1

  Unser  Laufjahr  2022  

Ein schwieriges Jahr

2022 war für alle schwierig, ob sie laufen oder nicht. Risiken und Schwierigkeiten gingen weiterhin von der (abklingenden) Pandemie aus, zunehmend ab Februar vom Krieg in der Ukraine, den Kriegsverbrecher Putin und seine kriminellen Helfershelfer angezettelt hatten. Mehr und mehr sahen sich alle steigenden Preisen gegenüber, vor allem für jede Form von Energie zum Fahren und Heizen. Für viele Menschen stellt das eine reale Bedrohung ihrer Existenz dar. Hält noch an, hinlänglich bekannt, braucht hier nicht weiter thematisiert zu werden.

Nach und nach waren "normale" Laufveranstaltungen wieder möglich. Ähnlich wie man in der Arbeitswelt mit der Option "Home Office" eine Errungenschaft nicht aufgeben wollte, die sich letztlich bewährt hatte und vielen Arbeitnehmern wie auch ihren Chefs Vorteile brachte, so blieben ein paar Besonderheiten auch im Zusammenhang mit Wettkämpfen erhalten. Nach wie vor gab es Veranstalter, die (kleine) Läufe mit individuellen Startzeitpunkten, manchmal sogar mit Beginn und Ende an beliebigen Punkten der Strecke anboten. Der Leistungsnachweis musste jeweils mit der GPS-Aufzeichnung erbracht werden. Vor allem Ausrichter des 100 Marathon Clubs hielten an diesen Optionen fest.

Sportlich warf 2022 große Schatten auf Ines' und meine Laufwege. Das gilt wohl auch für unsere Hündin Roxi, die sich fast gänzlich aufs läuferische Altenteil zurückgezogen hat.

Rien ne va plus - Ines' Laufjahr

Der stärkste Wille bleibt nutzlos, wenn er vom eigenen Körper mit Schmerzen bzw. Erkrankungen ausgebremst wird. Die lange Rekonvaleszenz nach Ines' Operation im Fußballen, bei der ein entzündlicher Nervenknoten entfernt wurde, schien Ende 2021 und noch zu Beginn dieses Jahres endlich Früchte zu tragen. Durch vorsichtige Belastungen, Tagesstrecken von zwei bis fünf Kilometern, versuchte sie den noch immer meckernden Fuß zum Mitspielen zu überreden. Über mehrere Monate war das Laufband im Fitnessstudio Ines' "Strecke der Wahl". Dabei standen die stets gleichen, vor allem von Unebenheiten freien Laufbedingungen im Vordergrund. Von Ende Februar bis Mitte März wechselte sie dann wieder auf Strecken im Freien. Recht bald musste meine Frau realisieren, dass Laufen für sie einstweilen keine Option mehr darstellte. Seit Mitte März ist sie keinen Meter mehr gelaufen! Die noch ein wenig rebellierende OP-Narbe war dabei nicht das eigentliche Problem. Unterdessen hatte sich eine Dornwarze, gleichfalls in der Fußsohle, als hartnäckiges und überaus schmerzhaftes Laufhindernis gebildet. Bis auf Sitzungen bei afrikanischen Medizinmännern und südamerikanischen Voodoo-Heilern schöpfte sie jede Behandlungsoption aus. Eine neuerliche Operation kommt aus verschiedenen Gründen nicht in Betracht. Zu gering auch die Erfolgsaussichten.

Ines' Laufjahrstatistik
Gelaufene Kilometer: 71
Trainingstage: 23
Krafttrainingstage: 121

Um sich körperlich weiterhin zu fordern, intensivierte Ines das Training im Fitnessstudio. Von nötigen Absenzen abgesehen bewegt sie zwei bis viermal pro Woche Gewichte. Darüber hinaus versuchte sie ihr ungenutzt im Schuppen rumstehendes Fahrrad auf Wegen zu Training, Terminen und Besorgungen in der Nähe neu zu aktivieren.

Wie geht es 2023 weiter? - Tatsächlich sieht sich kein Arzt und kein Behandler in der Lage Aussagen zu den Heilungsaussichten ihrer Fußprobleme zu machen. Und wie das mit chronischen, gesundheitlichen Einschränkungen nun mal ist, weiß sich auch der Betroffene selbst keinen Rat. Ihr bleiben: Hoffen, Behandlungen fortsetzen, warten auf ein Wunder ...

Laufrentnerin Roxi

Roxi brachte nur noch sehr selten Lust zum Laufen auf. In der Regel reagierte sie auf Herrchens Wunsch nach Begleitung mit passivem Widerstand. Aus diesem Grund nahm ich sie nur noch zum (extrem langsamen, an ihre Marschzahl angepassten) Einlaufen mit. Oder auf kleine Runden, die ich zum Aufwärmen vorm Krafttraining oder zur Regeneration einstreue. Wer sie vor ein paar Jahren als explosives, nimmermüdes Laufwunder erlebt hat, der nimmt ihre jetzige offensichtliche Abneigung Laufeinheiten gegenüber ernst. Im Grunde geht es mit Blick auf Roxi lediglich noch darum, ihr Beweglichkeit und ein bisschen Ausdauer zu erhalten. Zentraler Unsicherheitsfaktor: Sie kann sich nicht mitteilen! Anders als Menschen folgen Hunde ihrem Instinkt: Wenn müde, dann ruhen und schlafen. Wenn's irgendwo im Gebein zwickt, dann demonstrativ langsam ein Bein vors andere setzen und die verbliebenden Leidenschaften ausleben: Schnüffeln und Fressen.

Roxis Wettkämpfe

Marathons insgesamt seit 2010: 15

Ultraläufe insgesamt seit 2010: 12

Längste Wettkampfstrecke: Elm Super Trail, 72 km

Dass sie laufen könnte, schneller und weiter als ihr passiver Widerstand Glauben machen will, beweist sie bei Gassi und Kurzläufen auf dem Heimweg, wenn sie sich rasant trabend, bisweilen galoppierend an die Spitze setzt. Dennoch: Sie will nicht mehr und unserer Laufgefährtin über viele Jahre diesen Nichtwillen einzuräumen ist Verpflichtung. Was bleibt sind grandiose Erinnerungen an einen bis zur Extase lauffreudigen Hund. Sie hat "Pflicht und Kür" übererfüllt, jetzt geht es nur noch darum ihr Leben zu verschönern und sie zu verwöhnen - vor allem sie zu verwöhnen!

Aus der Nähe betrachtet kein Widerspruch - Udos Laufjahr

30 Marathons und Ultras in einem Jahr - das spricht nicht gerade für eine Krise. Nur 2017 waren es vier mehr, sonst deutlich weniger. Allerdings war 2017 durch meine Teilnahme an 10 Marathons in 10 Tagen ein Ausnahmejahr. Lasse ich die 10 Marathons in Bad Blumau gedanklich auf eine Veranstaltung schrumpfen, wären es eben auch nur 25 gewesen. So weit zur Einordnung. Doch wie erkläre ich nun allgemein verständlich, weshalb ich dieses Jahr gerne so rasch wie möglich hinter mir lassen möchte? - Da war dieser 100 km-Lauf im Juni in der Lüneburger Heide. Sozusagen eine Altlast aus dem Vorjahr, da Corona-bedingt verschoben. Ich entschied im Dezember mich dieser gewaltigen Herausforderung zu stellen, den Startplatz nicht verfallen zu lassen, wie zunächst beabsichtigt. Einerseits, weil ich mir von einem anspruchsvollen Ziel zusätzlichen Schub erhoffte. Und wahrscheinlich auch, weil ich das "Ding" unbedingt laufen wollte. Wünsche verschwinden nicht einfach, wenn ihre Realisierung dramatisch schwieriger wird.

Udos Laufjahrstatistik
Gelaufene Kilometer: 3.087
Km im Schnitt pro Woche: 59,4
Trainingstage: 201
Trainingstage pro Woche: 3,9
Krafttrainingstage: 80
Krafttrainingstage pro Woche: 1,5
Wettkämpfe: 30
- davon Marathon: 22
- davon Ultra: 8 (max 100 km)

Wollte ich die 100 km-Hürde im Juni zu meinen Bedingungen schaffen - alles laufen, nicht gehen -, konnte ich mir den bis dahin gepflegten Winterschlaf nicht leisten. Bis Ende Februar standen schon 4 Marathons und ein flacher 50 km-Ultra zu Buche. Das Resultat dieser kleinen Serie war: Trotz vermehrter Trainingsanstrengung gelang mir eine Verlängerung meiner Reichweite nur häppchenweise. Und ich durfte auf keinen Fall länger als ein Wochenende aussetzen, sonst würde ich wieder Ausdauer einbüßen.

Die vielen Läufe im ersten Halbjahr waren letztlich der Furcht geschuldet bis zu den entscheidenden Aufbauläufen, vor allem dem Supermarathon am Rennsteig nicht genug "Körner ins Silo" zu bekommen. Mit jeder Woche, die ins Land ging und mir mal bessere dann wieder schlechtere Erfahrungen brachte, wuchs der Druck. Letztlich überstand ich alle mir auferlegten Qualen, gleich, ob entlang des Albtraufs, im Teutoburger Wald, am Rennsteig und auch andere. Ein Honigschlecken, so wie ich das früher durchaus auch in Phasen erlebte, da ich mich mit knochenharter Vorbereitung unter Druck setzte, war es nie. Die Regel waren: Erstes Viertel Spaß, zweites Viertel "geht so", zweite Hälfte "Augen auf und durch, irgendwie". Ganz besonders galt das dann für den Hunderter, den ich auch zur Gänze laufend überstand, für den ich jedoch unterirdische 14 Stunden brauchte.

Im Ziel in Lüneburg brachte ich es bereits auf 20 mal Marathon und weiter. Und war von der Motivation her mit dem Laufen durch für dieses Jahr. Null-Bock-Mentalität kann sich ein Läufer in meinem Alter allerdings nicht leisten. Die Löcher, in die wir Älteren anlässlich Laufpausen stürzen werden immer tiefer, wieder aufzustehen entsprechend schwerer. Schon den Juli und fast den gesamten August wettkampffrei zu nehmen war ein Fehler. Ich wollte nun über den Rest des Jahres meine Form mit punktuell absolvierten Marathons erhalten ...

Höchste Zeit den eigentlichen Bremser meines Formaufbaus zu benennen. Ganz ehrlich: Das "Infarktchen" spielte in meinen Gedanken nie wirklich eine Rolle. Es ist ungeklärt, wie er entstand. Die Klassiker, etwa Arterienverkalkung, liegen bei mir schlicht nicht vor. Nur zieht so ein Ereignis einen Rattenschwanz an einzunehmenden Medikamenten nach sich. Zum Glück im Unglück betreut mich ein fanstastischer Arzt. Einst selbst Läufer, nun Sportarzt und Allgemeinmediziner, als Extrapäckchen trägt er viel Erfahrung mit Infarktpatienten bei sich. Der merkte rasch und kam meinem Drängen so entgegen, dass weniger und das verbleibende in geringerer Dosis zu schlucken bei mir ausreicht. Wobei ich von Beginn an erklärte selbst Verantwortung übernehmen zu wollen. Als mein Doc sollte jedoch immer seine Risikoabwägung das Schlusswort sprechen. Der Rattenschwanz wurde also dünner und dünner. Aber leider enthielt er bis Juli noch immer einen Betablocker. Ich erklärte meinem Arzt, dass ich sein medizinisches Einverständnis vorausgesetzt, ab Juli nur noch einen Blutverdünner nehmen werde.

Von diesem Zeitpunkt an ging es stetig bergauf. Trainingsläufe schlugen wieder besser an, Intervallläufe brachten mich voran. So weit, dass ich mir im Oktober beim Graz Marathon einen Temporausch verschaffte. Jedenfalls für meine Verhältnisse. Nie und nimmer hätte ich auf eine Endzeit von 4:16 Stunden zu hoffen gewagt. Der Beweis war erbracht: Ohne den Bremser "Pille" konnte ich wieder Tuchfühlung zu meinen Leistungen vor Corona und Infarkt nehmen. Inzwischen welkte das zarte Pflänzchen frisches Läuferglück allerdings dahin. Dahingerafft von plötzlich, ohne Vorwarnung aufgetretenen Rückenschmerzen und diversen anderen Erkrankungen. Diese Zeilen schreibe ich an Silvester, nachdem ich drei schlimme Tage und Nächte überstand. Heute ist Tag eins, da ich einer nie erlebten, totalen, allumfassenden Schwäche entronnen wieder mehr als als 10 Schritte weit gehen kann. Drecksvirus, keine Ahnung was für eins, Corona jedenfalls nicht.

2023 ist mehr als ungewiss. Keine Ahnung, wann ich nach diesen Keulenschlägen wieder laufen und mich in Marathonform bringen kann. Eilig habe ich es durchaus, denn jeder verstreichende Tag schickt mich tiefer in den Keller. Ist ja nicht so, als hätte ich meinen Ehrgeiz inzwischen erwürgt. Im August bin ich zum Mauerweglauf, den 100 Meilen Berlin angemeldet, lächerliche 162 km ...