1

  Unser  Laufjahr  2021  

Ziele sind wichtiger als Erinnerungen

Im Jahr 2021 platzten die Hoffnungen vieler Menschen wie Seifenblasen. Ein paar Experten warnten, wir anderen schwelgten in sommerlichen Fantasien endlich überstandenen Übels und wiedergewonnener Freiheiten. Kaum war die dritte Covid-19-Welle überstanden, nahm das Virus Anlauf zur vierten. Als Folge der zu geringen Impfquote schoss die Inzidenz binnen weniger Tage exponentiell in die Höhe. Gedankenlos, unsolidarisch, dumm, verantwortungslos - diese menschlichen Eigenschaften, einzeln oder in unheiliger Allianz, überziehen uns neuerlich mit Tod, Siechtum, Not und Unfreiheit. Kein so genanntes "Argument" ist zu scheinheilig, verlogen oder töricht, um sich vor der Impfung zu drücken.

Neben diesem uns alle einschränkenden Rückschlag hatten Ines und ich auch ganz persönliche zu beklagen. Ich liege sicher nicht falsch, wenn ich unser Laufjahr 2021 zum sportlich und gesundheitlich schwierigsten küre ...

Wille kann Berge versetzen, aber nicht jeden - Ines' Laufjahr

Im Dezember 2019 wurde Ines ein entzündlich vergrößerter, stark schmerzender Nervenknoten, der Laufen unmöglich machte, operativ aus dem Fußballen entfernt. Nach langer Rekonvaleszenz setzte sie im März 2020 wieder erste Laufschritte. Die operierte Stelle schien nach und nach Ruhe zu geben. Vollkommen beschwerdefrei war Ines jedoch zu keinem Zeitpunkt. Im Verlauf dieses Jahres flammten die Beschwerden in der Fußsohle neuerlich auf. Gehen im Alltag tat weh, so dass ab Juli infolge barbarischer Schmerzen an Joggen nicht mehr zu denken war. Arztbesuche blieben zunächst erfolglos. Keine Therapie half, obwohl die Diagnose eindeutig war. Laienhaft ausgedrückt: Entzündung am Ort des entfernten Nervenknotens infolge angesammelter Gewebeflüssigkeit. Einem nochmaligen operativen Eingriff wollte sich Ines aus naheliegenden Gründen nicht unterziehen. Letztlich gab mein Sportarzt den Ausschlag. Er leitete eine Schmerztherapie ein und riet zu langem Atem: Selbstheilung sei möglich, könne sich jedoch über mehrere Monate hinziehen.

Ines' Laufjahrstatistik
Gelaufene Kilometer: 538
Trainingstage: 86
Wettkämpfe: 1
Krafttrainingstage: 66

Sobald die Pandemie es zuließ, intensivierte Ines ihr Training im Fitnessstudio, wo sie bis zu viermal pro Woche Gewichte bewegte. Dort setzte sie Anfang Dezember erstmals einen Fuß aufs Laufband, joggte langsam ein paar hundert Meter. Sie wählte das Laufband für den Neustart, um ihren Füßen einen schonenden, will heißen: definierten, planen und federnden Untergrund zu bieten.

Jetzt zur Jahreswende bleibt abzuwarten, wie die kritische Stelle in ihrer Fußsohle auf vorsichtig gesteigerte Laufdauern reagieren wird. Ines und natürlich auch ich hoffen, dass sie bald wieder zu kurzen Läufen draußen auf Asphalt wird aufbrechen können.

Laufrentnerin Roxi

Unsere Hündin Roxi ist alt geworden, vollendete im Sommer ihr 14. Lebensjahr. Schon 2020 hatten wir den Entschluss gefasst sie zu keinem längeren Wettkampf mehr mitzunehmen. Inmitten eines viele Köpfe starken, bunten "Laufrudels" hatte sie zwar noch immer Spaß am Laufen, entwickelte auch Ehrgeiz. Bei diesen Gelegenheiten war ihr Verhalten aber hündischen Urinstinkten geschuldet, dem besonderen "Spiel" oder der "Jagd" in einem Wettkampf. Kilometerlange Läufe im normalen Trainingsalltag empfand sie schon letztes Jahr eher als ... "überflüssig". Schon seinerzeit hing sie zu Beginn eines Joggs so lange zurück, bis sich die Laufrichtung heimwärts wendete. Ab diesem Zeitpunkt setzte sie sich wie eh und je an die Spitze und tippelte scheinbar leichtfüßig vorneweg. Dieses Verhalten, das sich immer weiter vertiefte, signalisiert einerseits, dass sie Strecken von 10 bis 20 Kilometer nach wie vor nicht überfordern. Andererseits fällt ihr ausdauerndes Laufen nicht mehr spielerisch leicht. Es strengt sie an und möglicherweise spürt auch sie unterwegs ihre "Knochen". Vermutlich geht es ihr so ähnlich wie Herrchen, der - in die Jahre gekommen - eben auch zunehmend Ausdauer einbüßt und nur noch selten Trainingsläufe ohne klagende "Zipperlein" erlebt.

Roxis passiver Widerstand führte dazu, dass sie bei langen Läufen nicht mehr als Begleiterin infrage kam. Auch kürzere Trainingseinheiten verbringt sie oft daheim. Dass sie überdies schlechter hört als früher, dennoch weiterhin und überwiegend im Freilauf begleiten soll, beeinflusst die Routenwahl erheblich. Wichtigste Streckeneigenschaften: Weitgehende Autofreiheit, Möglichkeit zu Beginn gehend ihr "Gassi" zu erledigen. Während solcher Trainings haben alle Belange oberste Priorität, die Roxis Sicherheit dienen. Trainingsbedürfnisse der Zweibeiner haben dahinter zurückzustehen.

Roxis Wettkämpfe

2021: 10,5 km beim LIWA-Laufevent

Marathons insgesamt seit 2010: 15

Ultraläufe insgesamt seit 2010: 12

Längste Wettkampfstrecke: Elm Super Trail, 72 km

Manchmal keimt Unmut in mir auf, wenn sie wieder mal hundert Meter zurückhängt. Zuweilen trauere ich auch um die nie ermüdende, ganz und gar fantastische Laufbegleiterin früherer Tage. Bis ich mir voller Dankbarkeit einen unserer gemeinsamen Läufe ins Gedächtnis rufe, zu denen sie noch vor wenigen Monaten fähig war. Dann flammt meine Begeisterung anlässlich wunderbarer Erlebnisse und Kilometer als Laufduo neu auf. Wie sie mich stets gut gelaunt und mit hündischer, manchmal explodierender Lauflust auch über hässliche, schwierige Phasen einer Trainingswoche "trug" ...

Inzwischen benötigt Roxi nach Läufen längere Schlaf- und Ruhephasen als früher. Dennoch hoffen wir sehr, Roxi auch im kommenden Jahr auf kürzeren Joggs hin und wieder "bewegen" zu können. Anders als Roxi, die im Augenblick lebt und nur tut, was Instinkt und Wahrnehmungen ihr eingeben, verfügen wir Menschen über die Einsicht, dass rostet, wer rastet. Hin und wieder ein paar Kilometer mit uns zu tippeln festigt ihre körperliche Verfassung und stärkt ihre Gesundheit.

Trotz allem blicken wir mit Freude auf einen zu dritt absolvierten Wettkampf beim LIWA-Laufevent zurück. Im April kämpften sich Ines und Roxi über die vom Profil her anspruchsvolle 10,5 km-Strecke. Begleitet von Udo, der nach etwa sieben Kilometern auf die Marathonstrecke abbog. Der strahlend schöne, sonnige Frühlingstag im Lichtenwald bei Esslingen bescherte uns als Trio eine unvergessliche Stunde.

Niemand ist unsterblich - Udos Laufjahr

Stell dir vor: Du bist ein Mensch, der die Sechzig längst überschritten hat und nie ernstlich krank war. Ein Mensch, der zeitlebens Sport trieb und irgendwann dem Laufen verfiel. So sehr, dass er dem ersten Marathon unentwegt weitere folgen ließ, sich alsbald auch auf Ultrastrecken wagte. Ein Mensch der laufend von Erfolg zu Erfolg eilte, bislang 300 Mal mindestens marathonweit wettkämpfte. Ein vom Laufglück Verwöhnter, der in all den Jahren nie einen Marathon oder Ultra abbrechen musste, obwohl er Distanzen in Angriff nahm, die selbst die Vorstellung der meisten Langstreckler überfordert. So ein Mensch bin ich.

Wie selbstverständlich ging ich davon aus uralt zu werden. Tausende Laufkilometer pro Jahr würden mich schon gesund erhalten. Krankheiten, zumal solche des Komplexes "Herz-Kreislauf", befielen andere, nicht mich. Ich lebte und lief diesbezüglich in völliger Arglosigkeit und Naivität; überspitzt formuliert: umgeben von einer Aura der Unsterblichkeit. Natürlich unbewusst und infolge "unüberspürbarer Symptome" des Alterns wissend, dass jeder irgendwann abtreten muss. Auch ich. Mag sein, aber nicht jetzt und nicht in absehbarer Zeit, dessen war ich mir sicher.

Der Infarkt im Juli traf mich aus heiterem Lebenshimmel, während eines Trainingslaufes. Zum Glück mit leichtem Verlauf, ohne bleibende Schäden. Vier Wochen danach zog ich erstmals wieder meine Laufschuhe an, habe unterdessen auch drei weitere Marathons erfolgreich abgeschlossen.

Udos Laufjahrstatistik
Gelaufene Kilometer: 3.310
Km im Schnitt pro Woche: 63,7
Trainingstage: 212
Trainingstage pro Woche: 4,1
Krafttrainingstage: 43
Krafttrainingstage pro Woche: 0,83
Wettkämpfe: 22
- davon Marathon: 16
- davon Ultra: 6

Nun ist einiges anders, als im ersten Halbjahr vor der Krankheit. Das Laufen fällt mir ungemein schwer. Dauerhaft und von der jeweils ersten Minute an, was auch an den Medikamenten liegt, die ich seitdem vorbeugend einnehme. In dieser Hinsicht hoffe ich in 2022 auf eine weitgehende Reduzierung der Leistungshemmer, um auch wieder längere Distanzen überbrücken zu können.

Angst vor einem weiteren Infarkt spielt in meinen Gedanken keine Rolle. Ich empfinde und empfand sie in keiner Sekunde. Was vermutlich daran liegt, dass ich stets die Kontrolle über mich behielt. Auslöser und Verlauf des Infarktes blieben unklar. Weder litt ich unter verborgenen Herzdefekten, noch zeigen sich bis heute ernsthafte arterielle Erkrankungen. Mein Blutdruck war stets vorbildlich. Ich ernähre mich im Wesentlichen gesund, rauche und trinke nicht.

So weit zu meinem Waterloo im Jahr 2021 und seinen Folgen, die natürlich auch meine läuferische Zukunft beeinflussen werden. Erfolge gibt es daneben auch zu vermelden. Vor allem den 300. Marathon (und weiter). Dieser Triumph war mir Anfang Juli vergönnt, als ich an vier Tagen hintereinander Marathon lief. Pandemie und Infarkt verhinderten mehr und weiter, unter anderem meine vierte Teilnahme an den 100 Meilen von Berlin, dem Mauerweglauf.

Es bleibt abzuwarten, ob und wann ich je wieder die 100 Kilometer-Marke werde erreichen oder gar überschreiten können. Dagegen arbeiten nicht nur Krankheitsfolgen und fortschreitendes Alter, sondern auch - ich gebe es unumwunden zu - der wachsende Hang zur Bequemlichkeit. Es fällt mir schwer, mich in ähnlichem Maße wie früher für läuferische Ziele zu schinden. Auch dies sicher eine Folge des Alters, aber nicht nur. Alle wirklich großen Ziele habe ich schon erreicht. War zweimal deutscher Altersklassenmeister im 24 Stundenlauf, erfolgreich bei Megaläufen wie Spartathlon und Olympian Race in Griechenland, erlebte auch bei den 100 Meilen Berlin Sternstunden. Was noch kommen kann ist einige Nummern bescheidener. Que sera sera ... Letzten Endes geht es mir in dieser Hinsicht wie Hans Kammerlander, einem der ehedem weltbesten Bergsteiger, der es so formulierte: Ziele sind wichtiger als Erinnerungen.