Ein Marathon als „langer Lauf“?

Warum Ines und ich nach Forchheim / Ebermannstadt zum Fränkischen Schweiz Marathon 2006 (FS-M) wollten? Die Veranstaltung hatten wir schon lange vorgemerkt, weil sie uns als Paar die Möglichkeit bot im „Team“ zu laufen. Der Startläufer übernimmt die ersten 16 km von Forchheim nach Ebermannstadt und übergibt den Wechselchip für die finalen 26 km an die Schlussläuferin. Ines und Udo als Laufduo - ich kann mir wenig Schöneres vorstellen …

Die Laufzeit musste dabei eine untergeordnete Rolle spielen, weil uns beiden der Lauf nur Trainingsmittel zum Zweck sein durfte. Ines wird im Oktober ihren ersten Marathon angehen und brauchte die 26 km als „langen Lauf“. Es lag also eine volle Trainingswoche ohne Erholungsphase hinter ihr.

Mich hatte ich neben dem Teamstart für den vollen Marathon angemeldet. Und auch dieser Marathon durfte lediglich ein „langer Lauf“ über 42 km werden. Fernziel ist ein 6h-Lauf im November.

 

Unser Leistungsstand

Ines trainiert seit vier Wochen für den Marathon, davor lagen zwei Wochen urlaubsbedingte Laufpause. Ein 10 km-Wettkampf in Roth vor drei Wochen und der Verlauf ihrer langen Läufe der beiden letzten Wochenenden zeigten den klaren Aufwärtstrend. Ich prophezeite ihr, dass sie die 26 km des FS-M unter drei Stunden laufen würde.

Mir blieben nur rund zwei Wochen, um mich auf den FS-M „vorzubereiten“, weil ich mir aus dem Urlaub ein „Andenken“ mitbrachte, das mir zwei Wochen Trainingsverbot bescherte. Man darf nicht trainieren, wenn man ein Antibiotikum schluckt … Die ersten Trainingsläufe nervten mit ungewohnt hohen Pulswerten bei vergleichsweise niedrigen Tempi. Danach kehrte ein Großteil der vormaligen Ausdauer recht zügig zurück. Ein Hauptproblem war, sich mental auf einen Marathon als „langen Lauf“ einzustellen. Ich durfte mich eben nicht durch Reduzierung des Trainings (Tapering) darauf vorbereiten. Auch das zu wählende Tempo stellte eine „geistige Barriere“ dar. Auf keinen Fall wollte ich die vier Stunden Marke überschreiten - Trainingslauf hin, Trainingslauf her. Das ließ mein Stolz dann doch nicht zu. Wären 3:45 für die 42 km ein noch angemessenes Tempo? Oder ist das zu schnell für einen langen Lauf? Kann ich überhaupt schon so lange so schnell laufen oder breche ich nach 35 km zusammen? Immerhin waren die zurückliegenden Trainingseinheiten nicht „ganz ohne“ gewesen:

So: 36 km langsamer Dauerlauf (Schnitt 75% Hfmax)
Di: 8 km hartes Schwellentraining (86 bis 90% Hfmax)
Mi: 25 km langsamer Dauerlauf
Fr: 6 km lockerer Dauerlauf
   
Gesamtkilometer mit Ein- und Auslaufen : 83


Ines und Udo als Mixed Marathon Team

Wir hatten ein Hotelzimmer in Forchheim unweit des Starts gebucht. Das war ein taktischer Fehler, der mir in der Hektik der sehr späten „Spezialanmeldung“ (sh. Organisation) unterlief. Es fahren Shuttlebusse von Ebermannstadt (Ziel) zum Start nach Forchheim, jedoch nach Zieleinlauf nicht zurück. So müssen wir in aller Herrgottsfrühe mit dem Auto nach Ebermannstadt fahren. Das erfordert einen ziemlichen Umweg über Nebenstraßen, weil die direkte Verbindung, die Bundesstraße B 470, ab 7 Uhr als Marathonstrecke komplett gesperrt ist. Gegen 7:15 Uhr verabschiede ich mich von meinem „Teamleader“ Ines und nutze den Shuttle - zurück nach Forchheim. Sie wird nun über drei Stunden Zeit „totschlagen“ müssen, bis ich ihr den Wechselchip übergeben kann. Mir geht es ähnlich. Um 7:30 Uhr nehme ich auf einer Bank im Startraum Platz und hab noch eine Menge Zeit …

Meine „Wettkampftaktik“ sieht vor, den Lauf mit einem Schnitt von 5 min/km bis zum Wechsel anzugehen. Damit für das Team eine achtbare Zeit rausspringt. So ganz kann ich also meinen Kampfgeist nicht verbannen. Danach will ich deutlich langsamer weiterlaufen und mit etwa 3:45 Stunden im Ziel ankommen. 5 min/km entsprächen einer Endzeit von ca. 3:30, also „darf“ ich nach dem Wechsel schon ein bisschen „bummeln“. In einer Durchsage spricht der Veranstalter von knapp 2000 Teilnehmern. Und, dass man zunächst enttäuscht gewesen sei, weil erheblich weniger Läufer als im Vorjahr die Voranmeldung nutzten. Eine Vielzahl von Nachmeldungen hätten dann allerdings wieder starke Teilnehmerfelder ergeben.

Kurioserweise laufe ich heute mit zwei Zeitmesschips. Mit dem von Ines (mit Klettband am Knöchel befestigt) als Wechselchip und mit meinem eigenen für den kompletten Marathon. Aber ich trage nur die Teamstartnummer. Zwei „Zettel“ auf der Brust empfände ich als „affig“ und ich hab’ auch keine Lust, 42 km weit als „Exot“ betrachtet zu werden.

Auch wenn das nur ein langer Lauf werden soll - wie vor jedem Marathonstart springen mich wieder diverse Zweifel an. Heute vor allem, ob die Kraft reichen wird, nach 4 Wochen Totalpause und nur zwei Trainingswochen. Und meine Füße melden auch keinen völligen „Klarstand“. Ich bin eben mitten im Training und gehe nicht ausgeruht in diesen Lauf. Anders als sonst, fühle ich keinerlei Nervosität. Der Kämpfer in mir scheint also kapiert zu haben, dass es ums Ankommen geht. Ankommen und dabei schon an die nächste Trainingswoche mit zwei langen Läufen denken … Um 9 Uhr, mit den Marathonis, darf ich noch nicht starten. Die Läufer des Team-Marathons werden um 9:15 Uhr auf die Strecke geschickt. Startschuss: Locker und beherrscht anlaufen, Tempo finden. Die ersten 5 km geht es auf breiten Aus- bzw. Einfallstraßen ziemlich langweilig durch Forchheim. Vom herrlichen, alten Ortskern sieht man dabei gar nichts. Wie erwartet bin ich auf dem ersten Kilometer etwa 15 Sekunden zu schnell. Das Tempo pegelt sich aber bei Kilometer 2, 3 und 4 schnell ein. 18°C zeigte das Thermometer im Auto. Das ist zwar nicht übermäßig viel, zudem ist der Himmel bedeckt, und doch laufen mir schon auf den ersten Kilometern Rinnsale von Schweiß an Stirn und Schläfen herunter. Die erhebliche Schwüle ist dafür verantwortlich. Deshalb greife ich mir auch am ersten Verpflegungsstand zwei Becher mit Wasser. Ich glaube, mir dafür heute Zeit nehmen zu dürfen, trinke im Stehen. Und es kostet Zeit, schon hänge ich dem 5 min/km-Schnitt 20 Sekunden hinterher.

Toll, in diesem moderaten Tempo und unter solchen Bedingungen zu laufen: Wärme, ein freundlicher Rückenwind, Gesellschaft anderer Läufer, eine breite Bundesstraße für uns ganz alleine, schon jetzt ein paar gut gelaunte Zuschauer am Straßenrand und - seit Forchheim hinter uns liegt - die idyllische Auenlandschaft des Flüsschens Wiesent für die „Augenpflege“. Beine, Füße, Kraft - alles klar, keine Probleme. Weiter so. 6, 7, 8 km: Ich hole wieder ein bisschen Zeit auf und freue mich einfach zu laufen. Heute werde ich keine Kalorien in Form von Gel unterwegs schlucken. Es ist ein Trainingslauf! Isotonisch trinken will ich allerdings bei jedem zweiten Verpflegungstand, um eine gute Rehydrierung zu erreichen. Der starke Schweißverlust macht mir ein paar Bedenken. Irgendwann sitzt eine Rhythmusgruppe am Straßenrand und trommelt, um uns zu beflügeln. Heute leiste ich mir mal ihnen Beifall zu klatschen …

Noch 6 km bis ich Ines den Chip übergebe. Alles läuft gut. Längst haben wir die langsamsten Marathonis eingeholt. Auch am Zugläufer 5 Stunden (oder war’s 5:15?) bin ich schon vorbei. Das Feld von hinten „aufzurollen“ verspricht mir Motivation bis zum Schluss. Super! Die Strecke steigt insgesamt an, auch nach dem Wechsel noch, bis zur Wende bei etwa 29 Kilometern. Danach geht es logischeweise tendenziell wieder bergab. Aber ein paar laaaaanggezogene Hügel sind schon zu überwinden. Ausgangs Forchheim und jetzt auch wieder, kurz vor Ebermannstadt. Im Gefälle ziehe ich noch einmal das Tempo an, weil bei Kilometer 14 ein Zeitrückstand zu beklagen war. Die ersten Skater kommen entgegen. Sie starteten um 8:45 Uhr, sind offenbar schon durchs Ziel und laufen wohl aus. Ich halte das etwas höhere Tempo und werde plötzlich von der Seite angesprochen: „Du bist ja ganz schön schnell unterwegs!“. Bin ich eigentlich nicht, erkläre dem Läufer dennoch, welche Absichten ich heute verfolge.

Dann erreiche ich den Ortseingang und laufe auch schon auf den Zielaufbau zu. Dahinter hat sich eine lange Reihe von „Wechselwilligen“ aufgestellt und ich muss nun Ines finden. Hellgelbes Shirt, wo ist das hellgelbe Shirt? Schon fast am Ende der Reihe angekommen, fürchte ich sie übersehen zu haben. Aber mein cleverer Teamleader hat sich ganz ans Ende gestellt, wo ausreichend Platz ist. Kurzes Begrüßen, zwei, drei Sätze zum Lauf und dass ich ziemlich geschwitzt habe. Dabei nestele ich am Klettband herum und brauche bald eine Minute, um ihr das Ding um die Fessel zu legen. Noch ein Kuss, gute Wünsche und dann ist sie weg …

Noch 26 km und der „Zwölfte“ wäre perfekt                                             zum Seitenanfang

Aber ich muss ja hinterher und werde sie gleich wieder einholen. Erst noch den Autoschlüssel verstauen, den sie mir in die Hand drückte und wieder los. Am Ortsausgang überhole ich sie wieder und wir klatschen kurz ab. Wieder einmal - bestimmt zum tausendsten Mal - schätze ich mich mehr als glücklich eine Frau zu haben, die selbst gerne läuft. Die wundervolle Gemeinsamkeit einer „Läuferehe“ kann man niemandem erklären, derlei muss man erleben. Schon kurz hinter Ebermannstadt ist der unangenehmste aller Hügel auf dieser Strecke zu erlaufen. Aber noch sind meine Beine einigermaßen frisch und so macht mir das gar nichts aus. Die Landschaft wird immer reizvoller. Die Abhänge beidseits der Wiesent rücken näher und bilden ein zunehmend enger werdendes Tal. Seit Ebermannstadt drohen die Wolken ein wenig düster. Ab und an glaube ich einen Spritzer auf der Haut zu fühlen. Nein, Regen muss nicht sein (wird auch nicht kommen). Es ist eher kühler geworden aber die Luftfeuchtigkeit ist immer noch hoch. Also weiter schwitzen.

Ich laufe jetzt langsamer und kalkuliere zwischen Kilometermarken meine Pace: Die bewegt sich zwischen 5:05 bis 5:20 min/km. Irgendwann hab ich keine Lust mehr auf Subtraktionen und beschließe einfach nach Gefühl zu laufen. Echte Zweifel, dass ich das heute in dem Tempo zu Ende bringe, hab ich nicht mehr. Dafür fühle ich mich einfach zu gut an diesem tollen Sonntag. Ja, Mensch, Udo, das ist dein zwölfter Marathon heute. Definitiv nicht der schnellste und es wird spannend, ob ich vielleicht an diesem Tag mein langsamstes Finish hinlegen werde - 3:42 sind zu schlagen. Wir passieren Streitberg. In dem winzigen Ort scheinen alle Leute auf den Beinen, um die Läufer anzufeuern und den autofreien Sonntag auf ihrer Bundestrasse zu genießen. Von einem rauchenden Grill zieht mir ein verführerischer Duft in die Nase.

20 km vorbei: Ja ich spüre die Strecke in den Beinen, aber da ist noch Kraft für viel mehr … Matten mit der Zeitmessung kommen in Sicht. Es dauert einen Moment bis ich begreife, dass das die Halbzeit ist. 1:47 zeigt meine Uhr. Auf der zweiten Hälfte werde ich langsamer sein, dann könnte das mit 3:40 schon ungefähr hinkommen. Blöde Rechnerei! Einfach laufen. Heute bietet sich leider niemand zum Mitlaufen an. Entweder passiere ich langsamere Marathonis oder ich werde von schnelleren Teamläufern überholt. Ein Auto kommt mir entgegen, dahinter der schnellste Läufer - allein auf weiter Flur. Ein Pole, für den die Uhr bei 2:31 im Ziel stehen bleiben wird. Wieder mal eine Ortschaft: Das ist Muggendorf, wie ich weiß, weil wir gestern die Strecke komplett mit dem Auto abfuhren. Die Kilometer fliegen einfach nur so vorbei. Es ist eine irre Lust, mal einen Marathon ohne Ambition auf eine persönliche Bestzeit, Sub3h oder am Rand der eigenen Leistungsfähigkeit zu laufen. Das Wiesenttal ist jetzt sehr eng geworden: Bundesstraße, schmales Ufer, Fluss und jenseits noch ein paar Meter für einen Weg. Eine sehr reizvolle Landschaft die Fränkische Schweiz und ich darf hier laufen!

Kilometer 23, 24, 25, 26 … Nur noch 3 Kilometer bis zur Wende. Der Strom der entgegenkommenden Läufer ist angeschwollen. Wieder einmal ein Verpflegungsstand, die stehen jetzt ca. alle 2,5 Kilometer. Ich bewundere den Aufwand der Organisatoren. Iso-Getränk gibt es auch an jedem Stand und seit einiger Zeit auch Bananen. Ich habe nur zweimal isotonisch getrunken und lasse das jetzt sein. Ich will eine optimale Trainingswirkung und darf dem Energieverlust nicht durch Zuckerkalorien im Getränk entgegen wirken. Alle 2,5 Kilometer einen Becher Wasser, das reicht. Vom Wendepunkt im Weiler hört man schon die Stimme des Moderators aus dem Lautsprecher. Viele Läufer begrüßt er mit Namen und nennt die Herkunft. Ich werde mit „Udo Pitsch, der mit seiner Frau Ines läuft“, begrüßt. Und für einen Dank, dass wir hergekommen sind ist auch noch Zeit. 29 Kilometer, dann 30. Noch immer spüre ich keine Schmerzen in den Beinen. Das sieht gut aus, sehr gut!

Achte auf Ines! Verpass sie nicht! Aber eigentlich ist es ja noch viel zu früh dafür, sie will ja extrem langsam laufen. Gerade als meine Aufmerksamkeit zu erlahmen beginnt, sehe ich sie tatsächlich schon kommen. Abklatschen! Wie läufts! Gut läufts! Im Weglaufen noch der Zuruf, dass sie von jemandem aus dem Läuferforum erkannt wurde. Mit mir sind mindestens vier Läufer aus dem Forum auf der Strecke. Nur leider kenne ich deren Gesichter nicht … Dann bin ich wieder mit mir und meinem Laufvergnügen alleine. Wenn’s nur nicht so einfach wär’ und so schön - ich sollte eigentlich langsamer laufen. Vor einer Weile habe ich mir vorgenommen, 10 km vor dem Ziel die Endzeit zu kalkulieren. Da ist Kilometer 32: Also wird’s eine Zeit unter 3:40, wenn ich kein Tempo rausnehme. Aber dazu habe ich nicht die mindeste Lust. Die Beine laufen wie von selbst. 33, 34, Muggendorf liegt schon wieder hinter mir. Starker Gegenwind macht sich von Zeit zu Zeit bemerkbar. Wie egal mir das heute ist!

Na endlich! Füße und Beine „senden die bekannten Schmerzsignale nach oben". Ich hätte das Gefühl zu lasch trainiert zu haben, wenn sie das beim langen Lauf nicht tun. Aber es gibt nicht viel, was mein zwölftes Marathonfinish jetzt noch verhindern könnte. Streitberg mit seiner tollen Zuschauer- und Festkulisse kommt wieder in Sicht. Man könnte das Fragezeichen in meinem Gesicht sicher sehen: Da steht ein kleines Schild mit einem Pfeil nach … rechts (?) und einer Meterangabe. Wieso müssen wir jetzt von der Bundesstraße runter? Ist aber so. Der Läufertross biegt nach Streitberg ab. Da schreit mich ein Zuschauer, schon etliche Meter entfernt, hinterrücks an: „Hallo Udoooo!“ Ich kann mich natürlich nicht umdrehen und denke mir, dass es jemand aus dem Forum gewesen sein könnte, der nicht mitläuft und mich erkannt hat …? Die „Streitberg-Schikane“ wird immer rätselhafter: Nach einem weitern Linksschlenker geht’s auf kürzestem Weg wieder zurück zur Bundesstraße.

Just im Moment des „Linksschlenkers“ werde ich zum zweiten mal heute von einem Läufer angesprochen: „Das schaffen wir noch unter vier Stunden!“ sagt er und hat links neben mir aufgeschlossen. Offenbar in der Absicht, jemand zu finden, mit dem er die letzten fünf Kilometer gemeinsam packen kann. In kurzem Zwiegespräch erfährt er, dass ich eine Viertelstunde später mit den Teamläufern gestartet bin und den Marathon als Trainingslauf betrachte. Für ihn ist es sein erster Marathon! Mein Gott, der ERSTE! Er ist grade dabei sich seinen Traum zu erfüllen. Sofort steht mein Entschluss, mit ihm ins Ziel zu laufen und ihn ein bisschen zu ziehen. - Udo super! Weiter so! tönt’s vom Streckenrand. Als der Marathondebütant an meiner Seite daraufhin die Hand grüßend erhebt, ist auch das Rätsel von vorhin gelöst. Neben mir läuft noch ein „Udo“. Wir amüsieren uns beide darüber, welche Kapriolen der Laufgott manchmal so bereithält. Udo und Udo auf dem Weg zum Marathonfinish. In den nächsten 20 Minuten gebe ich diverse „Sprüche“ von mir. Ich sage ihm zum Beispiel, dass er „noch gut aussieht“ und „echt locker läuft“, was ich sogar ernst meine. Oder nach Kilometer 42 - auf einem der sich lang hinziehenden Anstiege - frage ich ihn „Noch zwei Kilometer, was sind schon 2 km?“ Und gebe ihm gleich die richtige Antwort: „Nichts! Das ist gar nichts! Das ist nur ein Fliegenschiss!“ - Seine Antworten fallen kurz aus, jeweils ein hingehecheltes „Ja“, „Ja“, „Ja“. Aber es verfehlt seine Wirkung nicht, er hält auch am Berg das Tempo, sogar als der Gegenwind kurzzeitig auffrischt. Dann ist der Scheitelpunkt des letzten Anstieges erreicht. Mit „Wir sind jetzt oben, das war der letzte Anstieg, geschafft“ versuche ich ihn aufzubauen. „Ja“ - „Du brauchst jetzt nichts mehr an Reserven aufheben, kannst jetzt alles geben!“ Statt einer Antwort wird er schneller. Die Kilometertafel 41 „fliegt“ geradezu vorbei … Udo rennt und Udo freut sich mit ihm. „Nur noch 800 Meter, gleich hast du’s geschafft!“. Ein Bekannter quatscht ihn an, rennt ein Stück mit. Ich feuere ihn ein letztes Mal an: „Noch 300 Meter, da vorn ist das Ziel, jetzt müssen wir den Zuschauern was bieten, gib alles!“ Und er zieht einen langen Endspurt bis ins Ziel. Ich lasse ihm den Vortritt, damit nichts sein Marathonglück trüben kann und ihn die Fotografen schön frontal im Finish erwischen …

Ich bin auch im Ziel. 3:38:51. Und ich bin nicht mal kaputt. Der erste Marathon seit langem, bei dem ich nicht vollkommen ausgepumpt ins Ziel komme. Also gleich hin zu Udo und gratulieren. Der bedankt sich. Er kann ja nicht wissen, dass es mir unheimlich Spaß gemacht hat ihn ein bisschen zu treiben und zu „quälen“. Was für ein herrlicher Sport!

Dann treffe ich auch noch Stefan. Oder besser gesagt er trifft mich, denn ich weiß ja nicht wie er aussieht. Wir wechseln ein paar Sätze, dann muss ich weiter. Wieder einen Forumsteilnehmer kennengelernt.

Fazit: Als wichtige Erkenntnis nehme ich mit nach Hause, dass selbst eine längere Regenerationsphase und vier Wochen völlige Trainingsabstinenz einer über Jahre kontinuierlichen Trainings erworbenen Langzeitausdauer nichts anhaben können. Wie sonst wäre es mir möglich, einen Marathon, der nicht einmal mit vollem Einsatz gelaufen wurde, in 3:39 abzuschließen? Andererseits ist mir auch klar, dass ich für dieses Tempo in den folgenden Trainingseinheiten bestraft werde! Für einen „langen Lauf“ war es zu schnell und ich nehme mir vor, den nächsten Trainingsmarathon langsamer anzugehen.

Ines langer Lauf                                                                                                zum Seitenanfang

Über drei Stunden hat sie Zeit, bis sie mich zum Wechsel erwarten wird. Nach dem Abschied am Bus führt sie der erste Weg in ein Café für ein zweites Frühstück: Cappuccino und eine Butterbreze sollen die Energievorräte noch ein bisschen ergänzen. Schließlich ist es an der Zeit, die warmen Sachen auszuziehen und im Beutel bei der Gepäckaufbewahrung zu deponieren. Ob das nicht ein wenig zu früh und voreilig war? Jedenfalls friert Ines erbärmlich, auf der Suche nach dem Wechselraum. Auch andere Läufer sind unschlüssig, wo genau sie den Partner erwarten sollen, wie an sie gerichtete Fragen zeigen. Die Vielzahl wartender Läufer und die Enge im Bereich des Wechsels lassen sie fürchten, dass die Chipübergabe problematisch wird. Aber dann sieht sie mich kommen und ist dieser Sorge enthoben. Ines startet ihre Uhr und läuft los.

Der Pulsmesser „kommt auf Touren“ und zeigt rasch Werte von mehr als 80% des Maximalpulses. Das ist für den langen Lauf zu viel und sie nimmt etwas Tempo raus, obwohl sie sich frisch und stark fühlt. Aber 26 km sind eine lange Strecke und es darf ja „nur“ ein langer Lauf werden. Ganz bewusst läuft Ines auf den ersten 10 km „mit angezogener Handbremse“. Das Wetter ist optimal und die herrliche Umgebung steigert ihren Laufspaß zusätzlich. Es läuft gut, alles klar in den Beinen. Nach etwa 10 Kilometern fühlt sie sich plötzlich schwächer und glaubt zu schnell gelaufen zu sein. Aber diese Phase ist sehr kurz, sie hält das Tempo.

„Ines?“ - der Ruf trifft sie völlig unvorbereitet und kommt von einem Läufer der eben auf Gegenkurs vorbei lief. Automatisch ihre verdutzte Reaktion: „Ja?“. Im Auseinanderlaufen die Frage des anderen: „Wo ist Udo?“, worauf sie Richtung Wende deutet und dem Unbekannten „Weiter hinten!“ zuruft. Der erwidert noch einige Sätze, die sie aber nicht mehr verstehen kann. Ihr ist klar, dass es sich dabei nur um einen „Bekannten“ von mir aus dem Läuferforum handeln kann, der sie erkannt hat, mich jedoch verfehlte. Diese durch und durch lustige Szene lässt sie auf den nächsten Kilometern immer wieder schmunzeln und treibt zusätzlich an. Vorsorglich formuliert sie kurze Sätze, um mir die Info bei der baldigen Begegnung „schnell rüber bringen“ zu können. Außerdem freut sie sich auf das bevorstehende Abklatschen. Es ist schon toll, sich im Training mitten irgendwo im heimischen Wald zu treffen. Während eines Wettkampfes ist die Begegnung doppelt schön und motivierend. Abgeklatscht! Und tatsächlich schafft sie es, mir mit ein paar abgehackten Bemerkungen die kuriose Begegnung zu schildern.

An der Wende wird sie vom Sprecher begrüßt und freut sich, ihren Namen aus dem Lautsprecher zu hören. Auch hier stehen sehr viele Zuschauer und der Beifall ist groß. Das Publikum des Laufes fasziniert sie ohnehin. Viele klatschen frenetisch und ohne Unterlass. Das ist auch eine bemerkenswerte Leistung. Das Feld ist weit auseinander gezogen, oft läuft Ines mit großem Abstand zum nächsten Teilnehmer. Nur um die Pacemaker haben sich kleinere Gruppen gebildet. Ab und an vermisst sie Kilometertafeln und erfährt später von mir, dass diese umgefallen neben der Straße lagen. 12 Kilometer vorbei, Zeit für den Gel-Chip. Sie will den Lauf auch nutzen, um Energiechips und -gel auf Verträglichkeit zu testen. Nach weiteren drei Kilometern probiert sie dann das Energiegel. Es schmeckt eigentlich ganz gut, ist aber ziemlich süß. Kunststück, schließlich besteht die „Paste“ fast zu 100% aus Zucker. Beinahe verzugslos scheint ihr das Gel Magen und Darm durcheinander zu bringen. Zum Glück gibt sich ein „gewisses Drängen“ aber ebenso schnell wieder, wie es in Erscheinung trat …

Noch 10 km bis ins Ziel. Ines kalkuliert ihre wahrscheinliche Laufzeit und kann es nicht so recht fassen: Wenn sie nicht einbricht, wird sie unter 2:45 im Ziel ankommen! Mit drei Stunden hatte sie insgeheim gerechnet und das hätte sie schon als ausreichend hohes Tempo für einen „langen Lauf“ gewertet. Aber so schnell!?? „Damit rechnet sicher auch Udo nicht. Wird er da sein, wenn ich ins Ziel komme?“

Vor einer Viertelstunde hat sie das Gel geschluckt und jetzt den Eindruck eines deutlichen Energieschubes. Jedenfalls erhöht Ines das Tempo noch einmal. Es sind ja nur noch fünf Kilometer bis ins Ziel und nun kann ja kaum mehr was schief gehen. Läufer um Läufer lässt sie hinter sich, zusätzliche Motivation auf dem letzten Streckenteil: „Die sind nicht langsamer geworden, ich laufe jetzt einfach schneller! Weiter so!“ - Der letzte Anstieg ist geschafft, die Häuser von Ebermannstadt sind in Sicht und nun hilft starkes Gefälle auf dem letzten Kilometer und vermittelt den Eindruck ein bisschen zu „fliegen“. Immer schneller wird sie, je näher das Ziel kommt. Herrlich, durch die Gasse von Zuschauern und Chearleadern zum Finish geleitet zu werden!

Heftig atmend ist Ines kaum fähig, sich die Medaille umhängen zu lassen. „Wo ist Udo?“ Sie späht in alle Richtungen, ob ich irgendwo fotografierend ihre Ankunft verfolgte. Und dann komme ich ihr aus dem rückwärtigen Zielraum entgegen. Wir haben uns um ein paar Sekunden verpasst, weil ich wirklich nicht so früh mit ihr rechnete. Sie benötigte etwa 2:42 Stunden für die 26 Kilometer. Das summiert sich mit meiner Zeit zu einer Teamleistung von 4:00:55 und platziert uns im Mittelfeld der Mixed Teams. Das Ergebnis dieses zurückhaltend gelaufenen „Long Jogg“ kann sich sehen lassen. Ines ist aber nicht nur über das Ergebnis glücklich, sie freut sich vor allem, mit welcher „Leichtigkeit“ es zustande kam. Eigentliches Ziel ist ihr erster Marathon und dafür gibt ein solcher Lauf Zuversicht.
 

Zur Organisation

Von der Klasse des OrgTeams war ich schon überzeugt, bevor wir in Forchheim ankamen. Mein Wunsch, zunächst im Team zu starten und dann den Marathon als Sololäufer zu beenden, erforderte einiges an Gesprächen mit der Zeitmessfirma und Mails mit mir, bis alle Schwierigkeiten ausgeräumt waren. Letztlich lief ich dann bis zum Wechselpunkt mit zwei Chips. Für diese „Extrawurst“ wurden mir lediglich 10 € extra in Rechnung gestellt und alles klappte hervorragend. Das ist alles andere als üblich und verdient höchsten Respekt und ein großes Dankeschön!

Vor Ort setzte sich der positive Eindruck „ungehemmt“ fort. Parkmöglichkeiten (Samstag und Sonntag), Abholung der Startunterlagen, Pastaparty (sehr schmackhaft!), kleines Messeangebot, einladende Sitzmöglichkeit auf dem Marktplatz in Ebermannstadt, Platzangebot im Startbereich - alles hervorragend und durchdacht organisiert. Am Start gab es ausreichend Toiletten und die Verzahnung der Wettbewerbe stellte wegen der enormen Streckenbreite (total gesperrte Bundesstraße B 470) kein Problem dar. Absperrungen und Sicherheit waren lückenlos. Ordnungskräfte duldeten nicht einmal Radfahrer auf der Straße.

Die Strecke führt, wenn sie Forchheim nach fünf Kilometern verlassen hat, durch eine überaus reizvolle Landschaft, die bis zum Wendepunkt bei 29 km immer idyllischer wird. Ein weiteres Plus stellen die begeistert mitgehenden Zuschauer dar. Und das, obwohl der größte Teil der Strecke ohne Publikum am Straßenrand zu absolvieren ist.

Die Verpflegung an der Strecke war sehr gut. An jedem Punkt Wasser, Isogetränk und später auch Bananen. Nach dem Wechsel verdoppelte sich die „Frequenz“ der Getränkestellen, so blieben keine Wünsche offen. Im Zielraum waren Getränke (zusätzlich alkoholfreies Bier) in Hülle und Fülle verfügbar. Lediglich die Verpflegung wurde für die später eintreffenden Läufer immer spärlicher. Dafür hatte ich vorher an der Strecke kistenweise nicht benötige Bananen gesehen. Da sollte man die Verteilung für das nächste Jahr überprüfen.

Wir danken für eine grandiose Laufsportveranstaltung, die noch viel mehr Teilnehmer verdient hat!

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