpft und natürlich tun mir inzwischen von der Hüfte an abwärts alle Knochen weh. Doch so merkwürdig das klingen mag: Ich fühle mich wohl!

Am Abzweig zu einem Gehöft, dem nächsten offiziellen Verpflegungspunkt, warten Sie und Er am Pistenrand, halten Ausschau, sprechen mich an. Wechseln in gebrochenes Englisch, nachdem ich mich als „Tedesco“ zu erkennen gebe. Wollen wissen, wann ich in Montalcino aufgebrochen bin, stürzen mich mit dieser Frage in heillose Verwirrung. Montalcino??? - Das war vor Stunden. Kommt mir vor wie gestern. Ewig her. Gebe mehrere Stunden zu Protokoll, auch, mich nicht genau zu entsinnen. Ob ich einen blinden Läufer mit Begleiter gesehen hätte, auf den sie warten. Den Blinden nahm ich zuletzt gestern Abend bei der Einweisung wahr, als ihn sein Begleiter durch die Bankreihen der Sitzenden manövrierte. Also verneine ich die Frage, versuche mich zeitlich genauer zu erinnern, stammele noch ein bisschen rum. Bis die Dame meint es täte ihr leid, dass sie mich aufhielten. Ich darauf schmunzelnd, eher hingehaucht, gespielte Erschöpfung in die Stimme legend: „Oh! A break is okay!“

An der Straße SP323, Nähe Bauernhof „Le Case“: Laufzeit 10:45 Stunden, Kilometer 72

Vom offiziellen Büffet vorm Bauernhof aus kann ich Ines schon sehen. Ein paar hundert Meter weiter, auf der Bank an „I8“. Ich versorge mich, fülle die Flaschen, nippe am bereitgestellten Salz. Dann weiter zu meiner Frau und zu Roxi, die neben Ines im Gras liegt. Diesmal freuen sich zwei bei meiner Ankunft und auch meine Freude verdoppelt sich. Wüsste ich, was mich jeweils erwartet, ich nähme Roxi liebend gerne auf ein, zwei Etappen dieser Strecke mit. - Ines erinnert an den Schuhwechsel, auf den ich jedoch wie vorausgesehen verzichte. Ich erzähle von meiner „Schwimmeinlage“ am Fluss, vom Strumpfwechsel und kann bestätigen, dass sich meine Füße trotz anfänglich nasser Schuhe vollkommen trocken anfühlen. Passt so weit alles.

Ines’ gute Wünsche eilen mir ebenso beim Überqueren der Straße hinterher, wie Roxis Fiepen und Gebell. Was es wohl bedeuten mag? - „Nimm mich mit! Ich will auch laufen!“ kann es heißen. Vielleicht ist ihre Emotion aber auch Ausdruck der Qual, ihr Rudel nicht zusammenhalten zu können. Schafe hüten steckt zu fünfzig Prozent in ihren Genen. Jene fünfzig Prozent, die ihr ein Elternteil „Australian Shepard“ vererbte.

Bergab durch Wald. Ich bin hundemüde. Dass mich lediglich noch 30 Kilometer vom Ziel trennen wäre auf einer flachen Strecke und guten Wegen ein beruhigender Gedanke. 30 Kilometer bringe ich immer irgendwie hinter mich. In diesem Gelände, bei noch ausstehenden mehr als 1.000 Höhenmetern kann alles passieren … Und schon jetzt fühle ich mich dem Ende nahe. Viel Gel hilft viel. Meine Erfahrung auf längsten Ultrapfaden. Aber auch bei mir, dessen Magen-Darmtrakt unheimlich viel des süßen Kleisters vertragen kann, gibt es Grenzen. Die reizte ich heute aus. Erschöpft fühle ich mich nach dem Steilanstieg vom Orcia herauf trotzdem. Meiner Zuversicht diesen Trail erfolgreich zu beenden, wie alle anderen Marathons und Ultras zuvor, kann die Schwäche allerdings nichts anhaben. Irgendwie schaffe ich es. Hab’s immer gepackt, werd’s auch heute packen!

Runter, mal wieder rauf, runter, rauf und so fort … Im Streckenprofil bildet sich dieser Streckenteil mit zwei Höckern ab. Sagt nichts über die tatsächliche Anstrengung, denn die ergibt sich auch aus der Wegbeschaffenheit. Und in dieser Hinsicht habe ich Glück: Gute Waldwege und meist im Schatten. Überwiegend bewege ich mich laufend vorwärts, sogar in moderaten Anstiegen. Enge Pfade sind gottlob Mangelware. Auf einem nähere ich mich wechselweise gehend und laufend einem Mitläufer, der vorhin (wie lang ist das her?) flott an mir vorüber trailte. Jetzt geht er. Quälend langsam, wie in Zeitlupe, vornüber gebeugt wie ein Greis. Und so blickt er auch drein, als ich ihm prüfend ins Gesicht sehe. ‚Der hat Flasche leer!’ denke ich und spreche ihn an: „Are you allright? Everything okay?“ Englisch versteht er wohl, spricht aber nicht. Findet im kraftlosen Oberstübchen vielleicht nicht die passenden Vokabeln. Stattdessen eine drehende Geste mit der Hand bei gespreizten Fingern, weder „Ja!“ noch „Nein!“; so etwas wie „Weiß nicht genau!“. „Do you need help?“ insistiere ich, worauf er abwinkt, mich eindeutig weiter schickt.

Also entferne ich mich, drehe mich aber mehrmals um, sehe ihn verdrossen, in zusammengefallener Haltung vorwärts stapfen. Das sieht nicht gut aus und deshalb lässt mich ein - ich sag’s deutlich - „besch …“ Gefühl, den Kerl sich selbst zu überlassen, nicht los. Eventuell seine, auf jeden Fall aber meine Rettung bescheren mir die Laufgötter nicht mal hundert Meter weiter, hinter einer Hütte im Wald. Zuerst rieche ich Rauch, erkenne dann hinter der Hütte das Feuer und auf den zweiten Blick, an der Uniform, die sie tragen, zwei ehrenamtliche Helfer. Denen drücke ich „mein Problem“ aufs Auge, deute auf den Unglücklichen, der gerade um eine Wegbiegung und auf die Hütte zukommt. „I think this guy has a problem. Please take care!“ - Die beiden scheinen geradezu erleichtert, dass ihr bisher langweiliger Dienst im Wald nun endlich gebraucht wird. So groß wie meine, kann ihre Erleichterung allerdings nicht sein. Das „Im-Stich-lassen“ des Mitläufers, die Ungewissheit über sein weiteres Schicksal, hätte mir mit Sicherheit auf den nächsten Kilometern zugesetzt.

Überquerung der Straße SP18: Laufzeit 12:25 Stunden, Kilometer 81

Ich bleibe stehen, löse meinen Rucksack, trinke, verleibe mir ein weiteres Gel ein. Nach meiner Einschätzung befinde ich mich bereits im finalen 700 Höhenmeter-Aufstieg. Noch ein, zwei Kilometer, dann werde ich neuerlich eine Straße überqueren und Ines an „I9“ vorfinden. Die eklatante Schwäche, die mich vorhin beherrschte, ist seltsamerweise gewichen. Gel im richtigen zeitlichen Abstand mag ein Grund sein, der eher unschwierige Kurs der letzten Stunde ganz sicher ein zweiter. Entsprechend strotze ich geradezu vor Optimismus, als ich die letzten Wegmeter Wald hinter mich bringe, die Straße betrete und an ihrem Rand zu unserem unweit geparkten Auto trabe. Und Ines strahlt mich an. Ein solches Willkommen, was will ich mehr. Kurz ein paar Streicheleinheiten für Roxi durchs hintere, offene Fenster. Vorräte ergänzen, trinken und ein gut gelaunter Abschied von „I9“. Falls überhaupt möglich in noch besserer Stimmung als zuvor. Ines eröffnet mir, dass sie auch an der nächsten offiziellen Tränke, in Vivo d’Orcia, auf mich warten will, was gar nicht vorgesehen war!

Etwa vier Kilometer bis Vivo d’Orcia. Nicht weit bis zum Ort, aber sicher sind etliche Höhenmeter des Schlussanstieges zu bewältigen. Längst habe ich meine „Suunto Ambit3 Peak“ in einen Anzeigemodus umgeschaltet, der mir die Höhenmeter anzeigt. Ich komme gut, wenn auch überwiegend gehend voran, weil sich meine Befürchtung übler Wege nicht bewahrheitet. Eine breite Piste zieht sich bergwärts. Fotos bleiben auf diesem Abschnitt in dichtem Wald Mangelware. Ausblicke werden mir nicht gewährt und bis auf eine dekorativ bemooste Felsformation reizt nichts meinen Fotografenfinger. Zügig voran, zügig vorwärts. Wann immer möglich falle ich in langsamen Trab. Als ich einen Mitläufer überhole, fragt der mich nach der Distanz bis zum nächsten „Ristoro“: „About one … (ich zögere) … or two Kilometers!?“ antworte ich im Brustton der Überzeugung nicht falsch zu liegen. Immerhin stimmten die bisher angestellten Schätzungen ziemlich genau. „One or two - may be three or four?“ spottet der Italiener, scheint meiner Aussage wenig Glauben zu schenken. Also rechne ich ihm meine Kalkulation laut vor, bekräftige meine Einschätzung. Frage ihn überdies, ob er Wasser braucht, denn meine Vorräte musste ich seit „I9“ nicht antasten. An Wasser fehlt es ihm durchaus nicht, wie sein Verweis auf die gut gefüllten Flaschen zeigt. Anscheinend hat er einfach die Nase voll und sehnt eine Pause herbei …

Rasch bleibt der Missmutige zurück und nach wenigen hundert Metern geht die Piste in eine asphaltierte Straße über. Deutlicher könnte das Zeichen sich dem nächsten Ort zu nähern kaum ausfallen. Tatsächlich überwinde ich einen weiteren Kilometer bis zum „Ristoro“ am oberen Ortsrand von Vivo d’Orcia. Mit Wohlgefallen blicke ich dabei immer wieder auf den (barometrischen) Höhenmesser meiner „Suunto“, dessen Anzeige mir signalisiert den größten Teil des Schlussanstieges bereits geschafft zu haben. Des Schlussanstieges, vor dem ich ziemliche Manschetten hatte und der sich jetzt als weitgehend harmlos entpuppt. Ich jogge durch Vivo d’Orcia, auf dem wahrscheinlich einzigen einigermaßen flachen Sträßchen derOrtschaft. Dabei werde ich Zeuge eines ebenso spannenden, wie kuriosen Wettkampfes. Vier Jungs auf Waveboards stehen vor einer Startlinie, ein fünfter gibt das Startkommando. Wie von der Tarantel gestochen „hüftwackeln“ die vier los, wobei sie zu meiner Verblüffung ein bemerkenswert hohes Tempo erreichen. Dabei weit schneller unterwegs sind als ich, so dass sie mir nach vollzogener Wende aus ziemlicher Entfernung entgegen und der Ziellinie „zu-waven“ … Wieder eine Sportart, für die mein stämmiger, steifen Körper denkbar ungeeignet wäre. Unwillkürlich erinnere ich mich an meine kläglichen Versuche beim Erlernen der Skating-Technik auf Langlaufskiern. Für die muss man eben auch geschmeidig weich in den Hüften gleiten können …

Vivo d’Orcia: Laufzeit 13:10 Stunden, Kilometer 84

Ich befülle meine Außen- und Innentanks, nasche ein bisschen Mortadella, stille mein Bedürfnis mich zu bedanken, dann flüchte ich aus dem kalten Gelass. Man hat das „Ristoro“ wettersicher in einer Art ausgeräumter Werkstatt versteckt. Ich erkenne darin vor allem vor- und fürsorgendes Handeln für die Läufer. Unterdessen machte sich die Sonne rar, die Lufttemperatur ist um ein paar Grad gesunken, außerdem bin ich erschöpft. Deshalb bewirken Vor- und Fürsorge bei mir das Gegenteil: Ich friere. Ich blicke mich noch einmal um, kann Ines jedoch nirgends entdecken. Da werde ich wohl etwas missverstanden haben!? Mit der ersten Welle Schüttelfrost zwingt mein Körper mich zum Aufbruch. Zitternd wie Espenlaub schreite ich die letzten steilen Meter der Straße empor, falle am Dorfende von Asphalt auf einen Wanderpfad wechselnd in leichten Trab. Rasch ebbt das Zittern ab. Ich hätte keine Sekunde länger verweilen dürfen!

Einige Meter hinab, dabei die Waldgrenze überschreitend. Wo war, wo ist Ines? - Im Kopf gehe ich noch einmal durch, was sie sagte. Da war auch von einem Stein oder Felsen die Rede, auf dem sie zuvor bereits gerastet hatte. Einen solchen Stein/Felsen hatte ich am VP allerdings nicht bemerkt. Vielleicht kommt der noch!? - Weiter reichen meine Erwägungen zunächst nicht, weil in diesem Moment eine blaue Gumpe in Sicht kommt. Ein kleiner Weiher, mitten im Wald, flankiert von Felsen. Bäume und Himmel spiegeln sich in der grünblauen, absolut stillen Oberfläche. Ich schaue mich um. Unter Bäumen hat bereits der Abend Einzug gehalten. Mildes Licht sickert durch das Laub, verbreitet eine geheimnisvolle Stimmung. Anheimelnd geheimnisvoll, den Wunsch auf längeres Verweilen auslösend. Ein Ort zum Wohlfühlen. Im heißen toskanischen Sommer sicher oft und gerne besucht.

Verweilen möchte ich, kann und darf aber nicht. Ich folge dem Pfad durch das kleine, von einem Bergbach geschaffene Paradies. „Sentiero del’Acqua“ steht auf hölzerner Tafel: Wasserpfad. Tatsächlich windet sich der schmale Weg in zahlreichen Serpentinen immer weiter aufwärts, führt über kleine Holzbrücken, wird von Geländern flankiert, wo Absturzgefahr besteht. Ich bestaune einen doppelten Wasserfall, kämpfe mich im Übrigen immer weiter aufwärts. Mühsam hinan, auf dem zunehmend von altem Laub bedeckten, zuweilen mördersteilen, gottlob da und dort von Stufen gangbarer gemachten Pfad. „Sentiero dell’Acqua“ - wunderschön aber anstrengend.

Der Wald wird lichter und ich sehe keine Häuser des Dorfes mehr. Außerdem entferne ich mich immer weiter von jeder Stelle, die per Auto zugängig sein könnte. Wo ist Ines? Was habe ich missverstanden? - Wir haben uns definitiv verpasst. Ich fische das Handy raus und rufe sie an. Zum Glück verfügt Italien auch auf dem Land über eine ausgezeichnete Netzabdeckung. - Sie wartet am „Ristoro“ in Vivo d’Orcia! Seit zwanzig Minuten! Und ziemlich genau vor zwanzig Minuten bin ich dort aufgebrochen. Ines hat schlichtweg mein Tempo unter- oder die Länge des Abschnitts überschätzt. Verpasst! Mein Bedauern ist mindestens so groß wie meine Erleichterung. Alles gut, kein Zwischenfall, wir sehen uns dann in Campiglia d’Orcia, dem Ort des letzten offiziellen Verpflegungspunktes.

Weiter bergwärts in der bewaldeten Nordflanke des Monte Amiata. In dieser Höhe und Lage präsentieren Buchen und andere Laubbäume noch nackte, spätwinterlich anmutende Äste. Der Pfad wird flacher. Bald werde ich den mit 1.053 Metern angegebenen höchsten Punkt der Route überschreiten. Ständig blicke ich auf meinen Höhenmesser, bin gespannt wie genau seine Messung ausfallen wird. 1.030 Meter … der Weg verläuft eben, fällt sogar ein paar Meter ab … War’s das? - Nein, doch nicht! Ein paar hundert Meter weit spielt er noch Katz und Maus mit mir, steigt zu allerallerallerletzt weitere zehn, zwanzig Meter an (natürlich gehe ich dabei!), um sich schließlich endgültig talwärts zu orientieren. Maximale, von meiner „Suunto Ambit3 Peak“ angezeigte Seehöhe: 1.060 Meter. Auf das „Technikdings“ ist also auch in der Vertikalen Verlass.

Abwärts, seltener auf ebenem Geläuf und nur noch ausnahmsweise und kurz moderat aufwärts. Ich laufe jeden dieser Meter und wundere mich, woher die Kraft kommt, den Trab auch in kurzen Gegenanstiegen beizubehalten. Etwa einen bis anderthalb Kilometer weit kann sich der Weg auf wechselnden, zuweilen höchst miserablen Untergründen nicht zur Schussfahrt entscheiden. Und doch muss sie irgendwann beginnen, denn das nächste Ziel liegt 250 Meter tiefer. Kurz entlässt mich der Wald an den Rand einer Wiese, vermutlich Weideland für Schafe und Ziegen. Für ein paar Sekunden stehe ich still und genieße den Blick über das tief unter mir liegende Tal, das Val d’Orcia. 19:30 Uhr: Die nur noch einen Finger breit über dem Horizont hängende Abendsonne badet das Land in goldenem, warmem Licht. Wohlfühllicht, in dem ich mich ausgesprochen wohl fühle. Das war so nicht zu erwarten. Meine Beine sind müde, die Knochen übel beansprucht und doch möchte ich zu diesem Zeitpunkt nirgendwo anders auf der Welt sein. Natürlich sehne ich mich nach dem Ziel, nach dem Ende der Pein. Ein Widerspruch? - Mag sein, aber so ist mein Wesen nun einmal gestrickt und vielleicht steckt genau in diesem Widerspruch die Erklärung dafür, was uns Ultras am Ultralaufen fasziniert. Was uns solche Torturen immer wieder auf uns nehmen lässt.

Natürlich hat mein „Wohlgefühl“ auch mit der Tatsache zu tun, dass ich viel mehr Strecke im Hellen werde „machen“ können, als ich mir ausmalte. Ich werde Campiglia d’Orcia noch im letzten Tageslicht erreichen und wohl auch unterhalb des Dorfes noch eine Zeit lang keine Lampe brauchen. Auf eine alte Burgruine zu, deren westliche Fassade von der sinkenden Sonne wie mit einem Scheinwerfer angeleuchtet wird. Zauberhaft. Dran vorbei und nun endlich entschlossen abwärts. Gut gelaunt steppe ich hinab und … stolpere über einen Stein. Es fehlte nicht viel, dann hätte ich ein paar Meter Wegstrecke im Tiefflug überwunden. Ich gehe hart mit mir ins Gericht. Schimpfe mit mir, ermahne mich konzentrierter zu Werke zu gehen. Klatsche mir gedanklich (oder sprach ich’s aus?) ein „Pass verdammt nochmal auf Kerl! Du willst doch heil ankommen!“ ins Gesicht. Das und nur zögerlich abebbendes Adrenalin in der Blutbahn halten mich hellwach. Dringend nötig, weil der Pfad sich immer verwegener abwärts windet, immer harschere Tritte erzwingt und das auf häufig unsicherem, gerölligem Geläuf. Eine gute Entscheidung die Trailschuhe anzubehalten! Die Sohle verschafft mir festen Halt. Nicht einmal rutsche ich weg. Runter, immer weiter runter. Oberschenkel dick und hart wie Säulen schreien Zeter und Mordio. Und die überbeanspruchten Füße verstärken den Chor. Wie lange noch? Die Zeit scheint sich ins Endlose zu dehnen. Klebe ich seit zehn Minuten in diesem Steilhang oder seit einer Stunde? Vorsichtig abwärts, dann und wann mit tastenden Schritten, auch mal hohe Tritte überwinden …

Schließlich erspähe ich den merkwürdigen Glockenturm, der über Campiglia d’Orcia auf einem Felsen errichtet wurde, durch die letzten Bäume. ‚Gleich hast du’s geschafft, Udo!’ ermahne ich mich ein letztes Mal in meiner Aufmerksamkeit nicht nachzulassen. Noch 50 Schritte/Tritte, noch 20, 10, dann betreten die Sohlen Asphalt und alle Gefahr bleibt hinter und über mir zurück … Ein Streckenposten schickt mich dorfwärts. Eigentlich überflüssig, denn wie bereits geschildert, ist Verlaufen auf der üppigst markierten Strecke ausgeschlossen. Auch im Dunkeln übrigens, weil reflektierende „Katzenaugen“ auf Schildern und an den Enden der Flatterbänder angebracht wurden.

Ortseingang Campiglia d’Orcia: Laufzeit 14:25 Stunden, Kilometer 90.

Mein „I10“ kommt in Sicht!!! Ich möchte jubeln, habe aber nicht mehr die Kraft dafür. Verstünde wohl auch niemand. Ines umhüllt mich mit ihrem Lächeln und ich sprudele über vor Eindrücken und Wünschen. Vielleicht klingt auch eher müde, was ich sage und ich empfinde mich nur so … so lebendig!? Wasser und Gel übernehme ich, dazu die leistungsfähige Stirnlampe. Die kleine, ältere, die ich den ganzen Tag an Bord hatte (Pflichtausrüstung!) gebe ich ab. Ines flitzt zum Auto, um mir eine Laufjacke zu holen. Ich hab zwar eine dünne im Rucksack (Pflichtausrüstung!), will aber sicher gehen etwas Wärmeres auf den letzten, im Dunkeln zu laufenden Kilometern dabei zu haben. Ich binde mir die Jacke um die Hüften. Diesmal verabschiede ich mich von meiner Frau tief bewegt. Den ganzen Tag war sie mir materieller Rückhalt und eine zweite Sonne an meinem Läuferhimmel. Das versteht so nur, wer es erlebt hat! Tief bewegt, weil das nächste Wiedersehen unseren Teamerfolg besiegeln wird. Im Ziel, in Castiglione d’Orcia.

Ich darf den Felsen oberhalb des Ortes umrunden. Erst reagiere ich etwas unwirsch, weil mir der Panoramaweg weitere Höhenmeter im Anstieg zumutet. Doch dann stehe ich und schaue. Und danke. Meine erste Sonne ließ ich vor Minuten zurück, die zweite senkt sich gerade blutrot auf den Horizont. Danke Sonne! Danke für die Wärme des Tages und dein Licht, das mich den Zauber dieser mediterranen Landschaft erleben ließ wie nie zuvor!

Steil und im Zickzack durch die menschenleeren Gassen des kleinen Ortes hinab, einen dämmrigen, tunnelartigen Durchlass zwischen verschachtelten Häusern passierend, dann über die Piazza, vorbei an Bar und Tante-Emma-Laden, schließlich hin zum offiziellen Büffet, dem letzten vor dem Ziel. Die unter einer Matte verborgene Messschleife der Zeitmessung registriert mich (hoffentlich), dann betrete ich das hier gleichfalls „indoor“ eingerichtete „Ristoro“. Ein Becher Cola und einen Happen von „irgendwas“ verleibe ich mir ein. Hab weder Durst noch Hunger, an Energie fehlt es mir just zu diesem Zeitpunkt auch nicht. Nur will ich niemanden vor den Kopf stoßen. Setze mich sogar - völlig untypisch für mich - eine Minute auf einen der bereitstehenden Stühle. Respekt für eine nicht alltägliche Leistung entnehme ich Blicken, mit denen mich drei Augenpaare still mustern. Dann wende ich mich zum Gehen und bedanke mich herzlich bei der Besatzung des VP, vielleicht auch stellvertretend für alle helfenden Hände, die meinen Weg heute begleiteten: „Grazie per tutto!“ - Richtige Formel? Weiß nicht, meinte genau das mehrmals aus italienischen Mündern aufgeschnappt zu haben. Sie verstehen’s jedenfalls und wünschen mir alles Gute für die letzten Kilometer …

Lampe? Eindeutig zu früh. Eine Weile werden meine Augen schwindendes Tageslicht noch kompensieren können. Ein paar Meter Asphalt, dann über einen Feldweg abwärts. Selbst nach über 200 Läufen von mindestens Marathondistanz habe ich mir einen Rest Blauäugigkeit in mancher Hinsicht bewahrt. Sie offenbart sich gerade jetzt in der Vorstellung eine im Höhenprofil stetig abfallende Kurve müsse auch im tatsächlichen Gelände stetem Gefälle entsprechen. Die Kräfte der Natur machen mir nicht zum ersten Mal einen Strich durch diese Rechnung. Einmal, zweimal, dreimal - daran erinnere ich mich definitv, vielleicht auch häufiger - steigt der zunächst abschüssige Weg dann doch noch einmal an. Steigung, die mich zwingt zu Gehen. Und gehen wollte ich eigentlich nur noch auf den beiden Schlusskilometern. Also nörgele ich ein bisschen vor mich hin. Einfach so. Quasi fürs Protokoll. Wirklichen Missmut drücke ich damit nicht aus. Meckern tut gut, ich bin allein auf weiter Flur, also warum nicht.

In Wahrheit bin ich grenzenlos guter Laune. Und auf den verbleibenden etwa acht Kilometern wird rein gar nichts daran etwas ändern können. Ein Traum von einem Lauftag liegt hinter mir, vielleicht anderthalb, wenn’s ganz dumm kommt höchstens zwei Dunkelstunden habe ich noch vor mir. Selbst „bitterböse“ Pfade, mit denen ich immer noch rechne, werde ich mit einem Achselzucken wegstecken. Doch einstweilen überbietet sich „Tuscany Crossing“ im Komfort aneinander gereihter Pisten. Nun wirklich stetig und tempofördernd moderat hinab. Meist zwischen Feldern, mal an einem Waldrand, also mit ausreichend Restlicht für sicheres Sehen. Ringsum, in Hängen und auf Höhenzügen, heben sich inzwischen die Lampen einsamer Höfe, jene in Dörfern und die Scheinwerfer fahrender Autos von der dämmrigen Umgebung ab. Lampe? Nein, noch immer genug Licht, um Unebenheiten in der Piste rechtzeitig auszumachen.

Zwischen Campiglia und Castiglione d’Orcia: Laufzeit 15:05 Stunden, Kilometer 94

Und dann ist es doch so weit. Kilometer 94. Nicht im Traum hätte ich erwartet mehr als neun Zehntel des Weges ohne Stirnlampe zu schaffen. Jetzt muss ich steil abwärts ein Waldstück durchqueren und das auf einem von schweren Maschinen bei nasser Witterung völlig ruinierten, buckligen, schrundigen Weg. Ich setze den Rucksack ab und meine Lampe auf. Unterdessen ist ein Verfolger eingetroffen, der meinem Beispiel folgt. Ich verstehe nicht, was er auf Italienisch sagt, gebe dennoch ein zustimmendes Brummen von mir. Was kann er schon gesagt haben? Vermutlich hat er der Tatsache Ausdruck verliehen, dass seinen Hals riskiert, wer hier ohne Kopflicht weiterläuft.

Ein paar hundert Meter Dunkelheit unter Bäumen, dann wieder Restlicht vom Horizont. Nun ist die Lampe an und bleibt es auch. Vier Stunden Licht stecken im Akku, wozu also sparen? Ich passiere einen Bauernhof und dessen von Zypressen gesäumte Auffahrt. Ein wunderbares Bild vorm verbliebenden Abendrot am Horizont. Ich setze alles daran, wenigstens ein hinlänglich scharfes Abbild der Pracht mit der Digicam einzufangen. Gute Piste mündet in noch bessere Piste, ein aufleuchtendes Katzenauge in Pfeilform schickt mich nach links. Ich beginne zu hoffen, der Streckenplaner möge auf Wegkapriolen weitgehend verzichtet haben. Zum Beispiel zur Verminderung des Sturzrisikos. Meine Füße fühlen sich zwischenzeitlich wieder ganz passabel an und das darf so bleiben. Warum sie nun (fast) keine Schmerzbotschaften mehr aussenden, weiß ich nicht. Vielleicht unterdrücken Glückshormone den Schmerz. Andererseits kenne ich die Unberechenbarkeit meiner „orthopädischen Mitarbeiter“ zur Genüge. Sie mosern gerne, wenn es eigentlich keinen (Belastungs-) Grund gibt und schweigen nicht selten, wenn ich ihnen Wehgeschrei infolge stundenlanger Pein nicht übel nähme. Wirklich verblüfft bin ich von etwas anderem: Ich fühle mich in gewisser Weise erholt, vermag sogar auf dem kaum mehr abfallenden Terrain ordentlich Tempo zu machen.

Sogar als die Piste wieder ansteigt, trabe ich weiter. Unklar woher mir die Kraft dafür zufließt. Laufen ist Kopfsache. Doch wenn du physisch nichts mehr zu geben hast, dann hilft auch eiserner Wille nicht mehr weiter. Also ist da noch Saft im Akku. Noch oder wieder? Völlig egal, ich genieße es zügig voran zu kommen. Wie supergut ich drauf bin, beweise ich mir mit dem folgenden Fotointermezzo: Unterdessen herrscht absolute Dunkelheit, gegen die Sternenlicht und die leider sehr schmale Sichel des Mondes nichts ausrichten können. Stückweit voraus bewegt sich schemenhaft eine Lichtblase, der ich mich immer weiter nähere. Sichtbar schwere Beine erlauben dem Mitläufer sich auf eine Art vorwärts zu bewegen, die gerade noch so als Laufen durchgeht. Bislang konnte ich niemanden im Dunkeln fotografieren und mühe mich deshalb von dem Mann ein Foto zu ergattern. Mit einem Zwischensprint bringe ich mich ausreichend weit in Front und bleibe stehen. Als ich ihn anvisiere und blitze lacht er mit erhobenen Daumen in die Kamera. Nimmt sie mir anschließend aus den Händen, damit ich von mir selbst eine Erinnerung mitnehmen kann. Aus Jux vertrödelte, wunderschöne Momente im Gefühl des baldigen, sicheren Sieges …

Vor den hat Mutter Natur allerdings den Höhenunterschied zwischen Berg - wo ich hin muss - und Tal - in dem ich mich gerade bewege - gesetzt. Wenn ich’s recht bedenke sind die final zu überwindenden knapp 200 Höhenmeter wohl eher menschlichem Schutzbedürfnis anzukreiden, das sie ihre Behausungen hoch droben, geschützt vor feindlichem Zugriff errichten ließ. Den ersten sanft ansteigenden Abschnitt bewältige ich joggend. Doch dann verzweigt die Route in einen steilen, die direkte Falllinie des Hanges suchenden Weg. Und weil sich das noch nicht bösartig genug anfühlt, besteht das Geläuf aus faustgroßen, widerlich kantigen, durchaus nicht immer fest verankerten Steinen. Ein Anschlag auf die Fußgesundheit! Doch auch das überstehe ich. Und nicht nur ich, auch meine glänzende Stimmung. Die erreicht einsame Höhen, als ich erste Fetzen von Lautsprecherdurchsagen höre. Nicht mehr weit! Ich fische das Handy heraus und informiere Ines, dass mich (gemäß bisher verlässlicher GPS-Anzeige) nur noch etwa ein guter Kilometer aufwärts, also etwa eine Viertelstunde vom Ziel trennt.

Im Dunkeln hinan, ein paarmal noch die Geh- oder Laufrichtung ändernd, schließlich stehe ich auf der Zufahrtsstraße höchstens eine Minute vom Zielbogen entfernt. Ich schaue im Licht der Lampe an mir herab. So viel Zeit muss sein, der Tedesco soll vor italienischen Augen kein allzu zerzaustes Bild abgeben. Und dann genieße ich die letzten Meter des „Tuscany Crossing“, lasse mich nach 16:19:22 Stunden unterm Zielbogen willkommen heißen und mir die aus Ton modellierte Finisher-Medaille um den Hals hängen.

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„Jetzt ist es ein Traum, später wird es wohl ein Albtraum werden!“ - Früh am Morgen in Pienza sagte ich diesen Satz zu Ines und glaubte fest daran, dass es so kommen werde. Als Traum erlebte ich den Lauf über viele, sehr, sehr viele Kilometer. Dass er dann doch nicht zum Albtraum wurde, ich im Gegenteil gegen Ende wie Phoenix aus zwischenzeitlicher Asche zum Ziel empor strebte, lässt mich hoffen, dass noch mehr drin ist. Dass eben jene 180 Kilo- und 3.500 Höhenmeter des „Olympian Race“ im Bereich des Möglichen liegen. Lässt mich hoffen in vier Wochen einen weiteren Traum zu erleben, der sich gegen Ende nicht als Albtraum gegen mich wenden wird …

 

Fazit zur Veranstaltung

Wer sich bis hierhin durch meine Erzählung gelesen hat, wird von meiner Begeisterung für diesen Lauf randvoll sein. Selbstverständlich basiert sie auf der unvergleichlichen Schönheit des Val d’Orcia. Bilderbuch-Toskana, die ich bei strahlendem Sonnenschein in Frühlingsfarben erleben durfte. Bei schlechterem aber trockenem Wetter, wird noch einiges von dem Zauber der Gegend auf den Läufer überspringen. Ehrlicherweise sollte ich ergänzen, dass bei regnerischem Wetter davon nichts mehr übrig bleiben wird. Dann wird Dreck die erste Geige spielen. Spritzender Dreck auf den Pisten und knöcheltiefer Matsch auf vielen Abschnitten, die ich zwar gelenkmordend zerschrunden, dafür wenigstens trocken und fest vorfand. Und doch: Bei einigermaßen erträglichem Wetter werden Landschaftsliebhaber unter den Läufern (und wer sonst tut sich 100 Kilometer abseits der Straßen an?) auf ihre Kosten kommen.

Wer überwiegend genießen und weniger kämpfen möchte, sollte sich auf die 53 km-Kurzstrecke des „Tuscany Crossing“ beschränken. Immerhin auch ein Ultra, einer mit Höhenmetern und alles andere als einfach. Die bezauberndsten, toskanischen Ansichten bekommt man bereits auf diesem Stück zu Gesicht oder vor die Linse der Kamera.

Die Organisation kann ich nur in den höchsten Tönen loben. Vor allem die wirklich vorbildlich, alle paar Meter markierte Strecke. Die Verpflegungspunkte bieten alles, was das Läuferherz begehrt. Alle anderen, den Ablauf betreffenden Belange wurden bestens im Sinne der Läufer geregelt. Am Vorabend bekommst du ein mehrgängiges Abendessen vorgesetzt, nach dem Lauf noch einmal eine ähnliche Mahlzeit als Zielverpflegung. Es fehlt an nichts!

Fazit: Sicher nicht noch einmal die volle Distanz, immerhin werde ich älter … Doch die ersten 53 Kilometer, von Castiglione d’Orcia bis ins wunderschöne, alte Montalcino würde ich liebend gerne noch einmal genießen!

 

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