Sonntag, 23. April 2017

Der Ochsentour zweiter Teil:

Unfassbar!  -  Werdauer Waldlauf 2017

Erste Schritte nach dem Aufstehen im Hotelzimmer, weitere in den Frühstücksraum, später zum Auto, schließlich vom Parkplatz zum Startbereich … Ich vollführe sie allesamt beschwingt. Und das, obwohl mir die gestrigen 48 beinharten Kilometer noch in den Knochen stecken. Aber so was von! Als hätte Mutter Erde ihre Schwerkraft über Nacht verdoppelt. Um es anschaulich zu schildern: 99 von 100 Läufern, die spüren, was ich heute Morgen spüre, kämen kaum auf die verwegene Idee ein Lauftraining zu inszenieren - von einem Marathon gar nicht zu reden. Massive Nachwehen also vom ersten Teil der „Ochsentour“. Wieso dann „beschwingte“ Schritte? - Nachwehen hier und da und dort, nur eben nicht an den heiklen Stellen! Kein Pieps von der Achillessehne und Totenstille im Oberschenkel hinten links. Fantastisch! Wunderbar! Wie herrlich doch das Leben sein kann!

Schon in Bestform und ausgeruht ist ein Marathon kein Zuckerschlecken. Mit unvollständiger Erholung werden mir die 42 km im Wald hinter Werdau (Nähe Zwickau, Sachsen) vermutlich übel mitspielen. Und selbstverständlich erwarte ich von Sehne und Oberschenkel, dass sie irgendwann massiven Protest anstimmen werden. Insgesamt eine ziemliche Hypothek, doch mein Kopf nimmt’s mit Frohsinn, denn: Wider alle Logik darf ich den Lauf beschwerdefrei beginnen! Sicher sieht man mir Hochstimmung und Optimismus an, als ich mich zusammen mit Sybille und Kraxi im Startbereich ablichten lasse …

Gemeinsam reisten Sybille und ich die etwa 100 km von der Saale in Thüringen ins westliche Sachsen weiter. Auch Sybille startet mit Restermüdung. Außerdem fügte ihr die Bleilochrunde eine leicht schmerzende Schwellung am Fuß zu. Beide Umstände werden sie bremsen, ihren Erfolg zu verhindern vermögen sie nicht. Mit der Erwähnung von Sybille, meiner Vereinskameradin, hat die hochverehrte Leserin, der hochverehrte Leser, meines Berichts vom gestrigen Bleilochlauf sicher gerechnet …

… aber wo kommt Kraxi so plötzlich her? - Nötiger Exkurs: Kraxi ist nicht irgendwer. Kraxi war einer der besten Ultraläufer Österreichs. War, weil ihn seit letztem Jahr gesundheitliche Keulenschläge mehrfach zum Nichtläufer degradierten. Zweimal stürzte er und verletzte sich relativ schwer. Wochenlanges Däumchendrehen, bis das lädierte Knie wieder mitspielte. Dann Erkältung, Nasen-Nebenhöhlen-Entzündung, schließlich eine schmerzhafte Harnwegsinfektion. Als alles ausgestanden schien, nisteten sich die Bazillen an höchst delikater Stelle ein, verdonnerten ihn zu wochenlanger Bettlägerigkeit und Schonung. Vor etwa drei Wochen begann er wieder mit Lauftraining. Gestern absolvierte Kraxi einen Halbmarathon im Bayerischen Wald (Thurmansbang) in 1:42:03 h und heute wagt er sich bereits wieder an einen Marathon. Du findest das verrückt? - Kopfschütteln löst „Crazy Kraxi“ nur bei Uneingeweihten aus, die sein phänomenales Ausdauertalent nicht kennen!

Pünktlich um 9 Uhr machen sich etwa 130 „halbe“ und 40 „ganze“ Marathonis auf den Weg. Mit dem Startschuss bergan. Keine Steigung, die den Puls hochschnellen ließe, für meine müden Beine aber durchaus ein „Berg“. Entsprechend zurückhaltend gehe ich die Sache an. Sybille orientiert sich in Richtung vordere Hälfte des Feldes, ist nach Sekunden aus meinem Gesichtskreis verschwunden. Hätte es noch eines Hinweises bedurft, dass Kraxi dem „Marathonexperiment“ nach minimalem Training mit etwas Bangen entgegensieht, jetzt liegt er vor: Kraxi bleibt an meiner Seite! Als er die Absicht äußerte, hielt ich das für einen Scherz, konterte mit „So langsam kannst du gar nicht laufen!“ Kurzer Links-Rechts-Schlenker, um von der Startstraße in eine Ausfallstraße einzubiegen und weiter hinan …

Fünf, sechs Schritte, dann flutscht eines der Gelbeutelchen, die ich unterm Saum der Kompressionsstulpen deponierte, heraus und schliddert über den Asphalt. Gehetzter Blick aus dem Augenwinkel: Niemand hinter mir. Also stehenbleiben, aufheben, wieder unterm Stulpenrand festklemmen, diesmal sorgfältiger. Beim Spartathlon praktizierte ich die Methode zigfach auf mehr als 240 km und keinmal drohte Gel-Verlust. Wieso dann hier und heute? - Das Manöver kostet zwar nur Sekunden, bringt Kraxi aber einen Steinwurf weit in Front. Uneinholbar weit. Die Lücke mit einem Zwischenspurt zu schließen wage ich nicht. Nicht heute und schon gar nicht in leichter Steigung. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich ihn ohnehin demnächst hätte ziehen lassen müssen …

So viel zunächst vom äußeren Geschehen. „Innen“ und währenddessen arbeitet der „Bio-Scanner“ ohne Unterlass, checkt meine neuralgischen Stellen. Was er meldet muss ich träumen: Keine Beschwerden. Gar keine. Schwere Beine, muskuläre Verspannungen, wie sie nach langen Läufen, zumal auf holprigem Untergrund, völlig normal sind. Mehr nicht. Okay abwarten, wie weit der Frieden hält! Für Jubelstürme ist es vier Stunden zu früh.

Das Ortsendeschild von „Werdau“ und der erste Anstieg liegen hinter mir. Kraxi hat inzwischen etwa hundert Meter Vorsprung, unser Abstand vergrößert sich stetig. Auf dem jetzt leicht abschüssigen Asphalt einer hübschen Allee versuche ich meinen Laufrhythmus zu finden, ohne dabei mehr Leistung in die Schritte zu investieren. Die Energiereserven sind heute limitiert. Mein Organismus konnte die gestern verbrannten Kalorien über Nacht nicht ersetzen. Außerdem habe ich lediglich zwei Gels eingesteckt, um die Kohlenhydrate gegen Ende des Wettkampfs zusätzlich zu verknappen. Davon verspreche ich mir eine bessere Trainingswirkung. Linker Hand schweift der Blick zwischen Alleebäumen über eine Wiese. Dahinter erstreckt sich ein nicht allzu hügeliges, offenbar ausgedehntes Waldgebiet. Deshalb die Namensgebung „Werdauer Waldlauf“?

Im Wetterroulette des jungen Tages hüpft die Kugel über die Zahlenfächer. Wohin wird sie fallen? Pair oder Impair? Rouge oder Noir? Trockenheit oder Regen? Unmöglich vorhersagbar. Die Wetter-App drohte zwar nicht mit Regensymbolen, doch was heißt das schon in diesen witterungswirren Tagen? Der April macht, was er will. Unsere Altvorderen wussten das bereits ohne meteorologische High-Tech-Prognosen. Gegenwärtig stimmt mich das Wolkengeschehen über unseren Köpfen optimistisch, andererseits steht die Quecksilbersäule noch deutlich unter 10°C. Entsprechend mein Rüstzustand: Langarmshirt, Mütze, Handschuhe. Die krass „entstellende“ Kappe mit Krempe blieb in der Tasche. Va banque! Ich setze beim Wetterroulette auf Trockenheit!

Schon geraume Zeit trabe ich in der Nähe eines Trios. Dame mit zwei Herren. Erst vor mir, dann schiebe ich mich absichtslos und sehr langsam vorbei. Vermutlich hat sich mein Tempo minimal erhöht. Meine Schritte fühlen sich nach dem Einlaufen längst nicht mehr so müde und „behindert“ an. Hinter meinem Rücken entspinnt sich ein munterer Dialog. Worüber? - Nicht wichtig und ich höre auch nicht wirklich hin. In der Folgezeit holen die drei wieder auf. Plötzlich läuft die Frau neben mir und richtet das Wort an mich: „Bist du Udo?“ - Nicht ungewöhnlich von Unbekannten angesprochen zu werden. Mittlerweile kann ich fast nirgendwo mehr in Deutschland unentdeckt meinen „Marathon- und Ultrageschäften“ nachgehen. Es entspinnt sich der übliche Dialog zum läuferischen Wohl und Wehe, der allerdings unüblich endet. Als ich die aktuellen orthopädischen Fragezeichen erwähne, meint sie keck: „Ich lese die meisten deiner Laufberichte. Du jammerst doch immer!“ - Die Bemerkung lässt mich irritiert verstummen …

… Jammere ich tatsächlich so oft? - Ich krame in meiner Erinnerung nach entsprechenden Sätzen in Laufberichten, komme damit aber nicht weiter. Was bedeutet überhaupt „Jammern“? - Weinerliches Wehklagen über Umstände, unter denen man leidet oder die einem widerfahren - nicht in diesem Wortlaut, aber so ähnlich definiere ich mir den Begriff … Dass ich seit Monaten unter einer Serie von Rückschlägen leide, körperlich und mental, steht fest. Vor allem orthopädisches Ungemach, zuletzt (und fortdauernd?) die erwähnten Teufel im linken Bein. Tatsache auch, dass ich in jedem Laufbericht des Jahres dieses Handicap erwähnte. Und wie sollte ich das auch unterlassen, da doch die Tagesverfassung das Erleben bestimmt? Alles hängt im Laufsport von einem ausreichend stabilen Körper ab, vor allem die Realisierung anspruchsvoller persönlicher Ziele. Konkret: Ich vollführe den diffizilen Spagat einerseits das Ausheilen der Blessuren voranzutreiben, zugleich meine Ausdauer zu verbessern.

Es stimmt: Ich schrieb immer wieder darüber, wie sich mein „Fleisch“ während des Wettkampfs „anspürt“. Mal besser, mal schlechter, heute erstaunlicherweise gut. Darf man mir die bloße Erwähnung des Bangens oder der Beschwerden selbst als Jammern auslegen? - Vielleicht enthalten meine Berichte diesen oder jenen wehklagenden Halbsatz, aber wohl nicht oft. Jammern könnte ich mir im Übrigen gar nicht leisten. Jammern blockiert, demotiviert, stimuliert Selbstmitleid. Und leid tue ich mir nicht im Mindesten! Was und wie es ist, habe ich im Wesentlichen meinem Ehrgeiz zu verdanken. Die aktuellen Probleme verstehe ich als Preis, den ich für grandiose Lauferlebnisse - insbesondere beim „Spartathlon“ im letzten Jahr - zahlen muss …

Noch immer auf Asphalt und stetig sanft abwärts, was ich zwar sehe, sicher auch spüre, mein Kopf jedoch nicht registriert. Da läuft ein Mensch und freut sich über seine Beine, die wider alle Logik beschwerdefrei kooperieren! - Ansiedlung, rechts abbiegen. Über eine von Bauarbeiten knorrig hinterlassene Piste trabe ich waldwärts und finde mich nach gottlob kurzer Distanz auf einem prächtigen Waldweg wieder. „Prächtig“ soll heißen: So fest und glatt, wie ich das in Sächsischen Wäldern, von denen ich einige joggend erkunden durfte, selten bis nie erlebte.

Das Läuferfeld, falls es noch eins geben sollte, ist längst enteilt. Trotz langer Geraden mache ich nur ein paar versprengte Läufer vor mir aus. Nach und nach erläutert die Strecke, wieso die Veranstaltung auf den Namen „Werdauer Waldlauf“ getauft wurde. Dichtes Fichtengehölz aller Altersstufen begleitet meinen Weg. Waldmenschen - zu denen ich mich zähle - kommen hier definitiv auf ihre Kosten. Wer beim Laufen Abwechslung braucht, womöglich Zuschauer, gerne im dichten Läuferfeld mitschwimmt, sollte sich allerdings woanders anmelden. Hin und wieder ein Wegweiser, mal ein Kahlschlag oder eine Schonung, die mehr vom Himmel sehen lassen und schließlich, nach etwa fünf Kilometern und mehrmaligem Abbiegen die 10 km-Wende - damit sind alle bisherigen Augenreize aufgelistet.

Der Marathonkurs besteht aus einer Wendestrecke von etwa 10 km Länge, die nach dem Start belaufen wird. Dann schließt sich ein Rundkurs an - in Wahrheit nicht rund, sondern recht verwinkelt -, der zweimal zu absolvieren ist. Schlussendlich geht es über die zubringende Wendestrecke zurück ins Ziel, das sich in Startnähe, im Stadion der Sportschule Werdau befindet …

Sechs Kilometer und noch immer verwöhnen mich die Werdauer Waldwege. Keine Schlaglöcher, keine Steine, kein Äste. Ganz und gar festes, glattes Geläuf! So sehr meine Füße solchen Untergrund lieben und heute brauchen, so wenig hätte ich darauf zu hoffen gewagt. Und dann kommt der Moment der großen Augen: Scharf links, in spitzerem Winkel auf eine Forststraße abbiegen und … neuerlich Asphalt! Minute um Minute schadfreier Straßenbelag, immer weiter Asphalt. Wenn sich meine Achillessehnen nahe genug kommen, dann meine ich ihr leises Abklatschen zu hören: „Give me five!“ - Unfassbar die Wegbeschaffenheit heute, nach knochenbrechenden Pfaden gestern!

Des Laufchronisten Pflicht verlangt leichte Anstiege und gleichermaßen moderate Gefälleabschnitte zu erwähnen. Auch nicht zu verschweigen, dass sich Fichtenmonokultur unterdessen zum Mischwald gemausert hat. Wohl keine von der Natur inszenierte Waldordnung, sonst gediehen Nadel- und Laubbäume nicht in abgegrenzten Arealen. Plötzlich ist sie da, die Idee, hüpft übermütig durchs Oberstübchen: Wie wär’s mit einem Selfie? - Why not? - und „knips!“ schon isses im Kasten.

Kilometer 7: Asphalt!! Kilometer 8: Asphalt!! Kilometer 9: Asphalt!!! Kilometer 10: Asphalt!!!! Bedenke die Konsequenzen, lieber Leser: Da ich mich auf der Wendestrecke befinde, garantiert der Werdauer Waldlauf schon mal sicher einen Halbmarathon weit vorzügliches Geläuf. Balsam für die Füße. Nicht genug der Wonne: Immer wieder leuchten blaue Flecken durch die Kronen der Bäume. Dann und wann verirren sich sogar ein paar Sonnenstrahlen auf mein Gesicht.

Kurz hinter der 10 km-Marke, auf einer Kreuzung, kurzer Stopp an einem Verpflegungsstand, dann beginnt der zweifach zu bewältigende Rundkurs. Die Halbmarathonis biegen links ab, fürs Häuflein der Marathonis geht’s geradeaus weiter; wieder auf festem Waldweg, vorzüglich zu belaufen, was mich nun nicht mehr überrascht. Zwei Läufer vor mir, weit voraus. Der Rest dieses Wettkampfs wird in ziemlicher Einsamkeit verlaufen. Streckenposten lächelt, schickt mich nach links. Feste Fahrspuren, Wegmitte leicht erhöht und mit Gras bewachsen, eine Schlaglochpfütze, irgendwann noch eine. Damit wären die Unebenheiten dieses Abschnitts schon erschöpfend aufgezählt. Dann wieder ein Streckenposten und der schickt mich nach rechts auf ein unlängst nigelnagelneu asphaltiertes Forststräßchen. Ist das zu fassen? Super-hyper-glatter Asphalt, 1.000 Meter weit schweben. Sogar die Sonne berauscht sich an diesem Sträßchen, bringt frühlingsfrisches Grün für ein paar Minuten zum Leuchten.

Streckendoppelposten und eine Bemerkung, die ich nicht verstehe. „Um die Markierung und dann links!“ Auf Nachfrage wiederholt und jetzt isses klar. Also trabe ich noch etwa 15 Meter geradeaus, kurve um einen Pylonen, trabe zurück und vollende damit die winzigste Wendestrecke meines Läuferlebens. In Gedanken versunken weiter auf fein geschottertem Waldweg. Langweilt dich meine Wegbeschreibung? - Die Gefahr muss ich eingehen, um dir zu verdeutlichen, welches Übermaß an Freude ich angesichts der unfassbar guten Forstwege empfinde!

Für etwa drei Kilometer halte ich Kurs im Forst, trabe zunächst leicht aufwärts, nehme dann auf längerem Gefälle Fahrt auf. Wenn ich dir schon gehäufte Wegbeschreibungen nicht erspare, dann wenigstens solche des vorbeiziehenden Waldes. Bin ja kein Unmensch … Halblinks abbiegen, an einer Tränke einen Becher Flüssigkeit einfüllen, Danksagung und weiter. Kurz forscher hinab und länger bergauf, erstmals präsentiert sich der Kurs mit markanterem Profil. „Oben angekommen“ werde ich dreifach abgesichert auf den links abzweigenden Weg verwiesen. Dreifach heißt: Erstens ein Pfeil mit einem „M“ auf dem Boden, zweitens eine Tafel am Wegrand mit abknickendem Pfeil und der „42“, drittens ein Streckenposten neben seinem Auto, der sich damit begnügt stumm und starr (vor Kälte?) mein korrektes Abbiegen zu beäugen.

Was für ein miserabler Weg! - Nur ein Scherz, ge- und erdacht zu meiner persönlichen Belustigung. Loser, kleinkörniger Splitt auf festem Untergrund. Wenn’s weiter nichts ist! Da bin ich von heimischen Trainingspfaden Gröberes gewohnt. Außer Bäumen begegnet mir alsbald das Highlight der Rundstrecke, ein von Mischwald umringter Weiher. Ziemlich genau nach 20 Kilometern übrigens. Das Ende seines Ufers markiert zugleich die Stelle, an der mich die heftigste Steigung der ganzen Strecke fordert. Gottlob nur für etwa fünfzig Meter, weil der Buckel die Atemfrequenz sprunghaft erhöht und an meinen Beinen plötzlich Gewichte zerren …

Rechts abbiegen. Da hat jemand lange getüftelt, bevor er den Weg mit naturgemäß kurzlebigen Pfeilen kennzeichnete. Zunächst fegte er losen Schotter beiseite, um die Farbe sodann auf festeren Untergrund zu sprühen. Vorbildlich! An dieser Stelle möchte ich dem Streckenmarkierer ein gewaltiges Lob aussprechen. Selten ist mir eine so eindeutig - manchmal über-eindeutig - markierte Strecke begegnet.

Noch ein paar hundert Meter mäßige Steigung, dann beende ich Runde eins vorm Verpflegungsstand. Mein flugs hervor gekramtes Gelbeutelchen erregt das Missfallen einer Helferin: „Lass die Chemie stecken! Wir haben hier lauter leckere Sachen!“ - Ich lehne dankend ab, weil Chemie ermöglicht - und nur Chemie - ein Maximum rasch absorbierbarer Kohlenhydrate in ein Minimum an Volumen zu packen. Wenig Volumen und damit kaum Magenbelastung (wenn man das Zeug verträgt). Der Aufforderung meine Kamera zur Ablichtung in Siegerpose abzutreten komme ich hingegen gutgelaunt nach. Bis zum Sieg fehlt zwar noch ein Halbmarathon, auf dem meinem „Fahrgestell“ einiges zustoßen kann, ich ahne jedoch schon jetzt, dass nichts davon eintreten wird …

Runde zwei: Selbe Strecke und so gut wie keine Änderungen der äußeren Wahrnehmung. Das auf Runde eins bereits erspähte Schild mit der „30“, in Höhe des kleinen Teiches, entlockt mir allerdings fröhliche Gedanken: Nur noch 12 Kilometer, nicht mehr weit. Weiterhin plagen mich keine Probleme. Müder als beim ersten Umlauf fühle ich mich, verschwende daran jedoch keine sorgenvollen Gedanken. Noch ein Gel an besagter Tränke, ein Becher Wasser, dann trete ich den Rückweg nach Werdau an.

Das Wetter hat gehalten. Ein ultrakurzer Graupelschauer, mit dem das Ende meiner Wetterhoffnungen gekommen schien, zudem ein paar eisige Windböen, damit ließ Petrus es bewenden. Wiederholt, wenn auch jeweils nur für Minuten, setzte sich die Sonne durch, weckte Erinnerungen, wie Frühling sich auch anfühlen kann. Ich genieße die asphaltierte Forststraße und ungewohnte Beschwerdefreiheit. Ein bisschen „Weh“ entsenden alle Fasern südlich der Gürtellinie, was ich in der Schlussphase des zweiten Marathons binnen 24 Stunden jedoch für völlig normal erachte.

Überholen durfte ich bisher nur ausnahmsweise, auch wenn mein Tempo auf Hälfte zwei des Wettkampfs flotter war (Erster HM: 2:15, Zweiter HM: 2:09). Auf der schnurgeraden Forststraße erblicke ich nun aber doch einige Mitläufer, denen die Kräfte auszugehen drohen. Zwei Läufern aus Gera hat der Hammermann bereits eins übergezogen: Rasch nähere ich mich den Gehern, beobachte ihren verzweifelten, nach wenigen Metern bereits endenden Versuch in leichten Trab zu fallen. Noch acht Kilometer. Das nicht mehr weit entfernte Ziel verleiht mir gegenwärtig Flügel - subjektiv natürlich nur, gemessen am Schneckentempo der ersten Kilometer. Immerhin bin ich sicher die Pace von 6 min/km und knapp darunter bis zum Zielstrich halten zu können. Zwei weitere Mitläufer - sie und er - fallen hinter mir zurück.

In gefühlt rascher Folge arbeite ich die verbleibenden Kilometer und Stationen des Herweges ab, eiere schließlich über die einzigen zweihundert miesen Meter des Marathons, in der von Baumaschinen ramponierten Wohnstraße. Will mir absolut nicht vorstellen, wie meine Füße jetzt jaulten, hätte sie solches oder ähnlich schlechtes Geläuf auf den zurückliegenden 39 Kilometern gemartert. Stattdessen: Alles gut!

Genauer: Fast alles, denn nun wende ich mich nach links und sehe einen „Berg“ vor Augen, von dessen Existenz ich „downhill“ keine Notiz nahm. Typischer Fall von „Fell zerteilen, bevor der Bär erlegt ist!“ Hatte ich doch vorzeiten errechnet und frohlockt mit akzeptabler Zeit zu finishen. Unter 4:25 h galt mir als sicher, obschon ich zur Hälfte noch mit einer Zeit von mehr als viereinhalb Stunden rechnen musste. Und nun dieser „Mount Werdau“ - objektiv natürlich nicht mehr als ein sanftes Aufwärts -, der mir mal heftiger, mal weniger heftig in die Beine fährt. Minute um Minute kämpfe ich mich empor, als hätte ich die Flanken eines Alpenriesen unter den Sohlen. Nach bald zwei Kilometern trabe ich endlich im Zenit, mein Atem beruhigt sich und die Füße tippeln wieder flotter …

Die ersten Häuser von Werdau fliegen vorbei - wieder nur eine „subjektive“, dafür aber umso befriedigendere Wahrnehmung. Die GPS-Anzeige deckte sich bisher mit jener, der im 5 km-Rhythmus aufgepflanzten Entfernungstafeln. Wenn die Übereinstimmung bis ins Ziel vorhält (was falsch gesteckte Kilometertafeln angeht, habe ich schon Übles erlebt), werde ich nach etwa 4:25 h meinen Fuß über die Ziellinie setzen. Abzüglich des Zeitgewinns infolge des nun im Schlussgefälle weiter gesteigerten Tempos. Ich biege auf die abschüssige Startgerade ein, passiere das Startbanner und flitze weiter zum Eingang der Sportschule. Heftig applaudierend schickt mich der weibliche Streckenposten bergwärts. 50 Meter Steigung, die meinen Bewegungsapparat ein letztes Mal stressen.

Eine Dreiviertelrunde auf Tartan schließt sich an. Keine 400 m-Bahn, nur der Rand eines Rasenspielfeldes. Drumherum, vorbei am moderierenden Mann am Mikro. Für wen kommentiert der eigentlich? Gähnende Menschenleere füllt das Stadion. Ein paar Helfer am Ziel, ansonsten redet er eigentlich nur für mich. Begrüßt mich mit Namen und mit Sätzen, die mich aufhorchen lassen. Leider verstehe ich nur die erste Hälfte seines Vortrags, der meinen 24h-Auftritt vorletztes Jahr im nahen Reichenbach erwähnt. Offensichtlich geht es um eine kritische Aussage im Laufbericht. Denn „etwas“, so seine Rede, gäbe es seit diesem Laufbericht in Reichenbach nicht mehr … Vielleicht das unerträgliche „Musikprogramm“, das mir seinerzeit ganz entschieden auf die Nerven ging. Nach dessen „Genuss“ ich empfahl alternativ gar nicht zu beschallen. Es wäre ein Segen für viele, sollte man die „ollen Platten“ entsorgt haben … Letzte Meter, noch rasch ein Ziel-Selfie, schlussendlich der Schritt über die Ziellinie.

Unfassbar: Nach Fußfolter an der Saale heute ein beschwerdefreier Lauf auf 1a-Wegen in Werdau. Ich fühle mich befreit. Sollte meine orthopädische Pechsträhne endlich zu Ende gehen?

 

Ergebnisse

Sybille: 4:04:12 h, Platz 2 in W35

Kraxi: 4:04:16 h, Platz 3 in M40

Udo: 4:24:02 h, Platz 2 in M60

Kraxi schloss im Wettkampfverlauf zu Sybille auf, wonach die beiden den Rest der Strecke gemeinsam bestritten.

 

Fazit zum Wettkampf

Wer Wald als Laufumgebung mag, sollte sich den Leckerbissen „Werdauer Waldlauf“ nicht entgehen lassen, zumal die Strecke mit etwa 350 Höhenmetern keine unüberwindlichen Hindernisse und durchweg glatte, sehr gut laufbare Wege bereithält.

Die Veranstaltung ist in jeder Hinsicht gut vorbereitet und wird mit sehr viel Spaß von allen Beteiligten durchgeführt. Wir drei „Südländer“ fühlten uns ausgesprochen wohl in Werdau. Der „Werdauer Waldlauf“ hat auf allen Distanzen wesentlich mehr Teilnehmer verdient!

Fazit: Jederzeit gerne wieder!

 

Wir über uns Gästebuch Trekkingseiten Ines' Seite Haftung
logo-links logo-rechts

zum Seitenanfang